Читать книгу Krimi Koffer September 2021 - 7 Krimis auf 1000 Seiten - Alfred Bekker - Страница 34

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Jemand schlug ihm ins Gesicht. Hart, immer wieder.

Schließlich öffnete Hagar die Augen und setzte sich mit einem Ruck auf. Stöhnend schlug er die Hände vor das Gesicht.

Jemand reichte ihm ein Glas. Hagar trank in durstigen Zügen; er hatte den Geschmack von Tomatensaft im Mund, von Pfeffer und Alkohol und anderen Ingredienzien. Er murmelte: „Was ist das?“

Eine Stimme sagte: „Altes Rezept — hilft garantiert gegen alles.“

Eine zweite Stimme sagte: „Hier“, und klatschend schlug ihm ein nasses Tuch um den Kopf. Hagar rieb sich das Gesicht mit dem feuchten Handtuch ab und presste es dann gegen die Schläfen.

Langsam begann er klar zu sehen und erkannte das grinsende Gesicht des Portiers. Daneben standen zwei Kellner.

„Junge, Junge“, ließ sich der eine vernehmen. „Sie haben aber ganz ordentlich geladen.“

„Geladen?“, fragte Hagar verwundert, begriff jedoch schnell und wusste, dass damit starker Alkoholgenuss gemeint war. Er ließ die Männer in dem Glauben. Offensichtlich hatte niemand gesehen, dass das Mädchen eine Gaskapsel in ihrer Hand verborgen gehalten hatte, als sie ihn ins Gesicht schlug.

„Wie spät ist es?“, murmelte Hagar schwach.

„Dreiundzwanzig Uhr fünfundzwanzig.“

Taumelnd kam Hagar auf die Füße. Für Sekunden glaubte er, erneut den Halt zu verlieren, doch dann hatte er sich gefangen und stolperte in die Nacht hinaus.

Bis auf eine Horde lärmender Burschen und Mädchen in verwegenen Kleidern, die im wilden Lauf über die Rollbänder hetzten, war die Straße leer.

Ein leichter Wind wirbelte Papierfetzen und Blätter zusammen. Irgendwo klapperte eine vergessene Blechbüchse.

Unentschlossen stand Hagar Wyngate am Rande der rollenden Straße. Schließlich wandte er sich nach rechts, wo sich die schwach glühende Säule eines Antigrav-Lifts befand.

„Mister Wyngate!“

Die Stimme kam so plötzlich aus der Dunkelheit hinter ihm, dass Hagar zusammenzuckte. Sein Körper spannte sich in instinktiver Abwehr. Längst vergessen geglaubte Reflexe erwachten wieder, und sein rechter Arm hob sich zu einem Schlag, als eine zweite Stimme sagte:

„Ich würde das bleiben lassen.“

Wie Schatten kamen zwei Männer hinter dem runden Pfeiler hervor, der in einer endlosen Reihe von anderen die oberen Straßenetagen trug. Stumpf schimmerte der trichterförmige Lauf einer Schockwaffe im schwachen Licht der Straßenbeleuchtung.

Der Mann, der zuerst gesprochen hatte, war wesentlich kleiner als Hagar, er schien mittleren Alters zu sein und hatte ein zerfurchtes, schmales Gesicht.

Der, der die Waffe hielt, war groß, breitschultrig und bewegte sich mit der Sicherheit einer Kampfmaschine. Sein breiter Mund war zu einem ständigen Lächeln verzogen. Doch die scharf beobachtenden Augen standen im krassen Gegensatz zu seinem freundlichen Jungengesicht.

Beiden gemeinsam war die bekannte Kleidung: halblange, uniform wirkende Mäntel und Hüte mit steifen Rändern. Es gab nur eine Sorte von Männern, die so angestrengt zivil wirkten, dass man sie schon von Weitem erkannte: Polizei.

Hagar versuchte seine Stimme ausdruckslos klingen zu lassen, als er fragte: „Was soll der Unsinn?“

„Bitte gehen Sie weiter, Mister Wyngate“, antwortete der Große. „Zeigen Sie sich nicht überrascht, und vermeiden Sie alles, was einem eventuellen Beobachter verraten könnte, dass wir nicht Ihre Freunde sind.“

„Sind Sie es denn nicht?“

Der Große sah Hagar an. Im trüben Licht einer hochhängenden Lampe konnte man den Spott in seinen Augen erkennen. Er fragte:

„Sollten wir es sein?“

„Der Slogan: Die Polizei dein Freund und Helfer! trifft wohl nicht mehr zu?“ Hagar konnte sich eines mitleidigen Lächelns nicht erwehren.

