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Оглавление973. Kaiserlicher Kanzler Willigis
Als ihn der Diener in seiner Kanzlei aufsuchte und in der geöffneten Tür abwartete, bis der kaiserliche Kanzler aufsah, staunte er wieder einmal über das mit Schriftrollen und Zeichnungen übersäte Zimmer. Kanzler Willigis hatte vom Kaiser vor zwei Jahren dieses Amt angetragen bekommen und wurde ihm innerhalb kürzester Zeit eine wertvolle Stütze in vielen Regierungsgeschäften. Der junge Mann war noch nicht sehr häufig in diesem Raum, aber er erinnerte sich, dass sich stets ausgebreitete Schriften, zum Teil mit kleinen Steinen beschwert, auf dem Fußboden verteilt befanden.
„Herr, verzeiht mir, aber der Kaiser erwartet Euch!“, sagte der junge Diener verlegen, als ihm der Mächtige ein Handzeichen gab, einzutreten. Dabei konnte er einen Blick auf die Zeichnungen werfen. Was sie eigentlich zu bedeuten hatten, wurde ihm nicht klar, denn so etwas hatte er noch nie in seinem jungen Leben gesehen. Aber manches erinnerte ihn an den Kirchenbau in Aachen, den er einmal auf einer der Reisen des Kaisers für die Heilige Messe besuchen durfte.
Ehrfürchtig starrte er auf eine Zeichnung, und als der Kanzler das bemerkte, erklärte er ihm im Hinausgehen: „Das ist ein Querschnitt durch einen Chor, dazu Empore und Rundgang.“
Der Diener sperrte den Mund weit auf, aber dann musste er sich beeilen, die Tür für Kanzler Willigis zu öffnen und ihm vorauszueilen. Dabei bemerkte Willigis einen Schatten, der blitzschnell um die nächste Ecke verschwand.
„Ach, Bruder William, auf ein Wort!“, rief er mit lauter Stimme, die nicht ignoriert werden konnte.
„Bruder Willigis, hast du eine Schreibarbeit für mich?“, antwortete der Mönch, der nur zögernd zurückgekehrt war.
Willigis richtete sich zu seiner vollen Größe auf und stand vor dem Mönch, der nicht nur sehr viel kleiner war, sondern zudem eine sehr runde Körperform in den vergangenen Monaten angenommen hatte.
„Mein lieber William, wo wir uns gerade so auf vertrautem Fuße begegnen, möchte ich dir doch ein für alle Mal verständlich machen, dass wir zwar alle Brüder für unserem Allvater sind und gewiss auch alle Sünder. Aber es ist nun einmal so, dass ich die gemeinsame Zeit im Kloster hinter mir habe und das Amt des kaiserlichen Erzkanzlers bekleide. In Gnaden habe ich zugestimmt, dass du am Hof als Schreiber und Lehrer für den Prinzen verbleiben darfst. Aber zukünftig ist die Anrede für dich die, die einem Kanzler zukommt. Hast du mich auch genau verstanden?“
William wagte es nicht, den Blick zu dem anderen aufzurichten und stammelte nur leise vor sich hin: „Ja, Herr Kanzler, so soll es sein. Ich bitte um Vergebung!“
Ohne ein weiteres Wort drehte sich Willigis auf dem Absatz herum und musste damit sein Grinsen verbergen, das sich bei dieser Antwort auf sein Gesicht geschlichen hatte.
Der Kanzler folgte dem Diener nun mit gemessenen Schritten, denn er nahm an, dass Kaiser Otto das von ihm aus Italien mitgebrachte Strategiespiel fortsetzen wollte. Schach, das Spiel um Könige, Damen und Bauern, war ihm rasch vertraut, und er musste sich bald hüten, seinen kaiserlichen Gegner nicht mit allzu schnellen Siegen zu verärgern.
