Читать книгу Krimi Koffer September 2021 - 7 Krimis auf 1000 Seiten - Alfred Bekker - Страница 33
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ОглавлениеSie war eines jener gutgewachsenen Geschöpfe, für die Hagar schon immer eine Vorliebe gehabt hatte. Das schwarze Haar trug sie zu einer kunstvollen Frisur aufgetürmt, in der marsianische Rubine funkelten. Unter dem Kunstlicht des Klubs zeigte ihr Antlitz die Bräune, die Raumfahrer stets hatten. Die Farbe war falsch.
Hagar erkannte sofort, dass ihr Gang nicht die Elastizität besaß, die traumwandlerische Sicherheit, die alle Raumfahrer auszeichnete. Trotzdem bewegte sich das Mädchen in ihrem langen, kobaltblauen Empire-Kleid mit der natürlichen Grazie eines Raubtiers. Sie kam auf Hagars Tisch zu. In ihren Händen hielt sie ein Abendtäschchen aus weißen Perlen.
„So allein?“ Sie sprach mit gedehnter, rauchiger Stimme.
Mit einer fließenden Bewegung ließ sie sich in dem Sessel nieder, der Hagar gegenüber stand. Sie lächelte; ihr gut geschnittener Mund war eine Spur zu groß, um vollkommen zu sein. Hagars anfängliches Interesse begann nachzulassen.
Er kniff seine Augen zusammen und betrachtete das Mädchen. Sein Mund verzog sich zu einer abfälligen Grimasse; er drehte sich um und ignorierte das Mädchen.
Über die kaum besetzten Tische hinweg blickte Hagar zu dem winzigen Podium, auf dem ein Sänger seine Hüften im Takt des Moondrive zucken ließ, des neuesten Modetanzes.
Wie ein Fieber war dieser Moondrive über Nacht aufgetaucht, wie alle diese Tänze, die in einer verrückten, alkoholgeschwängerten Stunde geboren wurden, eine Weile die Massen in Bewegung hielten und dann von einem noch aufregenderen, noch wilderen Tanz abgelöst wurden.
Hagar war voller Bitterkeit.
Es ist widerwärtig, dachte er, so widerwärtig, dass es dafür nur einen einzigen Namen gibt: Degeneration. Aber, so erinnerte er sich, diese hektische Lebensfreude war von jeher die unmittelbare Folge eines beendeten Krieges. Warum sollte es also heute anders sein? „Kommen Sie, Soldat Blödel, Sie sollen doch unsere Impulskanone reparieren!“
Nach einem zwanzigjährigen Krieg konnte man von den Menschen nichts anderes erwarten. Man konnte nicht verlangen, dass sie sofort und ausschließlich dort wieder anfingen, wo sie aus der Sicherheit ihrer Existenz herausgerissen worden waren.
Hagar bemerkte, dass sich das Mädchen noch immer in ihrem Sessel ihm gegenüber befand.
„Was möchten Sie denn noch?“, fragte er rau. „Ich glaubte mich deutlich genug ausgedrückt zu haben — mir steht nicht der Sinn nach einem Schäferstündchen ...“
Mit einer hastigen Bewegung warf das Mädchen den Kopf zurück. Zorn verdunkelte ihre blauen Augen, und bösartig sagte sie: „Ich glaube, Sie verwechseln mich mit jemand anderem.“
„So“, sagte Hagar kühl, „tue ich das?“
„Zweifellos.“ Das Mädchen nestelte an dem winzigen Täschchen und sah sich mit einem schnellen Blick um: In ihrer Nähe saßen nur wenig Personen, die übrigen Gäste drängten sich auf der runden Tanzfläche zu den Rhythmen der elektronischen Musik.
Durch zwei Tische von ihnen getrennt, saßen vier Soldaten der Raummarine, die, in ihre prunkvollen Uniformen gehüllt, mit arroganten Gesichtern auf die tanzenden Paare sahen. Von seinem Platz aus konnte Hagar deutlich die Verachtung in den Augen der Männer erkennen.
Für den Bruchteil eines Augenblicks spürte er so etwas wie Erschrecken in sich, als er daran dachte, dass auch er vor nicht weniger als zwei Jahren denselben Gesichtsausdruck gehabt hatte.
Mit einer schnellen Bewegung schob ihm die Fremde ein flaches Zigarettenetui über den Tisch zu. „Wie wäre es damit?“, fragte sie lauernd. Ihre Augen blickten wachsam umher — aber niemand bemerkte, was an diesem Tisch geschah.
Hagar sah das geöffnete Etui in den Fingern des Mädchens, und seine Augen wurden starr: Anstelle von Zigaretten konnte er zehn längliche Ampullen erkennen, von einer Feder gehalten, befand sich im Deckel des Etuis eine Injektionsnadel.
Hagar begann plötzlich zu lächeln. Forschend sah er das Mädchen an und fragte: „Hybrodiem?“
„Nein“, antwortete sie ungehalten. „Schnupftabak.“ Ihre schlanken Finger, von hauchdünnen, bis zu den Ellbogen reichenden Handschuhen verdeckt, klappten das Etui mit einer hastigen Bewegung zu und verbargen es wieder in der winzigen Tasche.
Hagar Wyngate lehnte sich in seinem Sessel zurück. Seine muskulösen Hände umfassten hart das hohe Glas, in dem sich ein Spacedriver befand. Abschätzend blickte der Mann das Mädchen an; er bemerkte die feinen Linien um die Mundwinkel, die groß wirkenden Augen, deren verschleierter Blick nur eines bedeuten konnte: Sie musste selbst süchtig sein. Dann blieben seine Augen an den langen Handschuhen hängen, die so wundervoll mit dem Empire-Kleid harmonierten. Sein Mund verzog sich zu einem zynischen Lächeln.
