Читать книгу Krimi Koffer September 2021 - 7 Krimis auf 1000 Seiten - Alfred Bekker - Страница 40

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John wurde erst auf die beiden Männer aufmerksam, als sie bereits vor seinem Tisch standen. Er hob den Kopf und sah in die Gesichter der beiden. Es waren Männer unbestimmbaren Alters, mit ruhigen, ernsten Augen, breitflächigen Gesichtern und muskulösen Oberkörpern. Sie glichen sich wie ein Ei dem anderen: Zwillinge!

Beide machten nicht den Eindruck, als besäßen sie zu viel Geld — aber John hütete sich zu verallgemeinern. In dieser Hinsicht hatte er seine einschlägigen Erfahrungen gesammelt.

John Dunbar, auch genannt: Jean le Fou, der Spieler, ließ in gekonnter Manier das Kartenpaket aus der Linken über eine Entfernung von einem Meter in die rechte Hand schnellen. Er wiederholte dieses kleine Spiel mehrere Male. Es kostete keine Mühe und beeindruckte immer wieder.

Zwar ging es schon auf Mitternacht zu, und John hatte vorgehabt, für heute Schluss zu machen. Aber wenn jemand unbedingt sein Geld loswerden wollte, so durfte man ihn nicht daran hindern. Ein alter Grundsatz von John.

Deshalb lächelte Dunbar sein Spielerlächeln und fragte: „Welchen Einsatz?“

Die beiden Männer ließen sich ihm gegenüber nieder. Der rechts Sitzende griff in die Tasche und sagte ruhig: „Diesen!“

John Dunbar kniff die Augen zusammen und betrachtete die Mündung der Strahlwaffe. Er bemerkte die bläuliche Verfärbung am Rand, die vom häufigen Gebrauch sprach.

Im ersten Augenblick war er ein wenig verblüfft. Dann aber kam ihm die Situation zu Bewusstsein, die einer gewissen Komik nicht entbehrte.

John Dunbar lächelte. Die beiden machten eigentlich nicht den Eindruck, als ob sie sich durch einen Überfall schnell etwas Geld zu verdienen suchten. Ganz abgesehen davon, dass sie sich den wohl ungünstigsten Platz der Galaxis ausgesucht hatten.

Und so unterließ es John vorläufig, den Knopf niederzudrücken, der sich genau unter seiner rechten Fußsohle befand. Er sagte lediglich tadelnd:

„Aber mein Herr!“

„Halten Sie den Mund“, antwortete der linke Zwilling. Die Art, wie er es sagte, ließ erkennen, dass er es ernst meinte.

John Dunbar verstummte. Er drehte den Kopf nach links und erblickte die bulligen Wächter von „Tiger“ Desgray - noch waren sie nicht aufmerksam geworden.

John zog die Unterlippe zwischen die Zähne und blickte jetzt nach rechts. Drüben an der Wand schickte sich gerade einer der Wächter an, seine Runde durch den Saal zu machen; er würde in spätestens zwei, drei Minuten an Johns Tisch vorüberkommen.

Der Spieler wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Zwillingen zu.

„Wo ist das Geld?“, ließ sich der rechte vernehmen. Der Lauf der Strahlwaffe klopfte ungeduldig gegen die Kante des Tisches, der mit grünem Samt bezogen war.

„Was möchten Sie?“ John zog fragend die rechte Braue empor.

„Verdammt!“, zischte der linke Zwilling. „Verstehen Sie plötzlich unsere Sprache nicht mehr? Wo ist das Geld?“

Dunbar sagte ironisch: „Ich halte das für einen Überfall.“

Der Mann mit der Waffe begann zu lächeln, allerdings war es ein Lächeln, das die Augen unberührt ließ. Nach wie vor blickten sie wachsam und kalt.

