Читать книгу Krimi Koffer September 2021 - 7 Krimis auf 1000 Seiten - Alfred Bekker - Страница 49
10
ОглавлениеZehn Stunden waren seit den letzten Ereignissen vergangen. Zehn Stunden, in denen die eine Hälfte der Besatzung eine Ruhepause bekam und die andere Dienst tat. Auch John Dunbar hatte versucht, Schlaf zu finden, war jedoch nach drei Stunden schweißüberströmt wieder aufgewacht. Nun lag er mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf der Liege in seiner Kabine und lauschte der Musik aus dem Bandmonitor.
Ohne es ernsthaft zu wollen, glitten seine Gedanken zurück in die Vergangenheit.
Vor sechzig Tagen war er noch in „Tiger“ Desgrays Spielcasino beschäftigt gewesen. Jetzt schien es ihm, als gehöre diese Erinnerung einem völlig fremden Menschen.
John hatte sich schon so weit von seinem früheren Leben gelöst, dass er manchmal das Gefühl hatte, selbst gar nicht daran teilgehabt zu haben, sondern alles, was geschehen war, wie eine Erzählung empfand. Nur an Sharon Hamilton hatte er eine klare, ungetrübte Erinnerung — er würde sie auch nicht so schnell verlieren. Jedenfalls nicht schnell genug, um Sharon je wirklich zu vergessen. Selbst jetzt noch hörte er ihre stammelnde Stimme, als sie sich an der Haltestelle von ihm verabschiedete, spürte ihren heftigen Kuss, der nach Tränen schmeckte, sah ihre schmale Gestalt, wie sie verloren inmitten des dichten Morgennebels stand und zögernd die Hand hob, während sich der Luftkissenbus in Bewegung setzte, der ihn hinaus zum Raumhafen brachte ...
Sharon!, dachte John mit einem Gefühl der Wehmut. Ob er sie jemals wiedersehen würde?
Die Musik aus dem Monitor wurde vom Summen des Kommunikators übertönt. John Dunbar langte hinüber und stellte das Gerät etwas leiser. Dann hörte er zu.
„Achtung! Hier spricht der Captain. Alle Offiziere zur Besprechung auf die Brücke. Ende!“
John schlug die leichte Decke zurück und setzte sich auf. Er kämpfte einige Augenblicke mit einem Schwindelgefühl. Dann erhob er sich und kleidete sich an. Er schlüpfte in das overallähnliche Unterzeug, in dessen Taschen jene Instrumente untergebracht waren, die einem unter Umständen das Leben retten konnten: ein Radiostethoskop, das jedes Besatzungsmitglied in den Overall eingenäht über dem Herzen trug, Blutdruckmesser, Hochdruckampullen, die im Falle einer Verletzung kreislauffördernde Mittel direkt in die Blutbahn spritzten, und was derlei Instrumente mehr waren.
Darüber kam dann die eigentliche Kombination.
John spürte kaum das Gewicht des flachen Senders in der rechten Oberarmtasche. Er verstärkte die schwachen Ströme der Registrierinstrumente — die durch die Körperwärme betrieben wurden — und ließ sie auf einem Kontrollschirm erscheinen, falls dies erforderlich sein würde.
Der Erste Offizier der SINGA, John Dunbar, zerrte den Magnetverschluss der Uniformkombination hoch und stülpte die Dienstmütze auf den Kopf. Dann schloss sich die Tür seiner Kabine hinter ihm.
John war einer der Letzten, als er die Brücke betrat und sich seinen Platz in den Reihen des Auditoriums suchte, das bis auf den letzten Platz besetzt war.
Als sich Tommaso Corelli räusperte, erstarben die halblaut geführten Unterhaltungen. Stille breitete sich aus, während die Stewards eiligst die letzten Tassen Kaffee brachten.
„Meine Herren“, begann Corelli mit müder Stimme, „wir sind hier zusammengekommen, um über unsere nächsten Schritte zu beraten. Sie alle wissen, was geschehen ist. Sie wissen, dass sich Leben auf dem zweiten Planeten aufhält, wenngleich es uns nicht freundlich gesinnt ist. Aber das war uns schon klar, als wir draußen im Raum von dem fliegenden Fort angegriffen wurden.“
Während der Captain mit leiser, monotoner Stimme weitersprach, sah sich John unauffällig um. Überall fand er die gleiche Sorge auf den Gesichtern der Offiziere — nur drüben bei den vierzig Wissenschaftlern entdeckte er noch etwas anderes: Neugier und ein gewisses Maß an Interesse. Erneut wandte John seine Aufmerksamkeit dem Captain zu, der eben abschließend sagte:
„Wir wissen aber auch, dass sich die vier vermissten Schiffe von Kartograph Center auf diesem zweiten Planeten aufhalten. Es gilt nun vor allen Dingen herauszufinden, ob die Besatzung noch am Leben ist und wie wir sie retten können.“
Tommaso Corelli schwieg. Nach einer Pause fuhr er fort:
„Um ganz sicher zu sein, dass wir nichts außer Acht lassen, dass ferner jeder Einzelne unter uns die Möglichkeit hat, seine Meinung zu dem Thema zu äußern, bitte ich darum, dass Sie sich etwas einfallen lassen. Jede Idee, mag sie noch so abwegig erscheinen, bringt uns etwas näher an das Problem heran und engt den Kreis der Fehler ein. Scheuen Sie sich also nicht, eine vollkommen unorthodoxe Meinung zu vertreten, wenn Sie glauben, sie brächte uns ein Stück weiter.“
Tigwell erhob sich als erster aus seinem Sitz. Er wartete einige Minuten, bis sich die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf seine Person konzentriert hatte, dann sagte er mit lauter Stimme:
„Bevor wir uns Gedanken darüber machen, wie wir eventuelle Überlebende aus den vier Vermessungsschiffen retten könnten, zuerst einige Bemerkungen zur derzeit herrschenden Lage.“
Tigwell begann mit einem weichen Tuch die randlose Brille zu putzen. Er kniff die Augen zusammen und fuhr fort:
„Dieses Planetensystem war — inzwischen dürfte das jedem klar geworden sein — vor vielen hundert Jahren von einer humanoiden Rasse bewohnt. Von einer geistig sehr regen Rasse, die sich mit einer Geschwindigkeit auszubreiten verstand, dass sie binnen weniger Jahrhunderte alle Welten ihres Systems bevölkern konnte und darüber hinaus ihre Fühler zu den Planeten ferner Systeme ausstreckte.“
Die Brille schien endlich sauber zu sein. Tigwell setzte sie auf.
„Äonenlang hatte dieses Volk rege Handelsbeziehungen zu vielen Planeten ferner Sonnen — bis es eines dunklen Tages aufhörte zu bestehen. Ich habe keine Ahnung, durch welche Einwirkungen dies geschehen konnte. Aber es muss ein furchtbarer Feind gewesen sein. Ein Feind, der von außerhalb kam und zunächst auf erbitterten Widerstand stieß.“
„Was berechtigt Sie zu dieser Annahme?“, wurde Tigwell unterbrochen. Der Einwand kam von Keith Davies, dem Feuerleitoffizier. Davies erhob sich aus seinem Sitz und fuhr mit lauter Stimme fort: „Könnte es nicht sein, dass diese Behauptung von Ihnen nur bloße Hypothese ist?“
Ein ärgerlicher Zug erschien auf dem Gesicht des Archäologen. Er sah in Richtung des Feuerleitoffiziers und erwiderte:
„Selbstverständlich haben wir keine Beweise in Form von Aufzeichnungen oder Filmen. Was wir besitzen, sind lediglich Fakten aus Analysen und Untersuchungen. Wir können nur Schlüsse ziehen — aber alles zusammen ergibt ein ziemlich genaues Bild. Führen wir es bis zur logischen Schlussfolgerung weiter, dann können wir sagen: So oder so war es. Im Übrigen haben wir uns nicht allein auf unsere 'Schlussfolgerungen' verlassen. Nein. Wenn Sie Zweifel an der Logik unserer Arbeit hegen, wenden Sie sich bitte an den Chefmathematiker dieses Schiffes. Mister Delalander wird Ihnen bestätigen, dass der Hauptcomputer allein drei Stunden für uns arbeitete. Das Ergebnis dieser doch wohl logisch arbeitenden Maschine versuche ich gerade Ihnen nahezubringen.“ Tigwell blickte grimmig über seine Zuhörer hinweg auf den Feuerleitoffizier. „Noch eine Frage?“
„Danke, nein, Sir!“
„Dieses Volk“, begann Tigwell von Neuem, „hatte sich zu einem uneingeschränkten Machtfaktor innerhalb dieses und wahrscheinlich auch der nächsten Systeme entwickelt — bis es eines Tages verschwand. Aber dazu kann Ihnen Mister Grindlay, unser Soziologe, mehr sagen. Bitte, Mister Grindlay.“
Grindlay erhob sich, nachdem Tigwell wieder Platz genommen hatte.
Der Soziologe war ein kleiner, beleibter und quicklebendiger Mann, der mit einer ständigen Freundlichkeit erfolgreich zu verbergen wusste, welcher Experte er auf seinem Gebiet war. Er begann ohne Umschweife.
„Falls es noch niemandem aufgefallen sein sollte: Alle Welten, auf denen wir landeten, waren leer. Leer in verschiedener Hinsicht. Dieses Volk scheint alles mitgenommen zu haben, was eventuell Hinweise auf seine Kultur, auf seine technische Entwicklung und Reife geben könnte, oder darauf, wie es ausgesehen hatte und wohin es verschwunden ist.“
„Das mag sein“, sagte John Dunbar mit lauter Stimme. „Aber was sind dann Ihrer Meinung nach die 'Räummaschinen', die wir in den zerstörten Städten gefunden haben? Was bedeuten die 'Eisenladungen', die sich auf verwirrenden Bahnen durch dieses System bewegen und eindeutig jenen zweiten Planeten zum Ziel haben, der uns beinahe zum Verhängnis wurde?“
„Sie haben mich nicht ausreden lassen, Mister Dunbar“, erwiderte Grindlay sanft und blickte lächelnd in Johns Richtung. „Gerade das Rätsel der zerstörten Städte und dieser sogenannten 'Räummaschinen', die in Wirklichkeit autonome Verhüttungsmaschinen sind, brachte uns erst auf den richtigen Weg. Es passt alles zusammen: der eine Raumer draußen im All, die leeren, verwüsteten Planeten. Die Roboterkultur, die zu erkennen war. Und so können wir mit einer an Wahrscheinlichkeit grenzenden Sicherheit sagen, dass dieses Volk von einem Feind aus dem Raum angegriffen und völlig aufgerieben wurde. Zurück blieben leere Städte, ausgeplünderte Häuser. Zurück blieb auch jenes gewaltige Fort auf dem zweiten Planeten — eine vollautomatische Verteidigungsanlage. Plötzlich sich selbst überlassen, musste diese Robotkultur zusehen, wie sie die Art erhalten konnte. Nachdem die Rohstoffe auf jenem zweiten Planeten knapp geworden sein mussten, wandte sie sich den anderen Planeten zu. Und als auch da nichts mehr zu holen war, nahm man sich der Städte an, in denen Millionen Tonnen Metall verbaut war. Wir können also annehmen, dass alles, was in diesem System vorhanden ist, nur Überbleibsel einer ehemals regen Kultur sind. Die Herren sind längst vergangen, die Diener blieben übrig.“
Grindlay sprach noch einige Minuten, dann gab er das Wort an seine Kollegen weiter, die alle sehr ausführlich schilderten, was sie über dieses Thema zu sagen hatten.
John Dunbar hörte nur mit mäßigem Interesse zu. Er hatte plötzlich etwas entdeckt, das äußerst merkwürdig war: Neben Tommaso Corelli stand Arcangelo Dukas. Der Nachrichtenoffizier sprach eindringlich auf den Captain ein und deutete mehrere Male erregt auf einige großformatige Bilder, die er dem Captain vorhielt.
Was ging da vor?
Tommaso Corelli bat um Ruhe. In die Stille sagte er mit schwerer Stimme:
„Sie alle irren sich, meine Herren“, er blickte in Richtung der Wissenschaftler, „und zwar gewaltig.“
Der schlagartig aufbrandende Protest aus den Reihen der Wissenschaftler schien Tommaso Corelli nicht zu erreichen Pausenlos prasselten Fragen und auch Vorwürfe auf ihn ein. Corelli schüttelte nur abwehrend den Kopf, während er versuchte, dem Lärm ein Ende zu machen. Schließlich schlug er mit der Faust auf die verbreiterte Armlehne seines Sitzes.
„Ich habe hier“, so rief er mit lauter Stimme und schwenkte die Bilder in der Luft, „den eindeutigen Beweis, dass Ihre Theorie von der verschwundenen Kultur glatter Unsinn ist. Während wir uns mit höchster Beschleunigung aus den Fängen des Traktorfeldes lösten und dabei dicht über die Planetenoberfläche davonflogen, hat unsere kartographische Abteilung Reihenfotos des überflogenen Gebietes angefertigt. Das hier“, er hob die Bilder hoch, „ist das endgültige Ergebnis. Es besagt nicht mehr und nicht weniger, als dass sich dort unten ein Krieg abspielt.