„Hübsch, diese langen Handschuhe“, sagte er langsam, „und soo praktisch!“
Sie sah ihn wütend an, minutenlang, ehe sie sich wieder in der Gewalt hatte. Dann legte sie gelangweilt die Hände auf den Tisch, betrachtete sie eine Weile und zog schließlich mit einer raschen, entschlossenen Bewegung die Handschuhe von den Armen. Sie waren makellos glatt. Keine Einstiche. Nichts deutete darauf hin, dass sie süchtig wäre.
„Das hat wenig zu besagen“, ließ sich Hagar mit spöttischer Stimme vernehmen. „Der menschliche Körper besteht nicht nur aus Armen.“
Der Spott schien sie nicht zu erreichen. Sie hob den Kopf in einer anmutigen Bewegung, sah ihn an und fragte dann ungeduldig: „Nun?“
Er schüttelte abwehrend den Kopf und sagte: „Noch habe ich das nicht nötig, Baby.“
„Sagen Sie das nicht, Mister Wyngate! Sie sind doch Wyngate?“ Sie beugte sich etwas vor, ihn dabei scharf musternd.
„Sie sind doch der Wyngate“, fuhr sie unerbittlich fort, „der vor zweieinhalb Jahren noch als Held von Helgijor Triumphe feierte, nicht wahr?“
„Was geht Sie das an?“, erwiderte Hagar grob. Hart stellte er das Glas auf den Tisch zurück. Er fühlte, wie der Zorn gleich einer dunklen, heißen Welle in ihm aufstieg.
„Wie leben Sie eigentlich heute?“, erkundigte sich das Mädchen, ohne auf seinen Einwand zu achten. Ihre Augen glitten über seinen schon etwas speckig schimmernden Smoking, der fast zu klein schien für die mächtige Gestalt des ehemaligen Raumsoldaten, und ihr Gesicht nahm langsam jenen Ausdruck an, vor dem sich Hagar fürchtete: den Ausdruck der Verachtung.
Mit heißem Grimm sah er, wie sich ihre Mundwinkel nach unten zogen. Sich nur mühsam beherrschend, zischte er: „Verschwinde endlich!“
Die Demütigungen der vergangenen zwei Jahre drängten zu einer Explosion. Ein Nerv begann über seinem linken Auge unkontrolliert zu zucken, die hauchdünne Narbe, die sich vom rechten Ohr bis zur Kinnspitze hinzog, glühte hellrot.
„Seit wann sind Sie so empfindlich?“ Spöttisch lächelnd blickte das Mädchen auf Hagar. „Das war doch früher nicht der Fall.“
Hagar beugte sich mit einer schnellen Bewegung über den Tisch, ergriff das Mädchen hart am Arm und zog sie etwas zu sich heran. Sie konnte einen leisen Aufschrei nicht unterdrücken, während er rau und verbittert sagte:
„Hör gut zu, mein Kind! Wenn du nicht augenblicklich verschwindest, werde ich dich der nächsten Polizeistreife übergeben, verstanden?“
In dem Mädchen ging eine Wandlung vor sich, eine Wandlung, die Hagar hätte stutzig machen sollen. Aber in seinem Zorn erkannte er nicht, dass er drauf und dran war, in eine Sache hineinzuschlittern, die böse für ihn ausgehen konnte.
Mit überraschender Kraft entzog sie ihm ihren Arm. Ihre Augen schimmerten kalt wie Eis.
„Ich weiß nicht, was Sie wollen, Mister“, sagte das Mädchen empört.
„Du warst unvorsichtig genug“, fuhr er heftig fort, ohne auf ihre Worte zu achten, „dein Hybrodiem einem Manne anzubieten, von dem du glaubtest, er würde auf Grund seines Äußeren kein Aufsehen erregen. Ich mag zwar etwas heruntergekommen sein, aber ich bin noch lange nicht so weit, dass ich dein Teufelszeug benötige, um weiterexistieren zu können!“
„Sie sind von Sinnen“, sagte sie. „Wenn Sie nicht augenblicklich aufhören, mich zu belästigen, muss ich den Geschäftsführer rufen. Wo kämen wir denn hin, wenn jeder obskure, abgehalfterte Soldat einen belästigen könnte!“ Sie machte Anstalten, sich zu erheben.
Hagars Augen verengten sich, als ihn die Erkenntnis traf. „Bleib schön sitzen“, sagte er unnatürlich ruhig. Sein Gesicht glich jetzt einer Maske.
In ihren Augen tauchte zum ersten Mal Furcht auf. Dann zerfiel ihr Antlitz und veränderte sich unter der Panik, die in ihr aufstieg.
„Du Narr“, flüsterte sie, „du willst es nicht anders.“ Sie ließ wie unbeabsichtigt ihr Perlentäschchen fallen. Als sie sich bückte, um es aufzuheben, erhob sich Hagar halb. Eine Ahnung sagte ihm, dass etwas um ihn im Gange war — da legte sich eine schwere Hand auf seine Schulter und drückte ihn zurück in den Sessel. Eine tiefe Stimme sagte:
„Bleib schön sitzen, mein Freund. Mach kein Aufsehen, lächle, freue dich, einen alten Bekannten nach so langer Zeit wiederzusehen — sonst bist du schneller bei deinen Ahnen, als dir wahrscheinlich recht ist.“
Hagars Körper versteifte sich. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, dem Burschen hinter ihm Manieren beizubringen — schließlich waren seine Reflexe trotz der zweijährigen Zwangspause immer noch schneller als die eines gewöhnlichen Sterblichen — aber er spürte zu deutlich die Vibrationen eines Energiemessers in der Nähe seiner Wirbelsäule, und dem hatte er im Moment nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen.
