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Die Stille auf der Brücke der SINGA zerrte an den Nerven.

Aufmerksame Augen beobachteten auf den Bildschirmen die Annäherung an das treibende Wrack, das vor einer knappen halben Stunde noch die SINGA mit einem Feuerhagel überschüttet hatte.

Die Feuerleitautomaten hielten die Kanonen genau im Ziel, aber die Detektoren verzeichneten keinerlei Energieemissionen mehr, die auf das Vorhandensein laufender Meiler oder Aggregate hindeuteten.

Alles in dem fremden Schiff musste plötzlich aufgehört haben zu arbeiten, als der letzte Feuerschlag aus den Kanonen der SINGA das Schiff vernichtend traf und es fast der Länge nach aufspaltete. Ein gewaltiger Riss zog sich vom Heck bis hin zur Spitze, die aufgebogenen, zerfaserten Ränder ragten nach allen Richtungen in den Raum.

Nichts deutete darauf hin, dass in diesem Wrack noch Leben herrschte.

Trotzdem blieb Captain Tommaso Corelli misstrauisch, er erteilte seine Instruktionen mit einer Stimme, der man die Spannung anmerkte.

„Achtung! Die Besatzung hat Raumanzüge anzulegen. Helme schließen. Sauerstoff überprüfen. — Renbow!“

„Sir?“ Die Stimme des Waffenwarts klang aus einem Lautsprecher.

„Jeder Mann erhält einen Strahler. Besonders kräftige Leute dürfen einen Zehnmeilenstrahler tragen. Ende!“

John Dunbar, Erster Offizier der SINGA, saß steif in seinem Kontrollsitz. Der ungefüge Anzug beengte ihn.

Einer von Renbows Assistenten reichte ihm nach einem prüfenden Blick einen Zehnmeilendesintegrator, der schon mehr einer kleinen Kanone glich. John befestigte die Waffe umständlich an den Gürtelhalterungen seines Anzuges.

Auf den Schirmen wuchs das Wrack.

„An Maschine. Fliegen Sie Anpassungsmanöver. Ende!“

Jeremias Purcell reagierte augenblicklich auf den Befehl des Captains. Binnen Sekunden trieb die SINGA mit einem Fünftel der Lichtgeschwindigkeit neben dem Wrack dahin.

Minuten vergingen, rundeten sich zu einer Viertelstunde.

John Dunbar fragte sich, was der Captain wohl im Schilde führte, und blickte hinüber zu Tommaso Corelli, dessen hageres Gesicht zerfurcht war. Eben sagte er:

„Leutnant Beaver!“

„Sir?“ Einer der Männer in den Rängen des Auditoriums erhob sich.

„Nehmen Sie sich fünf Männer, und versuchen Sie, mit einem Flugpanzer bis zu dem Loch vorzudringen, das unsere Kanonen in jenes Schilf dort drüben geschlagen haben. Machen Sie sich ein genaues Bild.“

Während John Dunbar die Vorbereitungen über die entsprechenden Bildschirme verfolgte, dachte er, dass Corelli leicht untertrieben hatte, als er von einem „Loch“ sprach. Davon konnte keine Rede sein. Es war vielmehr so, dass man bequem mit den großen Beibooten der SINGA durch den gewaltigen Riss hätte eindringen können, wäre es beabsichtigt gewesen.

Eine halbe Stunde später verließ Leutnant Bill Beaver die SINGA. Er wurde von fünf Waffentechnikern begleitet. Das Absorberfeld ihrer Kampfpanzer flimmerte leicht. In der unteren Polschleuse bestiegen die Männer einen bereitgestellten Flugpanzer.

Die Schleusentore glitten auseinander. Die Kälte des Raumes drang herein und schlug sich sekundenlang als feiner Reif nieder, ehe er vom Vakuum aufgesogen wurde.

Gleich darauf erhob sich das schwere Gefährt etwa fünfzig Zentimeter mit Hilfe seines Antigravfeldes und glitt hinaus in den Weltraum. Die Aggregate des Flugpanzers schickten einen schwach leuchtenden Strom glühender Gase aus, er genügte völlig, die Entfernung zu überbrücken.

Nach mehreren Minuten hatte der Flugpanzer das Wrack erreicht und ließ sich vorerst auf einer gebogenen Metallplatte nieder, die im Schalten eines der vielen seltsamen, nadelförmigen Auswüchse lag.