„Er hält es für einen Überfall, Louis“, sagte er. „Bleibt einem da nicht die Spucke weg?“

„Einen Moment“, mischte sich John wieder ein. „Wenn Sie hier krumme Sachen drehen wollen, muss ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie kein Glück damit haben werden. Sehen Sie sich doch um! Überall stehen Wächter von 'Tiger' Desgray. Was glauben Sie, wie viele Gauner hier schon versucht haben, sich etwas von dem großen Kuchen unter den Nagel zu reißen? Sie wanderten alle ins Gefängnis — nicht, ohne vorher eine gewaltige Abreibung von den Wächtern bezogen zu haben. Auch Sie werden es nicht schaffen, denn unter meinem rechten Fuß befindet sich ein Alarmknopf. Sie hätten nicht die geringste Chance. Sie können jetzt nur noch eines tun: möglichst unauffällig zu verschwinden. Sonst wäre ich wirklich gezwungen, Alarm zu geben.“

„Lassen Sie das unsere Sorge sein“, erwiderte der linke Zwilling. „Bevor auch nur ein Wächter auf Ihr Signal hin in unsere Nähe kommt, sind Sie ein toter Mann. Also überlegen Sie es sich, ehe Sie Alarm schlagen. Wir möchten nichts anderes als das Geld, das Sie Tony abgenommen haben.“ „Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden“, sagte John.

„Mund halten!“, fauchte der mit dem Strahler. „Stimmt es etwa nicht, dass Sie vor etwa drei Stunden Tony zweieinhalbtausend Kredite innerhalb einer halben Stunde abgenommen haben?“

Langsam begann John Dunbar zu verstehen.

Die beiden Männer waren offenbar Verwandte, wenn nicht gar Brüder des Jungen, der vor einiger Zeit halb betrunken hier am Tisch gesessen und dabei sein ganzes Geld an ihn, John, verspielt hatte.

Wenn John die Ähnlichkeit der Gesichtszüge richtig deutete, war die zweite Möglichkeit sogar die wahrscheinlichere. Er sagte:

„Das behaupten Sie, aber es stimmt nicht ganz. Ich habe das Geld im ehrlichen Spiel erworben.“ „Zweieinhalbtausend Kredite“, wiederholte der andere Zwilling, ohne zuerst auf Johns Worte einzugehen, „die für Tonys Studium auf De Broglies Planet gedacht waren, einfach einem berufsmäßigen Spieler in den Rachen geworfen!“

Mit einem wilden Ausdruck in den Augen sah er John an. „Und Sie haben noch die Unverfrorenheit, zu sagen, Sie hätten es im ehrlichen Spiel erworben. Sie, ein ausgekochter Halunke, reden von einem ehrlichen Spiel mit einem grünen Jungen, der kaum die Karten auseinanderzuhalten vermag!“

„Vorsicht“, mahnte John, und seine Stimme vibrierte vor unterdrücktem Ärger, „für diese Bemerkung sind schon manche gestorben. Was aber das andere betrifft: Bin ich Ihres Bruders Hüter? Geben Sie das nächste Mal besser acht, ehe Sie jemandem eine solche Menge Geld in die Hand drücken und ihn dann ohne Aufsicht lassen.“

Der mit der Waffe fluchte vor sich hin.

„Ich habe dir gleich gesagt“, wandte er sich an den anderen, „dass wir Tony nicht allein lassen dürfen. Verdammt noch einmal! Ich hätte wissen müssen, dass er ein echter Harrison ist und deshalb darauf pfeift, eine Universität besuchen zu können!“

Sein Blick wurde vorwurfsvoll, als er fortfuhr: „Du hättest dich aber auch etwas länger um den Kleinen kümmern können!“

„Jetzt bin ich wohl daran schuld“, zischte Louis, „dass Tony von dem da“, er machte eine Kopfbewegung in Johns Richtung, „ausgenommen wurde wie ein schlachtreifer Sqeer!“

Die Szene entbehrte nicht einer gewissen Komik. John war versucht, zu lachen. Er unterließ es, da die Mündung des Strahlers noch immer genau auf ihn gerichtet war. Außerdem sah John aus den Augenwinkeln, dass „Tiger“ Desgrays Wächter endgültig auf seinen Tisch aufmerksam geworden waren: Sie bewegten sich unauffällig näher.

Die beiden Zwillinge hatten ihre Auseinandersetzung beendet. Der mit der Waffe drehte sich wieder John zu.

