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Jemand schien ihm ununterbrochen Wasser ins Gesicht zu schütten. Das war Johns erster Eindruck, als er erwachte, doch dieser Eindruck trog, wie sich herausstellte.

Der Regen war da, den die Wetterkontrolle vorhergesagt hatte.

Er klatschte auf Straßen und Wege, schlug gegen himmelragende Wände und rann in silbernen Fäden von den oberen Straßenetagen.

Dann stellte John fest, dass er auf der Straße lag.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er sich so weit unter Kontrolle hatte, dass er sich aufsetzen konnte. Nur mühsam vermochte er sich daran zu erinnern, was mit ihm geschehen war.

John nahm seine ganze Kraft zusammen und erhob sich taumelnd.

Sein Schädel hämmerte. John übergab sich, während er sich wünschte, sterben zu dürfen.

Er vernahm einen Laut, ein Rauschen wie das Schlagen gewaltiger Flügel. Es übertönte das Geräusch des Regens. John warf den Kopf in den Nacken — aber der Gleiter war inzwischen längst aus seinem Sichtbereich verschwunden.

Eine Zeit lang stand John Dunbar bewegungslos. Er hielt sein Gesicht dem Regen entgegen, während er darauf wartete, dass der Schmerz abklang.

Dann sanken seine Schultern zurück, und er schritt zögernd und immer wieder anhaltend durch die Dunkelheit.

Hier unten war er nur selten gewesen, sodass er nicht sagen konnte, an welcher Stelle der Unteren Stadt er sich aufhielt. Doch das war nicht sonderlich tragisch. Wichtiger war es, irgendwo Unterschlupf zu finden, wo er sich einige Tage lang von seinen Verletzungen erholen konnte.

Die rechte Seite brannte, und ein stechender Schmerz jagte durch seinen Körper.

John erinnerte sich jetzt, zumindest in Bruchstücken, was vorgefallen war. Er erinnerte sich auch der Unterhaltung der Zwillinge, als sie ihn niedergeschlagen und getreten hatten. Er wurde sich bewusst, dass er von nun an damit rechnen musste, von der Polizei aufgegriffen zu werden. Falls ihm das passierte, war ihm Luzifer II so sicher wie der nächtliche Regen dieser Stadt, den die Wetterkontrolle stets zur gleichen Stunde fallen ließ.

Mit plötzlichem Zorn dachte er daran, dass er sich jetzt erst einmal verbergen musste. Tage. Wochen. Und nirgends konnte man das besser als hier, in der Unteren Stadt, mit ihren meilenlangen, menschenleeren Straßenzügen, mit ausgestorbenen Gassen und engen Nebenstraßen, in die sich nur streunende Katzen und Hunde wagten.

Aber auch das lichtscheue Gesindel war hier anzutreffen, das vermied, mit der Polizei zusammenzutreffen.

Nun würde auch John Dunbar zu diesen Außenseitern der menschlichen Gesellschaft gehören — zumindest für einige Zeit.

Später, wenn die Aufmerksamkeit der Polizei etwas nachgelassen hatte, konnte er sich daranmachen, nachzuforschen, wo Free Conor lag und wie er dorthin gelangen könnte. Er hatte nicht vor, die Zwillinge ungeschoren davonkommen zu lassen!

Johns Hände strichen über seinen Körper: Der Gürtel mit dem Geld war nicht mehr vorhanden. Dieser Verlust war zwar schmerzlich, aber John hatte noch Konten auf verschiedenen Banken Terras, um für Fälle dieser Art gerüstet zu sein.

Langsam begann der Regen seine Kleidung zu durchnässen ...

John raffte den Umhang fester zusammen und schritt schneller aus, soweit es ihm die Schmerzen gestatteten.

Der Regen wurde stärker. In dem Trommeln ging das Summen eines Bodengleiters nahezu unter.

Erst im letzten Moment hörte John, dass sich hinter ihm etwas näherte, und mit einer schnellen Bewegung verschwand er zwischen den triefenden Sträuchern, die den Gehweg säumten.

Das Summen wurde lauter. Gleich darauf schob sich aus der Dunkelheit das schildkrötenförmige Fahrzeug der Citypolizei. Die Lichter waren abgeblendet bis auf die schwachen Positionslampen. Nur auf dem Dach kreisle das Blaulicht.

Langsam zog der Gleiter an Johns Versteck vorüber.

Der Spieler presste sich tiefer in die Zweige — und genau in diesem Augenblick vernahm er erstmals bewusst den Ruf des Mnemoschirmes, dessen variables Oszillogramm leicht pulsierend am äußeren Rand seiner Wahrnehmung erschien.