Die erste Meldung traf ein.

Eine der Bildflächen vor dem Sitz des Captains leuchtete auf, und Beavers Stimme kam aus dem dazugehörenden Lautsprecher. „Achtung! An Zentrale. Hier draußen sieht es grauenhaft aus. Das ganze Schilf scheint nur noch aus Trümmern zu bestehen.“

„Sparen Sie sich Ihre Worte, Beaver“, antwortete Captain Corelli. „Das ist nicht das, was ich hören will. Was ich wissen möchte: Ist etwas von einer Besatzung zu sehen?“

„Nein, Sir!“ Das Gesicht Bill Beavers verschwand für einen Moment von der Bildfläche und wandte sich einem außerhalb des Aufnahmebereichs der Optik sitzenden Mann zu. Aus dem Lautsprecher konnten die Männer in der Zentrale hastigen Wortwechsel vernehmen. Dann wurde Leutnant Beaver wieder sichtbar.

„Sir!“, sagte er etwas außer Atem. „Wie mir eben einer meiner Leute mitteilt, liegt der Körper eines Besatzungsmitgliedes nicht weit von hier. Ich werde den Panzer verlassen und mir die Sache genauer ansehen.“

„In Ordnung, Beaver“, sagte Tommaso Corelli. „Aber schalten Sie die Optik Ihres Raumanzuges ein, damit wir hier im Schiff alles verfolgen können.“

Der Bildschirm wurde dunkel. Als er wieder aufleuchtete, sah man an den Bewegungen, dass nun mit der Aufnahmeoptik des Raumanzuges gearbeitet wurde. Man konnte deutlich verfolgen, wie Leutnant Beaver aus der kleinen Schleuse des Panzers kletterte, vorsichtig nach unten glitt, bis die magnetischen Stiefel einen Halt fanden.

Beaver schritt voran. Verbogene Stahlträger, von der Glut der Strahlprojektoren bläulich-schwarz verfärbt, ragten in den Raum und zwangen den Leutnant zu Umwegen. Dann beugte er sich plötzlich nach unten — und die Männer im Innern der SINGA atmeten hörbar ein. Die Gestalt, die vor Leutnant Beaver auf einer sockelförmigen Erhebung lag, war nur annähernd menschenähnlich. Sie besaß vier Arme, soweit man das noch erkennen konnte, und in dem wuchtigen Kopf saßen ringsum Aufnahmeoptiken: ein Roboter!

Da kam auch schon die Stimme des Leutnants aus dem Lautsprecher, hell und von einer verkrampften Heiterkeit erfüllt.

„Sir! Bei allen Raumteufeln! Die Besatzung scheint aus Robotern zu bestehen. Etwas von meinem Standort entfernt, in einer Art Korridor, kann ich noch eine ganze Menge dieser Roboter erkennen. Offenbar stellt dieses Raumschiff eine fliegende, vollautomatische Festung dar, wie sie auch bei uns schon im Kommen war.“

„Offensichtlich, Leutnant Beaver“, antwortete Tommaso Corelli. Sein Gesicht war nachdenklich geworden.

„Was soll ich tun, Sir?“, hörte man wieder Leutnant Beavers Stimme.

„Wie? Oh, was Sie tun sollen!“ Der Captain schien für einen Augenblick mit seinen Gedanken woanders gewesen zu sein. Aber wirklich nur für einen sehr kurzen Augenblick, denn als er dann sprach, klang seine Stimme hart wie immer.

„Leutnant Beaver! Versuchen Sie, ins Innere des Schiffes einzudringen. Nehmen Sie alles auf, sodass wir hier auf der Brücke die Bilder aufzeichnen können. Und seien Sie vorsichtig! Ich traue dem Frieden nicht. Lassen Sie sich auf gar keinen Fall auf weitere Kampfhandlungen ein, sollten sich Ihnen überraschend mehr von diesen Robotern in den Weg stellen — aktionsfähige, wohlgemerkt. Ende!“

Die darauffolgende Stunde war damit angefüllt, Bilder von den Geräten aufzeichnen zu lassen. In dem fremden Schiff war nichts mehr in Aktion; keine noch so kleine Maschine arbeitete. Die dreifach hintereinander gestaffelte Salve aus den Geschützen der SINGA musste sämtliche Meileranlagen mit einem Schlag zum Erliegen gebracht haben.