„Also“, herrschte er ihn an, „wo ist das Geld? Tonys Schiff fliegt in vier Stunden. Er wird an Bord sein — und mit ihm das Geld.“

John Dunbar schüttelte nur den Kopf. Er spannte seinen Körper, um notfalls unter dem Tisch Deckung zu finden, falls es erforderlich sein sollte.

Die beiden erhoben sich mit einem entschlossenen Ausdruck in den Augen. Was immer sie auch vorhatten, sie schienen verrückt zu sein, es hier zu versuchen, inmitten eines von Lärm und Musik und Parfümdüften erfüllten Spielcasinos.

Aber es blieb glücklicherweise nur beim Vorhaben, denn plötzlich wurden ihre Arme nach hinten gerissen. „Tiger“ Desgrays Wächter hatten sich der beiden Eindringlinge bemächtigt. Der Strahler polterte zu Boden, als sich eine mächtige Faust um das Handgelenk legte und es zusammendrückte.

Die Zwillinge stießen wüste Schimpfwörter aus, die John Dunbar gelassen lächelnd über sich ergehen ließ. Dann wurden sie unsanft aus dem Saal befördert.

Mit einem amüsierten Zug auf den Lippen wandte sich John von dem Schauspiel ab — er sah direkt in die kalten, harten Augen von „Tiger“ Desgray.

Desgray musterte ihn von oben bis unten; seine Augen waren klein, schwarz, und so kalt, dass sie einem Angst einflößen konnten. Er war ein untersetzter Mann. Sein Gesicht war aufgedunsen, und auf seiner Stirn quollen die Adern hervor, die von seinem Jähzorn herrührten.

„Jean le Fou“, sagte er schleppend, „Sie fallen noch einmal böse herein. Wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, dem verdammten Grünzeug, das in unser Casino kommt, nicht so viel abzuknöpfen. Ich möchte Sie warnen! Eines Tages findet man Sie mit durchschnittener Kehle.“

John unterdrückte den aufsteigenden Ärger. „Was wollen Sie“, antwortete er von oben herab. „Sie verdienen nicht schlecht bei dem Geschäft, oder?“

„Lassen Sie mich aus dem Spiel“, fuhr ihn Desgray an. „Ich bin absolut nicht geneigt, für Ihre Dummheit zu bezahlen. In dem Augenblick, in dem es Ihnen an den Kragen geht, lasse ich Sie fallen.“

John sah ihn nachdenklich an. Dann sagte er zynisch: „Davon bin ich sogar überzeugt.“ Er erhob sich. „Aber noch ist es nicht so weit — noch verdienen Sie fünfundzwanzig Prozent meiner Einnahmen. Ich bin sicher, dass Sie noch einige Zeit Ihre schützende Hand über dieses fette Huhn halten werden, das Ihnen die goldenen Eier legt.“

John warf die Spielkarten auf den Tisch und ließ „Tiger“ Desgray einfach stehen.

*

John Dunbar, genannt: Jean le Fou, der Spieler, ging hinüber zum Zahlschalter und wechselte seine Chips in Banknoten um.

Selbst wenn es den Zwillingen gelungen wäre, ihn, Dunbar, um dieses Säckchen Chips zu erleichtern, das er unter dem Umhang trug — am Zahlschalter hätte man sie unweigerlich gefasst.

Offenbar hatten sie keine Ahnung davon gehabt, dass niemand mit barem Geld den Spielraum betreten durfte, sondern dass man sein Geld in Chips Umtauschen musste, die man im Falle des Gewinns wieder in Geld zurückgetauscht bekam.

Eine der Vorsorgen von „Tiger“ Desgray, um Überfälle auf seine Spieler zu vermeiden.

„Hier haben Sie Ihr Geld, Jean le Fou“, sagte der Mann hinter der transparenten Barriere des Zahlschalters, der sich im Falle einer Gefahr in eine feuerspeiende Festung verwandelte.

„Ganz schöner Fischzug heute“, fuhr der Mann fort, während er die Banknoten in Bündeln durch den schmalen Schlitz reichte.

„Es hätte schlimmer sein können“, erwiderte John gelassen und verstaute die Banknoten in dem breiten Ledergürtel, den er um die Hüften trug.