Der Große sagte, ohne Überraschung zu zeigen: „Wie haben Sie uns erkannt?“

„Das war nicht sonderlich schwer“, erwiderte Hagar. „Leute Ihres Schlages erkenne ich jederzeit.“ Er ging ruhig zwischen den beiden Männern einher. Im Moment hatte er nichts zu befürchten. Er sah, wie der Große die Schockwaffe in der Manteltasche verschwinden ließ, und fügte dann hinzu: „Was wollen Sie eigentlich von mir?“

Der Kleine stieß ein leises Lachen aus, dann sagte er: „Wir haben Sie im Klub beobachtet — Sie haben einen ganz schönen Wirbel verursacht.“

Das Summen eines Gleiters wurde hörbar, verstärkte sich, während von den Männern eine plötzliche Nervosität ausging. Erst als das Geräusch des Fahrzeuges wieder verstummte, ließ die Spannung auf ihren Gesichtern nach. Und in die erneute Stille sagte Hagar: „Ich gebe zu, ich hätte nicht so hart zuschlagen sollen. Aber wenn Sie in Betracht ziehen, dass er mich mit dem Energiemesser bedrohte, dann werden Sie sich vorstellen können, dass man dabei leicht die Nerven verliert.“

Der Kleine lachte wieder. Diesmal schwang wirkliche Belustigung in seinem Lachen mit. Es kam so überraschend, dass Hagars Gedanken durcheinanderwirbelten. Ob er mit seiner Vermutung doch auf der falschen Fährte war? Vorsichtig fragte er:

„Wer sind Sie?“

„Wie Sie schon erkannt haben: Polizei.“

Hagar stieß ein kurzes Lachen aus. Der Kleine sah seinen Partner von der Seite an und erkundigte sich: „Sollen wir es ihm sagen, Mallic?“

Der Große zuckte gleichmütig die Schultern. „Von mir aus. Einmal muss er es doch erfahren, Art.“

Der Kleine sagte im leichten Plauderton: „Wir sind vom Secret Service.“ Hagar bewegte kaum die Lippen, als er fragte: „Wer sagt mir, ob Sie die Wahrheit sprechen?“

„Sie müssen sich schon auf mein Wort verlassen.“

„Pah“, knurrte Hagar. Nichtsdestoweniger schritt er an der Liftsäule vorbei, die er ursprünglich benutzen wollte, und bewegte sich mit den Beamten tiefer hinein in das Labyrinth der steinernen Schluchten von Nova Angeles.

Mallic sagte nach einer Weile: „Außerdem soll ich Ihnen Grüße bestellen.“

„Grüße? Von wem?“

„Von Benn Jacyna.“

Hagar konnte einen Laut der Überraschung nicht unterdrücken, als er diesen Namen hörte. Seit über zehn Jahren hatte er ihn nicht mehr vernommen; zehn lange Jahre hatte Hagar Wyngate nur in jenen seltenen Momenten an Benn Jacyna gedacht, in denen die Vergangenheit wie ein Schreckgespenst aus dem Dunkel schlafloser Nächte aufgetaucht war.

Benn Jacyna.

Dass er Hagar jetzt Grüße ausrichten ließ, hieß nichts anderes, als dass Benn ihn brauchte. Und wenn Benn ihn brauchte, so galt es zu helfen, gleichgültig, in welcher Klemme er auch saß.

„Was also soll ich tun?“, erkundigte sich Hagar.

„Wir werden eine Fahrt unternehmen“, sagte Mallic, „an deren Ende Benn auf Sie wartet.“

Wäre die Straße besser beleuchtet gewesen, so hätte Hagar den Schmerz in Mallics Augen erkennen können, so wunderte er sich nur über den plötzlichen Ernst in dessen Stimme.

Schweigend schritt Hagar zwischen Art und Mallic durch die nächtliche Stadt.

Minuten später kamen sie zu einem schweren Gleiter, der in einer schmalen Seitengasse parkte. Mallic setzte sich hinter den Steuerarm, während Hagar zusammen mit Art auf der hinteren Sitzbank Platz nahm.

Der Gleiter ruckte an, glitt aus der Gasse und beschleunigte dann, als er in der Ausflugschneise angelangt war. Steil zog Mallic den Gleiter nach oben, um erst in einem Luftkorridor nach Norden zu drehen.

Der Wolkenkratzer des National Building erhob sich wie ein hell angestrahltes Monument über der Stadt.

Der Gleiter verließ den Luftkorridor und glitt über einen weitgespannten Viadukt hinweg, der den Wolkenkratzer mit einem wesentlich niedrigeren Gebäude verband, und senkte sich schließlich auf eine Plattform nieder.

Mallic und Hagar stiegen aus, während Art den Gleiter an der scheinbar endlosen Fassade entlang nach hinten schweben ließ und schließlich um eine Ecke verschwand.

Nahe am Rand der Plattform stehend, erfasste Hagar ein Schwindel, als sein Blick sich nach unten richtete. Hagar sah in eine gewaltige Schlucht, die nur vom dünnen Gespinst glasüberdachter Rollbänder und Etagenstraßen durchkreuzt wurde.

Die beiden Männer verschwanden hinter einer hohen, schmalen Tür in der glatten Wand. Über einen Korridor ging es tief in das Gebäude hinein, durch die Halle einer Videovermittlung, die leer war, und dann in einer Liftsäule zwanzig Stockwerke nach oben.

Wieder ging der Weg durch eine Halle. Hagars Füße versanken in einem dicken Teppich. An der rechten Seite, hinter einem riesigen Strauß von Orangenblüten in einer Bodenvase, war eine offene Tür. Sie führte in einen Raum, in dem ein Kaminfeuer flackerte.

Von irgendwoher ertönten Musik, gedämpftes Lachen und verzerrte Gesprächsfetzen. Die Geräusche wurden lauter, als die beiden durch eine Tür auf eine Balustrade hinaustraten.