Dass keiner der Roboter mehr aktivierbar war, ließ nur den einen Schluss zu, dass sie über keine eigene Energieversorgung verfügten, sondern durch irgendeine jetzt nicht erkennbare Art von Übertragung an das Energienetz des Schiffes angeschlossen waren.

Schließlich beorderte Captain Corelli Leutnant Beaver und seine Männer zurück.

Die großen Segmente der unteren Polschleuse glitten auseinander, als der Flugpanzer in der Schleuse war, schlossen sich die Tore wieder.

Zehn Minuten später nahm die SINGA Fahrt auf. Sie entfernte sich vom Wrack, wurde schneller und schneller, und bald darauf war sie im sternfunkelnden Raum untergetaucht.

*

Vier Tage später verminderte die SINGA ihre Geschwindigkeit. Sie erreichte nach einem weiteren halben Tag ihr Ziel: die Sonne Phi im Sternbild Sagittarius.

John Dunbar eilte mit schnellen Schritten über die breite Treppe, die die einzelnen Plattformen der dreistöckigen Brücke miteinander verband. Drei Bildtechniker saßen vor dem Schirm, der über die ganze Länge der oberen Galerie lief. Auch die Männer der astronomischen Auswertzentrale saßen dort vor ihren niedrigen Pulten.

Die Galerie lag im Halbdunkel.

Der Erste Offizier der SINGA erkannte in dem diffusen Licht Chefnavigator Frank Webster, den Chefmathematiker Delalander sowie Tommaso Corelli.

Es war sechs Uhr dreißig Schiffszeit — also früher Morgen.

John halte gut gefrühstückt und war ausgeschlafen. Deshalb fiel sein Gruß auch etwas aufgeräumter aus als sonst. John stützte die Hände auf das niedrige Gitter, das verhinderte, dass man in den vier Meter hohen Schirm hineinlief, und betrachtete das Planetensystem, auf das die SINGA zuschoss.

Noch immer lag das Schiff auf dem Kurs, den der Computer errechnet hatte; es verfolgte praktisch die Bahn des feindlichen Schiffes zurück.

John Dunbar sah aufmerksam auf den Schirm. Das also war das System, in dem nach Lee y Cross’ Worten die Schiffe von Kartograph Center spurlos verschwunden waren. Eben wälzte sich der äußerste von vierzehn erkannten Planeten ins Bild.

„Nichts auf dem Planeten zu bemerken?“ Das war Delalander.

„Nein, Sir“, antwortete einer der Bildtechniker.

„Machen Sie weiter.“ Das war Tommaso Corelli.

John Dunbar wandte sich an Corelli und sagte: „Etwas ist mir noch rätselhaft!“

„Und das wäre?“ Corelli hob den Kopf.

Nachdenklich erwiderte John: „Aus diesem System soll der robotgesteuerte Raumer gekommen sein, der sich uns so unvermittelt in den Weg stellte — bin ich richtig informiert?“

„Ganz recht“, sagte der Captain und warf einen forschenden Blick auf John. Noch war ihm nicht klar, worauf sein Erster Offizier hinauswollte.

John fuhr fort: „Nun sieht es aber aus, als wären wir einer Täuschung zum Opfer gefallen. Das Robotschiff wies auf einen ungewöhnlich hohen Stand der Technik hin, was sich zumindest in einem regen Funkverkehr zwischen den Planeten äußern müsste. Die Detektoren fangen aber keinen Impuls auf. Nun frage ich Sie: Wie bringt man diese beiden sich widersprechenden Dinge in Einklang?“

Corelli hatte ohne ein Wort der Erwiderung Johns Einwänden zugehört, mit zur Seite geneigtem Kopf, als lausche er einer inneren Stimme. Schließlich aktivierte er einen Schirm der Bordverständigung und rief: „Mister Dukas!“

„Sir?“ Das Gesicht des FuM-Offiziers leuchtete von der Kontrollfläche an Corellis Sitz; Arcangelo Dukas befand sich unten auf seinem Platz.