Wir erkennen auf diesen Fotos eindeutig gefechtsmäßig ausgebaute Stellungen, kleine Forts und schnelle, motorisierte Verbände, die miteinander im Gefecht liegen ...“
Jetzt, durchzuckte es John, ist die Bombe geplatzt!
*
„Sie sind wahnsinnig, alle beide!“
„Keineswegs“, erwiderte John, während sich Maurice Delalander mit einem unwilligen Brummen begnügte.
„Sie sind wahnsinnig“, beharrte Tommaso Corelli auf seiner Meinung. Er schüttelte den Kopf. Dann fuhr er fort: „Sie haben keine Chance.“
„Und ob wir eine Chance haben werden“, antwortete John.
Corelli schwieg. Er schien keine Worte mehr zu finden. Dunbar betrachtete den Captain, der abwesend auf die große Bildfläche starrte, die seine Kabine als Fensterersatz schmückte. Auf der Bildfläche war eine „Eisenladung“ mit ihren „Schleppern“ zu sehen. Die SINGA befand sich nahe genug, um alle Einzelheiten deutlich auszumachen.
„Einfach lächerlich“, brach es aus Corelli hervor, „versuchen zu wollen, mit einem Beiboot im Ortungsschatten dieser 'Eisenladung' dort draußen unbemerkt auf dem zweiten Planeten zu landen.“
„Weshalb?“, hielt ihm Delalander entgegen. „Bedenken Sie, dass es unsere einzige Chance sein dürfte, herauszufinden, ob von den Besatzungen der Vermessungsschiffe noch jemand am Leben ist oder nicht. Dort drunten sind womöglich Menschen, die seit Jahren darauf warten, wieder nach Hause zurückkehren zu können. Vielleicht haben sie sogar unser Schiff gesehen! Wissen, dass wir uns in der Nähe befinden und haben neuen Mut, neue Hoffnung geschöpft. Wir dürfen sie nicht einfach aufgeben.“
„Das lag auch nie in meiner Absicht“, erklärte Tommaso Corelli steif und blickte missbilligend auf Delalander.
„Trotzdem dürfen Sie es nicht wagen, Sir, mit der SINGA zu nahe an den Planeten heranzugehen. Ergo bleibt uns nur die von uns vorgeschlagene Möglichkeit. Sind wir erst einmal auf dem Planeten, finden wir schon eine Lösung. Zur Not sprengen wir das Fort in die Luft, in dem sich die Anlage befindet, die das Traktorfeld erzeugt.“
Nach diesen Worten herrschte erneut Schweigen. Plötzlich war ein Rumoren vor der Tür, eine Stimme schimpfte.
Der Captain fuhr hoch, war mit wenigen Schritten an der Tür und riss sie auf.
„Vorsicht, Sir“, kreischte eine Stimme. „Keine hastigen Bewegungen, sonst fliegt der ganze Anzug schon jetzt in die Luft.“
Tommaso Corelli trat hastig einige Schritte zurück. Durch die Tür zwängte sich das Oberteil eines Raumpanzers, der Helm war leer, die stählernen, doch äußerst flexiblen Arme hingen baumelnd von den Seiten. Dann sah man, dass diesem Raumpanzer ein äußerst beleibter Mann folgte. Vorsichtig trug er das Oberteil des Panzers auf seinen Händen, während ihm der Schweiß in Strömen vom Gesicht floss.
„Verdammt, Andrews“, sagte eine sonore Stimme vom Korridor. „Bewegen Sie sich endlich zur Seite, ich möchte auch hinein! Wie oft soll ich Ihnen denn noch sagen, dass die beiden Fusionsbomben niemals in die Luft gehen können, bevor nicht die Zünder eingeschraubt sind? Also machen Sie schon Platz.“
Ein junger Mann mit dem stilisierten Zahnrad der Ingenieure auf der Brusttasche der grünen Kombination trat ein.
„Ingenieurleutnant Hayes und Waffentechniker Andrews zur Stelle!“ Hayes' Stimme klang forsch und schneidig.
„Und?“, fragte der Captain drohend.
„Ich ... verstehe nicht, Sir.“ Der Ingenieur war offensichtlich ratlos.
„Auch wenn du mir zweihundert Uggl-Felle für sie bietest, großer Häuptling — ich kann sie dir nicht überlassen ...“
Hilfesuchend blickte er auf Maurice Delalander und John Dunbar.
Der Chefmathematiker erlöste ihn schließlich von seiner Qual. Zu Corelli gewandt, sagte er:
„Das ist ein Missverständnis, Sir. Ich hatte die beiden eigentlich in meine Kabine beordert, um mir anzusehen, wie sie die beiden Fusionsbomben befestigt haben, die ich mitzunehmen gedenke. Offenbar muss die beiden Männer jemand hierher verwiesen haben.“
„Das bedeutet also, Mister Delalander, dass Sie fest damit gerechnet haben, meine Einwilligung zu bekommen?“
„Nicht gerechnet, Sir“, erwiderte Delalander lächelnd. „Ich habe es vorausgesetzt!“
Es sah aus, als wolle Captain Corelli explodieren. Dann aber verzog sich sein Gesicht zu einem lautlosen Lachen.
„Ich hatte eigentlich schon immer das dumpfe Gefühl“, sagte er mit seiner gewohnten Stimme, „dass Sie, Maurice, einer der Nägel zu meinem Sarg sind. Aber da ich heute gut gelaunt bin, verzichte ich darauf, diesem Nagel die Spitze zu nehmen.“
„Wie sich das trifft, Ihre gute Laune, Sir“, sagte John Dunbar. „Dürfte ich Sie in diesem Zusammenhang einmal daran erinnern, dass Sie mir immer noch eineinhalbtausend Kredite schulden! Es wäre ratsam, das jetzt sofort zu begleichen, denn ich beabsichtige, ein Testament aufzusetzen.“ Captain Corelli wand sich unbehaglich. „Muss das ausgerechnet jetzt sein?“, sagte er schwach.
„Es wäre an der Zeit“, sagte John Dunbar streng.
„Na gut“, murmelte Corelli. „Wenn Sie zurückkommen, werde ich dem Zahlmeister Anweisung geben, dass er Ihnen diese lumpigen Kredite zusammen mit Ihrem Sold auszahlt.“ Corellis Blick fiel auf die beiden Techniker, die mit verständnislosen Gesichtern der Auseinandersetzung gefolgt waren.
„So legen Sie doch endlich diesen Raumpanzer nieder“, fuhr er die zwei an, „und verschwinden Sie dann.“ Als Hayes und Andrews fluchtartig die Kabine verlassen hatten, wandte sich der Captain an Dunbar und Delalander.
„Meinetwegen“, sagte er. „Riskieren Sie von mir aus Kopf und Kragen ...“
*
„John! Unsere Bildschirme sind ausgefallen. Wie ist das möglich?“
Maurice Delalander arbeitete verzweifelt an den Tasten des Kommunikators, ohne jedoch Erfolg zu haben. Die Bildschirme blieben tot.
„Was ist mit den Heckschirmen?“
„Ebenfalls tot.“
„Das gibt es doch gar nicht!“, rief John erstaunt. „Vielleicht ein Defekt am Hauptstromkabel? Was ist mit dem Radarschirm?“
„Der Radarschirm arbeitet nach wie vor“, erwiderte Delalander, „und am Hauptstromkabel kann es ebenfalls nicht liegen, sonst würde hier noch viel mehr ausfallen. Es sieht fast so aus, als hätte man unsere Kameras an der Außenhülle unbrauchbar gemacht.“
„Ich gehe ’raus und überzeuge mich selbst“, entschied John Dunbar nach wenigen Sekunden des Überlegens. Mit energischen Handgriffen schloss er den Helm seines Raumpanzers und überprüfte kurz die Kontrollen, die, zu einer Kommandoeinheit vereint, von der Brust hingen.
Minuten später stand John in dem kurzen, kreisrunden Schacht, der das diskusförmige Beiboot im genauen Mittelpunkt durchzog und oben und unten jeweils mit einer kleinen Schleusenkammer versehen war.
Während er darauf wartete, dass sich das Außenschott öffnete, hörte er Maurice Delalanders Stimme aus dem Helmlautsprecher dringen.
„Seien Sie vorsichtig, John“, sagte der Chefmathematiker.
„Ich werde schon auf mich aufpassen“, erwiderte John und schwang sich geschickt auf die Außenzelle des Beibootes hinaus.
Etliche Augenblicke kämpfte er mit einem Schwindelgefühl; das künstliche Schwerefeld des Beibootes war nur im Innern des Bootes vorhanden, sodass John nur durch die Haftung der Magnetstiefel an der Außenzelle eine Art Orientierungsersatz bekam. Das Schwindelgefühl verschwand nach wenigen Sekunden, und John blickte sich um.
Noch erkannte er nicht das drohende Unheil.
Über seinem Kopf schwebte die dunkle Masse der „Eisenladung“ und verdeckte die Sicht auf einen großen Teil der Sterne. Da das Beiboot knappe zehn Meter darunter im Ortungs- und Sichtschatten der Ladung dahintrieb, hatte John ständig das Gefühl, jeden Augenblick von den Eisenmassen zermalmt zu werden.
Er machte einige vorsichtige Schritte zum Rand des diskusförmigen Beibootes; unter ihm lag das riesige Rund des Planeten, von dünnen Wolkenschleiern überzogen.
Mit knappen Worten schilderte John seine Eindrücke dem lauschenden Delalander, der nur kurze Zwischenfragen stellte.
Seit zwei Tagen waren die beiden so verschiedenen Männer nun schon unterwegs, und die Zeit hatte so etwas wie eine dauerhafte Freundschaft zwischen ihnen geschaffen.
Irgendwo zwischen den anderen Planeten stand die SINGA. Captain Corelli würde genau zehn Tage warten, ob Delalander und Dunbar Erfolg haben würden. Danach wollte er es noch einmal versuchen, mit aller Gewalt auf dem zweiten Planeten zu landen, um festzustellen, was aus den Besatzungen der vier Vermessungsschiffe geworden war — und wenn er dabei den Planeten in Brand stecken musste, wie er glaubhaft versicherte.
In diesem Augenblick vernahm John ein seltsames Geräusch, das jedoch nicht aus dem Lautsprecher drang, sondern als Vibrationen die Außenzelle des Beibootes erschütterte. Er drehte sich um — und erstarrte.
Die Maschine sah aus wie eine fliegende Kreissäge. Vor einem röhrenförmigen Treibsatz saß ein runder Behälter, aus dessen oberen Pol ein hornförmiger Fortsatz wuchs, der das schwirrende Sägeblatt trug. Damit rasierte die Maschine alle hervorstehenden Auswüchse des Beibootes ab. Nun war John auch klar, weshalb keiner der Bildschirme mehr funktionierte: Die „Kreissäge“ hatte die halbrunden Erhebungen, hinter denen sich die Kameras verbargen, glatt abgetrennt. Nun kam sie in einem eleganten Bogen zurück, drehte sich, sodass das Sägeblatt senkrecht stand, und begann damit einen langen, schnurgeraden Schnitt durch die Außenzelle des Beibootes zu ziehen.
„Um Himmels willen, Maurice“, stöhnte John auf, „wir werden von einer fliegenden .Kreissäge“ attackiert!“
Während Maurice Delalander lautstarke Vermutungen über Johns Gehirninhalt äußerte, hatte John den Strahler aus der Halterung genommen und fegte die seltsame Maschine mit einem breitgefächerten Schuss von dem Beiboot herunter.
Im letzten Augenblick sah er im Rückspiegel seines Helmes eine huschende Bewegung hinter sich. So schnell es der Raumpanzer erlaubte, sank John in sich zusammen. Die Schere des fliegenden „Fisches“, deren Stärke und Größe an einen überdimensionierten Bolzenschneider erinnerte, kappte nur ein Stück von Johns Helmantenne, als er über ihn hinwegzischte.
John schoss — und konstatierte erfreut, wie der fliegende „Fisch“ in seine Einzelteile zerfiel. Dann jedoch wurde er von Entsetzen gepackt, als er rein zufällig einen Blick „hinauf“ warf: Um den Block aus massiven Rundstählen wimmelte es von Arbeitsrobotern in allen möglichen Variationen. Dazwischen die „Kreissägen“, deren Aufgabe John plötzlich klar wurde, als er sah, wie sie die hundert Meter lange Einheit aus Metall in kleinere Stücke zerlegten.
Offenbar wurden die „Eisenladungen“ nicht in einem Stück auf die Planetenoberfläche gebracht, sondern schon vorher etwas präpariert. Nur wie brachte man sie dann nach unten? Ob das ungeheuer starke Traktorfeld damit etwas zu tun hatte, das weit in den Raum hinausreichte und der SINGA fast zum Verhängnis geworden war?