Der Schweiß brach ihm aus. Er wusste, welche Wunden ein Energiemesser anrichtete. Die unsichtbare Klinge stellte ein Ultraschallkraftfeld dar, das so stark war, dass es mühelos durch zentimeterdicken Stahl glitt. Es wurde von einem Mikrogenerator erzeugt, den man bequem in dem starken Griff unterbrachte.
„In Ordnung“, sagte Hagar rau. „Nur lass das verdammte Ding von meinem Rücken verschwinden.“
Ein dunkles Lachen ertönte. Gewandt ließ sich eine breitschultrige Gestalt in einem eleganten, karminroten Smoking neben Hagar in einen Sessel gleiten. Mit einer großspurigen Geste legte der Mann den Arm so um Hagar Wyngate, dass eine behaarte Faust dicht neben seiner Kehle lag.
Hagar hütete sich, eine schnelle Bewegung zu machen. Mit steifem Hals sah er die leicht flirrende Luft unterhalb seines Kinns: die Kraftfeldklinge. Ihm wurde fast übel. Aus den Augenwinkeln betrachtete er den Burschen neben sich; er hatte eng zusammenstehende Augen, deren Farbe man in dem ständig wechselnden Licht des Klubs nicht erkennen konnte, besaß eine fleischige Nase und ein Kinn wie ein Stück Eisen.
Das Mädchen hatte inzwischen ihr Täschchen aufgehoben. Mit gelangweilter Stimme sagte es:
„Das ist Frank, mein Bruder. Er ist immer sehr besorgt um seine kleine Schwester.“
Frank lachte tief und kollernd. Seine Faust an Hagars Kehle wurde von diesem Lachen erschüttert. Hagar begann zu würgen, der Nerv über dem linken Auge tickte noch schneller.
Dann bemerkte er, dass die Musik geendet hatte. Das Licht wechselte, die Paare begannen von der Tanzfläche zu strömen und drängten sich zwischen den Tischen hindurch.
Hagar atmete vorsichtig ein. Blitzschnell erkannte er, dass dies seine einzige Chance bildete, wollte er etwas unternehmen.
Frank schien ihn zu durchschauen. Mit kaltem Lächeln sagte er: „Bilde dir ja nichts ein, mein Junge ...“
Hagar spürte, wie sich der Arm auf seiner Schulter spannte. Sein Herz begann schwer und hart zu schlagen.
Das Mädchen schob ihren Sessel etwas vom Tisch weg, um so die Paare zu zwingen, einen Bogen zu machen, wollten sie an diesem Tisch vorbei. Mit ohnmächtigem Grimm sah Hagar seine letzte Chance schwinden — dann geschah alles sehr schnell: Eine etwas üppige Blondine, leicht angetrunken und schwer am Arm ihres Begleiters hängend, verlor die Balance, als sie sich gerade an Hagars Tisch befand, und fiel mit einem hellen Kichern gegen Frank.
„Hoppla“, gluckste sie, verschämt tuend. „Sie Schlimmer, Sie ...“
Franks Augen irrten ab, für Sekundenbruchteile musste er seine Aufmerksamkeit zwischen Hagar und der kichernden Frau teilen — das genügte. Hagars rechter Ellbogen stieß gegen Franks Magen, dann hechtete er über den Tisch, in einem verzweifelten, alles riskierenden Sprung. Er riss die Gläser von der Platte und landete genau im Schoß des Mädchens, das gellend aufschrie, während er sich schon wieder herumwarf.
Er sah, wie Franks Faust in der Reflexbewegung eine nicht mehr vorhandene Kehle durchschnitt, ehe er, vom Schlag überwältigt, zu Boden stürzte. Die Kraftfeldklinge schnitt den wuchtigen Sessel in zwei Hälften und riss ein Stück des Bodenbelages heraus.
Eine endlose Sekunde lang herrschte völlige Ruhe. Dann schrie die blonde Frau schrill auf, es war ein Geräusch, das die Ohren aller peinigte und nicht zu enden schien.
Hagar beobachtete weiter, wie sich Frank auf die Knie erhob, mit einer wilden Armbewegung die Trümmer des Sessels von sich fegte, die Hand mit dem Messer weit von sich streckte und ihn über den Rand des niedrigen Tisches mit kalter Wut ansah. In diesem Augenblick sprang Hagar auch schon mit einer schnellen Bewegung auf den Tisch. Die Kante schnellte hoch und traf mit einem krachenden Geräusch Franks Kinn.
Franks Augen wurden glasig. Er sank in sich zusammen.
Hagar beobachtete ihn aufmerksam, ehe er hinüberging und ihm vorsichtig das Messer aus der Faust zog. Er riss das dünne Kabel entzwei, das den Smokingarm entlang zur Batterie in der Brusttasche führte — nun hatte er nur noch den schweren Griff in der Hand, der völlig harmlos war. Er steckte ihn in die Tasche.
Wie erwachend strich er sich dann über die Stirn. Um ihn war alles in Bewegung. Die Gäste hatten sich von den Sesseln erhoben und starrten in seine Richtung, Kellner kamen gelaufen, und jemand wimmerte vor sich hin. Die Blondine, der Hagar eigentlich zu Dank verpflichtet war, saß nun neben Frank auf dem Boden und klatschte in kindlicher Begeisterung immer wieder in die Hände. Ihr Begleiter versuchte vergeblich, sie hochzubringen.