„Sind Sie ganz sicher, dass das Schiff aus diesem System kam?“

„Ganz sicher, Sir! Das Schiff kam einwandfrei aus diesem System. Die genauen Auswertungen des Bahnberechners ergaben einen Kurs, der hier endete — oder auch seinen Anfang nahm, ganz wie Sie wollen, Sir. Die Daten sind durchaus glaubwürdig.“

„Na, gut.“

Corelli löschte die Verbindung. Er hob den Kopf und sah John Dunbar mit einem spöttischen Lächeln an. „Zufrieden, Mister Dunbar? Oder kann ich noch mehr zu Ihrem Seelenfrieden beitragen?“ Der Captain hob fragend die rechte Braue.

„Das könnten Sie“, gab John zurück. Seinem Gesicht war nichts anzusehen, was er im Schilde führte.

„Wie das?“

„Indem Sie mir endlich die eineinhalbtausend Kredite geben, die Sie mir noch immer schulden ...“

„Verdammt!“, schimpfte Tommaso Corelli aufgebracht. „Sie können einem aber auch auf die Nerven gehen mit Ihrem ewigen Drängen. Sind Sie denn wirklich so sehr auf das bisschen Geld angewiesen?“

„Seit wann“, stellte John die Gegenfrage, „zahlt die Raumwaffe einen Sold, der es einem ermöglicht, in etwa einen angemessenen Lebensstil zu führen?“

„Bleibt noch die Frage, was Sie unter einem angemessenen Lebensstil verstehen?“, brummte Corelli.

„Etwas anderes als Sie, Sir“, erwiderte John. Er konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen.

Corellis Gesicht lief rot an. Er schien eine heftige Erwiderung auf den Lippen zu haben, drängte sie allerdings zurück. Offenbar sah er ein, dass er gegen Dunbar in dieser Form nichts ausrichten konnte. Er wandte sich ab und beschäftigte sich mit der Tastatur auf der Armlehne: die Glocke der Rundrufanlage begann zu schrillen.

„Captain an alle! Achtung! Wir nähern uns dem nächsten Planeten, also der Nummer acht. Ende!“

Tommaso Corelli schaltete den Rundruf ab und richtete dann das Wort an Frank Webster.

„Was meinen Sie zu dem Burschen, Frank?“, begehrte er zu wissen. „Lassen Sie doch die üblichen Daten feststellen. Durchmesser, Dichte, Rotation, Masse und Bahngeschwindigkeit, auch die mittlere Sonnenentfernung interessiert mich.“

Frank Webster manipulierte mit den Tasten an der Lehne seines Sitzes. Eine Fläche leuchtete auf. Dann sprach der Chefnavigator kurz mit einem seiner Assistenten. Minuten später sagte er zu Corelli:

„Die mittlere Sonnenentfernung beträgt 1301,9 Millionen Kilometer. Durchmesser am Äquator 12.453 Kilometer. Fluchtgeschwindigkeit fünfunddreißig Sekundenkilometer und eine Gravitation von nur zweiundneunzig Hundertstel. Die Rotation gleicht der unserer Erde, also vierhundertdreiundsechzig Metersekunden. Die Temperaturen schwanken zwischen plus zwölf Grad um die Mittagszeit und minus fünfundzwanzig Grad während der Nacht.“

„Hm, ziemlich kalte Welt“, murmelte Captain Corelli. Mit einem nachdenklichen Blick fischte er sich aus der Tasche eine zerdrückte Zigarette. Einer der Bildtechniker sprang eilfertig hinzu, ein brennendes Feuerzeug in der Hand. Corelli dankte dem Mann mit einem Kopfnicken, als er seine Zigarette angezündet hatte, und sog den Rauch tief in die Lungen. Irgendetwas schien ihm Sorge zu bereiten.

*

Die SINGA ging in einen Orbit um den Planeten. Schweigend betrachteten die Männer den Planeten auf den Schirmen.

Einöde. Staub, der in riesigen Wolken die Atmosphäre verschleierte. Riesige Ebenen, von Winden überzogen, deren Rauheit Berge zu niedrigen Hügeln abgetragen hatte. Einsamkeit und unendliche Leere und nirgends Anzeichen einer nennenswerten Vegetation. Es schien eine Welt zu sein, die längst gestorben war.

„Ortung! Ortung!“, drang eine Stimme aus seinem Lautsprecher.

Gleichzeitig mit den anderen erblickte John Dunbar die gewaltige Trümmerwüste, die sich vom Horizont her ausbreitete und rund ein Drittel der Frontbildfläche einnahm. Die Stadt musste eine immense Ausdehnung besitzen.