„Ehe ich es vergesse“, ließ sich der Zahlmeister wieder hören. „Sharon möchte Sie sprechen.“

„Danke“, entgegnete John Dunbar. Er hob die Hand und winkte dem Zahlmeister freundlich zu.

Dann ging er quer durch den Spielsaal über eine Treppe hinauf auf die Galerie, die sich rings um den Raum zog.

Ein kurzhaariger Wächter öffnete eine Tür am Ende der Galerie. John ging hindurch und kam in einen kurzen Gang. Dann betrat er schließlich durch eine schwere Samt-Portiere die Bar.

Er kniff die Augen zusammen. Nach dem hellen Licht draußen war die Bar eine dunkle, rötlich illuminierte Höhle.

John sagte „Hallo“ und schwang sich auf einen Hocker.

„Hallo“, erwiderte die Frau hinter der Theke aus kostbaren Numuraholz.

John beugte sich mit einer schnellen Bewegung zu ihr hinüber und küsste Sharon Hamilton auf den rechten Mundwinkel.

Sie regte sich nicht, sondern sah nur lächelnd zu, wie sich John wieder auf seinen Hocker niederließ.

Sie war eine schöne Frau, schulterlanges, dunkelblondes Haar gab ihr ein mädchenhaftes Aussehen. Das enge Kleid, das sie trug, konnte nicht verbergen, dass sie über einige körperliche Vorzüge verfügte. Ihre Haut, das wusste John Dunbar, hatte den samtenen Schimmer von Pfirsichen, und ihre Stimme war dunkel und manchmal vibrierend wie eine Saite.

Während sie ihm einen Drink mixte, betrachtete sie den Mann vor ihr: Er war groß und breitschultrig und trug die Kleidung der Spieler mit gelassener Eleganz. Seine graublauen Augen waren ständig etwas zusammengekniffen, als schauten sie weit, weit in die Ferne. Er hatte ein Grübchen am Kinn und eine müde, gelangweilte Stimme. Sein Haar trug er in die Stirn gekämmt.

„Nun?“, sagte er und blickte sie fragend an.

„Du hattest dich doch mit einem bestimmten Wunsch an mich gewandt?“

Er nickte zustimmend.

„Leider ist nichts daraus geworden“, sagte sie mit ihrer dunklen Stimme.

„Das ist sehr schade“, erwiderte John Dunbar leise, und seine Augen trübten sich ein wenig.

„Musst du denn unbedingt fort?“, fragte sie mit belegter Stimme.

„Ja.“

Ihre Augen weiteten sich. Sie biss sich auf die Lippen, Angst stand in ihrem Gesicht. Ihre Stimme sagte wie aus weiter Ferne:

„Hätte es einen Sinn, dir zu sagen, dass du nicht fort müsstest, weil ich dich liebe und dich brauche?“

„Was könnte ich dir schon sein“, sagte er hölzern und ließ seine kühlen Augen über ihr Gesicht schweifen. Erfuhr fort:

„Ich, ein Verbannter. Du müsstest jeden Tag, jede Stunde damit rechnen, dass mich das Geheul eines startenden Schiffes verrückt macht. Und du wärst niemals sicher, ob ich heimlich nicht doch versuchen würde, auf ein Schiff zu gelangen. Nein, das Risiko ist zu groß, du weißt das sehr genau. Ich wäre in Wirklichkeit den glühenden Erzhöllen auf Luzifer II näher als dir. Möchtest du das? Möchtest du das wirklich?“

„Vermutlich nicht“, erwiderte sie leise. „Vermutlich bin ich dir auch ein wenig langweilig.“

„Vielleicht bist du es“, sagte er hart, um zu verbergen, dass er gerührt über ihre Worte war. Sie suchte krampfhaft die Schuld bei sich, obwohl sie wissen musste, was wirklich mit ihm los war.

„Vielleicht werde ich etwas dagegen unternehmen“, sagte sie.

„Was?“

Sie zuckte mit den bloßen Schultern, saß still, beobachtete sein müdes Gesicht. Ihre Augen waren glanzlos.