John Dunbar erstarrte, während sich der Rhythmus des Oszillogramms im Takt einer unhörbaren Melodie bewegte, veränderte, zusammenschrumpfte und wieder anschwoll.

Der Ruf des Mnemoschirmes wurde immer stärker und schuf jenes Spannungsfeld im Kortex, das jedes Gehirn in Reichweite des Schirmes befähigte, die folgenden Nachrichten aufzunehmen.

Nirgends war man mehr vor diesen Mnemoschirmen sicher, dachte John bitter. Sie stellen das letzte Glied in einer Kette fortwährender Verbesserungen des Nachrichtenwesens dar.

Unvorstellbare Töne erklangen nun in dem Spieler, erzeugt von einer seelenlosen Maschine.

Die Nachricht selbst dauerte nur einen kaum messbaren Zeitintervall. Sie wurde nicht gesprochen, sondern langte als einziger Impuls im Gehirn an, wo sie in den sensorischen Bahnen zentripetal weitergeleitet und aufgeschlüsselt wurde.

Und sie ließ John Dunbar erbleichen.

Während das Ungetüm wieder in Nacht und Regen untertauchte, paarte sich in John noch immer Unglaube mit Erstaunen. Dass sie ihn so intensiv suchten, hätte er nie für möglich gehalten.

Der Himmel mag wissen, kam es ihm in den Sinn, was die Zwillinge alles über mich erzählt haben!

Jedenfalls hatte die Polizei in unglaublich kurzer Zeit alles aus Johns Vorleben ausgegraben. Nun wusste jeder, der in Reichweite des Mnemoschirmes geriet, wie John Dunbar, genannt Jean le Fou, der Spieler, aussah und dass er wegen eines schweren Vergehens gesucht wurde.

Vorsichtig schob John die Zweige zur Seite und spähte mit vor Schmerz zusammengekniffenen Augen in die Dunkelheit. Von dem Polizeigleiter war nichts mehr zu sehen.

Der Ruf des Mnemoschirmes wurde leiser und leiser und verriet dem einsamen Mann, dass sich der Bodengleiter wirklich entfernte.

Würgende Übelkeit überfiel den Spieler. Sein Kopf schien zu zerspringen. Kälteschauer wechselten mit Fieberschauern ab. Als er hustete, spürte er Blut. Offenbar waren Splitter der gebrochenen Rippen in die Lunge geraten oder hatten eine andere innere Verletzung erzeugt.

Es wurde Zeit, dass er etwas dagegen unternahm.

*

Die Nacht schritt fort.

Der Regen hatte längst aufgehört. Ein feuchter Nebel blieb zurück, der die Umgebung in milchiges Grau hüllte. Um die Lampen bildete sich ein strahlender Hof. Aber der Schein reichte kaum herunter auf die Straße, über die John Dunbar taumelte.

Die Schmerzen waren zu einem dumpfen Pochen geworden, das den ganzen Körper erfasste.

Er, John, musste unter allen Umständen wieder nach oben. Es gab nur einen einzigen Menschen, der ihm jetzt noch helfen konnte: Sharon Hamilton. Aber sie lebte in der Oberen Stadt.

Das Risiko, erwischt zu werden, musste er eingehen, es gab keine andere Möglichkeit.

Schließlich erreichte John Dunbar eine nach oben führende Liftsäule und ließ sich vom Sog nach oben tragen.

Als er in der Oberen Stadt den Lift verließ, wehte ein kühler Wind. Die Sterne leuchteten mit kaltem Glanz von einem wolkenlosen Nachthimmel, in der Ferne war das Rumoren eines Raumschiffes zu hören. Ein heller Blitz spaltete die Nacht und verschwand im Raum.

John Dunbar tauchte in dem hektischen Treiben der Oberen Stadt unter. Müde, zerschlagen, von Schmerzen gepeinigt, ließ er sich von den Gleitbändern durch die Stadt tragen.

Ganz am Rande seiner Wahrnehmung hörte er die pausenlose Suchmeldung der Mnemoschirme; sie waren zu weit weg, um ihn zu beunruhigen. John hüllte sich in seinen Umhang und versuchte krampfhaft, möglichst wenig aufzufallen.

Schließlich, nach einer zweistündigen Fahrt auf den Gleitbändern, sah er vor sich Carcelon Village auftauchen. In dieser gewaltigen Wohnburg hatte Sharon ein Einzimmerappartement.