Hagar blickte suchend um sich; er vermisste sein Mädchen in einem kobaltblauen Empire-Kleid mit einem Täschchen aus weißen Perlen. Dann sah er sie, wie sie eilig zwischen den Tischen davonlief. Er setzte ihr nach und erreichte sie kurz vor dem Ausgang.
„Nicht so hastig, Baby“, sagte er heiser und griff nach ihrer Schulter. Sie drehte sich um, lächelte verzerrt und voller Angst und schlug ihm ins Gesicht.
Hagar blieb abrupt stehen, als wäre er gegen eine Mauer geprallt. Er hatte noch das grelle Zischen in seinen Ohren, als etwas in seinem Gehirn explodierte. Er fiel dem herbeieilenden Portier genau in die Arme.
*
Schwelgend blickte John de Celan aus dem Fenster hinunter auf die Stadt. Er hatte die Männer und Frauen vergessen, die sich in der Tiefe des weitläufigen Raumes zwanglos in Sessel um niedrige Tische gruppierten. Er hob den Blick und sah über die Stadt hinweg zu den blaugrau schimmernden Bergen in die Ferne.
Der greise Präsident erschauerte.
Das Gefühl der Einsamkeit wurde übermächtig in ihm. Die Last der Verantwortung wog schwer auf seinen Schultern. Die Last, auch zu unpopulären Maßnahmen zu stehen. Sie mit aller Kraft voranzutreiben, wie etwa die Friedensverhandlungen mit den K’erubyjns, die er — entgegen vieler Stimmen hauptsächlich aus militärischen Kreisen — in Gang gebracht hatte.
Die gebeugte Gestalt drehte sich etwas nach links. Der Blickwinkel veränderte sich, und John de Celan konnte jetzt den Raumhafen einsehen. Die weite Fläche lag kalkweiß unter dem Himmel.
Drüben, im verwaschenen Blau des zur Neige gehenden Tages, sah er die gezackte Silhouette von Nova Angeles, jetzt Sitz der Erdregierung, der er als Präsident vorstand. Die Stadt umschloss halbkreisförmig den Raumhafen.
John de Celan erkannte eine Bewegung am Himmel.
Aufmerksam geworden, adjustierte er das Fenster auf Fernbeobachtung: Die Basis und der Luftraum über ihr kamen auf ihn zu. Mit ihnen der gewaltige Leib eines K’erubyjn-Schiffes, das auf den Raumhafen zufiel.
„Wenn ich recht orientiert bin“, ertönte eine Stimme neben John de Celan, in der eine Spur von zynischer Resignation lag, „hat das K’erubyjn-Schiff Seine Exzellenz, den Botschafter von Garm, an Bord.“
Henry Masson, Erster Sekretär des greisen Staatsoberhauptes und persönlicher Berater, war neben dem alten Mann ans Fenster getreten und verfolgte die Landung des Schiffes.
„Sie sind es, Henry“, murmelte de Celan, um dann lauter fortzufahren: „Die Ankunft des Botschafters wird der Beginn einer hoffnungsvollen Zusammenarbeit sein – so glaube ich. Mehr denn je habe ich das Gefühl, dass für die Erde der Frieden nunmehr unumgänglich ist. Es muss uns gelingen, das Problem des endgültigen Friedens zu lösen, wollen wir verhindern, dass die Menschheit zurück in die Barbarei füllt.“
Der Präsident legte eine magere Hand auf den Arm seines Sekretärs, als er fortfuhr:
„Schon einmal gab es eine Periode des Friedens, und die Menschheit konnte sich zum ersten Mal in ihrer langen und entsagungsvollen Geschichte fast zweihundert Jahre daran erfreuen.“
Er wandte sich Masson zu. „Glauben Sie nicht, dass dies eine Wiederholung wert wäre?“
Henry Masson schwieg.
Für Minuten sah auch er über die Weite des Raumhafens. Zu seiner Linken, weit drüben, dort, wo Wartungsanlagen und Hangars gerade eben noch zu erkennen waren, senkten sich zwei blendend helle Feuerzungen aus dem Himmel — die beiden Wachkreuzer, die dem K’erubyjn-Schiff sicheres Geleit auf seinem Weg durch die Fronten gegeben hatten.
Das rote Licht der sinkenden Sonne traf Massons grobflächiges Gesicht. Masson konnte seine indianische Herkunft nicht verleugnen. Sein Haar war bereits grau, aber die Augen blickten noch hell und jung und scharf beobachtend wie die seiner Vorfahren, als sie noch über die Prärien Nordamerikas zogen. Er war vor dem Krieg — also vor rund zwanzig Jahren — einer der besten Anwälte Terras gewesen, ehe er ins Regierungslager überwechselte.