Hagar war erstaunt, als er die festlich gekleideten Gruppen unter ihm erblickte — dann sträubten sich seine Nackenhaare. Er gewahrte in der Menge die alles überragende Gestalt eines weißgekleideten K’erubyjns.

„Äußerst merkwürdig“, konnte sich Hagar nicht verkneifen zu sagen, „dass wir seit Neuestem diplomatische Beziehungen zu unseren Feinden unterhalten! Was für ein Spiel wird hier getrieben?“ Er trat an die Brüstung und blickte hinab.

„Kommen Sie da weg!“, zischte Mallic ungehalten und unterstrich seine Forderung mit der Schockwaffe.

Widerwillig folgte ihm Hagar. Seine Gedanken arbeiteten auf Hochtouren. Was geschah in diesem Gebäude? In welchen Zusammenhang war sein Aufenthalt hier zu bringen? Oder verrannte er sich da in bloße Vermutungen, die zu nichts zerrinnen würden, sobald er am Ziel war?

Der Weg führte fast um den Saal herum, ehe Mallic auf der gegenüberliegenden Seite eine Tür aufstieß. Ein kurzer Korridor wurde durchschritten, dann hielt Mallic vor einer Tür an.

Er klopfte in einem bestimmten Rhythmus gegen die Türfüllung und wartete dann, bis sie sich öffnete. Sie traten ein.

Der Raum war hoch, hell erleuchtet und von Zigarettenrauch erfüllt. Die Möbel waren in hellem Holz gehalten, als Polsterung herrschte schwarzes Leder vor.

In der Mitte des Raumes stand ein langer, schmaler Tisch mit einer rubinfarbenen Glasplatte. Darauf verteilt standen einige Gläser und zwei Flaschen. Hinter dem Tisch unterhielten sich drei Personen; zwei Männer und eine Frau.

Einer der Männer war wohlproportioniert. Der Bronzeton seines Gesichts kontrastierte gut mit dem an den Schläfen bereits ergrauten Haar. Hagar kannte diesen Mann: Es war Henry Masson, Erster Sekretär des Präsidenten John de Celan.

Der andere Mann war eine hagere Erscheinung mit einem blassen Gesicht, in dem nur die dünne, rote Narbe zu leben schien, die wie ein V auf der Stirn stand. Dunkle Augen lagen tief in den Höhlen und glommen wie kleine Feuer. Er stellte das Glas, aus dem er getrunken hatte, mit einem Ruck auf die Tischplatte zurück und erhob sich. Mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln kam er auf Hagar zu.

„Hagar Wyngate?“, fragte er, wenngleich es mehr wie eine Feststellung klang.

Hagar nickte abwesend. Sein Blick war auf die junge Frau gerichtet, die neben Masson saß. In seine Augen trat ein nachdenklicher Ausdruck. Er grübelte darüber nach, wo er dieses aparte Gesicht schon einmal gesehen haben konnte. Es erinnerte ihn an jemand — aber er wusste nicht, an wen.

Nun erhob sie sich, flüsterte Masson etwas ins Ohr, der ihr zunickte. Sie verschwand durch eine Tür, nicht ohne einen forschenden Blick auf Hagar zu werfen, der ihr nachstarrte und noch immer nicht wusste, an welcher Stelle seiner Erinnerungen er sie einordnen sollte. Er wurde aus seinen Betrachtungen gerissen, als sich der Mann vor ihm an Mallic wandte.

„Hat es Schwierigkeiten gegeben?“, erkundigte er sich mit ausdrucksloser Stimme.

Mallic schüttelte den Kopf. Er sagte: „Keine, Mister Carth.“

„Durchsuche ihn, Mallic“, befahl Carth.

Hagar begann lautstark zu protestieren, als Mallic ihn abklopfte und nichts anderes zum Vorschein brachte, als den ohne Batterie nutzlosen Griff des Energiemessers.

„Du kannst verschwinden, Mallic“, sagte Carth, um sich dann mit einer entschuldigenden Handbewegung an Hagar zu wenden. „Man kann nicht vorsichtig genug sein“, sagte er. „Aber nehmen Sie doch Platz, Mister Wyngate!“

Als Hagar sich in einen Sessel gesetzt hatte, erkundigte er sich ungeduldig: „Nun, was ist mit Benn Jacyna?“

„Sachte, junger Freund“, entgegnete Carth. „Was wissen Sie überhaupt von Jacyna?“

Hagars Körper versteifte sich. Misstrauisch blickten seine Augen von einem zum anderen.

„Was soll das?“, fragte er ausdruckslos. „Haben Sie mich hierher entführen lassen, nur um von mir etwas über Benn Jacyna zu erfahren?“

Für einen Moment sah es aus, als würde Carth ärgerlich werden. Erst als ihm Henry Masson die Hand auf den Arm legte, schien er sich wieder gefangen zu haben.

„Möchten Sie einen Drink, Mister Wyngate?“, erkundigte er sich, das Thema wechselnd.