Das letzte Spiel wurde für lange Zeit unterbrochen, im September des vergangenen Jahres begleitete der Kanzler den Kaiser zur Synode nach Ingelheim, wo es um die Nachfolge für den Bischof Ulrich von Augsburg ging. Selbstverständlich war auch Bischof Volkold mit dabei, denn Kaiser Otto I. erwartete von beiden geeignete Ratschläge, wie man in diesem Falle vorzugehen hatte. So betrat Willigis den Raum in der Erwartung, den Kaiser in entspannter Laune vorzufinden, bereit für eine Partie Schach.
Umso größer war daher sein Erstaunen, als er an der Seite des Kaisers seinen Freund, Bischof Volkold sah, der ihm freundlich zulächelte. Der Kaiser hatte eine ernste Miene aufgesetzt, die sich allerdings nach der Begrüßung seines Kanzlers erheblich aufheiterte.
„Willigis – wie schön, komm, setz dich her zu Uns und rate Uns, so wie du Uns hervorragend mit deinem scharfen Geist in Ingelheim geraten hast! Die Angelegenheit ist doch von einigem Ernst!“
Der Kanzler hatte sich sofort gefangen. Wenn der Kaiser um seinen Rat bat, war die Lage ernst, sehr ernst. Die Anwesenheit seines Freundes Bischof Volkold wies zudem darauf hin, dass es auch um Angelegenheiten der Kirche ging.
„Schön, dass mein Kanzler so schnell zur Verfügung steht!“, begrüßte ihn Kaiser Otto I. „Es ist eine heikle Angelegenheit und es geht, wieder einmal, um wichtige Posten. Ist dir der Name des Mönchs Thietmar bekannt? Er ist Benediktiner und war bis vor Kurzem im Kloster Corvey und lebt derzeit in Prag.“
„Nein, den Namen habe ich bislang noch nicht gehört, Herr Kaiser!“, antwortete Willigis unterwürfig.
Der Kaiser betrachtete ihn nachdenklich und schwieg, so dass Willigis das Gefühl hatte, dieser Äußerung noch etwas anfügen zu müssen. Seinem Kanzler blieb nichts anderes übrig, als zu warten, bis der hohe Herr wieder das Wort ergriff. Ein flüchtiger Blick zum Bischof brachte ihm die Beruhigung, dass es nichts Ernstes war, das ihn unmittelbar selbst betraf.
Willigis entspannte sich etwas und ließ die Schultern sinken.
Endlich hatte sich Kaiser Otto so weit gesammelt, dass er nach einem kurzen Seufzer fortfuhr.
„Dann müssen Wir weiter ausholen. Es geht um Böhmen, das seit dem vergangenen Jahr einen neuen Herzog hat. Fürst Boleslav II. nennt sich Boleslav der Fromme, und da hast du gleich einen Hinweis, wie sich die Dinge in Böhmen entwickeln. Er hat seinen Sitz zu Prag genommen und beherrscht von dort aus das gesamte böhmische Reich. Mit seinen Zusatznamen will er sich deutlich von seinem verstorbenen Vater unterscheiden, den man im Volk nur Boleslav den Grausamen nannte.“
Der Kaiser schwieg erneut und betrachtete seinen Kanzler, der blitzschnell die Zusammenhänge verstand und nun sein Wissen beweisen wollte.
„Dieser Boleslav hat doch seinen Bruder, Wenzel von Böhmen umbringen lassen, und Euch, mein Herr Kaiser, nicht anerkannt. Wenn ich richtig informiert bin, hatte schon Euer Vater, Kaiser Heinrich, große Schwierigkeiten mit diesem Fürsten. Nur die Tatsache, dass Böhmen schwach besiedelt war und der Fürst zudem über wenig Geld verfügte, verhinderte ein eigenes Heer, das er gegen Euren Vater aufgestellt hätte.“
„Ich sehe, du hast dich gut informiert, mein Herr Kanzler, obwohl das ja alles vor deiner Amtszeit liegt. Boleslav I. wütete in seinem Land auf furchtbarste Weise. Er tötete alle Fürsten, die ihn nicht unterstützten, und das oft auf eine hinterlistige, gemeine Weise. Viele Feste wurden eigens dazu gefeiert, die unliebsamen Fürsten eingeladen und dann umgebracht. Boleslav begann, die Handelsstraßen durch Böhmen zu kontrollieren und verdiente damit Geld, baute Burgen aus und ließ eigene Münzen schlagen. Aber das Schlimmste für Uns war sein Sklavenhandel.