John ahnte in diesem Augenblick nicht, wie nahe er der Wahrheit kam, er hatte alle Hände voll zu tun, um sich einer Anzahl winziger Roboter zu erwehren, die mit langen, biegsamen Tentakeln ausgerüstet waren.
Mit hastigen Worten teilte er seine erstaunlichen Beobachtungen dem mittlerweile völlig ernst gewordenen Chefmathematiker mit.
„Kommen Sie sofort zurück,, John!“, rief Maurice Delalander mit sorgenvoller Stimme.
„Ich würde ja kommen“, murmelte John, „wenn mich diese Burschen nur lassen würden!“
Aber dann hatte er es doch geschafft, in die kleine Schleusenkammer zu kommen. Seine Rechte schlug auf die Kontaktplatte mit der Aufschrift „Lukenverschluss“. Langsam sank die Luke herab. Endlich wurde sie von der Hydraulik fest in die Fassung gepresst.
Aufatmend registrierte John, wie die rote Kontrolllampe langsam erlosch und dafür eine grüne Lampe aufleuchtete; die Schleuse füllte sich mit Luft.
In fliegender Eile öffnete John das innere Schott. Dann stürzte er den schmalen Gang entlang nach vorn in die Kabine und warf sich in den hochlehnigen Schalensitz.
„Wir müssen schleunigst von hier verschwinden“, sagte er atemlos zu Maurice Delalander. „Dort draußen wimmelt es nur so von Robotern. Es scheint eine Art Zwischenstation zu sein. Die ,Eisenladung‘, in deren Ortungsschatten wir uns zwei Tage lang verbergen konnten, wird hier auseinandergelegt und in transportablere Einheiten geschnitten. Offenbar haben diese Roboter kein Unterscheidungsvermögen. Mit dem gleichen Elan, mit dem sie sich über die Ladung hermachen, wollen sie auch unser Beiboot in nette, kleine Stücke zerlegen.“
„Dann nichts wie weg“, murmelte der Chefmathematiker. Seine Hände umkrampften die Beschleunigungshebel und schoben sie bis zum Anschlag nach vorn.
Das diskusförmige Beiboot stellte sich auf den vorderen Rand und schoss dann fast senkrecht nach unten auf den Planeten zu.
Bange Minuten verstrichen. Maurice Delalander hatte den ovalen Schirm der Radarortung vor Augen und versuchte, sich mittels dieser ungewohnten Hilfe zu orientieren.
Jeden Augenblick warteten sie darauf, dass ein pfeifendes Geräusch die ersten Ausläufer der Atmosphäre anzeigte — stattdessen wurde ein anderes Geräusch laut und ließ John und Delalander erbleichen.
Ein Ächzen und Stöhnen, ein Reißen und Kreischen ging durch das Beiboot. Die Kontrollen auf dem Instrumentenpult fielen urplötzlich aus, der Antrieb versagte und gleich darauf der Andruckabsorber.
Tief presste die Beschleunigung die beiden Männer in die Sitze. Ein helles Singen wurde hörbar, und plötzlich durchbrach ein schwirrendes „Sägeblatt“ die Decke der Kabine und zog einen Schnitt von zwei Meter Länge. Stählerne Zangen griffen hindurch, bogen die Ränder auf, sodass die Kabinenatmosphäre explosionsartig nach draußen entwich.
Nur der Tatsache, dass sie bereits Raumanzüge mit geschlossenen Helmen trugen, hatten es die beiden Männer zu verdanken, dass sie diesen blitzschnellen Druckverlust lebend überstanden.
„Um Himmels willen“, stöhnte Maurice Delalander auf. „Ich dachte, Sie hätten diese Roboter vertrieben, John!“
„Das dachte ich auch“, erwiderte John, während er die Anschnallgurte löste und mit einem Satz den Schalensitz verließ. „Wir scheinen uns geirrt zu haben.“
Das Dröhnen und Hämmern, das Schneiden und Reißen schien noch lauter geworden zu sein.
„Wir müssen raus!“, schrie John dem Chefmathematiker zu, der wie erstarrt in seinem Sitz hockte und mit aufgerissenen Augen das Zerstörungswerk verfolgte.
John lief hinüber und schlug Delalander kräftig auf die Schulter.
„Faszinierend“, drang Delalanders Stimme aus Johns Helmlautsprecher, „diese Vielzahl von Typen! Und alle scheinen eine genau umrissene Aufgabe zu haben ...“
„Wenn Sie jetzt nicht machen, dass Sie hier verschwinden, Maurice, werden Sie nie mehr Gelegenheit haben, diese Feststellung irgendjemandem mitzuteilen!“, sagte John rau, zog mit übermenschlicher Kraft den schweren Mann aus dem Sitz und stieß ihn vor sich her zum Ausgang.
„Hören Sie zu“, sagte John eindringlich zu Delalander. „Sobald wir den Schacht verlassen haben, geben Sie einen fünf Sekunden dauernden Feuerstoß aus den Flugaggregaten. Das dürfte genügen, uns von dem Beiboot zu lösen. Verstanden?“
Delalander bejahte.
Der schmale Korridor zum Zentralschacht war schnell durchschritten, die Luke öffnete sich allerdings nicht, als Delalander die Kontaktplatte berührte. Erst dann fiel ihm ein, dass mit dem Ausfall der Antriebsenergie und der Kontrollen auch die automatische Öffnungsvorrichtung der Schachtluke nicht mehr funktionieren konnte. Mit ärgerlichem Gemurmel machte sich der Chefmathematiker an dem schweren Rad zu schaffen, das ein Öffnen von Hand gestattete.
„Schneller, schneller!“, trieb ihn John Dunbar an, als er entsetzt bemerkte, dass sich die ganze linke Seitenwand des Korridors nach außen bog, als wäre sie aus Pappe.
Als die Wand nachgab, waren John und Delalander bereits im Schacht verschwunden. Noch einmal wurden sie aufgehalten, als es galt, die untere Schleusenkammer ebenfalls mit Handrädern zu öffnen; dann fielen beide Männer in den freien Raum.
John brachte seinen Körper mit einigen „Schwimmbewegungen“ in die richtige Position. Dann wartete er, bis Delalander mit dem Zählen fertig war. Gleichzeitig mit dem Chefmathematiker feuerte John einen fünf Sekunden dauernden Energiestrom aus den Flugaggregaten.
Ihre Fahrt verzögerte sich. Das Wrack des Beibootes entfernte sich schnell aus ihrem Sichtbereich, mit ihm die Roboter. John Dunbar, und Delalander waren allein. Erst langsam, dann immer schneller werdend, fielen sie der Oberfläche des Planeten entgegen.
*
Um sie herrschte Chaos.
Es war urplötzlich über sie hereingebrochen, kaum dass sie ihren Fuß auf den Planeten gesetzt hatten.
Während des langsamen Abstiegs, wobei sie zweimal den Planeten umkreisten, trachteten sie danach, in der Nähe jenes gewaltigen Forts herunterzukommen, das der SINGA bald zum Verhängnis geworden wäre.
Nun lagen sie seit zwei Stunden in einem weiten Tal, das den Eindruck eines ausgetrockneten Flussbettes machte, der Boden war bedeckt von Geröllmassen und rundgeschliffenen Felsen. In Längsrichtung des Tales konnten sie am Horizont gerade noch die schwarzen Mauern der riesigen planetaren Festung sehen.
Dunbar und Maurice Delalander lagen in Deckung eines großen Felsens und waren dabei, eine Bestandsaufnahme ihrer Tascheninhalte zu machen, als sich etwa vierhundert Meter von ihnen entfernt eine ganze Anzahl gepanzerter Fahrzeuge über den Hügelrücken schoben.
Die Tanks hatten die Form von Pontons. Etwa im vorderen Drittel saß obenauf eine Geschützkuppel, aus der ein enorm langes Rohr ragte. An den Schmalseiten entlang waren kleinere Kuppeln zu sehen, aus denen Zwillingsläufe blickten.
Mit großer Schnelligkeit bewegten sich die Tanks knapp über dem Boden schwebend, ohne dass Gleisketten oder ein entsprechender Ersatz festzustellen waren. Offenbar glitten sie mit Hilfe eines Antigravfeldes dahin. Und sie kamen direkt auf die Männer zu.
Delalander drehte sich zu John Dunbar herum.
„Sehen Sie ...“, sagte er und wies mit dem Kinn in die Richtung der lautlos herankommenden Fahrzeuge.
„Ich sehe“, sagte John und blickte den Tanks entgegen. Er hatte den Helm auf den Rücken geklappt; die Luft war kühl und roch nach Moder.
„Aber ich kann nicht daran glauben“, fuhr John fort, „dass sie unsertwegen gekommen sind. Der Aufwand ist einfach zu groß für zwei Männer in Raumanzügen.“
Trotzdem duckte sich der Erste Offizier der SINGA tiefer in seine Deckung, als einer der Tanks anhielt, sich zögernd nach rechts bewegte und schließlich in die Deckung einer Felsbarriere glitt.
Man hörte jetzt, nur zweihundert Meter entfernt, das dumpfe Brummen der Maschinen.
Die anderen Kolosse scherten in einer weit auseinandergezogenen Linie aus und blieben dann ebenfalls stehen. In die Rohre kam Bewegung.
„Sie zielen nicht auf uns“, sagte Delalander.
John Dunbar schüttelte schweigend den Kopf.
In diesem Augenblick begannen die Geschütze des ersten Tanks zu feuern. Der gepanzerte Koloss erzitterte unter der Abschussserie der Doppelläufe. Das Hämmern der Detonationen machte die beiden Männer halb taub.
Dann hörte das Feuer auf, ebenso abrupt, wie es angefangen hatte. Die Rohre der rund fünfundzwanzig Tanks standen still.
Zehn Sekunden lang geschah nichts.
Delalander und John Dunbar wühlten sich noch tiefer in ihre Deckung ein und spähten über den Rand hinaus. Wie eine schwarze Kette schwebten die Maschinen gut hundertfünfzig Meter vor ihnen schräg den Abhang herunter, der erste Tank stand noch auf dem Hügel, der letzte war schon im Tal.
Wieder begann der Beschuss.
Aus dem Rohr des Tanks, der wie ein Herrscher auf dem Hügel stand, löste sich eine grelle Stichflamme. Als der Donner der Detonation an die Ohren der Männer schlug, war das Geschoss schon auf der langen Parabel. Es heulte die Länge des Talgrundes hinunter und detonierte weit entfernt und offenbar ohne ein Ziel gefunden zu haben. John Dunbar konnte dort, wo das Geschoss eingeschlagen war, nichts von einem Gegner erkennen.
Der zweite Tank feuerte. Dann der dritte, der vierte.
Zweiundzwanzig harte Schläge erschütterten die Felsen. Schwere Steine polterten den Hang hinunter. Der letzte Tank unten im leeren Flussbett wurde vom Rückstoß seines schweren Kuppelgeschützes zwei Meter zurückgeworfen.
Dann feuerte wieder der erste.
„Was um alles in der Galaxis geht hier vor?“
Maurice Delalanders brüllende Stimme übertönte den Geschützdonner nur mühsam.
„Das ist eine ausgewachsene Panzerschlacht!“, brüllte John Dunbar zurück. „Sie scheinen irgendetwas dort unten im Flussbett unter Beschuss zu nehmen — aber was?“
„Sie erhalten kein Gegenfeuer. Was also soll das Ganze?“, rief Delalander.
„Vermutlich das alte Lied — ein Krieg zwischen ein und derselben Rasse, in den wir mit echt terranischer Sturheit mitten hineingeschlittert sind.“
Delalander grinste.
„Gefallen ...“, sagte er. „Nicht geschlittert!“
Die Tanks rückten jetzt um hundert Meter vor.
Dieser Stellungswechsel ging vollkommen lautlos vonstatten. Einhundertzwanzig Meter ... Dann hielten die Tanks wieder an.
Die Reihenfolge der Schüsse wiederholte sich.
Der Talgrund schien zu wanken, und die Erschütterungen ließen den Felsen hinter den Männern schwanken. Es roch nach Ozon und den verschiedensten Gasen. Hin und wieder zog eine Hitzewolke über die Köpfe der beiden Männer.
John betrachtete nachdenklich den feinen Belag auf seinem Raumpanzer.
Plötzlich stieß Maurice Delalander einen erstickt klingenden Laut aus.
Aufmerksam geworden, folgte John dem ausgestreckten Arm des Mathematikers, der in das Flussbett wies.
Weit vor ihnen, dort, wo die Einschläge der feuernden Tanks lagen, erhob sich mit einem schrillen, fauchenden Geräusch eine dunkle, drohende Masse aus dem Felsgrund.
Binnen Sekunden schälten sich aus dieser Masse weitere Einzelheiten heraus: kantige Mauern, kuppelförmige Erhebungen, über die noch Staub und Geröll herabflossen.