Es wurde auch höchste Zeit; Johns Füße schleiften schwer über den Boden, als er das Gleitband verließ und quer über einen Parkplatz für Aerogleiter zum Portal von Eingang IV ging. Der Schmerz trieb ihm Tränen in die Augen. Er taumelte durch halbdunkle Gänge, stolperte enge Spiralen hoch und warf sich keuchend und mit hämmerndem Herzen in Antigravaufzüge.

Vor Sharons Appartement verließ ihn endgültig die Kraft; seine Gestalt rutschte langsam an der glatten Fläche der Tür herunter. Er konnte gerade noch den akustischen Melder betätigen.

Mit dem letzten Rest seines schwindenden Bewusstseins fühlte er, wie die Tür nachgab und wie ihn Hände in einen Raum zogen. Er vernahm noch das Zuklappen der Tür, hörte einen erschrockenen, leisen Schrei. Dann verlor er endgültig das Bewusstsein.

Das Erwachen bestand aus Phasen, in denen John Dunbar nur Licht und Dunkelheit wahrnehmen konnte. Manchmal fühlte er den Druck von Händen auf seinem Körper. Stimmen murmelten Worte, hinter deren Sinn er niemals kam, und er verbrachte eine Ewigkeit damit, die Augen zu öffnen.

Immer wenn ihm dies gelang, wich die Dunkelheit einem nebelhaften Licht, in diesen seltenen, klaren Momenten sah er stets ein Gesicht über sich schweben. Immer schien dieses formlose Gesicht über ihm zu sein, in seinen unruhigen Träumen, in der Schwärze, in die er immer wieder eintauchte.

Das endgültige Erwachen bestand aus einem winzigen Schmerz, den John nicht zu lokalisieren vermochte. Immerhin aktivierte er sein Bewusstsein. John schlug die Augen auf.

Über sich sah er eine weiß gestrichene Decke; er drehte den Kopf zur Seite. Da war ein Gesicht — schmal, pfirsichfarben und von schulterlangem, dunkelblondem Haar umrahmt. Blaue Augen sahen ihn prüfend an, eine dunkle Stimme sagte:

„Wie fühlst du dich, John?“

„Oh, Sharon“, murmelte er, „wie gut, dass du da bist.“

John Dunbar versuchte sich zu erheben, während ein schwaches Lächeln über sein abgezehrtes Gesicht huschte.

„Langsam, langsam“, sagte Sharon und biss sich auf die Unterlippe, um das Zittern zu verbergen, „nicht so hastig.“ Ihre Hand drückte ihn wieder zurück auf das Lager. Während sie eine Spritze in die Bestecktasche zurücklegte, fuhr sie fort:

„Du bleibst jetzt noch eine Weile liegen, bis die Injektion gewirkt hat. Ich möchte nicht, dass du einen Rückschlag erleidest,“

„War ... es schlimm?“, erkundigte er sich leise.

„Du warst lange krank“, antwortete sie auf seine Frage. „Und ich war nicht sicher, ob ich dich durchbringen würde. Nächtelang habe ich an deinem Lager gesessen; deine Fieberphantasien waren manchmal erschreckend. Mein Gott!“, brach es plötzlich aus ihr heraus. „Wer hat dich so zugerichtet?“

„Lassen wir das“, murmelte John. Die Linien um seinen Mund vertieften sich.

Sharon sah ihn lange an. Schließlich erhob sie sich und sagte:

„Ich lasse dich jetzt allein. Wenn du aufwachst, gehst du durch diese Tür dort — dahinter wird es dann etwas zu essen und zu trinken geben.“

John Dunbar hörte kaum zu; er war in eine Art Dämmerschlaf geglitten, in den ihn die Injektion versetzt hatte.

Als er Stunden später erwachte, fand er sich ausgeruht und frisch genug, um aufzustehen. Irgendwo in der Nähe hörte er Sharon hantieren. Geschirr klapperte, und ein überwältigender Duft nach gebratenen Syntho Steaks durchzog die Wohnung. Er weckte einen gewaltigen Hunger in John.

Als er die winzige Kochnische betrat, fand er Sharon vor einer Heizplatte und mit gerötetem Gesicht. Er trat hinter sie und legte seine Hände auf ihre Schultern.

„Hu“, rief sie lachend, „fast hättest du mich erschreckt!“ Sie schmiegte sich mit einer raschen Bewegung in seine Arme und küsste ihn flüchtig auf den Mund.