„Nun, Henry? Sie sind mir noch eine Antwort schuldig!“
Masson nahm den Blick von dem grandiosen Schauspiel der landenden Schiffe und sagte anklagend:
„Frieden, Sir? Sie meinen sicher Verfall!“
John de Celan machte eine besänftigende Geste. Aber Henry Masson fuhr heftiger fort:
„Doch! Ich benutze mit Absicht das Wort 'Verfall', denn nichts anderes ist es, worauf die Menschheit seit jenen glücklich-unglücklichen Tagen von Genf langsam, jedoch beständig zusteuerte. Und dieser Verfall zwingt uns heute dazu, die sich daraus ergebenden Folgen hinzunehmen. Ich frage Sie, Sir, was hat uns dieser Frieden schon gebracht? Als man uns damals lehrte, den Frieden zu lieben und den Krieg zu hassen, stießen unsere Schiffe weiter denn je zuvor in den Raum hinaus. Paradiesische Welten kartographierte man. Kolonie auf Kolonie wurde gegründet. Niemals begegneten wir auf unserem Weg durch die Galaxis einer Rasse, die imstande war, unserer Ausbreitung Einhalt zu gebieten. So wurden wir sorglos. Wozu eine schlagkräftige Flotte, sagte man sich, wenn es niemand gab, gegen den man sie einzusetzen gedachte? Immer mehr Soldaten zogen es vor, als Siedler in den Kolonien zu bleiben. Schlachtschiffe verrotteten zu Haufen nutzlosen Metalls. Im letzten Jahrhundert des Friedens von Genf bestand der Flottenstab nur noch aus senilen Veteranen, die ihre Langeweile mit Saufgelagen und sinnlosen Duellen totschlugen ...“
Henry Masson hielt inne, von Bitterkeit überwältigt. Minuten verstrichen, ehe er weitersprach.
„Dann stießen wir eines Tages auf die K’erubyjns. Ein Volk, das so identisch mit dem unseren war, dass es sogar die gleichen Probleme hatte. Die K’erubyjns wie auch wir hatten nichts Eiligeres zu tun, als in der jeweiligen Rasse eine Gefahr für die eigene Vormachtstellung in der Galaxis zu sehen. Das Ergebnis: Krieg. Ein Krieg, der beide Kontrahenten innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren fast sämtliche Kolonien und Millionen von Menschenleben kostete. In der Folgezeit stellte sich heraus, dass die K’erubyjns den längeren Atem hatten — und warum? Weil von uns niemand mehr an eine solche Begegnung geglaubt und an eine Reorganisation der Flotte gedacht hatte. So schleppte sich in den nächsten zehn Jahren der Krieg dahin. Keine Seite versuchte ihn zu beenden.
Um nicht gleich in den ersten Jahren dem Ansturm der K’erubyjns zu erliegen, mussten wir den Militärs mehr Rechte, mehr Vollmachten als jemals zuvor zugestehen. Heute leben wir knapp am Rande einer Diktatur. Nach zwanzig langen Jahren eines sinnlosen Krieges war die Föderation ausgeblutet — ebenso das Reich der K’erubyjns, Garm. Aber noch immer bittet niemand um Frieden. Warum? Man könnte ja sein Gesicht verlieren. Jetzt sind wir so weit, dass der Beschluss, endlich eine Konferenz beider Völker einzuberufen, um eine Lösung für einen möglichen Frieden zu finden, auf erbitterten Widerstand seitens des Militärs stößt.“
„Sie glauben nicht an den Frieden, Henry?“ Die knochige Hand auf Massons Arm zitterte. „Sie glauben nicht an den Willen der Menschheit, endlich die Schatten zu vertreiben, die über Vergangenheit und Zukunft liegen?“
„Ich kann nicht daran glauben.“ Henry Massons Stimme klang brüchig. „Ich habe eine schreckliche Angst vor der Zukunft, weil ich weiß, dass der Urmensch noch immer in uns steckt, dass das Böse noch immer vorhanden ist. Der beste Beweis meiner Befürchtungen ist Tomlinson mit seinen Veteranenverbänden.“
„Sie sehen zu schwarz, Henry“, erwiderte der greise Präsident und legte freundschaftlich seine Hand auf die Schulter des Sekretärs. „Schon immer hat es eine Zeit des Zweifels, der Unsicherheit gegeben. Früher schon erhoben Ungläubige ihre Stimme und wollten nicht an das Gute im Menschen glauben; sie werden von der Dunkelheit ihrer eigenen Gedanken in Angst und Schrecken versetzt. Glauben Sie mir, Henry! Tomlinson ist ein alter, verbitterter Mann, der nicht wahrhaben will, dass seine Zeit vorbei ist, ja, vorbei sein muss. Andernfalls wird die Menschheit wirklich untergehen — eine Fortsetzung des Krieges können wir uns einfach nicht mehr leisten.“
„Tomlinson alt und verbittert? Dass ich nicht lache. Er besitzt immerhin noch so viel Kraft, uns mit seinen Mordandrohungen in Atem zu halten.“
„Sie sind der Überzeugung, dass er Ernst macht?“
„Unbedingt. Das Reich von Garm wird diesen Mord an seinem Botschafter als einen neuen Akt der Feindseligkeit werten — und genau das will Tomlinson. Er kann sich nicht damit abfinden, dass er von nun an die Hände in den Schoß legen soll.“
„Ist das nicht genau eine von Ihnen stets angeprangerte Art von Schwarzmalerei, Henry, was Sie eben von sich geben?“
„Ich habe Furcht“, murmelte Henry Masson und lehnte die Stirn gegen das Fenster. „Ich wollte, ich könnte Ihren Optimismus teilen, Sir.“
Aus dem Hintergrund des Raumes erklang gedämpfte Unterhaltung, manchmal das Klirren eines Glases, Gesprächsfetzen aus den amtlichen Kommunikatoren.