Ein unterirdisches Fort!, durchzuckte es John Dunbar, versteckt in den Tiefen des Planeten, um sich überraschend dem Gegner in den Weg zu stellen.
John fühlte, wie sich fern in seinen Überlegungen eine Idee bildete. Aber ehe er ihr nachgehen konnte, geschahen zu viele Dinge gleichzeitig.
Plötzlich zuckte vom Fort ein nadelfeiner Strahl herüber. Erlosch wieder, zuckte ein zweites Mal. Dann sahen die beiden Männer, dass er wanderte. Er schien genau gesteuert zu sein; je eine Sekunde verharrte er an der Stelle, an der eben noch die Tanks gestanden hatten. Der letzte Lichtblitz schmetterte in den Tank, der im Flussbett stand.
Die Kuppel wirbelte, von einer ungeheuren Kraft getroffen, davon.
Der Tank selbst bäumte sich auf, neigte sich zur Seite und blieb liegen.
Die anderen Tanks glitten schnell zur Seite und entgingen so der Vernichtung. Dann begannen sie erneut mit dem Beschuss des Forts.
John Dunbar beobachtete den vernichteten Tank. Er wartete darauf, dass die Besatzung aus den Luken springen würde — aber nichts dergleichen geschah.
Die Kette der Tanks zog sich nun etwas mehr auseinander, sodass eine andere Kampfmaschine den Platz des vernichteten Panzers ausfüllte. Keine dreißig Meter vor den Männern begann das Ungetüm zu feuern. Es stand am Ende eines langen Feldes zusammengeschobener Platten, die ehemals zu einer Uferbefestigung gehört haben mussten.
John fühlte, wie sich die vage Idee in seinen Überlegungen erneut zu formen begann.
Er sah wieder die verwirrende Anzahl bizarr geformter Robots, die das Beiboot der SINGA in Schrott verwandelt hatten, sah die Auswirkungen des mustergültig gehaltenen Traktorfeldes, dem die SINGA fast erlegen wäre, sah die Robots, die auf dem zuerst aufgesuchten Planeten die Stahlstangen verladen hatten ... Er drehte sich um und stieß Maurice Delalander in die Seite.
Der Mathematiker wischte sich den Staub aus den Augen, hustete und drehte sich herum.
„Ja?“, brüllte er zwischen zwei Abschüssen.
„Wir sollten versuchen, einen Tank zu entern!“, schrie Dunbar.
Maurice Delalander blickte erstaunt auf den Ersten Offizier. Dann deutete er vielsagend an seine Stirn.
„Haben Sie Selbstmordabsichten?“, gab er mit lauter Stimme zurück. „Hier liegen wir doch in immerhin relativ sicherer Deckung!“
Der Luftdruck mehrerer Detonationen überschüttete die Männer mit einer Ladung Kies.
John Dunbar hatte blitzschnell die Arme über den Kopf gelegt. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass keine Steine mehr geflogen kamen, brüllte er zurück:
„Haben Sie seit einem Vierteltag ein einziges Lebewesen außer mir gesehen?“
Delalander schüttelte den Kopf. „Sehen Sie!“ Der Erste Offizier der SINGA erlaubte sich ein kleines Lächeln. „Ich glaube, dass niemand in diesen Tanks ist. Es sind Automaten!“ Delalander schien auf einmal zu ahnen, woran Dunbar dachte.
„Sie denken an die Robots und die Reisemaschinen“, klang seine dunkle Stimme auf, „die den Trümmerschutt aller zerstörten Städte auf jeder dieser Welten siebten?“
„Richtig!“, schrie John Dunbar. Der hämmernde Salventakt der wieder vorrückenden Tanks übertönte fast jedes andere Geräusch.
Schweigend duckten die beiden Männer sich wieder und schätzten die Entfernung zwischen sich und dem Tank ab, der nun unmittelbar im Flussbett stand. Sie war durch das erneute Vorrücken auf zwanzig Meter zusammengeschrumpft und konnte in Deckung zurückgelegt werden.
Durch den Staub, den Rauch und die wirbelnden Sandfontänen sah John Dunbar die Reihe der Kampfmaschinen, die sich schräg den Hügel hinaufzog. Die Sonne berührte eben den Kamm des Hügels und überflutete den Schauplatz dieser Kampfhandlungen mit mildem, rötlichem Licht.
Delalander rückte näher an Dunbar heran, wartete einen Abschuss des Tanks ab und sagte dann laut: „Vermutlich haben Sie recht. Aber wie wollen wir hineinkommen?“
„So wie ein Robot, der diese Kriegsmaschine reparieren muss, falls sie einmal ausfällt. Ich habe zwar eine abwegige Theorie, aber ich glaube dennoch, dass wir den Tank entern können. Eine Klappe wird sich finden. Vermutlich wird das Fort dort hinten von einer intelligenten Rasse bewohnt, die sich gegen die Robots wehrt. Es kann immerhin sein!“
Delalander lächelte irgendwie verloren. „Gut“, stimmte er zu. „Versuchen wir es — aber Sie sind schuld daran, wenn meine Enkel diese Geschichte nicht erfahren werden.“
John lachte kurz und grimmig.
Sie setzten die Raumhelme wieder auf, probierten die Funkgeräte aus und schalteten dann die Außenmikrophone ab, der Lärm verstummte fast augenblicklich.
„In der Deckung der Platten bleiben, Maurice“, sagte Dunbar scharf. „Ich mache den Anfang. Sichern Sie nach hinten.“
„Geht in Ordnung, John!“
Die Männer glitten unter ihrem Felsen hervor, huschten hinter die Platten und waren Sekunden später neben dem Panzer.
Unmittelbar neben John war die graue Bordwand, kleine, viereckige Vertiefungen luden förmlich zum Emporklettern ein.
„Ich versuche es!“, erwiderte Dunbar ruhig und kletterte, so schnell er konnte, über die abgeschrägte Bordwand hinauf. Er erreichte ohne Schwierigkeiten einen freien Platz hinter einer der kleineren Drehkuppeln, hielt sich an den schweren Panzergriffen fest und streckte die Hand aus. Mit einem wilden Ruck riss er Delalander zu sich herauf und deutete dann auf die erhabene, etwa einen Quadratmeter große Platte vor ihnen.
Stiller Triumph leuchtete aus seinen Augen. „Da, sehen Sie! Scharniere, ein Hebel und Reihen von Panzerkopfnieten ... Warum sollten wir nicht hineinkommen?“
Er bückte sich, riss an dem Hebel und spürte, dass er ihn anzog, anstatt ihn zu lockern.
Ein zweiter Griff drehte den langen Hebel in die richtige Stellung, und hydraulisch hob sich die Platte. Ebenso automatisch schob sich eine Leiter mit breiten, aber kurzen Sprossen aus der Tiefe des darunterliegenden Raumes. Sie war nicht für menschliche Füße gemacht.
Schweigend kletterten John und Delalander hinein, die Platte blieb offen.
Der Panzer war tatsächlich eine vollautomatische Maschine, die niemand bediente. Sie schien ferngesteuert zu werden. Kein Sitz. Keine Polster. Nur Gitter, Verbindungen und vielfarbige Kabelbäume. Ein einziges Instrument war zu sehen in dem runden Raum — eine ebenfalls runde Zieleinrichtung, die jene Fortmauern deutlich und kreideweiß zeigte. Darunter befand sich ein halbrunder Buckel, auf dem einige Lichter glühten. Nun glomm eine rote Lampe neben der Zielvorrichtung auf, gleichzeitig spürten die Männer, wie sich irgendwo um sie ein Transportband bewegte, eine Granate lud, dann schlug der harte Ruck eines Abschusses durch die Maschine, ließ die Männer taumeln und die Maschine vibrieren.
Mit einem Grinsen wandte sich John an Delalander. Seine hochgezogenen Augenbrauen schienen zu fragen: Na, was habe ich gesagt!
„Des Rätsels Lösung — ferngesteuert“, sagte Delalander. „Aber warum? Vielleicht kämpft eine Partei nicht selbst, sondern lenkt die Robottruppen aus einem sicheren Versteck. Was machen wir jetzt?“
Dunbar überlegte kurz. Dann sagte er entschlossen:
„Können Sie versuchen, den Panzer zu lenken?“
„Versuchen kann ich es, aber ich weiß nicht, ob ich damit Erfolg habe. Die einzige Hoffnung ist eine Testschaltung, die bei Reparaturen verwendet werden könnte ... wenn diese Robots oder die Lenker dieser gepanzerten Ungetüme annähernd mit Denkschemata arbeiten, wie es beispielsweise ein irdischer Mathematiker tut.“
Sie sahen sich in dem Raum um. Er war eine vollkommene Kugel, ausgerüstet mit vielen Kabeln, dem Zielschirm und der Halbkugel darunter und mit einem Rost am Boden, auf dem die Männer standen.
Delalander suchte den Raum ab, fand nichts und klappte, nachdem er John mit einem unwilligen Brummen zur Seite gedrängt hatte, die Hälfte des Rostes hoch. Vor seinen Augen, im Licht des Helmscheinwerfers, befand sich eine Batterie von verschiedenen Hebeln und Rädern.
„Mehr als uns selbst in die Luft sprengen können wir nicht“, stellte er fatalistisch fest und bewegte einen der Hebel. Das Ziel auf dem runden Schirm vergrößerte sich.
„Nichts!“, sagte John. Dann kletterte er ein Stück die Leiter hinauf und steckte seinen Kopf ins Freie. „Versuchen Sie es weiter.“
Knappe zwei Minuten später hatte Delalander den Hebel der Geschwindigkeitsregulierung und die Steuerung entdeckt. Er bewegte beide, und John sagte ihm die Richtung an. Die schwere Maschine feuerte ferngesteuert zwei Schüsse hintereinander ab und schoss dann vorwärts.
Die anderen Tanks blieben stehen und setzten den Beschuss des Forts fort. Wenn sie programmiert waren, dann besaßen sie keine Schaltung, die jetzt zur Wirkung kam.
Der Tank, in dem sieh John und Delalander aufhielten, zog schräg den Hang hinauf. Er raste über die Kuppe und näherte sich in einem gewaltigen Bogen, stets nach Möglichkeit eine Deckung benutzend und mit einer geschätzten Geschwindigkeit von siebzig Stundenkilometern, dem Fort. Delalander steuerte, ohne etwas zu sehen, und John blickte hinaus und gab Richtung und Hindernisse an. Wenige Minuten später schoben sie sich während einer mit aller Heftigkeit geführten Gegenwehraktion des Forts heran. Dicht über ihnen zischten die Balken der Energiefinger hinaus und trafen die Angreifer.
„Wir sind da, Delalander“, sagte John und: „Rechts!“
Der gewaltige Tank schleuderte etwas und umfuhr einen schwarzen Block, der hier den Abschluss der Mauern bildete. Dicht über dem Boden raste der Tank in eine Art Hof hinein, der vier kahle Wände besaß und einen Durchgang in einer der Mauern, durch den sie eben gekommen waren. Dicht vor einer der ansonsten fugenlosen Wälle hielt der Tank an.
„Wir sind da“, wiederholte John Dunbar und fuhr fort: „Aber deshalb sind wir nicht klüger als vorher.“ Delalander kletterte die Leiter hoch und steckte seinen Kopf ins Freie.
„Hm“, brummte er. „Sie haben recht, John.“
Der quadratische Hof war tatsächlich leer. Die Wände ringsum zeigten keinerlei Einkerbungen oder Vertiefungen, die auf versteckte Öffnungen hinwiesen.
Dunbar und Delalander sprangen in den Sand hinunter und sehr schnell zur Seite. Der Tank wendete auf der Stelle, beschleunigte und raste den Weg zurück, den er gekommen war.
Die beiden Männer starrten ihm leicht erstaunt nach, sahen, wie er auf eine etwa dreihundert Meter entfernt liegende kahle Hochfläche zuglitt, die Türme in Richtung des Forts drehte und wild zu feuern begann.
Zwei Minuten lang schossen sämtliche Rohre des Tanks kleine und große Projektile gegen die Außenmauern des Forts, zerpflügten das Vorfeld, rissen tiefe Furchen in die stumpfschwarzen Flächen, dann schmetterte ein fauchender Blitz in den Tank und zerstörte ihn augenblicklich. Das Metall begann hellrot aufzuglühen — schließlich zerbarst das gepanzerte Ungetüm.
„Verstehen Sie das, Delalander?“, frage John entgeistert.
„Noch nicht“, erwiderte der untersetzte Mann.
„Ein Fort, das aus dem Boden auftaucht, befindet sich im Kampf gegen ferngesteuerte oder robotische Tanks ... Nirgends ist ein lebendes Wesen zu sehen. Ich weiß wirklich nicht, ob ich im Moment träume oder nicht“, sagte John langsam.
Maurice Delalander schlug ihm gegen den Arm und erwiderte sarkastisch:
„Drehen Sie sich doch um. Dann werden Sie vermutlich erkennen, dass Sie nicht träumen, obwohl diese Gestalten ...“ Er vollendete den Salz nicht.