„Nein, ich möchte keinen Drink“, entfuhr es Hagar rau. „Ich möchte endlich wissen, was mit Benn ist! Wo hält er sich verborgen? Was kann ich für ihn tun?“

„Für ihn können Sie nichts mehr tun — wohl aber für uns.“

„Hören Sie zu!“ Hagar lehnte sich leicht vor. Seine Stimme klang ungewöhnlich ruhig, nur seine Augen spiegelten den Zorn wider, der in ihm auf stieg. Er fuhr fort:

„Ich bin im Allgemeinen ein verträglicher Mensch — nur heute nicht. Erst hat mich ein kleines, rauschgiftsüchtiges Flittchen geärgert; dann musste ich mich mit dessen Kavalier herumschlagen, der mich mit seinem Energiemesser umbringen wollte. Dann tauchen plötzlich zwei Gestalten auf und schleppen mich hierher — und zu guter Letzt muss ich mich noch mit Ihnen herumärgern. Ich habe rasende Kopfschmerzen. Alles, was mich noch davon abhält, hier auf dem schnellsten Weg zu verschwinden, ist, dass ich erfahren will, was mit Benn passiert ist. So erzählen Sie doch endlich.“

„Ich finde auch, dass es Zeit ist, dem Theater ein Ende zu machen, Edward“, mischte sich Henry Masson ein. Er wandte sich an Hagar und sagte:

„Das ist Edward Carth, ein hoher Beamter des Secret Service.“

Hagar war kaum überrascht; nach allem, was geschehen war, hatte er es sich denken können.

Edward Carth lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander, verschränkte die dünnen Finger und begann mit leiser Stimme zu berichten: „Benn Jacyna — übrigens einer unserer Top-Agenten — wurde vor etwa einem halben Jahr damit beauftragt, Recherchen über einige Leute einzuholen, die man im Zusammenhang mit einer der größten Wirtschaftsaffären brachte. Nun, der Fall war für Jacyna leichtes Brot und schnell erledigt. Aber bei seinen Nachforschungen deckte er gewisse Verbindungen auf, die ein Gerücht erhärteten, dem man bis zu diesem Zeitpunkt keinen Glauben schenkte. Um die genauen Hintergründe aufzuhellen, war es erforderlich, dass er in den Raum startete. Einige Zeit hörten wir nichts mehr von ihm, bis er sich überraschend heute Abend meldete. Er befand sich mit seinem Schiff bereits in den ersten Ausläufern der Erdatmosphäre. Er kam schneller herunter, als wir erwarteten. Und diese kurze Zeitspanne reichte aus, um ihn umzubringen.“

„Benn ist tot?“ Hagars Stimme schwankte. Seine Augen verschleierten sich.

„Ja. — Als wir an seinem Schiff ankamen, stand die Schleuse offen, und die Rampe war ausgefahren. Er lag in der Steuerzentrale, hinterrücks niedergeschossen. Das gesamte Material war verschwunden; es war offensichtlich, weshalb Benn Jacyna sterben musste.“

„Und was wollen Sie nun von mir?“ Edward Carth sah nachdenklich auf Hagar Wyngate und schien dessen Frage nicht gehört zu haben. Erst als Hagar sie wiederholte, antwortete Carth: „Benn war nicht gleich tot. Er muss noch einige Augenblicke gelebt haben, denn wir fanden in seiner rechten Hand einen Zettel, auf dem Ihr Name stand, Mister Wyngate, neben einem anderen Wort.“

Carth knackte mit den Fingern, sein bleiches Gesicht war unbeweglich, nur in den dunklen Augen glühte es vor verhaltener Erregung. Er sah aus wie ein Mann, der kurz vor einer großen Entdeckung stand.

„Mein Name?“, echote Hagar verwundert. „Ich wüsste nicht, in welchem Zusammenhang mein Name mit Benns Auftrag stehen sollte.“

„Ich auch nicht, Mister Wyngate! Ich auch nicht. Aber er steht nun mal da, und wir müssen herausbekommen, was es damit auf sich hat.“

„Nun möchte ich doch einen Drink“, sagte Hagar rau.

Schweigend griff Henry Masson nach der Flasche, goss eines der Gläser randvoll und reichte es Hagar, der einige kräftige Schlucke der bernsteinfarbenen Flüssigkeit trank.

„Nun, Mister Wyngate“, ließ sich Carths Stimme wieder hören. „Wären Sie jetzt bereit, uns Auskunft darüber zu geben, wie lange und seit wann Sie Jacyna kannten?“

„Ich lernte ihn vor etwa elf Jahren kennen“, erinnerte sich Hagar.

„Also im Jahre 2081“, stellte Carth fest.

„Ja, genau am 23. Juli 2081, nachmittags um vierzehn Uhr zweiunddreißig und etwa fünfzehn Kilometer über Hanis Welt, einem Planeten, den wir zur Übergabe reif machen sollten.“

„Sie waren beide in der gleichen Einheit, nicht wahr? Im Raumlandegeschwader 438.“

„Warum fragen Sie, wenn Sie es doch schon wissen?“ Hagar gab sich keine Mühe, seinen Unmut zu verbergen.