„Ich habe Furcht“, wiederholte Masson, „dass uns dieser Urmensch, mag er nun Tomlinson heißen oder nicht, wieder einen Streich spielen wird. Einen Streich, der stets und zu allen Zeiten den furchtbaren Namen Krieg trägt. Ein Dichter einer längst vergangenen Epoche schrieb einmal: Der Urmensch läge nicht in den Kalksteinablagerungen prähistorischer Zeiten begraben, sondern im Herzen des Menschen selbst. Und an anderer Stelle fährt er fort: Wenn der Mensch einmalig sein soll und seine Seele eine Schöpfung eigener Art, wenn seine Zukunft von der angeborenen Güte, seiner Würde und seiner Weisheit abhängen soll, dann wird er verloren sein.“
John de Celan blickte mit verstehenden Augen auf Masson und sagte: „Darin liegt doch ein Trugschluss, Henry! Die Behauptung, der Mensch wäre verloren, verließe er sich auf die von Ihnen aufgeführten Beweggründe, ist falsch. Was sonst als jene geschmähte Güte, Würde und Weisheit haben dem Menschen auf seinem kurzen Stück Weges der Evolution alles ermöglicht. Ich frage Sie, Henry? Vor undenklichen Zeiten machten sich unsere Vorfahren mit Keulen und Faustkeilen auf den langen Weg zu uns. Nun stellen Sie sich vor, in diesen Urmenschen hätten nicht schon geringe Spuren von Anstand und Liebe geschlummert! Vielleicht wären wir dann wirklich nicht hier, auf einer Stufe, auf der uns Einblick in die Schöpfung geboten wird. Wir wären wirklich verloren, hätten die barbarischen Emotionen unseres Unterbewusstseins die Oberhand gewonnen. Aber wir haben Zeugen, dass dem nicht so war. Zeugen dafür, dass eben diese verachtete Würde, die geschmähte Weisheit und die mitleidig belächelte Güte keine leeren Phrasen sind.“
John de Celan schwieg.
Henry Masson sah hinaus, erblickte die untergehende rot flammende Sonne, die den Himmel in purpurfarbenem Licht badete. Dann fragte er, und seine Stimme klang leise:
„Was, Sir, gibt Ihnen den unerschütterlichen Glauben an die Menschheit?“ John de Celan verschränkte die Hände auf dem Rücken und antwortete ruhig: „Liebe, Henry! Liebe und Sehnsucht.“
Ungläubig drehte sich Masson zu dem Präsidenten hin. „Liebe?“, fragte er erstaunt. „Sehnsucht? Wonach?“
„Zu Gott, Henry. Schließlich wird jeder Mensch den Weg zum Licht suchen, wird eintreten wollen durch die Pforte der Verheißung.“
„Wie kann Gott existieren in einer Welt des Schreckens, in einem Universum der Inhumanität, der Menschenverfolgung — denn nichts anderes ist ja der Krieg —, und wie konnte er es zulassen, dass wir uns dem Bösen zuwandten? Wissen Sie, Sir, was ich glaube? Nicht Luzifer ist der von Gott abgefallene Engel, sondern wir ...“
Müdigkeit, Hoffnungslosigkeit. Massons Stimme war längst verklungen. Still war er zurückgekehrt in den Kreis der anderen, deren murmelnde Unterhaltung die gebeugte Gestalt am Fenster nicht erreichte.
Masson hat nur einen Teil der Wahrheit erkannt, dachte John de Celan, mit Hoffnungslosigkeit bis an den Rand gefüllt. Der Menschheit blieb noch eine Chance, dann nämlich, wenn man sie zu der Einsicht brachte, dass Tomlinson und Leute seines Schlages sie in Finsternis und Chaos führten, statt in die Freiheit.
Es musste einen Weg geben, dies den Menschen klarzumachen, das war seine Aufgabe.
Die Nacht brach herein. Nur die obersten Zinnen lagen noch im letzten Licht der versinkenden Sonne. Weit unten erstrahlte die Stadt. Auf den hell erleuchteten, glasüberdachten Rollbändern und Fahrstraßen der oberen Stadt pulsierte das Leben.
Auf dem Grund der Straßenschluchten selbst herrschte völlige Dunkelheit. Ein kühler Wind strich durch die verlassenen Straßen.
Hinter seinem Rücken vernahm de Celan das leise Surren der Tür.
„Sir!“, kam die leise Stimme eines Sicherheitsbeamten.
„Ja, Rosen?“ Die gebeugte Gestalt am Fenster wandte sich nicht um.
„Es ist Zeit, Sir.“
„Zeit?“
„Seine Exzellenz, der Botschafter von Garm betritt soeben die Halle.“
„Gut, Rosen. Veranlassen Sie, dass man ihn heraufbringt.“
*
Der kleine Sitzungssaal schien noch zu groß für die wenigen Männer und Frauen, die zusammen mit John de Celan den Botschafter von Garm erwarteten.
Masson fühlte sich immer etwas unbehaglich in dem altehrwürdigen Raum mit seinen kostbaren Gobelins, den Gemälden verdienter Männer der Föderation und dem Glanz einer längst vergangenen Epoche, und seine Stimmung ließ sehr zu wünschen übrig.
Noch immer war keine Nachricht von Benn Jacyna gekommen.
„Haben Sie Ihre Leute postiert, Edward?“ Masson sah Edward Carth, der dicht neben ihm stand, fragend an.
„Es wäre immerhin möglich, dass Tomlinson dieses Attentat als Ouvertüre über die Bühne gehen lassen will.“
„Vermutlich“, bestätigte Carth widerwillig. Er war ein hagerer Mann mit scharfen Zügen, grauem, kurzgeschnittenem Haar und einer v-förmigen Narbe auf der Stirn. Er blickte mit zusammengezogenen Brauen auf Henry Masson. Die dunkle Kleidung, die er trug, unterstrich das Düstere seiner Erscheinung.