Der Weg für gefangene Sklaven von Spanien über Frankreich bis hinauf zum Schwarzen Meer führt endlos durch Böhmen. Und er ließ mit seinen Soldaten die slawischen Dörfer nicht in Ruhe, überfiel sie regelmäßig, entführte die Frauen und tötete die Männer und Alten. Ähnlich verhielt er sich auch schon in früheren Jahren mit Unseren thüringischen Nachbarn, die sich unter Unseren Schutz stellten.“
Otto hielt inne, nahm einen Becher Wein und trank ihn in einem Zug aus. Für seinen Kanzler gab es auf ein Handzeichen gleich darauf ebenfalls vom Mundschenk einen vollen Becher. Natürlich war der Ministeriale in der Nähe seines Kaisers, ebenso wie auch der Truchsess, denn diese hohen Beamten hatten die Aufgabe, die Diener zu überwachen und dafür zu sorgen, dass es weder dem Kaiser noch seinen Gästen an etwas mangelte. Der Mundschenk, Herr Dietmar von Gose, hatte nur darauf gewartet, dass der Kaiser trank, um dann auch dem Kanzler einen Becher zukommen zu lassen. Bischof Volkold von Meißen hatte dagegen seinen eigenen Vorkoster und Diener, der sich um sein Wohl kümmern musste.
„Gut, Wir wollen dich nicht weiter mit alten Geschichten langweilen, Willigis, du sollst nur ins Bild gesetzt werden. Es gab zweimal den Versuch von Boleslav I., sich Unserer Huldigung zu widersetzen. Als Wir ihn im Jahre des Herrn neunhundertfünfzig zum ersten Mal in die Knie zwangen, musste er Uns als König anerkennen. Aber erneut entzog er sich Unserem Gehorsam und wurde schließlich vier Jahre später erneut besiegt. Da endlich hatten Wir ihn soweit, dass er sich nicht länger sträubte und sich nun alle Mühe gab, Uns gegenüber als ein guter Gefolgsmann zu gelten und zudem als überzeugter Christ.“
Der Kaiser trank erneut, und Herr von Gose achtete darauf, dass die Diener sich bereithielten, aus einem kleinen, frisch herbeigeschafften Fässchen rasch nachzufüllen. Otto I. hatte sich von seinem Sitz erhoben und begann, mit schnellen, großen Schritten im Raum auf und ab zu eilen. Der Kaiser war erst vor wenigen Tagen aus Rom zurückgekehrt, wo er die Auseinandersetzungen mit Papst Johannes XIII. beendete. Der Aufenthalt hatte länger gedauert, als ursprünglich geplant, und jetzt hatte er seinen Kanzler in der Pfalz Memleben zu sich bestellt. Natürlich war Willigis nicht mit nach Rom geritten, denn in Vertretung des Kaisers führte er als Erzkanzler zusammen mit den Ministerialen die erforderlichen Amtsgeschäfte weiter, stellte Urkunden aus und siegelte sie – im Rahmen seiner ihm zustehenden Tätigkeiten.
Sehr viel Zeit hatten die beiden schon in den ersten zwei Tagen nach der Rückkehr des Kaisers aus Rom im Gespräch verbracht, und Otto I. zeigte sich von der Arbeit Willigis beeindruckt. Umso mehr war der Kanzler nun über den Verlauf dieses Gespräches verwundert, denn die Streitigkeiten in Rom, bei denen der Stadtadel sogar den Papst verprügelt und aus dem Vatikan gejagt hatte, bedeuteten noch eine Menge Schreibarbeiten für seinen Hof. Außerdem pflegte der Kaiser auch für gewöhnlich seinen noch unmündigen Sohn Otto II., den er schon als Sechsjährigen zum Mitkönig und im Jahre 967 zum Mitkaiser erklärt hatte, zu solchen Beratungen als Zuhörer mitzunehmen. Das war allerdings heute ebenfalls nicht geschehen, der junge Kaiser musste nach einem sehr heftigen und laut geführten Gespräch mit seinem Vater gleich am Tage seiner Ankunft in Memleben zusammen mit seinem Lateinlehrer, dem Mönch William, in Klausur gehen. Alle Diener am Hofe tuschelten über das Verhalten des jungen Kaisers, der sich wenig seiner Würde entsprechend benommen hatte.