„Ich muss doch sehr bitten ...“

„Ach was, Sie müssen gar nichts“, sagte Hagar grob. „Kommen Sie doch endlich zur Sache.“

In Carths Augen blitzte es verräterisch auf. Aber er beruhigte sich wieder. Er sagte: „Wie war das also damals mit Jacyna?“

„Wie schon gesagt: Er wurde zu unserer Einheit versetzt. Einige Wochen vergingen, bis einige aus unserem Geschwader zu einem Team zusammengestellt wurden, das Sonderaufträge auszuführen hatte. Jacyna war auch darunter. Wir bekamen den Auftrag, eine Gruppe Wissenschaftler aus einem bereits von den K’erubyjns besetzten Landstrich eines namenlosen Planeten im Sirius Sektor herauszuholen. Der Einsatz ging glatt über die Bühne, so glatt, dass wir im Laufe eines Jahres mehrere Male zusammenarbeiteten. Zuletzt bildeten wir ein Zwei-Mann-Team, Benn und ich. Er war ein prächtiger Kerl, obwohl er zehn Jahre älter als ich war. Ich weiß nicht, wie oft wir uns gegenseitig das Leben retteten — aber als wir begannen, wirkliche Freundschaft füreinander zu empfinden, wurde er überraschend versetzt.“

„Sie wussten nicht, dass er Agent des Secret Service und speziell für Aufträge hinter den Fronten ausgebildet war?“

„Nein, obwohl ich mit der Zeit dahinterkam, dass er aus einer Spezialeinheit kommen musste. Er wusste einfach immer einen Ausweg.“

„Hat er je zu Ihnen über seine Familie gesprochen?“

„Doch! Ab und zu sprach er über seine Frau und seine Tochter — aber das waren seltene Momente. Die beiden blieben für mich immer nur vage Schatten, und er tat nichts, um dies zu ändern.“

„Als Sie sich trennten, haben Sie da nicht noch eine Weile mit ihm korrespondiert?“

„Ganz recht. Aber als sich die Front auszudehnen begann, schlief auch das ein.“

„Sie haben ihn niemals wiedergesehen?“

„Nein“, sagte Hagar und stellte das Glas zurück. Nachdenklich legte er die Fingerspitzen aneinander; er versuchte, der Erinnerung Herr zu werden, die durch dieses Gespräch heraufbeschworen worden war.

Eine Weile herrschte Schweigen, dann fragte Carth: „Sagt Ihnen das Wort Honvath etwas?“ In seiner Stimme vibrierte es vor unterdrückter Spannung.

„Honvath? Nein, ich glaube nicht“, antwortete Hagar zögernd. „Sollte es mir denn etwas sagen?“

„Wir nehmen es an“, entgegnete Carth, ohne seine Enttäuschung zu verbergen. „Es war das zweite Wort, das auf dem Zettel stand.“

Hagar zuckte mit den Schultern. „Irgendwie sagt mir mein Gefühl, dass ich dieses Wort kennen sollte. Aber ich kann mich absolut nicht daran erinnern. Es ist ja auch schon alles zu lange her. Glauben Sie, ich bin ein Computer? Nein! Also — dann blicken Sie mich nicht so vorwurfsvoll an.“

Hagar war ärgerlich.

Carth begann zu fluchen, leise, aber sehr eindringlich. Er sprang aus seinem Sessel hoch und wanderte mit langen Schritten im Zimmer auf und ab.

Massons Gesicht blieb ausdruckslos. Nur seine kräftigen Finger spielten mit dem Glas und verrieten die Erregung in ihm.

Die Luft im Zimmer war warm. Hagar spürte Schweiß auf seiner Stirn.

Edward Carth blieb stehen, senkte den Kopf und fixierte Hagar unter zusammengezogenen Brauen. Er sagte: „Wären Sie bereit, unter einer Wahrheitsdroge auszusagen?“

Hagar zog scharf die Luft ein. „Glauben Sie, ich lüge?“, stieß er hervor.

„Wer spricht davon!“, fuhr ihn Carth an. „Aber die Droge würde die Erinnerung an das Wort Honvath zurückbringen, dessen Bedeutung Sie anscheinend vergessen haben. Also?“

Hagar schüttelte den Kopf; seine Hände klammerten sich an die Armlehnen des Sessels, dass die Knöchel weiß hervortraten. „Ich denke nicht daran“, sagte er.

Carths Mund verzog sich zu einem dünnen Lächeln, als er sagte: „Nein? Wer könnte mich daran hindern, Ihnen mit Gewalt die Droge zu injizieren? Vergessen Sie nicht: Ein Wort von mir genügt, und Sie werden diesen Raum nicht mehr als freier Mann verlassen.“

Hagar sprang auf. „Versuchen Sie es nur“, rief er. „Ihre Männer werden erleben, was es heißt, sich mit einem Raumsoldaten anzulegen.“

„Schluss jetzt“, ließ sich Henry Masson laut und nachdrücklich vernehmen. „Du, Edward, wirst keinem drohen, solange ich es verhindern kann. Vergiss nicht, dass Mister Wyngate aus freien Stücken gekommen ist — er wird uns ebenso frei wieder verlassen.

Und Sie, Mister Wyngate“, wandte er sich an Hagar und sah ihn fest an, „setzen sich wieder und hören sich an, was ich Ihnen zu sagen habe.“

Masson erhob sich ebenfalls, ging hinüber zum Fenster und blickte für eine Weile in die Nacht hinaus. Dann drehte er sich um und sagte mit leiser, aber vernehmlicher Stimme:

„Sehen Sie, Mister Wyngate, ein Mann wurde ermordet. Weshalb er umgebracht wurde, ist uns völlig klar. Sie hingegen braucht das nicht zu interessieren. Immerhin war es einer wichtigen Sache wegen, denn dieser Mann brachte Informationen mit zurück, von deren Kenntnis das weitere Wohl der Menschheit und der Erde abzuhängen scheint. In der Stunde seines Todes hat dieser Mann noch die Kraft aufgebracht, drei Worte auf ein Stück Papier zu kritzeln: Hagar Wyngate — Honvath.