Obwohl Masson älter als Carth war, wirkte er jugendlicher. Trotzdem hatte er Respekt vor Carth, dessen Stellung als Chef des Secret Service ein hohes Maß an Entschlusskraft und Kaltschnäuzigkeit verlangte, was Masson vermutlich nicht hätte aufbringen können.
Mit einem Mal wurde Carths Blick stechend. Er sah über Massons Schulter und zischte: „Was will die Natter hier?“ Masson drehte sich um. Durch die Tür in der gegenüberliegenden Wand trat eine Respekt gebietende Person in der straff sitzenden Uniform der Raumwaffe: Homer A. Tomlinson, Admiral und Oberbefehlshaber der gesamten Föderationsflotte. Oder zumindest über jenen Teil, der noch von ihr übrig war, dachte Masson. Dann sagte er zu Carth: „Was wollen Sie, Edward? Seine Anwesenheit ist völlig korrekt. Wie könnten wir es wagen, den Chef der Flotte bei diesem wichtigen Empfang auszuschließen!“
Carths zornige Erwiderung wurde im Keim erstickt, als die Anfangstakte von Samuel O’Briens sinfonischer Dichtung Hammer des Thor von der Balustrade klangen.
Der Zeremonienmeister, neben der zweiflügligen Tür stehend, hob seinen Stab. Dreimal klopfte er auf den Boden, ehe er verkündete:
„Seine Exzellenz, Eere a Saarin, Botschafter von Garm.“
Ein Raunen ging durch die Versammelten, als sich die Tür öffnete und der Botschafter eintrat.
Eere a Saarin hatte auf jegliche Begleitung verzichtet. Er war groß genug, um allein durch seine Person zu wirken — und das wusste er wahrscheinlich auch.
Henry Masson betrachtete mit leichtem Stirnrunzeln die Gestalt. Sie war in eine weiße Tunika gehüllt, die bis zum Boden reichte. Darüber trug der Botschafter noch einen Umhang von leuchtend blauer Farbe, den er nun mit der linken Hand etwas raffte und ruhigen Schrittes in den Saal schritt.
„Sieht verteufelt gut aus“, hörte Masson hinter sich die Stimme von Abigail Peale, der Ministerin für Kultur, einer attraktiven Frau von zweiunddreißig Jahren.
Über Massons Gesicht huschte ein Lächeln. Er musste ihr recht geben. Für eine Frau war Eere a Saarin wohl äußerst anziehend. Sein gebräuntes Gesicht mit den weit auseinanderstehenden Augen und der geraden, wie gemeißelt wirkenden Nase entsprach dem klassischen Schönheitsideal. Nur eines störte: die Größe des Botschafters. Masson wusste, dass bei den K’erubyjns eine Körpergröße von zwei Meter und dreißig Zentimeter als klein galt — und der Botschafter musste zu den Größten seiner Rasse gehören.
Masson wurde in seinen Betrachtungen gestört, als dicht neben ihm ein scharfes Blip ertönte. Als er sich umdrehte, bemerkte er, wie Carth seine linke Hand hob und den breiten Reif, den er um das Gelenk trug, ans Ohr hielt.
Masson wurde unruhig, als er sah, wie Carths dunkle Augen in dem blassen Gesicht aufglühten.
„Was ist?“, fragte er leise und stieß Edward Carth leicht in die Seite. Carth beugte sich zu ihm hinüber und flüsterte nur ein Wort: „Benn.“
Masson verlor etwas von seiner stoischen Ruhe, als er sich erkundigte: „Wo?“
„Auf dem Raumhafen — vor zwei Minuten.“
Masson sah sich unauffällig um; niemand hier im Saal schien etwas von der Unterhaltung bemerkt zu haben. Vorn begrüßte eben der Präsident den K’erubyjn, während die letzten Takte der Musik verebbten. Tomlinson war in einer Gruppe eingekeilt — außerdem sah er nicht zu ihnen herüber.
„Los, gehen wir“, murmelte Carth und schob Masson nach hinten.
Sie eilten durch einige Korridore, ehe sie ein Lift zwanzig Stockwerke tiefer brachte. Auf einer Plattform, die wie ein Vogelnest an den hochragenden Wänden des National Building klebte, erwartete sie schon ein Gleiter des Secret Service.
Masson ließ sich in den Rücksitz des Gleiters fallen, während Carth vorne neben dem Piloten Platz nahm.
Als die gegenläufigen Motoren unter den kühlergrillartigen Gittern der Bug- und Heckhaube des Fahrzeuges anliefen, war in der Kabine nur ein sanftes Rauschen zu vernehmen.
Der Pilot riss den Gleiter in kühnem Schwung über die Plattform und in die Nacht hinaus.
„Los, Edward! Erzählen Sie. Was ist geschehen?“ Masson beugte sich vor und legte eine Hand auf die gepolsterte Lehne von Carths Sitz.
Carth berichtete kurz, dass sich endlich Benn Jacyna gemeldet hatte.
„Was hat er genau gesagt?“ Massons Stimme klang ungeduldig, erregt.
„Warten Sie einen Augenblick, ich will versuchen, ob ich das Aufnahmeband hierher übertragen lassen kann.“
Carth drückte in schneller Reihenfolge einige Tasten auf dem Paneel vor ihm. Ein kleiner Schirm leuchtete auf, und ein Gesicht erschien, das Masson kannte. Es war Robert Pryor, einer von Carths besten Nachrichtentechnikern.
„Chef?“
„Können Sie noch einmal das Band von Jacynas Funkspruch abspielen, sodass wir mithören?“
Es dauerte nur Sekunden, Sekunden, in denen der Gleiter bereits die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatte. Dann wurde eine auf Band aufgenommene Stimme hörbar, die durch den Effekt des Raffercodes leicht verzerrt klang.