John Dunbar fuhr herum.
Vor ihm in der Mauer hatte sich ein Loch geöffnet, etwa acht mal sechs Meter groß. Aus diesem Loch quollen förmlich Scharen von Robotern, die in sämtlichen Kombinationen aller möglichen geometrischen Formen glänzten und schillerten. Sie umschwirrten oder rollten um die Männer herum, blieben stehen und richteten leuchtende Facettenaugen auf deren Gestalten. Metallarme fuhren prüfend über das Material der Raumpanzer und klopften gegen das Glas der transparenten Helme.
Delalander kicherte fast hysterisch und murmelte dann: „Herein ohne anzuklopfen!“
„Halten Sie den Mund!“, sagte John Dunbar scharf.
Die über hundert Roboter waren in unaufhörlicher Bewegung. Sie schwebten um und übereinander, betasteten die Raumfahrer und bildeten dann einen Halbkreis. Sie schoben und drängten die beiden Männer schließlich langsam dem Loch in der aufragenden Mauer zu.
„Offenbar bringen sie uns zum Chef!“, sagte John Dunbar und versuchte Humor in der Situation zu entdecken.
Noch verspürte er mehr eine Art Belustigung als Furcht. Und noch hatte er keinen Grund gefunden, sich mittels Waffengewalt von den sie umzingelnden Robots zu befreien. Trotzdem legte er nun die Finger in den gepanzerten Handschuhen auf die Kolben der schweren Strahlwaffe.
„Sie meinen, man bringt uns zum Oberrobot?“, erkundigte sich der Mathematiker.
„Ich sagte es bereits.“
„Also auch hier nichts anderes ...“, murmelte Delalander und ging auf das breite, dunkle Band zu, auf dessen Seiten eingebaute Beleuchtungskörper hell strahlten. Das Band führte in die Tiefen dieses schwarzen und geheimnisvollen Abwehrforts hinein.
„Was nun?“, meldete sich Delalander wieder.
„Warten wir’s ab“, sagte Dunbar. „Aber ich glaube, ich kann Ihnen schon jetzt versprechen, dass sich Ihre Enkel freuen werden über die Geschichte, Delalanderchen.“
„Sie Blödmann“, sagte Delalander freundlich. „Interessanter kann es kaum werden.“
Maurice Delalander sollte erfahren, wie sehr sich ein Mensch irren kann ...
*
Die Schrägfläche nahm scheinbar kein Ende.
Sie sank immer tiefer, umrundete schließlich etwas, das eine mächtige Säule hätte sein können, und endete vor einer stählernen Platte. Die Roboter hinter den beiden Männern waren weniger geworden. Der Rest war jedoch noch zahlreich genug — und gefährlich genug.
Die Stahlplatte im Boden versank.
Die Raumfahrer wurden weitergetrieben.
Sie kamen in einen schweren Materiallift, der sich lautlos und sehr schnell in Bewegung setzte, in die Tiefe sank, anhielt und schließlich endgültig bremste. Die Vorderfront hob sich, und die zwei Männer sahen sich einem gigantischen Saal gegenüber, der bis an die Sichtgrenze zu reichen schien.
Die Robots verschwanden im Lift. Die Platte schloss sich, der Lift entfernte sich, und jeder Weg nach oben war den Männern versperrt. Und in diesem Augenblick kamen zwei Gestalten auf die Raumfahrer zu — humanoide Wesen in schwarzen Gewändern.
„Endlich“, murmelte Delalander. „Ich kann mir vorstellen, was geschehen ist. Die Roboter haben uns als Nichtrobots identifiziert, und diese Wesen hier sind es ebenfalls. Daher stehen wir hier. Einverstanden?“
John Dunbar nickte unter dem Helm.
„Ihre Erklärung hat etwas für sich, Maurice“, sagte er anerkennend.
Die beiden Schwarzgekleideten kamen langsam und schweigend näher. Auf ihren kahlen Schädeln glänzte das Licht der hohen Halle.
Die Planetarier waren menschlich, stellte John fest, während er jede Einzelheit ihrer Gesichter registrierte.
Was die beiden vom Menschen unterschied, waren die Augen, die keine Lider aufwiesen.
Die beiden Planetarier blieben wenige Schritte vor den Raumfahrern stehen, in ihren Augen stand Misstrauen. Dann sagte der links Stehende einen Satz in einer Sprache, die zum überwiegenden Teil aus Gaumenlauten bestand.
„Antworten Sie, Maurice!“, forderte John Dunbar den Mathematiker auf. Die Falte über der Nasenwurzel des Ersten Offiziers der SINGA hatte sich vertieft.
„Wie ... Was soll ich?“ Delalander glaubte, sich verhört zu haben.
„Antworten sollen Sie“, belehrte ihn Johns Stimme über den Kommunikator. „Schlagen Sie den Helm zurück. Machen Sie ein freundliches Gesicht, und sagen Sie meinetwegen einen Satz aus der Edda auf.“
„Und wozu das Ganze?“
„Um den Leuten klarzumachen, dass wir in friedlicher Absicht gekommen sind“, sagte John Dunbar.
„Gekommen ist gut“, knurrte der Mathematiker gereizt, tat aber dann doch, was ihm John geraten hatte.
*
Der Raum enthielt nichts als eine Anzahl rechteckiger, gepolsterter Schemel, ansonsten war er leer.
Seit zwei Stunden sprachen sie miteinander: Delalander, John Dunbar und eine Abordnung von fünf Männern der bleichen Bewohner jener endlosen Halle unter dem Fort.
Zweimal sechzig Minuten, in denen die Raumfahrer viel erreicht hatten.
Die Übersetzer, die in den Brustteilen der Raumpanzer eingebaut waren, hatten mittlerweile die Sprache der Planetarier analysiert und die wichtigsten Regeln herausgefunden.
Man konnte sich zwar nur langsam, aber dafür verständlich ausdrücken.
John und Delalander hatten inzwischen erfahren, dass sich die Planetarier als A’schbyaner bezeichneten. Die Sonne ihres Systems nannten sie A’schby, der Planet selbst trug die Bezeichnung A’schby II.
Die beiden Raumfahrer hatten die Helme abgenommen und neben sich auf den Boden gelegt; Maurice Delalander rauchte nervös, während John Dunbar nachdenklich auf den A’schbyaner blickte, der sich als Cefuth vorgestellt hatte und Wortführer der Abordnung war. Was John von Cefuth erfahren hatte, warf alle seine Überlegungen hinsichtlich der herrschenden Lage über den Haufen.
„Die Tatsache“, begann nach einer Weile John Dunbar, „ist grauenhaft, wenn sie auch nicht einer gewissen makabren Komik entbehrt. Wie lange, sagst du, Cefuth, befinden sich deine Artgenossen sozusagen im Untergrund?“
Der A’schbyaner blickte ihn aus seinen lidlosen Augen an und antwortete langsam:
„Seit etwa vier Jahrhunderten.“
Delalander stieß gleichzeitig mit einer Rauchwolke einen überraschten Laut aus.
„Vier Jahrhunderte ohne Sonne“, sagte er. „Vier Jahrhunderte Leben im Schatten. Ihr konntet niemals an die Oberfläche?“
„Nein! Die Robots erlauben es nicht.“ Grenzenloser Fatalismus und jahrhundertealte Resignation klangen aus der Antwort.
„Die Robots versorgen uns zwar mit allem, was wir zum Leben brauchen, aber sie lassen uns nicht an die Oberfläche. Wir dürfen lediglich beobachten, wie sie pausenlos kämpfen.“
Die Robots waren die Vollstrecker eines wahnsinnigen Krieges, der vor vierhundert Jahren begonnen hatte. Aus einem vorerst planlosen Vorgehen war mittlerweile perfekteste Logik geworden. Aus Krieg wurde ein großes, vernichtendes Spiel.
Zuerst waren die Planeten voller Leben ..., erzählte einer der A’schbyaner, und die anderen unterbrachen ihn, wenn er etwas vergaß. Dann begannen zwei Völker einen Krieg gegeneinander, und sie kämpften, da sie hochtechnisiert waren, nicht selbst, sondern durch Roboterheere. Alle Arten von Robots wurden eingesetzt, mit jeweils einem mächtigen Steuergehirn der beiden kriegführenden Parteien. Der Kampf endete mit dem Sieg derjenigen Menschen, deren Rest hier unten und unter jedem anderen planetaren Fort sein Dasein fristete.
Dann versteckte sich der Verlierer und rüstete im Geheimen auf ...
Er begann einen erneuten Angriff. Wieder wurden Robots eingesetzt, und die zwei Wirtschaftssysteme beobachteten den Kampf auf den Bildschirmen ihrer unterirdischen Festungen und lenkten die Armeen aus Stahl und Plastik gegeneinander. Bis sich eines lang zurückliegenden Tages eines der Hirne einschaltete und den ersten logischen und siegversprechenden Befehl seiner Herren widerrief. Von da ab begann das große Spiel, dem sämtliche Planeten zum Opfer fielen.
„Die Roboter wurden“, sagte John Dunbar verblüfft, „selbständig und kämpften sozusagen, weil sie irgendwie erkannt zu haben glaubten, dass es euch Spaß macht?“
Die A’schbyaner nickten, und Cefuth sagte:
„Von einem gewissen Zeitpunkt an ersetzten sie sich selbst, bauten und reparierten sich selbst, und ehe wir es uns versahen, hatten die beiden Hirne die Leitung übernommen.“
„Wollt ihr damit sagen“, erkundigte sich John, „dass sie euch das Gesetz des Handelns abgenommen haben?“ Schweigende, gedrückte Zustimmung.
„Die Gehirne waren es, die allem die Krone aufsetzten“, mischte sich Delalander ins Gespräch und zeigte, dass er Mathematiker war und um die Möglichkeiten von Denkmaschinen wusste. „Sie vereinigten sich, ohne dass ihr etwas davon erfuhrt, setzten euch unmerklich außer Gefecht und degradierten euch zu bloßen Beobachtern — in der Annahme, ihr hättet Spaß daran?“
Während die A’schbyaner murmelnd ihre Zustimmung bezeugten, wandte sich Delalander kopfschüttelnd an John Dunbar.
„Da soll sich einer auskennen“, murmelte er düster. „Ein Volk, das Spaß an kriegerischen Auseinandersetzungen hat. Kaum zu glauben!“ Er schwieg eine Weile. Dann sagte er: „Ein Robotgehirn spielte nach völlig normalen, logischen Regeln einen Krieg, der gut drei Jahrhunderte lang dauerte und in den wir eben hineinfielen — im wahrsten Sinne des Wortes“, setzte er noch hinzu.
„Ein Robotgehirn“, sagte John und schüttelte den Kopf. „Ich denke es waren zwei?“
„Ich denke, dass sie die beiden vereint haben — oder dass das eine, das ja dann nicht mehr nötig war, aufgelöst wurde“, erwiderte Delalander auf Johns Frage. „Ist es nicht so gewesen?“, wandte er sich an die ihnen gegenübersitzenden A’schbyaner.
Cefuth bejahte. Dann sprach er weiter über das Schicksal des Volkes und des Systems, sprach von dem Unheil, das über die Völker der Sonne A’schby gekommen war, als die Roboter unter der Leitung der Gehirne die Macht übernahmen.
Die kämpfenden Roboter, in all den Jahren zu perfekten und fast selbständigen Maschinen geworden, hörten auf die Befehle der Robotgehirne und verwüsteten systematisch die Oberflächen der Planeten. Irgendeine Fehlschaltung sagte ihnen, dass dies zum Vorteil ihrer Herren sei und dass diese ihren Spaß daran hätten.
Es war ein tödlicher Spaß.
Die A’schbyaner blieben in den unterirdischen Forts, die sie sich zu Beginn der ersten Kämpfe gebaut hatten, starben und zeugten Kinder, wurden alt und sahen hilflos mit an, wie ihre Welten vernichtet wurden. Umfangreiche Maßnahmen wurden in den ersten Jahrzehnten getroffen, dieser Robotherrschaft ein Ende zu bereiten, aber jeder Ausbruchsversuch wurde vom Gehirn vereitelt. Schließlich resignierten die A’schbyaner.
Als es auf den äußeren Planeten nichts mehr zu zerstören gab, siedelten die Roboter die Überlebenden nach A’schby II um, der Zentralwelt. Von hier aus hatten die Kämpfe ihren Anfang genommen, hier stand auch das Robotgehirn, eine riesige, ebenfalls unterirdische Stadt.
Seit der Zeit, etwa vor zweihundertfünfzig Jahren irdischer Zeitrechnung, war jeder Widerstand bei den Überlebenden gebrochen. Apathisch und von einer tiefgreifenden Resignation erfüllt, starrten sie nur hin und wieder auf die Schirme, die pausenlos die Bilder der furchtbaren Kämpfe hier herunterspiegelten, hörten die von Optimismus erfüllten Kommentare der Robotreporter und erzählten ihren Kindern von der einstmals so herrlichen Zeit, als das Wort Freiheit noch seine ursprüngliche Bedeutung besessen hatte.