Er hätte es sicher nicht getan, wäre er nicht davon überzeugt gewesen, dass Sie, Mister Wyngate, als Einziger in der Lage sein würden, dieses Wort zu interpretieren.“

„Messen Sie da diesem Wort nicht zu viel Bedeutung bei?“, warf Hagar ein. „Wenn es wichtig gewesen wäre, hätte ich es bestimmt nicht vergessen, darauf können Sie sich verlassen.“

Mit einer ungeduldigen Handbewegung wischte Masson den Einwand beiseite. „Glauben Sie wirklich, dass das Wort keine Bedeutung hat?“, erkundigte er sich skeptisch. „Ich nicht.“

Nach diesen Worten herrschte eine Weile Schweigen. Durch das Fenster, vor dem Henry Masson noch immer stand, brach der flammende Schein eines startenden Raumschiffes, das wie ein brennender Pfeil in die Nacht schoss.

Masson blickte auf den großen, hageren Mann, der die langen Beine weit von sich gestreckt, zurückgesunken im Sessel lag und einen nachdenklichen Ausdruck in den Augen hatte. Dann sagte er:

„Möchten Sie es sich nicht doch noch überlegen, Mister Wyngate? Sie, der Held von Helgijor! Haben Sie nicht auch eine gewisse Verpflichtung der Föderation gegenüber? Was gibt es Schlimmes in Ihrer Vergangenheit, dass Sie sich gegen die Droge sträuben?“

Wie aus einem Traum erwachend sah Hagar auf. Der Schleier vor seinen Augen verflüchtigte sich. Mit einem Mal blickte Hagar hart und mit einer winzigen Spur von Hass auf Henry Masson.

„Der Held von Helgijor“, stieß er bitter hervor. ;,Pah, dass ich nicht lache. Verpflichtungen der Föderation gegenüber? Lächerlich. Wenn es je Verpflichtungen geben sollte, so hat sie die Föderation mir gegenüber. Und der Held von Helgijor lebte nicht länger als zwei Wochen in den Spalten der Terra News — dann war auch er vergessen.“

Hagars Gestalt krümmte sich zusammen.

„Wollen Sie wirklich wissen, was es so Schlimmes in meiner Vergangenheit gibt, dass ich es zu vergessen trachte?“, fragte er voller Bitterkeit. „Der Krieg ist es, und Helgijor, mein immer wiederkehrender Alptraum. Ich habe das Brennen und Morden so hassen gelernt, dass ich es aus meiner Erinnerung verbannte. Nun kommen Sie und verlangen von mir, dass ich mich erneut mit den schrecklichen Dingen herumschlagen soll.

Wissen Sie, was Helgijor aus mir gemacht hat? Einen Krüppel! Auch wenn man es mir äußerlich nicht ansehen kann, dass ich zur Hälfte nur noch aus Plastik und Chromstahl bestehe. Wohl funktioniert alles bestens, ja, in manchen Dingen bin ich wesentlich schneller als früher — nichtsdestoweniger bin ich ein Wrack. Manchmal glaube ich sogar, ein Monstrum zu sein.

Nein“, stieß er hervor, während ihm der Schweiß über das Gesicht lief. „Ich denke nicht daran, all diese furchtbaren Bilder wieder neu erstehen zu lassen!“

„Es ist einfach nicht zu fassen“, ließ sich Edward Carth vernehmen. In seinen Augen funkelte ein ironisches Feuer. „Von dem Erinnerungsvermögen eines paranoiden Atavisten hängt das Wohl und Wehe der Menschheit ab.“

„Schweigen Sie“, wies ihn Henry Masson zurecht.

„Weshalb eigentlich?“, fragte Hagar.

„Was?“

„Weshalb hängt das Wohl der Menschheit von diesem Wort ab?“

„Nicht von dem Wort“, erwiderte Masson, „sondern von dem, was dahinterstecken muss.“

„Warum also ist die Kenntnis von dem angeblich verborgenen Inhalt des Wortes Honvath so wichtig für die Zukunft der Erde?“

Henry Masson sah nachdenklich auf Hagar. „Ich frage mich“, sagte er, „ob es vorteilhaft wäre, Sie davon wissen zu lassen!“ Dann schien er zu einem Entschluss gekommen zu sein, denn er sagte: „Weshalb eigentlich nicht?“

*

Als der letzte Ton verklungen war, lebte die Unterhaltung zögernd wieder auf.

„Wie mir scheint, schätzen Sie diese Musik, Exzellenz?“ John de Celan wandte sich fragend an Eere a Saarin, der ihn um zwei Kopflängen überragte.

Der Botschafter von Garm hielt den hellhaarigen Schädel geneigt. Auf seinem gebräunten Gesicht lag ein verzückter Ausdruck.