„Achtung! Hier Benn Jacyna. Ich rufe Center 417. Bin bereits im Anflug. Landung in zwei Minuten. Bringt Sekt mit. Ende ...“
Es war zweifellos Jacynas Stimme. „War es so in Ordnung, Sir?“ Pryors Gesicht erschien wieder auf dem Schirm.
„Ja, es ging in Ordnung.“
„Halt!“, rief Masson. „Pryor! Wann kam dieser Funkspruch?“
„Warten Sie — vor genau fünf Minuten, Sir.“
„Seither hat Jacyna sich nicht mehr gemeldet?“
„Nein, Sir.“
„Haben Sie versucht, mit ihm in Verbindung zu treten?“
„Selbstverständlich, Sir.“
„Lassen Sie hören.“
Pryor murmelte undeutlich vor sich hin, dann wurde seine Stimme von einer identischen, aber viel lauteren Stimme übertönt: die Aufzeichnung.
„Achtung! Center ruft Jacht Hammid! Center an Jacht Hammid! Achtung! Melden Sie sich ...“
So ging es mehrere Male, aber die Anfragen blieben ohne Antworten.
Henry Masson beugte sich vor, um besser gehört zu werden, und rief: „Pryor. Haben Sie denn überhaupt nichts hereinbekommen?“
Die Aufzeichnung erlosch. An ihre Stelle trat Pryors Gesicht und seine richtige Stimme. Er sagte:
„Nein, Sir, nicht das geringste Zeichen. Auch der statische Impuls seines Gerätes fehlt. Es sieht ganz so aus, als hätte er seine Apparate stillgelegt.“ Masson schwieg einen kurzen Moment, dann sagte er: „Gut, schalten Sie ab.“ Zu Edward Carth gewandt, fuhr er fort: „Also ist er bereits seit drei Minuten auf dem Landefeld!“
„Sie meinen?“ Carths Augen glühten in der vagen Helligkeit, die von den Rundinstrumenten erzeugt wurde.
„Ich meine gar nichts“, antwortete Masson hölzern. „Aber dass er sich nicht mehr gemeldet hat, gibt mir zu denken. Machen wir, dass wir hinkommen.“ Masson lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und schwieg.
Die Dunkelheit draußen wurde von einem hellen, weiß-blauen Schein abgelöst: Der Raumhafen und seine gewaltigen Flutlichtanlagen kamen näher.
Eine halbe Minute später zischte der Gleiter mit einer Höllenfahrt durch die aufragenden Pylonen der Raumschiffe hindurch, um schließlich in einer Staubwolke unmittelbar neben einer Raumjacht zu landen.
Das kugelförmige, zwanzig Meter durchmessende Schiff stand auf drei Landestreben. Die Rampe war ausgefahren, die Schleuse offen und erleuchtet. Zwei weitere Gleiter des Geheimdienstes warteten, schon in der Nähe, die Beamten waren ausgestiegen und standen in einem Halbkreis vor der Rampe.
„Sie bleiben hier!“, rief Carth Masson zu und sprang aus dem Gleiter. Masson wollte protestieren — aber da war Carth schon mit seinen Leuten über die Rampe ins Innere der Jacht gestürmt.
Das Warten zerrte an Massons Nerven. Er hegte gewisse Befürchtungen, und als er schließlich Edward Carth aus der Schleuse treten sah, langsam und irgendwie abwesend, da wusste er, dass etwas geschehen sein musste.
„Man ist uns zuvorgekommen“, sagte Carth steif, als er den Gleiter erreicht hatte. Sein Gesicht war von Trauer und Sorge überschattet.
„Was ist geschehen, Edward? Um Himmels willen! So reden Sie doch schon!“
„Man hat ihn hinterrücks erschossen.“
Masson stöhnte auf. Damit schien alles umsonst gewesen zu sein; alles, auch der Besuch des Botschafters von Garm.
„Wie konnte das passieren?“, fragte er weiter.
Carth zuckte die Schultern. „Werden wir das jemals herausbekommen? Ist es überhaupt noch wichtig, nachdem es feststeht, dass wir mit unseren Bemühungen gescheitert sind?“
„Hat man nichts bei ihm gefunden? Keine Aufzeichnungen oder Hinweise, die uns weiterhelfen könnten?“
„Alle Aufzeichnungen sind aus dem elektronischen Bordbuch gelöscht — falls die Ergebnisse seines Auftrags überhaupt darin enthalten waren. Unsere Agenten haben da ein besonderes Versteck für derartige Sachen, aber auch das war leer. Alles, was wir fanden, war dieser Zettel, den er in seiner Faust zusammengeknüllt verborgen hatte.“
Carth reichte Masson ein kleines Stück Papier. Masson vermochte einen Namen zu entziffern und ein einzelnes Wort, aber das sagte ihm nichts.
Kurz darauf erhob sich der Gleiter wieder in die Luft. Mit brennenden Augen blickte Henry Masson hinunter auf den Raumhafen. Eben überflog der Pilot den Landeplatz des K’erubyjn-Schiffes, das fremdartig und auf seine Art drohend inmitten eines Ringes von Wachkreuzern stand, hell angestrahlt von starken Flutlichtbatterien.
Noch nie hatte Masson ein derart starkes Gefühl der Hoffnungslosigkeit verspürt wie jetzt in diesem Augenblick. Abwesend glätteten seine Finger den Zettel, dessen Text unverrückbar fest in seinem Gedächtnis verankert war.
Ein Name: Hagar Wyngate.
Ein Begriff: Honvath.