„Seid ihr hier allein?“, fragte John Dunbar nach einer Weile. Und: „Wie viele seid ihr?“
„Wir sind inzwischen dreitausend. Männer, Frauen und Kinder. Aber es gibt noch vierzehn andere dieser unterirdischen Forts, in denen ungefähr dieselbe Menge von Überlebenden untergebracht ist. Wir haben zu einzelnen Verbindung, durch unterirdische Wasseradern, Erdspalten und ein paar von den Robots vergessene Leitungen, die aber ständig versagen und mühevoll und unter Gefahren wieder repariert werden müssen.“
„Und was ist mit dem oberirdischen Riesenfort, von dem aus der Materialnachschub besorgt wird?“, fragte Delalander. „Dort, wo die fremden Schiffe stehen?“
„Dort sind nicht wir. Dort sind Leute, die euch ähneln. Wir haben wiederholt versucht, zu ihnen vorzustoßen, aber sie schlugen uns jedes Mal zurück. Vermutlich dachten sie, wir wären Roboter.“
Dunbar lehnte sich zurück — und verlor dabei fast das Gleichgewicht. Er hatte nicht bedacht, dass diese Hocker keine Rückenlehnen besaßen. Dann sagte er zu Maurice Delalander:
„Wie gut sind Sie, Maurice, als Mathematiker?“
Das Gesicht des Mannes neben ihm war verwirrt. „Wie meinen Sie das, John?“, fragte er zurück.
„Könnten Sie dieses Robotgehirn — nur eine theoretische Überlegung von mir — so beeinflussen, dass etwas geschieht? Dass der Krieg unterbrochen oder gestoppt wird?“
„Grundlegend ja“, antwortete er. „Diese Maschinen arbeiten sämtlich nach ein und demselben Schema. Aber natürlich kenne ich das Schema hier nicht. Es kann und wird vermutlich ganz anders sein, als wir es von unseren Maschinen her gewohnt sind.“ „Würden Sie dahinterkommen?“ Delalander schwieg nur kurze Zeit. Dann antwortete er: „Ich müsste etwas haben, um das Schema herauszufinden, damit ich es studieren kann.“ Der Übersetzer krachte, dann kamen die Worte wieder klar. Delalander schlug mit der flachen Hand gegen das Gerät und grinste.
„Diese Leute in dem zentralen Fort“, wandte sich Dunbar wieder an die A’schbyaner, die der Unterhaltung zwischen den beiden Raumfahrern mit Interesse gefolgt waren, „sind Forscher von dem Planeten, der unsere Heimat ist. Wir müssen zu ihnen, und wir müssen sie zurückbringen — deswegen landeten wir hier. Wir haben außerhalb des Planeten unser Raumschiff, und wir versuchen, in das Zentralgehirn einzudringen und den Krieg zu beenden. Dafür werdet ihr uns helfen, unsere Leute zu finden und uns soweit wie möglich an das Gehirn heranführen!“
Es war weniger ein Vorschlag als eine Anordnung.
„Wir können euch in die Nähe des Forts bringen“, sagte Cefuth langsam. „Aber dort werdet ihr alleine weitergehen müssen. Wie wollt ihr das Gehirn beeinflussen?“
Dunbar glaubte selbst nicht daran, aber er antwortete:
„Dieser Mann hier“, und er schlug Delalander auf die Schulter, „mein Freund, ist Wissenschaftler und obendrein noch ein Spezialist, der sich mit diesen Maschinen schon lange beschäftigt ...“
„Schwindeln Sie doch nicht so ...“, murmelte Delalander.
„... Er braucht zuerst aber ein kleines Gerät, das er studieren kann. Dann wird er versuchen — entweder mit List oder Gewalt — das Zentralgehirn dahin zu bringen, den Krieg zu beenden. Voraussetzung ist, dass wir in den Raum, in dem das Gehirn untergebracht ist, hineinkommen. Ich schlage deshalb vor, ihr übernehmt den Transport, wir übernehmen die Hilfe. Beiden ist damit gedient. Die Gefahr der völligen Auslöschung eurer Rasse wäre dann gebannt. Die Roboter würden euch wieder dienen. Ist das ein fairer Vorschlag?“
Sein Gegenüber nickte. Dann erhob sich Cefuth und bedeutete den beiden Raumfahrern, ihm zu folgen. Zusammen gingen sie weit in den angenehm temperierten und mit reiner Luft gefüllten Riesensaal hinein, bis sie in einen abgeteilten Raum kamen, der in etwa einem irdischen Elektroniklabor glich. Ein mittelgroßer Tischcomputer stand darin.
„Hier ist ein seit langen Jahren nicht mehr funktionierendes Gerät“, erklärte Cefuth. „Ist Ihnen damit gedient?“ Maurice Delalander zertrat seine Zigarette, holte tief Atem und machte sich daran, das Gehäuse des Computers zu öffnen.
Er hatte John und den A’schbyaner schon vergessen.
Vor etwa einem halben Jahrtausend war dieser Saal für die unterirdisch lebenden Bedienungsmannschaften der Robotwaffen geschaffen worden, und er entsprach diesen Anforderungen völlig.
Alles war noch vorhanden, sodass Delalander das beste Lehrmaterial zur Verfügung stand, das er sich überhaupt wünschen konnte.
Die beiden Männer hatten gearbeitet und gegessen, geschlafen und gebadet. Nun befanden sie sich wieder an der Arbeit.
John Dunbar war mit zwei seiner Begleiter dem Plan noch einmal nachgegangen, der sie schließlich in die Nähe des Zentralgehirns und des Landeplatzes der vier Schiffe bringen sollte. Nach den Worten Cefuths, der sich als ein sehr nützlicher Helfer erwies, lebten offenbar noch Mitglieder der vier Kartographenschiffe, die seit Jahren auf dem mächtigen Raumhafen des gewaltigen oberirdischen Forts standen und langsam verrotteten.
*
Ein Tag war vergangen ...
Das schwere, lange Boot mit dem flachen Kiel fuhr summend durch die Dunkelheit.
Sie waren durch einen Erdspalt, der mit Steinen, Plastikwürfeln und Stahl ausgebaut worden war, bis zum Ufer eines unterirdischen Sees gegangen, waren dort in das Boot gestiegen und befanden sich jetzt mit vier Begleitern, unter ihnen Cefuth, seit einem halben Tag unterwegs.
John Dunbar saß neben dem Lotsen im Bug des Bootes und starrte angestrengt voraus.
Hinter sich hörte er das Summen der Aggregate, die das Boot vorantrieben.
Die A’schbyaner zeigten leichte Unruhe.
Das Boot bog jetzt in einen schwach strömenden Wasserlauf ein. Die rechte Seite des dunklen, nur vom mächtigen Bugscheinwerfer erhellten Kanals schimmerte wie poliertes Metall; es war Metall.
Wie John von dem Lotsen erfuhr, zog sich diese Metallmauer rund um die mächtigen Räume den Zentralgehirns, war an jeder Stelle mehr als zweihundert Meter stark und undurchdringlich.
Plötzlich tauchte in der Wand eine vergitterte Öffnung auf, an der das Boot langsam vorüberzog.
John erhaschte einen Blick durch eine lange Röhre, die schwach durch irgendwelche Lichtquellen erleuchtet war und an deren Ende er ein zweites Gitter zu erkennen glaubte.
„Ein Abzugskanal der Kühlwasseranlage des Gehirns“, drangen Cefuths erklärende Worte aus Johns Übersetzer, nachdem der Erste Offizier eine diesbezügliche Frage gestellt hatte. „Die einzigen Öffnungen in dieser Mauer.“
„Und sie sind nicht bewacht?“, forschte John.
Cefuth zuckte die Schultern.
„Es hat noch nie jemand versucht, hier unten in das Gehirn einzudringen“, sagte er leise.
„Mit anderen Worten“, sagte John Dunbar rau und beugte sich vor, „bedeutet das, dass Sie selbst nicht wissen, ob wir mit Schwierigkeiten zu rechnen haben, oder?“
Der A’schbyaner nickte.
Maurice Delalander begann eindringlich zu fluchen; auf den Gesichtern der Planetarier zeigten sich Furcht und Bestürzung.
„Sie geben also zu“, fuhr John fort, „völlig unvorbereitet an diese gefährliche Aufgabe herangegangen zu sein?“ Seine Stimme klang wild. Nur mühsam konnte er seine grenzenlose Enttäuschung unterdrücken.
„Wir dachten ...“
„Sie dachten“, fiel ihm Delalander ins Wort, „dass diese beiden Fremden schon eine Möglichkeit finden würden, in das Gehirn einzudringen. Man musste ihnen diese Sache nur schmackhaft genug machen. Reden Sie schon, was war der Köder?“
Maurice Delalander hatte Cefuth hart am Arm gepackt, der Mathematiker bebte vor Zorn.
„War es der Hinweis auf die Überlebenden jener Schiffe, die von unserer Heimatwelt stammen? Gibt es überhaupt noch Überlebende? Oder gehörte das auch zu jenem Lügengebäude, das ihr für uns errichtet habt?“ Cefuth schüttelte Delalanders Hand von sich.
„Ich habe nicht gelogen. Und Ihren Vorwurf, es gäbe keine Überlebenden Ihres Volkes hier, muss ich zurückweisen. Ich war mit dabei, als versucht wurde, mit jenen Leuten Verbindung aufzunehmen. Außerdem waren Sie selbst mit den getroffenen Vereinbarungen einverstanden. Wir sollten Sie in die Nähe des Zentralgehirns bringen, den Rest, so versicherten Sie uns, würden Sie selbst erledigen. Weshalb also dieses plötzliche Misstrauen?“
„Das“, so sagte Maurice Delalander grimmig, „ist zwar eine sehr nette Auslegung unserer Worte — aber Sie sollen Ihren Willen haben. Schließlich soll man für die eigenen Fehler nicht andere verantwortlich machen.“
Die Strömung wurde stärker, das ansonsten verhältnismäßig leise Summen der Aggregate hatte sich zu einem verhaltenen Dröhnen verstärkt. Die Fahrt erforderte höchste Konzentration des A’schbyaners am Ruder, der vom Lotsen im Bug seine Anweisungen erhielt. Das Boot glitt an vier dieser vergitterten Abwasserkanäle vorüber.
Schließlich schrammte der Kiel des Bootes knirschend auf Grund. Es war ein flach ansteigendes Ufer, das Spuren ehemaliger Befestigung erkennen ließ.
Cefuth bedeutete den beiden Terranern auszusteigen.
„Wie geht es weiter?“, erkundigte sich John Dunbar, und seine Stimme klang seltsam verzerrt aus dem Lautsprecher des Übersetzers.
Während Cefuth seine Gefährten anwies, die schwere Plane von einer langen Kiste zu ziehen, sagte er zu John:
„Etwas weiter vorn beginnt ein anfangs stark zerfallener Tunnel, der später zu einer ausgebauten Straße wird.“
„Und diese führt direkt zum Zentralgehirn?“ John war mehr als skeptisch.
„Nicht direkt“, erwiderte Cefuth. „Etwa nach einer Stunde Fahrt versperrt ein mächtiges Tor den Tunnel. Dort müssen wir hindurch.“
„Und woher wissen Sie das alles so genau“, forschte Delalander mit zusammengekniffenen Augen. „Und wieso existiert hier ein Tunnel, der in das Gehirn hineinführt und nicht bewacht wird?“
Cefuth brachte eine starke Handlampe zum Vorschein. Wortlos leuchtete er die Wände ringsum an, dann stach der Strahl der Lampe senkrecht nach oben.
Im hellen Licht vermochten die beiden Raumfahrer einen Schacht zu erkennen, der etwa vierzig Meter Durchmesser besaß. Breite, metallene Schienen liefen hoch und verschwanden in der Dunkelheit über dem Lichtkegel der Lampe. Zerrissene Kabelstränge hingen von den Wänden.
„Ein ehemaliger Materialschacht“, erklärte der A’schbyaner. „Über uns befand sich ein zum Gehirn gehörendes Sperrfort, das vor Jahren zerstört wurde. Die Roboter schütteten den Materialschacht von oben zu, ohne jedoch zu bemerken, dass der Lift nicht ganz bis herunter reichte, sondern in etwa hundert Meter Höhe hängengeblieben war.“
Mittlerweile hatten die anderen die Kiste ans Ufer gezerrt. Einer der A’schbyaner verschwand und kam nach einer Weile wieder, im Schalensitz eines Fahrzeuges sitzend, das in etwa einem Pritschenwagen glich. Auf einer vollkommen glatten Ladefläche von zwei auf sechs Meter Kantenlänge waren vier Schalensitze befestigt, sowie zwei starke Scheinwerfer. Darunter befanden sich breite Raupenbänder, die Aggregate saßen zwischen diesen Ketten.