„Gib es auf“, sagte er nach einer Weile. „Du weißt genau, dass ich mich nicht an ein Leben auf der Erde gewöhnen könnte.“

Nein, du wirst dich niemals mehr an ein Leben auf einem Planeten gewöhnen können, durchzuckte es John. Schon allein deshalb nicht, weil es dich auf immer an die Schmach erinnern würde, die auf dir lastet und die du nie mehr loswirst ...

„John!“

Sharon Hamilton musste noch einmal rufen, ehe John Dunbar in die Wirklichkeit zurückfand.

„Was ist?“, erkundigte er sich.

„Möchtest du nicht warten, bis mein Dienst hier zu Ende ist? Wir könnten dann zu mir gehen und ...“

John schüttelte den Kopf. „Sei mir nicht böse“, sagte er. „Aber ich möchte allein sein. Bitte, verstehe das doch!“

„Wie du meinst“, antwortete sie.

Er legte seine große Hand auf ihre zitternden Finger. „Verstehe mich doch“, bat er. „Ich kann dich nicht an mich binden — einfach weil ich nicht weiß, was ich morgen oder übermorgen tun werde!“

„Jedenfalls“, sagte Sharon und versuchte, ihre Lippen ruhig zu halten, „weißt du, wo ich zu finden bin.“

John Dunbar nickte. Er drückte sachte ihre Finger und sagte sehr leise, sehr eindringlich: „Wirst du es noch einmal für mich tun?“

„Was?“

„Ein Schiff ausfindig machen, mit dem ich von der Erde fliehen kann!“

„Sie werden dich eines Tages doch erwischen, John Dunbar“, sagte sie verzweifelt. „Und dann wird dich nichts mehr vor Luzifer II retten können.“

„Ich weiß“, erwiderte er mit einem fast heiteren Lächeln, das den Schmerz in seinen Augen zu verdecken suchte. „Aber bis dahin wird es noch weit sein. Willst du mir also wieder helfen?“

Sie nickte.

„Bis dann also“, sagte er und ging.

Sharon Hamilton sah ihm nach, bis er hinter dem Vorhang verschwand. Dann warf sie mit einem Ruck den Kopf zurück und widmete sich dem nächsten Gast.

*

Emanuel, der bucklige Türhüter von „Tiger“ Desgrays Spielcasino, stand unter dem Vordach des Portals und betrachtete den endlos vorüberziehenden Strom der Luftgleiter draußen in der gewaltigen Schlucht, die von den Wolkenkratzern gebildet wurde.

Ein kühler Wind kam aus der Tiefe und strich über die breite Plattform, die durch bewachsene Inseln und mittels Zierbäumen in großen Schalen den Eindruck eines dürftigen Parks machte. „Tiger“ Desgrays Spielcasino befand sich in der Oberen Stadt; Straßen und Plätze spannten sich als Etagen über die Untere Stadt, in die selbst bei Tageslicht kaum Helligkeit fiel.

Emanuel war müde. Er sehnte sich nach seinem Bett und einer Zigarre, die er vor einer Weile von einem spendablen Gast geschenkt bekam und die er vor dem Einschlafen noch rauchen würde.

John Dunbar kam aus dem Eingang und blieb neben dem Türhüter stehen.

„Hübsche Nacht“, sagte er vage.

„Hübsche Nacht?“ Emanuels Stimme klang abfällig. „Dass ich nicht lache! Oder finden Sie etwa den Regen angenehm, der in vierzig Minuten fallen wird?“

John lachte leise. „Wieder den Wetterfunk heimlich abgehört, Emanuel“, sagte er tadelnd.

„Was ist schon dabei, Sir? Übrigens habe ich vor Kurzem im Museum gelesen, dass die Wettervorhersage in früheren Zeiten ein Vabanquespiel gewesen sein muss. Von einem kontrollierbaren Wetter ganz zu schweigen. Schrecklich!“ Emanuel schüttelte sich.

John hörte nur mit mäßigem Interesse zu. Er griff in die Tasche und brachte eine Kreditnote zum Vorschein, die er zu einem Fidibus zusammenfaltete und zwischen Daumen und Zeigefinger hielt.