„Gehen Sie tiefer, Mister Dunbar!“ Tommaso Corellis Stimme erinnerte John daran, dass er die Aufgabe eines Piloten hatte.

Lautlos fiel die SINGA aus dem Himmel. Das mächtige Antigravfeld des Schiffes riss wirbelnde Sand- und Staubschleier empor, als es dicht über der Ebene vor der Stadt zur Ruhe kam. Die Hydraulikbeine gruben sich tief in den lockeren Boden ein, als John die Kapazität des Antigravfeldes verringerte.

Der Captain gab seine Anweisungen mit ruhiger Stimme.

Später verließ eine Gruppe von sieben Mann das Schiff über die Rampe. Tosender Wind empfing sie. Bereits nach wenigen Minuten waren die leichten Raumanzüge grau gepudert.

Als das Schleusentor der SINGA hinter ihnen zufiel, überkam John ein seltsames Gefühl, für das er keine Erklärung fand. Ob es Angst war? Langsam schritt er am Ende der Gruppe über den losen Sandboden, auf dem ein spärliches, borstiges Gras wuchs, das unter den Füßen zu winzigen Splittern zersprang. Vor den Männern ragten die nackten Äste verkrüppelter Bäume aus dem wandernden Sand. Dahinter erhob sich die monumentale Silhouette der Stadt. John kniff die Augen zusammen, als er in den Glutball der Sonne starrte, die ihr Licht über die Stadt warf. Wie eine Riesenfackel, dachte er und setzte automatisch Fuß vor Fuß.

Die zerfallene Stadt wuchs.

Vom Sand blank geschliffene Steinquader lugten nun aus den niedrigen Dünen, über die die Männer mit Hilfe ihrer flugfähigen Raumanzüge leicht hinwegsetzten.

Dann standen die sieben Männer auf dem Kamm einer mächtigen Düne, die die Stadt wie ein Bollwerk vorgeschichtlicher Zeit umschloss. John wischte den Staub von der Sichtscheibe seines Helmes, vor ihm breitete sich die Stadt aus. Düster und beängstigend in der Tragik des Todes. Der zerrissene Leib eines Giganten, aufgewühlt und zerfetzt im sinnlosen Wüten.

Wie ein Schock traf John Dunbar die Erkenntnis, dass dieser Metropole die Ehrwürdigkeit des Alters fehlte. Wie ein einziger Schrei, im Schmerz erstarrt, streckte sie sich dem Himmel entgegen.

Als die anderen anhielten, blieb John ebenfalls stehen. Er lauschte den Stimmen, die aus seinem Helmlautsprecher kamen.

„Offenbar wurde diese Stadt durch einen Krieg zugrunde gerichtet“, sagte Maurice Delalander. „Haben Sie nicht auch den Eindruck, meine Herren?“

„Was glauben Sie, Tigwell“, wollte der Captain wissen, „Wann starb diese Stadt?“

Tigwell war Leiter des archäologischen Teams innerhalb der vierzigköpfigen Gruppe der Wissenschaftler. Er hatte darum gebeten, an dieser ersten Expedition teilnehmen zu dürfen. Nun antwortete er auf Corellis Frage:

„Das ist schwer zu sagen. Man müsste ausgedehnte Forschungen betreiben — über einen langen Zeitraum hinweg —, um feststellen zu können, wann diese Stadt starb.“

„Auf den ersten Blick können Sie keine Prognose stellen?“

Tigwell verneinte.

Schweigend stapften sie durch den Sand. Sieben Männer, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Ihre Füße sanken zeitweilig knöcheltief ein.

„Was glauben Sie, Mister Tigwell, wie diese Rasse ausgesehen haben mag?“, erkundigte sich nach einer Weile Corelli bei dem Archäologen.

Tigwell schwieg. Erst nach geraumer Zeit stellte er eine Gegenfrage: „Warum ist sie verschwunden? Vielleicht ...“, der Archäologe sprach den Satz nicht zu Ende. Offenbar hielt er es für verfrüht, jetzt schon Mutmaßungen anzustellen.

Dicht nebeneinander schritten sie weiter.