John half kräftig mit, die lange Kiste auf der Ladefläche zu deponieren. Dann nahm er hinter Cefuth, der das Fahrzeug lenkte, und Maurice Delalander Platz, die restlichen Planetarier hockten sich neben die Kiste.
Cefuth startete die Aggregate. Mit einem Ruck fuhr das Fahrzeug an.
Im Licht der vorn montierten Scheinwerfer tat sich ein weiterer Tunnel auf, der alle Anzeichen des Verfalls aufwies. Doch je weiter man eindrang, desto besser wurde der Zustand des Tunnels, ganz wie Cefuth es vorausgesagt hatte. Bereits nach zwanzig Minuten verhältnismäßig schneller Fahrt erreichte der Wagen das gigantische Tor, welches den Tunnel in seiner ganzen Breite absperrte.
Die Motoren verstummten.
Die Männer verließen den Wagen.
John Dunbar stand bereits vor dem mächtigen Tor und pochte mit der behandschuhten Faust dagegen. Es schien massiv zu sein. Nirgends war ein Öffnungsmechanismus zu erblicken.
„Dieses Tor dürfte uns allerhand Schwierigkeiten bereiten“, sagte John zu Maurice Delalander, der neben ihm aufgetaucht war.
„Schwierigkeiten sind dazu da, dass man sie überwindet“, erwiderte der Mathematiker und blickte an dem Tor hoch. „Haben Sie nicht für Schwierigkeiten dieser Art Vorkehrungen getroffen?“
John nickte lächelnd.
Auf einen Wink von ihm schleppten die A’schbyaner den Inhalt der Kiste heran. Es handelte sich um Druckflaschen, vier an der Zahl, gefüllt mit reinem Sauerstoff.
Dazu gehörten noch ein paar dünne, lange Metallrohre und verschiedene Verbindungsstücke.
John zog seinen Strahler und erhitzte ein langes Rohr von geringem Durchmesser. Es war ein ganz einfaches Rohr. Vorne offen, am anderen Ende mit einem Gewinde sowie mit zwei Handgriffen versehen.
Delalander verband die vier Druckflaschen zu einer Einheit, schraubte an das mit einem Gewinde versehene Ende des Rohres einen biegsamen Metallschlauch an, in dem die vier Kupplungsstücke der Flaschen zusammenliefen. Dann beugte er sich zu den Ventilen herunter.
John Dunbar hatte inzwischen den Helm seines Raumpanzers geschlossen und die Klimaanlage auf volle Leistung geschaltet. Dann legte er die Fäuste fest um den Griff der Sauerstofflanze, wie dieser Hochleistungsschneidbrenner genannt wurde.
„Los!“, sagte er über das Funkgerät seines Anzuges — Delalander öffnete die Ventile.
Mit fünfzig Atmosphären Überdruck schoss der reine Sauerstoff durch den Schlauch und in das Rohr der Lanze. Als er die weißglühende Spitze passierte, entzündete er sich. Ein fauchender, tobender, hellblau leuchtender Strahl schoss aus der Mündung und prallte mit enormer Wucht gegen das Tor. Unvorstellbar waren die Hitzegrade, welche die Sauerstofflanze entwickelte. John Dunbar stand inmitten einer entfesselten Hölle, während sich die anderen fluchtartig in Deckung des Wagens begaben.
Im Tunnel war es plötzlich unerträglich heiß. Wenige Meter vor John leckte die blau-weiße Gaszunge der Lanze gegen die schwere Metallpforte und fraß sich langsam durch das Material, das weißglühend und nach wenigen Minuten zu einer formlosen Masse wurde. Ein Teil des Tores floss zu Boden. John vergrößerte das geschaffene Loch, indem er die Lanze kreisförmig bewegte. Der kochende Metallbrei spritzte nach allen Seiten. Rauch kroch durch den Tunnel. Dann klaffte ein großes Loch, von dessen Rändern das noch flüssige Material tropfte.
Endlich verstummte das Röhren, der flammende Strahl erlosch. Die Flaschen waren leer. John Dunbar warf das zu zwei Dritteln abgebrannte Rohr zu Boden und stolperte zum Wagen zurück. Delalander half ihm, den Helm abzunehmen, und keuchend ließ sich John neben dem Wagen zu Boden gleiten.
Nach Ablauf einer halben Stunde drängten sie sich um das Loch, dessen Ränder noch immer warm waren.
Maurice Delalander pfiff überrascht durch die Zähne, als er feststellen musste, dass das Tor einen guten Meter stark war. Dahinter gähnte Finsternis. Ein kühler Luftzug drang ihnen entgegen.
„Wenn ich den überlieferten Berichten Glauben schenken darf“, ertönte Cefuths Stimme aus den Übersetzern der beiden Raumfahrer, „dann liegen hinter diesem Tor die Maschinenhallen der Energieversorgung des großen Gehirns. Und durch diese Maschinenhallen kommt ihr direkt zum eigentlichen Gehirn.“
John nickte. Dann fragte er:
„Wo sind die Männer, die von unserer Welt stammen?“
Cefuth zuckte die Schultern. „Ich weiß es nicht genau“, gestand er. „Als wir damals versuchten, Kontakt mit ihnen aufzunehmen, befanden sie sich noch in den Hallen unmittelbar neben den unterirdischen Raumschiffhangars. Ob sie sich allerdings noch dort befinden, entzieht sich meiner Kenntnis. Wir haben seit jenen Niederlagen nicht mehr versucht, in Verbindung mit ihnen zu treten.“
John Dunbar runzelte die Stirn. Dann wandte er sich an Delalander.
„Versuchen wir zuerst, das Gehirn zu überlisten?“, fragte er.
„Was schlagen Sie vor, John?“
„Wir haben zwei Möglichkeiten“, erwiderte Dunbar nachdenklich. „Sollten Sie es nicht schaffen, die Schaltungen vorzunehmen, die aus diesem Robotgiganten das machen, was er ursprünglich war, nämlich einen Diener und keinen Herrscher, dann zünde ich die beiden Fusionsbomben, die wir in unseren Raumpanzern haben und die nur in einem genau begrenzten Radius von achthundert Metern zur Wirkung kommen. Dann warten wir ab, bis das Robotgehirn zerstört ist, rufen die SINGA und machen uns daran, die Überlebenden der Kartographenschiffe zu suchen und zu bergen.“
Man rüstete sich für die Expedition. Ein kleiner, quadratmetergroßer Antigravschild nahm die schwere Tasche auf, in der sich Delalanders Werkzeug befand, sowie einige Schaltrelais, die er gestern noch zusammengebaut hatte. Wie er John erzählte, befand sich darin ein völlig neuer Rückmeldekreislauf, der dem Gehirn unter allen Umständen befehlen würde, das erste Gesetz zu beachten. Wenn es sich weigerte, würde Selbstauflösung die Folge sein.
Einige Nahrungskonzentrate und Zwei Kanister mit Trinkwasser vervollständigten die Ausrüstung. John überprüfte seinen Strahler, drückte ein neues Energiemagazin in die Kammer und schob die Waffe wieder in die Corfamtasche zurück. Dann zog er eine andere Waffe aus dem Rückentornister seines Raumpanzers, die speziell für die Raumwaffe entwickelt worden war.
Der Abschied von Cefuth und seinen Gefährten war kurz. Delalander und John blickten ihnen noch einige Sekunden nach, als sie mit dem Boot in der Dunkelheit des unterirdischen Wasserlaufs verschwanden, dann drehten sie sich um und krochen nacheinander durch das Loch im Tor.
Delalander übernahm die Spitze und schaltete seinen Helmscheinwerfer ein. Der Strahl beleuchtete eine Straße, die sich in der Finsternis verlor.
Immer tiefer ging es in den Tunnel hinein. John hatte das Gefühl, schon mehrere Stunden unterwegs zu sein. Er ging hinter dem Mathematiker und schob den Antigravschild an den Handgriffen vor sich her. Ab und zu ließ auch er seine Lampe aufleuchten und betrachtete die Wände des Tunnels. Sie waren glatt und grau, ohne jede Unterbrechung. John löschte die Lampe und beeilte sich, um nicht den Anschluss zu verlieren.
Langsam begann es, warm zu werden.
Nach einer halben Stunde waren die beiden Männer in Schweiß gebadet, bis sie endlich entdeckten, dass sie vergessen hatten, die Klimaanlagen ihrer Raumanzüge höher zu stellen.
Abrupt erstrahlte der Tunnel in hellem Licht, das schattenlos aus den Wänden strömte. Es geschah so plötzlich, so vollkommen unerwartet, dass die beiden Männer entsetzt zusammenfuhren und zurückstürzten.
Das Licht erlosch. Dunkelheit herrschte.
Maurice Delalander konstatierte nach wenigen Sekunden mit ruhiger Stimme:
„Strahlensperre! Sobald jemand hindurchschreitet, wird sie unterbrochen. Ein Kontakt schließt sich, das Licht leuchtet auf. Genial und wiederum einfach.“ Wie zum Beweis seiner Worte trat er vor. Schon nach zwei Schritten herrschte erneut Helligkeit in dem Tunnel. Nachdem sich dieses Geheimnis auf derart profane Art und Weise gelöst hatte, stand einem weiteren Vordringen nichts mehr im Wege.
Die Männer gingen nun nebeneinander, zwischen sich den Schild. Der Tunnel mündete in einen weiten Raum, der leer zu sein schien. Auf der anderen Seite setzte sich die Straße fort, allerdings in einer Art Rampe, die sich in weiten Spiralen nach oben wand.
John Dunbar trat einige Schritte in das mächtige Gewölbe hinaus.
Die Halle enthielt in ihrer Mitte ein kreisrundes Becken, in das sternförmig kleinere Kanäle mündeten, die so angelegt waren, dass sie ihre Abwässer nicht frontal in das Becken strömen ließen, sondern mehr dem Rand zu. Auf diese Weise entstand ein Sog, der das Wasser innerhalb des Beckens rasend schnell herumwirbelte. Außerdem lief offenbar am Grunde des Sammelbeckens eine Turbine, die das Wasser nach unten wegzog, denn in der Mitte befand sich ein trichterförmiger Wirbel, der stark genug schien, jeden, der hineinfiel, unweigerlich in die unergründliche Tiefe zu ziehen.
Über dem Becken stand ein feiner Wassernebel, in dem sich das Licht der Halle brach.
„Über uns dürften sich die von Cefuth erwähnten Maschinenhallen befinden“, sagte Delalander etwas lauter als sonst.
„Vermutlich“, bestätigte John. „Was wir hier sehen, ist das Verteilerbecken der Abwässer. Ich bin sogar davon überzeugt, dass wir, wenn wir da hineinspringen würden, aus irgendeiner der vergitterten Öffnungen herauskämen, die wir draußen gesehen haben.“
„Möchten Sie es ausprobieren?“, erkundigte sich der Mathematiker mit leichtem Lächeln.
„Ich werde mich hüten“, entgegnete John.
„Angsthase“, knurrte Delalander.
John wies mit ausgestrecktem Arm auf die wirbelnde Wasserfläche. „Stürzen Sie sich doch selbst hinein.“
„Danke!“ Der Mathematiker schüttelte sich entsetzt.
Sie schritten um das Becken herum, durchquerten den Rest der Halle und betraten die nach oben führende Rampe.
Der Weg wand sich steil nach oben.
Plötzlich begann Delalander wild zu Fluchen. „Warum müssen ausgerechnet wir immerzu laufen? Die Rampe könnte uns auch den Gefallen tun und sich in Bewegung setzen. Furchtbar rückständig, dieses Robotgehirn. Ich glaube, dass ...“
Delalander war nicht mehr in der Lage, seinen Satz zu vollenden, da sich die Rampe langsam in Bewegung setzte. Von keinem Geräusch begleitet und ohne jede Erschütterung glitt sie in geisterhafter Lautlosigkeit nach oben, und mit ihr die beiden Männer.
Chaotisch wirbelten Johns Gedanken durcheinander. Aufhören! Aufhören!, schrien seine Gedanken, und seine Finger suchten an den glatten, vorübergleitenden Wänden nach einem Halt. Dann blieb die Rampe stehen.
„Uff!“, stöhnte Maurice Delalander und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Fast hätte mich ein ganz normaler, technischer Vorgang aus der Fassung gebracht.“
Die Reaktion der Rampe war klar: Irgendwo in den Wänden setzte eine mechanische Vorrichtung die Rampe in Bewegung, sobald sie entsprechende Gedankenimpulse empfing. Wobei es offenbar nicht darauf ankam, ob dieser Befehl nur gedacht oder gesprochen wurde. John schalt sich einen Narren. Längstens im Tunnel, als das Licht plötzlich aufleuchtete, hätte ihnen klar sein müssen, dass innerhalb dieses gigantischen Gehirns alles möglich war — auch laufende Rampen.
John dachte konzentriert an eine Aufwärtsbewegung. Die Rampe glitt sofort weiter.