„Keine Zeit jetzt“, wehrte sie ab, als er das Mädchen festhalten wollte. „Die Steaks brennen sonst an.“

Später, als er in einem altmodischen, aber sehr bequemen hochlehnigen Stuhl saß und eine Tasse Kaffee trank, war er nahezu glücklich.

Nach längerem Schweigen erkundigte sich John: „Wie viele Tage sind eigentlich vergangen seit jener Nacht, Sharon?“

„Tage!“, rief die junge Frau aus. „Es sind fast zwei Wochen vergangen.“

„Nein!“ John war sichtlich erschüttert.

„Und du hast mich die ganze Zeit über gepflegt?“

Sharon nickte ernst.

„Ohne dich wäre ich jetzt schon auf dem Weg nach Luzifer II“, sagte John Dunbar langsam.

„Noch ist alles gut gegangen“, antwortete Sharon. Ihre Augen leuchteten.

„Noch“, sagte John bitter. Dann spürte er die Berührung ihrer Hand auf seiner Wange, und Sharon sagte leise:

„Denke jetzt nicht daran! Stelle dir vor, wir beide wären allein auf dieser Welt ...“

Die Nacht kam durch die geöffnete Balkontür und füllte das Zimmer mit Schweigen.

Die Sterne standen über der Stadt, und sanfte Winde strichen durch die Straßen.

John fühlte sich in eine andere Welt versetzt, in der die Zeit nicht nach der Uhr gemessen wurde, sondern anderen Einflüssen unterworfen war.

Aber dieser Zustand endete schnell; wieder begannen ihn die Erinnerungen zu peinigen, die ihn immer dann überfielen, wenn er glaubte, endlich einmal für einen Augenblick Ruhe gefunden zu haben ...

*

Die Zeit: 30. März 2185.

Der Ort: Kartographenschiff Purpurwolke.

Es hatte ohne jegliches warnendes Vorzeichen begonnen. Jeder an Bord des Vermessungsschiffes wusste: Der zweite Offizier Burgess Holloway zeigte ein ungewöhnlich starkes Interesse an der Astro-Biologin Gisele Woodreil. Ein Umstand, der an und für sich nicht sonderlich erwähnenswert war. In diesem besonderen Fall aber war ein kleiner Haken dabei, und der hieß: John Dunbar. Der Erste Offizier der Purpurwolke bildete sich damals ein, ein gewisses Anrecht auf Gisele zu haben. Dieses Anrecht leitete er von einigen Küssen ab, die ihm Gisele einmal gewährt hatte.

Später sollte er feststellen, dass dies ein Trugschluss war.

Jedenfalls herrschte eine etwas gespannte Atmosphäre an Bord des Vermessungsschiffes. Burgess Holloway war als Schürzenjäger berüchtigt.

Auf den Mannschaftsdecks schloss man bereits Wetten darüber ab, wann Burgess Gisele erobert haben würde. Es gewannen die, welche die kürzeste Zeitspanne verkündet hatten. Gisele Woodreil wandte sich mit fliegenden Fahnen Holloway zu, als sie sich so plötzlich von ihm umworben sah.

Es veranlasste John Dunbar selbst jetzt noch zu einem grimmigen Knurren, als er sich erinnerte, was er damals Burgess gewünscht hatte: Vor den versammelten Offizieren ließ sich John auf der Brücke des Schiffes dazu verleiten, Holloway laut zu wünschen, er möge zwischen den beiden Polen einer Energiebank langsam gebraten werden — was nach genau zehn Tagen dann auch geschah ...

Niemand hielt sich in der fraglichen Zeit in den Maschinenräumen auf, sodass man nie genau herausfand, was wirklich geschah. Auch die beiden Offiziere Holloway und Dunbar hatten normalerweise um diese Zeit nichts in den Maschinenräumen verloren. Weshalb man sie aber doch dort sah, blieb ein Rätsel — jedenfalls wurden beide von der routinemäßigen Maschinenwache zwei Stunden später gefunden. Holloway war nur eine Aschenschicht. John Dunbar lag daneben, mit schweren Verbrennungen am Körper ...

Die Kommissare von Kartograph Center nahmen dies zur Kenntnis, als die Purpurwolke auf dem nächsten Raumhafen landete. Sie untersuchten auch aus respektvoller Entfernung das Aschenhäufchen auf der deutlich als Gefahrenzone markierten Metallplatte, die die überschüssige Energie der übersättigten Strombank weiterleitete.

Sie registrierten weiter die Lage John Dunbars daneben, der sich zu diesem Zweck — kaum wiederhergestellt — auf den Boden legen musste, so, wie ihn die Maschinenwache gefunden hatte.