„Hast du irgendetwas gesehen in der letzten Zeit?“, erkundigte er sich.

„Wen zum Beispiel?“, fragte Emanuel und fuhr sich mit der Zunge über seine Lippen. Er hielt die Hände noch hinter dem Rücken verschränkt.

„Zwei Männer zum Beispiel“, sagte John. Während er mit der Note vor Emanuels Nase herumwedelte, beschrieb er die Zwillinge.

„Die habe ich gesehen“,, antwortete der Türhüter.

„Wann?“

Emanuel lächelte zögernd und sah verlangend auf die Kreditnote. „Vor etwa dreißig Minuten“, erwiderte er.

„Liefen sie schnell?“

„Wie jemand läuft, dem „Tigers“ Bullen auf den Fersen sind.“

„Gut“, sagte John Dunbar zufrieden. „Waren sie noch einmal zu sehen in den vergangenen Minuten?“

„Nein — und ich glaube auch nicht, dass sie so lebensmüde sind, noch einmal vor dem Casino aufzutauchen.“ Emanuel schlug grinsend die Hände zusammen und krümmte den verwachsenen Rücken noch mehr.

„Ausgezeichnet“, sagte John und schob die Banknote in Emanuels geöffnete Hand.

Der Spieler ging zwischen den Sträuchern davon und verschwand in der Dunkelheit.

Die Uhr zeigte die erste Stunde des neuen Tages an. John bewegte sich entlang des Starway-Boulevards nach Westen. Überquerte die breite Schlucht, die vom Boulevard auf der linken und der Clearwater Avenue auf der rechten Seite der Wolkenkratzer gebildet wurde; tief unter ihm lag die Untere Stadt in undurchdringlicher Dunkelheit. Ein kalter Wind drang von dort herauf und brachte den Geruch von Fäulnis mit sich.

Niemand schien ihm zu folgen.

Doch dann brach die Hoffnung zusammen, die John eben noch gehegt hatte. Aus dem Schatten zwischen den bepflanzten Betonschalen kamen zwei dunkle Gestalten auf John zu. Matt glänzte das Licht einer weit entfernten Lampe auf dem Lauf des Strahlers.

„Hallo“, sagte der eine Zwilling.

„Hallo“, echote der andere.

John Dunbar schwieg. Er erwog sämtliche Möglichkeiten, die ihn ungefährdet aus dieser Situation hätten bringen können, um dann zu erkennen, dass keine zum Erfolg führen würde.

Den beiden musste die Sache mit dem Geld doch ernster sein, als John geglaubt hatte. Er musste mit Schwierigkeiten rechnen. Kurz erwog er, ob er ihnen das Geld freiwillig geben sollte. Er verneinte in Gedanken. Wozu? Er hatte ohne jeden Trick gearbeitet — folglich hatten sie keinen Anspruch mehr auf die zweieinhalbtausend Kredite.

Der eine Zwilling — war es Louis? — ging um John herum. Die Augen seines Bruders folgten ihm und wandten sich für Sekunden von John ab, der diese Chance blitzschnell auswertete.

Er krümmte sich zusammen und schoss nach vorn. Die Hände um die Knie seines Gegners gekrallt, richtete er sich ruckartig auf und warf den Mann auf den Rücken. Dann stürzte er sich auf ihn, umklammerte sein Handgelenk und versuchte, ihm den Strahler zu entreißen.

Mit aller Kraft schlug John die Hand des Zwillings gegen den Boden, stieß aber nun auf plötzliche, erbitterte Gegenwehr. Der Mann entwickelte eine überraschende Kraft, nachdem er sich von seinem Erstaunen erholte, in das ihn Johns plötzlicher Angriff versetzt hatte.

John gelang es kaum, sich der kurzen, harten Schläge zu erwehren, die ihm sein Gegner mit der Handkante der freien Hand versetzte. Dann sah John einen Schatten über sich auftauchen, der eine ausholende Bewegung machte — der Bruder!

Vergeblich versuchte John, sich zur Seite zu werfen, aber es war schon zu spät.

Ein mörderischer Schlag lähmte sofort seine ganze rechte Schulter und ließ ihn aufstöhnen. Sein Griff lockerte sich, der Zwilling kam frei.