„Wie ich richtig vermutet habe“, murmelte Delalander und drehte sich zu John Dunbar herum. „Über uns sind die Maschinenhallen. Man kann schon das Arbeitsgeräusch hören.“
Dunbar nickte.
Die Rampe schien abrupt ins helle Tageslicht zu führen. Geblendet schlossen die beiden Männer die Augen, und ihnen wurde bewusst, dass sich das ferne Dröhnen verstärkt hatte. Es war das Geräusch schwerer Maschinen, Aggregate und Meileranlagen. Die Rampe endete in ihrer Bewegung, und die beiden Raumfahrer stellten fest, dass sie sich in einer großen Halle befanden. Mächtige Maschinen waren scheinbar wahllos darin untergebracht.
„Enorm!“, raunte Maurice Delalander und blickte fasziniert um sich.
Dicht nebeneinander drangen die beiden Männer weiter in die Halle vor, als sich plötzlich ihre Gesichter verzerrten. Hände fuhren zum Gürtel und umschlossen mit hartem Griff die Waffen.
Schritte klangen auf! Erst fern, dann immer näher und näher.
Wenige Sekunden noch, und das Wesen, das diese Schritte erzeugte, musste um jenen mammuthaften, würfelförmigen Block biegen, von dem die beiden Terraner keine zwanzig Schritte mehr entfernt waren.
Maurice Delalander stöhnte unterdrückt auf; mit dem wuchtig gebauten Mann war eine seltsame Veränderung vorgegangen. Er wirkte nervös und schien nahe daran zu sein durchzudrehen. Mit brennenden Augen starrte er auf die schimmernde Gestalt, die gerade um die Ecke bog. Dann zuckte seine Rechte zur Rak-Automatik. Er wusste nicht mehr, was er tat, als er den Abzug bestätigte. Meterlange Feuerzungen brachen zischend aus dem langen Lauf. Delalander hatte — bewusst oder unbewusst — auf Dauerfeuer geschaltet, und die Waffe in seiner Hand schien sich in eine feuerspeiende Brennkammer verwandelt zu haben. Das Geräusch der detonierenden Geschosse übertönte John Dunbars entsetzte Rufe, der sofort den Irrtum des Mathematikers erkannt hatte. Dann warf er sich zu Boden. Die Druckwellen der Explosionen sprengten ihm fast das Trommelfell. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Delalander zu Boden geschleudert wurde.
Die darauffolgende Stille war lähmend und gleichzeitig beängstigend; nur langsam wurde erneut das Geräusch der arbeitenden Maschinen hörbar.
John hob das Gesicht, dann kam er taumelnd auf die Füße, die ihn automatisch zu jener Stelle trugen, an der das Wesen lag. Die vierundzwanzig hochexplosiven Rak-Geschosse hatten nicht mehr viel davon übriggelassen.
Doch vor John war bereits der Mathematiker zur Stelle und bückte sich. Seine Hand, die etwas aufgehoben hatte, streckte sich seinem Partner entgegen, und dann lachte er plötzlich schrill und hysterisch auf. Als Johns Blick auf den Gegenstand fiel, den Maurice ihm entgegenhielt, hatte er gar nicht das Gefühl, lachen zu müssen. Ihn beschäftigte in weit größerem Maße die Frage, ob jetzt ihr Eindringen endgültig erkannt worden war. Dann erforderte Delalander seine Aufmerksamkeit, der mit unnatürlich geweiteten Augen auf seine Hand blickte, auf der ein zackiger Metallfetzen lag, leicht bläulich schimmernd unter dem Licht der Halle.
„Roboter!“, kam Delalanders müde Stimme.
„Genau“, sagte John aufgebracht. „Sie waren leider etwas zu voreilig, mein Lieber. Keine Maschine, kein Aggregat läuft jahrhundertelang ohne jegliche Wartung — daran hätten Sie denken sollen, ehe Sie zur Waffe griffen. Ich bin überzeugt davon, dass wir noch mehreren dieser Wartungsrobots begegnen.“
Wenig später schritten sie weiter.
An der gegenüberliegenden Seite der Halle fanden sie wieder eine Rampe, die ebenfalls auf gedankliche Impulse reagierte. Sie führte die beiden Männer sanft nach oben.
Dann tat sich ein ovales Tor auf, dahinter ein ebenfalls ovaler Gang, der sich ins Innere zog. Rötliches Licht brach aus den Wänden und schuf eine unwirkliche Atmosphäre.
Der ovale Gang schien kein Ende zu nehmen. Leise fluchend blickte John Dunbar auf das Leuchtzifferblatt seiner Radiumuhr. Ihm schien es, als wäre bereits eine halbe Stunde verstrichen, doch die Uhr sagte ihm, dass nicht mehr als fünf Minuten vergangen waren, seit sie diesen Korridor betreten hatten.
Nichts zeigte sich an den glatten Wänden. Keine Tür, keine sonstigen Öffnungen. Schließlich endete der Gang in einer Galerie, die sich rund um einen mächtigen Schacht zog.
Die beiden Männer traten hinaus, beugten sich über das Geländer. Viel war nicht zu erblicken. Nach knappen zwanzig Metern schien der Schacht zu Ende zu sein. Dunbar wunderte sich noch über die vollkommene Leere des Schachtes, als er den erstickten Aufschrei Delalanders hörte. Schnell drehte er sich herum und sah den Mathematiker mit weit in den Nacken gelegtem Kopf nach oben starren, und automatisch tat er dasselbe.
John war es, als blicke er in einen sich endlos erstreckenden röhrenförmigen Tunnel.
Delalander knurrte:
„Wie kommen wir da hinauf?“
„Wie?“, meinte John Dunbar. „Ganz einfach! Dieses Gehirn scheint seinen Spaß daran zu haben, alles durch gedankliche Befehle in Aktion zu setzen — vielleicht hat es auch nie eine Sprache entwickelt, wer vermag das zu sagen —, aber wie dem auch sei, ich versuche jetzt durch meine Gedanken etwas zu bewegen.“
„Viel Vergnügen“, wünschte der Mathematiker. „Bei dem, was Sie im Kopf haben ...!“
John schüttelte unwillig den Kopf. Dann konzentrierte er sich auf den Gedanken: „Ich will hinauf!“ Es geschah jedoch nichts. Schweiß stand auf Johns Stirn.
Ein leises Heulen klang aus der Höhe, schwoll ständig an, wurde zu einem Pfeifen. Dann stürzte eine blitzende Scheibe von zirka fünf Meter Durchmesser herunter, hielt wippend mitten im Schacht an. Genau vor den Männern, die sich fluchtartig bis zur Wand zurückgezogen hatten.
Äußerst misstrauisch näherte man sich der schimmernden Scheibe, die völlig harmlos vor der Galerie in der Luft schwebte. Sie war höchstens fünf Zentimeter stark, was nicht dazu beitrug, das Vertrauen der beiden Raumfahrer zu stärken. Der Lift — oder was es sonst sein mochte — entsprach so gar nicht den Vorstellungen der beiden Männer, aber gleichzeitig mussten sie sich sagen, dass man hier nicht mit den althergebrachten Maßstäben messen durfte.
„Na, noch immer irgendwelche Zweifel über den Inhalt meines Kopfes?“, konnte sich John die spöttische Bemerkung nicht verkneifen und setzte den Fuß auf die Scheibe, die nicht einmal schwankte, unverrückbar lag sie in der Luft.
Delalander warf ihm einen skeptischen Blick zu, schwieg jedoch. Dann trat auch er auf die Scheibe, die sich fast unbemerkt in Fahrt setzte. Nur an den vorübergleitenden Schachtwänden war eine Aufwärtsbewegung feststellbar.
Um die Männer herum herrschte Stille.
„Sehen Sie sich das an, Maurice“, flüsterte John Dunbar.
Dies war das mechanische Gehirn!
Seine vielen Milliarden Schaltkreise, die die Zellen bildeten, in denen der „Denkprozess“ ablief, bildeten kastenförmige Elemente. Sie waren zusammengeschlossen zu jeweils quadratmetergroßen Relaisblocks. Diese Blocks wiederum waren zu Abteilungen zusammengeschaltet, die etwa zehn Meter hoch und ebenso breit waren. Die einzelnen Abteilungen waren hintereinander angeordnet zu endlos langen Relaisketten, die sich in der Dunkelheit jenseits des rötlichen Lichts verloren.
Während die Liftscheibe immer höher glitt, blickten die Männer in die strahlenförmig von dem Schacht ausgehenden Gänge zwischen den Relaisblöcken hinein; sie waren zu Tausenden vorhanden und glichen den dunklen Gassen einer bizarren Geisterstadt. Stockwerk um Stockwerk erhob sich dieses gigantische Gehirn, das von hier aus die Armeen der Roboter lenkte und einsetzte, das seine Netze wie ein galaktischer Fischer über die ganzen Planeten geworfen hatte.
Schließlich war die Fahrt zu Ende.
Fasziniert starrten die beiden Männer auf das Bild, das sich ihren Augen bot: Die Halle, in der die Liftscheibe angehalten hatte, verjüngte sich nach oben zu einer kuppelförmigen Decke. Die Wände waren bedeckt mit einem Gewirr von Geräten, Skalen und Instrumenten. Eine Anzahl von kleinen, kaum kopfgroßen Bildschirmen gruppierte sich um vier riesige Hauptschirme. Eine Seite der Halle war bedeckt mit zahllosen winzigen Lichtern, die in unregelmäßigen Abständen aufflammten und wieder verlöschten. Vor mehreren hufeisenförmig angeordneten Instrumentenbänken standen wuchtige Sessel. Alles machte den Eindruck einer riesigen Schaltzentrale.
Als die Männer von der Liftscheibe heruntertraten, erhellte sich der kuppelförmige Saal.
„Immer noch eingerichtet, um von lebenden Wesen bedient zu werden“, sagte der Mathematiker bewundernd, „und das seit mehr als dreihundert Jahren.“
„Was nun?“, fragte John Dunbar.
Delalander antwortete nach einer längeren Pause leise:
„Dieses gewaltige Gehirn bestand zu Anfang nur aus einigen Kernzellen, in denen die Grundregeln seines Handelns genau festgelegt waren. Es dürfte sich im Wesentlichen um die auch uns bekannten drei Schaltkreise handeln, die als die „Robotergesetze“ gelten. In diesem Fall dürfte die erste Grundregel reichlich durcheinandergeraten sein, auch die beiden anderen Schaltkreise sind meines Erachtens nicht mehr hundertprozentig in Ordnung. Dass sie dennoch funktionieren, beweist die Tatsache, dass den A’schbyanern kein eigentliches Leid zugefügt wurde im Sinne des ersten Gesetzes, auch die Überlebenden der Kartographenschiffe wurden versorgt und demnach als lebende Wesen identifiziert, deren Existenz zu schützen sei ... Können Sie mir noch folgen?“
Dunbar verstand langsam. „Sie haben also vor, das erste Gesetz zu verstärken?“
„Wenn ich den Schaltkreis finde, ja. Sonst jagen wir die ganze Anlage in die Luft und bereiten diesem Spuk ein Ende. Wenn aber der Planet auch nur die Chance des Wiederaufbaus erhalten soll, dann benötigt er, vor allen Dingen aber seine Bewohner, Scharen von aktionsfähigen Robotern. Sie können sich also ausrechnen, welche Möglichkeit ich vorziehe. Schließlich haben wir mit den Eingeborenen einen Vertrag abgeschlossen.“
„Die Arbeit ... dauert sie lange?“, fragte Dunbar, der den Schild mit der Ausrüstung vor sich herschob und ständig Scharen von feuernden Wachrobots aus verborgenen Türen hervorbrechen sah.
„Sie dauert keine fünf Minuten — wenn ich den Schaltkreis des ersten Gesetzes gefunden habe“, versicherte Delalander. Nach einer Weile setzte er hinzu: „Immer vorausgesetzt, ich habe keinen Fehler beim Zusammenbau der Schaltkreise gemacht, die dieses bewusste erste Gesetz verstärken sollen und es ...“
„Sehen Sie sich das einmal an, Maurice“, unterbrach John den Mathematiker und streckte die Hand aus.
Etwa dreißig Schritte von ihnen entfernt erhob sich auf einer Art Bühne ein einziger Relaisblock von je zehn Meter Kantenlänge und stumpfgrauer Farbe. Er unterschied sich augenfällig von den anderen Relaisblöcken, die alle in einem grellen Gelb gestrichen waren.
Vielfarbige Kabelbrücken und armdicke Energieleitungen verschwanden im Boden des Saales, sie verbanden den Block mit den darunterliegenden Stockwerken zusammengeschalteter Relaisfelder, in denen das gesamte Wissen einer ehemals blühenden Kultur gespeichert war.
Mit einem Freudenlaut stürzte Delalander auf den Relaisblock zu.
„Die Abteilung der drei Grundregeln!“, rief er. „Der Kern des gesamten Gehirns. Es gibt keinen Zweifel ...“