Ein Schatten huschte über den Kamm einer Düne und verschwand in einem Loch unterhalb einer geborstenen Mauer — irgendein Tier, das vor ihnen floh. John Dunbar blickte unruhig um sich, während sie sich durch die Trümmer bewegten. Er begann sich zu fragen, wie wohl die Rasse ausgesehen haben mochte, als sie noch diese Stadt mit ihrem Leben erfüllte? Dann hörte er, dass schon die ganze Zeit über eine erregte Unterhaltung im Gange war. Aufmerksam geworden, hörte er zu.

„Sie mögen mich nun für einen Phantasten halten, Captain“, klang die Stimme Tigwells aus Johns Helmlautsprecher, „aber wenn Sie sich einmal von allen Vorurteilen frei machten, müssten Sie einsehen, dass ich durchaus recht haben könnte! Sie müssten weiter zugeben, dass die hiesige Architektur der Terra-Anstalten auf Terra sehr ähnlich ist. Daraus wäre zu folgern, dass diese Welt von humanoiden Wesen bewohnt war. Ich gehe sogar so weit und behaupte, dass es Menschen waren!“

Stille herrschte in den Kommunikatoren. Niemand antwortete, niemand widersprach.

Die Männer schritten über den sandbedeckten Belag einer Straße, die als solche nur an den Ruinen der Gebäude zu erkennen war, die sich zu beiden Seiten erstreckten. Längst schon hatte sich der Planet zurückerobert, was ihm die technische Evolution seiner Bewohner entrissen halte.

Stunde um Stunde streiften die sieben Männer von Terra durch die Ruinenstadt. Sie kamen trotzdem nicht viel weiter hinein als in die Randbezirke. Die Ausdehnung der Stadt war zu gewaltig, um je zu Fuß bewältigt werden zu können. Einmal hielten sie vor den Mauern eines noch gut erhaltenen Gebäudes. Die schweren, metallenen Flügel eines großen Portals hingen schief in den Angeln. Hohl klangen die Schritte der Männer auf dem staubbedeckten Fußboden eines langen Korridors. Durch die Fensterhöhlen und Lücken in den Mauern drang Tageslicht.

Sie durchsuchten das Gebäude. Nichts!

Wieder lag unter ihren Füßen eine Straße. Sie wurde von mächtigen, halb zusammengestürzten Säulen begrenzt und führte auf einen weiten, von Sanddünen fast begrabenen Platz.

Dann standen sie vor einem riesigen Tor und starrten in die tiefe Dunkelheit. Vorsichtig bewegten sie sich vorwärts. Einer von Purcells Technikern löste eine starke Handlampe aus der Halterung seines Gürtels: Der grelle Schein beleuchtete eine mächtige Halle und brachte eine seltsame Szenerie zum Vorschein. Der Saal stellte ein Auditorium dar. Der Strahl der Lampe riss schräg hochlaufende Ränge mit einer Vielzahl von Sitzgelegenheiten aus der Dunkelheit.

John Dunbar ließ den Blick über das Bild gleiten — und gleich einem unerwarteten Schock überkam ihn die Gewissheit, dass diese verschwundene Rasse nicht nur planetare Raumfahrt gekannt hatte. Sie musste sogar interstellare Entfernungen überbrückt haben, denn neben den Sitzen, die ein menschliches Wesen — oder zumindest menschenähnliches Wesen — aufnehmen konnten, gab es noch andere. Es durfte nicht in Zweifel gezogen werden, dass sie für Rassen bestimmt waren, die mit den Bewohnern dieses Planeten absolut nichts gemein hatten.

Nach geraumer Zeit brach Tommaso Corelli endlich das drückende Schweigen und sagte:

„Das muss eine Versammlungshalle gewesen sein. Vor langer, langer Zeit hatten hier die Bewohner dieser Welt Beschlüsse gefasst, von denen das Schicksal vieler anderer Planeten abhängig gewesen sein mochte.“

Ja. durchzuckte es John Dunbar, so muss es wohl gewesen sein!

Stille breitete sich in der von den Handlampen nur notdürftig erhellten Halle aus. John Dunbar fuhr ein Schauer den Rücken hinab. Das Gewicht vergangener Jahrhunderte lastete schwer auf seinen Schultern. Von den Rängen des Auditoriums blickten ihn unzählige Geschlechter an, stumm und feindselig, und John begann zu ahnen, dass sie nichts als Eindringlinge waren.

Als schrille Winde den Abend ankündigten, kehrten die sieben Männer in das Schiff zurück.

Krimi Koffer September 2021 - 7 Krimis auf 1000 Seiten

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