Ein Faustschlag traf John an der Schläfe. Er sank in die Knie. Aus schmerzvoll zusammengekniffenen Augen sah er einen dunklen Gegenstand in der Hand des Zwillings — dann schien etwas in seinem Schädel zu explodieren.

John Dunbar fiel ganz zu Boden.

Einer der Zwillinge trat ihm in die Seiten. John konnte nichts dagegen unternehmen. Er war unfähig, sich zu bewegen.

„Verdammt zäher Bursche, dieser Spieler“, sagte einer der Zwillinge. John konnte nicht sagen, welcher von den beiden gesprochen hatte.

„Los“, sagte der andere unterdrückt, „suche das Geld. Hast du dich auch vergewissert, ob niemand in der Nähe ist? Ich möchte keiner Polizeistreife in die Hände fallen. Raub ist so ungefähr das schwerste Verbrechen nach Mord.“ Er kicherte nervös.

Die Stimmen brachen ab.

John merkte, wie er immer tiefer in die Dunkelheit einer Ohnmacht zu sinken drohte und wehrte sich verzweifelt dagegen. Wenn er nicht bei Besinnung blieb, nahmen sie ihm das ganze Geld ab, das er im Gürtel trug.

Er spürte, wie Hände ihn berührten, wie sie fachmännisch über seinen Körper glitten, und hörte, wie einer der beiden einen überraschten Laut von sich gab.

„He, Louis! Sieh einmal her.“ Schweigen. Dann: „Was bedeutet das V auf seiner Stirn?“

„Er ist ein Verbannter. Einer von denen, die man dazu verurteilt hat, für immer auf einem Planeten zu bleiben. Lass mich einmal überlegen“, ein nachdenklicher Ton schwang in der Stimme mit. „Es heißt doch, dass sich ein zur Verbannung Verurteilter niemals auf einem Raumhafen blicken lassen darf?“

„Das ist mir bekannt. Aber willst du ihn etwa zum Raumhafen bringen?“

„Unsinn! Es gibt da noch eine Bestimmung, die ein Verbannter nicht verletzen darf.“

„Ja?“

„Er darf in keine Schlägerei verwickelt sein, ja! Er muss sie sogar unter allen Umständen vermeiden.“

„Vortrefflich — diese Tatsache hat er eben auf das Gröblichste verletzt.“

„Genau. Und deshalb werden wir ihm die Polizei auf den Hals hetzen. Ich möchte doch einmal sehen, ob er dann noch Lust verspürt, sich an uns zu rächen, wenn er durch die ganze Stadt gejagt wird.“ In John stieg rasende Wut hoch, als ihm bewusst wurde, was sie tun wollten. Wieder versuchte er, sich zu bewegen — es war hoffnungslos. Er war unfähig, sich zu rühren. Sie mussten einen ganz bestimmten Nerv getroffen haben, der ihn nun lähmte.

„Selbst wenn er uns verfolgen sollte ...“, ließ sich erneut eine Stimme vernehmen Bis er zu sich kommt, bis er — vielleicht — der Polizei entkommt ... Bis dahin sind wir längst draußen im Raum. Ich möchte bezweifeln, ob er jemals in die entlegene Ecke kommt, in der Free Conor liegt!“

Die Stimmen brachen abermals ab. John Dunbar konzentrierte sein ganzes Denken auf ein einziges Wort: Free Conor. Was es auch bedeutete, er würde es niemals vergessen.

Kräftige Hände rissen ihm nun den Gürtel mit dem ganzen Geld ab, das er am heutigen Tag gewonnen hatte; es waren mehr als dreißigtausend Kredite. Ein kleines Vermögen.

„Bringen wir ihn in die Untere Stadt“, sagte einer der Zwillinge, „dort ist er gut aufgehoben.“

„Aber verpassen wir ihm erst noch eins, ich möchte nicht, dass er zu schnell aufwacht und einen Höllenzauber veranstaltet.“

Und Johns Bewusstsein glitt immer schneller einem Abgrund zu.

Krimi Koffer September 2021 - 7 Krimis auf 1000 Seiten

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