„Herrlich“, sagte er mit volltönender Stimme. „Diese stilistische Klarheit! Und so unromantisch, nur dem reinen Gesetz verpflichtet. Ich muss sagen, dass ich in Ihrer Zivilisation eine derartige Musik nicht vermutet hätte. Nichts von der üblichen Verschwommenheit, die Ihre Kultur ausmacht. Alles vom Verstand gesteuert. Eine wahrhaft rein mathematische Musik.“

„Ausgezeichnet“, sagte de Celan. „Eine treffende Definition für die Bach'sche Musik.“

„Der Komponist?“

„Ganz recht.“

Eere a Saarin blickte auf den weißhaarigen Mann hinunter, einen nachdenklichen Ausdruck in den mit Goldpunkten durchsetzten grünen Augen.

„Seltsam“, ließ er sich vernehmen, „dass eine derart junge und wilde Rasse Männer hervorbringen konnte, die eine derart reife Musik zu schreiben vermochten. Eine Musik, die dem Volk von Garm würdig wäre.“

„Sie werden sich noch an andere Widersprüchlichkeiten in unserer Zivilisation gewöhnen müssen, um uns zu verstehen.“ John de Celan sagte es ruhig, ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht.

„Zweifellos.“

Die beiden ungleichen Männer, Repräsentanten ihrer Kulturen, schritten langsam durch die Menge der diplomatischen Würdenträger. Man sah ordengeschmückte Uniformen, elegante Garderoben. Hörte Stimmengewirr und Musik. Es herrschte eine gedämpfte Heiterkeit, hinter der eine unbestimmbare Nervosität lauerte.

„John! Einen Augenblick.“

Ein älterer Mann drängte sich rücksichtslos durch die Gäste. De Celans Gesichtsausdruck wurde frostig. Der alte Hitzkopf hat mir gerade noch gefehlt, dachte er grimmig. Der Präsident roch förmlich den Ärger, der sich zusammenbraute. Abweisend sah er auf den Mann, der nun etwas außer Atem sagte: „Möchtest du mich nicht vorstellen, John?“

John de Celan sagte steif: „Exzellenz, darf ich Sie mit Henry Michel Drury, dem Vizepräsidenten von Terra, bekannt machen!“ Zu Drury gewandt fuhr er fort: „Seine Exzellenz, Eere a Saarin, Botschafter von Garm.“

Drury verneigte sich leicht, während ein verkniffener Zug um seinen Mund lag.

Eere a Saarin bedachte den älteren Mann mit einem gewinnenden Lächeln.

„Verzeihen Sie meine Neugierde, aber ich habe noch nie einen K’erubyjn so unmittelbar aus der Nähe gesehen“, sagte Drury laut. Die Umstehenden wurden aufmerksam.

„Nein?“

„Nein.“ Henry Michel Drury musterte abschätzend die gewaltige Gestalt.

„Und was sehen Sie, mein Herr?“ Fragend sah der K’erubyjn auf Drury herab.

„Ich sehe einen Mörder.“

„Um Gottes willen, Henry!“, flüsterte John de Celan, während ein erschrockenes Gemurmel einsetzte. „Mäßige dich, du zeigst deine Absicht zu offen.“

„Ach, halte den Mund, John!“, fuhr ihn Drury grob an. „Versuche nicht, mir mein Vorhaben auszureden. Was habe ich schon zu verlieren.“

Während de Celan verzweifelt den in der Menge verborgenen Wächtern „Gefahr“ signalisierte, fuhr Henry Michel Drury fort, das mühsam errichtete Gerüst allmählichen Vertrauens zu zerstören, das de Celan glaubte, zwischen sich und dem Botschafter aufgebaut zu haben.

„Ich möchte Ihnen, Exzellenz, eine kleine Geschichte erzählen: Es war einmal ein Mann, der glücklich und zufrieden mit seiner Frau lebte. Als den beiden ein Sohn geschenkt wurde, legte der Mann für den Jungen ein Fass vom besten Wein an, der auf seinen Hügeln wuchs. Sein Sohn sollte an seinem einundzwanzigsten Geburtstag diesen Wein zusammen mit seinen Freunden trinken — er war nur dafür bestimmt. Als aber der einundzwanzigste Geburtstag des Sohnes herangekommen war, musste der alte Mann den Wein allein trinken. Der Sohn war tot. Einer von Tausenden, die über Helgijor den Tod fanden! Nichts war dem alten Mann mehr geblieben. Sein Herz wurde zerstört!“ Erschöpft schwieg Drury. Tränen stürzten aus seinen Augen.

Alle Augen sahen auf Eere a Saarin, der unbewegten Gesichtes Drurys Anklage über sich ergehen ließ ...

Ein bewundernswerter Mann, dachte John de Celan, und ein bewundernswertes Gesicht: glatt, gebräunt, mit weit auseinanderstehenden grünen Augen.

Als der K’erubyjn redete, klang seine Stimme ruhig und beherrscht. „Wer von uns“, sagte er versöhnlichen Tones, „hat nicht einen Sohn auf Helgijor verloren? Auch ich habe meinen ältesten Sohn zu beklagen, und es gibt keine Familie auf Garm und den anderen Planeten des Reiches, denen nicht Ähnliches widerfahren ist.“

Seine Augen blickten ungewöhnlich ernst auf Drury und die Menschen herab. Seine Stimme wurde lauter und war im ganzen Saal zu vernehmen.