Dann erklärten ihn die Kommissare kurzerhand für verhaftet. Inzwischen hatten sie nämlich von dem frommen Wunsch vernommen, den John leichtsinnigerweise geäußert hatte.

Für sie war der Fall klar: John Dunbar konnte seine Unschuld tausendmal beteuern, es half nichts. Wer glaubte ihm schon, wenn er sagte, dass Burgess Holloway unter dem Einfluss nacronischen Rauschgiftes gestanden hatte?

Es war ein Rauschgift, das zu schweren Depressionen führte, war man erst süchtig genug.

Beim Versuch, Burgess von seinem mörderischen Vorhaben abzubringen, sich das Leben zu nehmen, sei er, John, selbst schwer verletzt worden.

Die Kommissare lächelten überaus höflich zu seinen Worten und legten ihn auf Sagart VI auf Eis — was einer soliden Zelle mit mehrzölligen Stahlgittern vor dem schmalen Fenster gleichkam.

Die darauffolgende Zeit war entwürdigend für John Dunbar.

Verhandlung auf Verhandlung zermürbte die Widerstandskraft und zehrte an seiner psychischen Substanz. Zumal Burgess Holloways Familie die besten Anwälte aufbot und den Fall zu einem Schauprozess machte.

Da keine Zeugen vorhanden waren, konnte sich der Ankläger nur auf Indizien stützen. Die allerdings waren erdrückend. Trotzdem reichten sie nicht aus, um John sofort nach Lucifer II zu schicken. Die Strafe lautete deshalb auf lebenslängliche Verbannung auf einen Planeten. In seinem Fall war es die Erde, auf der er sich frei bewegen durfte. Nur eines durfte er nicht mehr: zurück in den Raum.

Diese Strafe war schmerzhafter als jahrelange Zwangsarbeit. Kein wirklicher Raummann hielt es längere Zeit auf einer Welt aus, am allerwenigsten ein Mann, dessen Familie seit drei Generationen den Raum befuhr und für den der freie Raum Leben schlechthin bedeutete.

Ohne Zweifel ein teuflisches System; wurde man bei dem Versuch gefasst – und es kam selten vor, dass jemand die Flucht wirklich gelang, illegal auf ein Schiff zu gelangen –, erfolgte die wirkliche Strafe.

Und so landeten die Verbannten schließlich doch am Ende dort, wo man sich scheute, sie gleich hinzubefördern: in den glühenden Erzschmelzen auf Luzifer II.

Nur mühsam fand John zurück in die Wirklichkeit.

Klar erkannte er, dass er so lange keine Ruhe mehr finden würde, bis er die Erde wieder verlassen hatte. Einmal draußen im Raum, lichtjahreweit von Terra entfernt, würde das Interesse der Polizei im Laufe der Zeit stark nachlassen. Dann konnte er in einer entlegenen Ecke der Galaxis als Nomade sein Leben beschließen.

Doch all diese Wünsche warfen das nahezu unlösbare Problem auf, ein Schiff zu finden ...

„Was beschäftigt dich denn so sehr?“ Die Stimme Sharons war leise.

John schreckte empor. Nach einer gewissen Spanne des Zögerns sagte er:

„Ich überlege gerade, wie ich ein Schiff finden kann, das mich aus diesem Gefängnis Erde erlöst.“

„Fängst du schon wieder an, John! Und ich glaubte schon, du hättest es dir überlegt.“

„Überlegt? Was?“

„Bei mir zu bleiben. Wir beide würden genug Geld verdienen, um uns ein ausreichend bequemes Leben leisten zu können.“ Sharon zwang sich ein gequältes Lächeln ab. Sie schien zu ahnen, dass all ihre Worte, ihre Bemühungen umsonst waren. Und so senkte sie schweigend den Blick, als John nur den Kopf schüttelte. Seine Augen schlossen sich fast, und der abwesende Zug in seinem Gesicht wurde stärker als je zuvor.

Er stand auf, ging hinaus auf den Balkon und blickte empor. Seine Argen suchten jene Bilder am leuchtenden Sternhimmel, zu denen er früher unterwegs gewesen war. Er murmelte leise die Namen der Konstellationen vor sich hin, und mit einem plötzlichen Gefühl der absoluten Einsamkeit sah er das breite Band der Milchstraße, das sich in majestätischer Erhabenheit über den Himmel spannte.

Sharon war hinter ihn getreten. Ihre Stimme klang brüchig, als sie sagte:

„Ich werde tun, was in meiner Macht steht.“

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