„Aber schimpfe ich euch deswegen Mörder? Nein! Unsere Zivilisationen haben sich unendliches Leid zugefügt — doch das ist jetzt vorbei. Endlich sind wir zusammengekommen, um diesen Krieg ein für allemal zu beenden. Unter diesem Aspekt sollte man dieses Zusammentreffen sehen, anstatt sich gegenseitig Unartigkeiten an den Kopf zu werfen.“

Drury ging mit gesenktem Kopf davon; die Gespräche wurden wieder auf genommen. Man zerstreute sich, und John de Celan atmete vorsichtig aus. Sein Herz schlug hart in der Brust, während nur zögernd die Angst von ihm wich, die ihn bei den Worten Drurys erfasst hatte.

Aber seine Befürchtungen waren grundlos gewesen. Mehr denn je erkannte der greise Präsident, dass die Aussichten für einen endgültigen Frieden zwischen Garm und der Föderation gestiegen waren.

Mit zitternder Hand fuhr sich de Celan über die schweißnasse Stirn. Dann fiel sein Blick auf Homer A. Tomlinson, der mit verkniffenem Gesichtsausdruck auf Drury einredete, und er dachte: Sieh einer an, der gute Drury! Das wird er mir in der nächsten öffentlichen Debatte büßen.

Der Präsident winkte mit einer schmalen, knochigen Hand. Aus der Reihe der Bediensteten löste sich ein Mann, ein Tablett in den Händen haltend.

„Was trinken Sie, Exzellenz?“, erkundigte sich de Celan. Seine Stimme hatte endlich wieder den gewohnten Klang.

„Sie haben da einen vorzüglichen Cognac ...“ Auf dem Gesicht des K’erubyjn erschien ein Lächeln.

„Aber gerne!“ John de Celan griff nach zwei dickbauchigen Gläsern — sie waren zu einem Drittel gefüllt — und reichte eines davon Eere a Saarin. Dann hob er sein eigenes Glas, sah den Botschafter von Garm über den Rand hinweg ernst an und sagte:

„Auf gutes Gelingen!“

„Aakosdaia — auf ein gutes Gelingen.“

Die beiden so grundverschiedenen Männer tranken eine Weile schweigend.

Schließlich sagte John de Celan: „Erlauben Sie mir, Exzellenz ...“ Aber er wurde von Eere a Saarin mit einem feinen Lächeln unterbrochen. „Es gibt nichts zu entschuldigen, Sir. Ich hoffe und wünsche nur, dass Ihr Botschafter ebenso leicht mit den Verhältnissen auf Garm fertig wird, wie es mir hier gelungen ist. Auch bei uns gibt es verschiedene Gruppen von Radikalen.“

„Norman Vincent? Ich glaube schon, dass er zurechtkommt.“ Auf de Celans faltigem Gesicht erschien ebenfalls ein kleines Lächeln.

„Wenn ich die Belustigung in Ihrer Stimme richtig auslege, Sir, dann hat es eine besondere Bewandtnis mit Ihrem Mann auf Garm?“ Eere a Saarin blickte fragend auf de Celan herab.

„Nun“, der Präsident begann zu schmunzeln. „Wir haben einen unserer größten Anwälte, die Terra je hervorgebracht hat, nach Garm entsandt. Wobei die Betonung auf dem Wörtchen 'größten' liegt. Norman Vincent misst zwei Meter und fünfundzwanzig Zentimeter und dürfte sich daher von der Größe Ihrer Landsleute wenig beeindrucken lassen.“

„Sagen Sie das nicht“, gab Eere a Saarin zu bedenken. „Die physische Größe allein ist nicht ausschlaggebend.“

„Seien Sie versichert, Exzellenz, dass Vincent auch die übrigen Qualitäten mitbringt.“ John de Celan hob sein Glas und prostete dem K’erubyjn zu. „Gehen wir einen Augenblick nach draußen, Exzellenz?“, fuhr er dann fort und sah fragend auf den Botschafter.

„Weshalb nicht!“

Es ging bereits auf Mitternacht zu; Nova Angeles lag hell erleuchtet da.

Als die beiden Männer auf den Balkon hinaustraten, zerrte der Wind an ihnen. Hier oben, in schwindelnder Höhe, waren die Geräusche der Stadt nur undeutlich zu vernehmen.

Eere a Saarin trat an die Brüstung und stützte die Hände auf die Mauer. Sein Blick ging hinab zu dem hektisch zuckenden Koloss, den die Stadt für ihn darstellte.

„Entsetzlich“, murmelte er, „diese Anhäufung von Steinen — und doch gewaltig und erhaben in der Gesamtkonzeption. Ihre Rasse, Sir, ist voller Widersprüchlichkeiten und unendlich schwer zu verstehen. Trotzdem sollten wir zu einer vernünftigen und gegenseitigen Anerkennung kommen.“

„Davon bin ich überzeugt“, erwiderte der Präsident. „Aber an uns beiden liegt es nicht. Schwierig wird die Sache erst in drei Tagen, wenn Sie das vollzählig versammelte Kabinett zu überzeugen haben. Aber was soll’s“, sagte John de Celan und legte seine Hand auf Eeres Arm, während ein sanftes Lächeln über sein Gesicht huschte. „Kommen Sie, Exzellenz! Gehen wir zurück zu den anderen.“

Krimi Koffer September 2021 - 7 Krimis auf 1000 Seiten

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