Nachdenklich sah Willigis auf die große, kräftige Gestalt des Kaisers, der nun schon das fünfte Lebensjahrzehnt erreicht hatte, aber noch immer wie ein tatendurstiger Ritter auf ihn wirkte. Mit lauter, kräftiger Stimme fuhr der Kaiser in seiner Rede fort, und Willigis verscheuchte rasch seine Gedanken, um ihm aufmerksam zu folgen. Ein Blick zu dem Pult der Schreiber, und zufrieden mit den beiden Männern, die dort auf ein Zeichen warteten, um die Befehle des Kaisers zu notieren, nickte er ihnen kurz zu.
„Auf dem Lechfeld hatte Boleslav dann ausreichend Gelegenheit, sich in der Schlacht zu beweisen, und Wir waren zufrieden mit ihm, zumal er Uns die Hilfstruppen der Ungarn vom Leibe hielt. Und auf dem Feldzug gegen die Slawen aus dem Elbegebiet war er sogar mit eintausend Kämpfern an Unserer Seite. Wir hatten also keine Veranlassung mehr, an seiner Treue zu zweifeln. Kurz und gut, die Nachricht von seinem Tod erreichte Uns zugleich mit der Mitteilung, dass nun sein Sohn Herzog wäre. Und da, mein lieber Kanzler, kommst du ins Spiel. Aber das kann dir der Bischof besser erklären, Uns macht das viele Reden nur durstig.“
Der Bischof erhob sich bei diesen Worten, dankte dem Kaiser, und erklärte dann: „Weshalb wir deinen Rat hören wollen, Willigis, magst du dem Folgenden entnehmen. Der Sohn also nennt sich ganz bewusst fromm. Er möchte nun in Böhmen einen eigenen Erzbischof einsetzen und erinnert den Kaiser daran, dass schon sein geläuterter Vater wenige Zeit vor seinem Tod alles vorbereitet hat, damit Böhmen ein Bistum erhalten kann. Und als Erzbischof ist eben jener Mönch Thietmar vorgesehen, den der Herzog vorgeschlagen hat. Bruder William wies uns darauf hin, dass du Kenntnis von den Schriften dieses Mannes hast, und deshalb wünscht der Kaiser deinen Rat.“
„Thietmars Schriften? O ja, jetzt verstehe ich den Ratschlag von Bruder William sehr gut!“, rief der Kanzler überrascht. „Er gehörte zum Kloster Corvey, und seine Schrift, die ich für mein Kloster illuminierte, nachdem Bruder William die Abschrift erledigt hatte, beschäftigte sich besonders mit dem Buch Genesis.“
„Ja, das ist mir bekannt!“, nickte Bischof Volkold. „Seine Schrift galt den Stammvätern und den alten Überlieferungen um die Erzeltern Abraham und Sara. Wie ist nun deine Einschätzung, Willigis?“
Der Kanzler lächelte, denn nun verstand er, weshalb seine Meinung gefragt war. Das ging also doch eher von seinem Freund, dem Bischof aus, als vom Kaiser, dessen Gunst er ebenfalls besaß.
„Nun, Thietmar erkennt die Frauen der Erzväter als wichtig an. Er spricht Sara, Rebekka, Rahel und Lea wichtige Rollen zu und ist der Meinung, dass sie entscheidenden Anteil am Entstehen unseres Glaubens hatten.“
Bei seinen Worten hatte der Kaiser erneut die Rundwanderung aufgenommen, blieb jetzt vor ihm stehen und sah ihm direkt in die Augen.
„Was Uns beunruhigt, Willigis, ist die Frage: Würde dieser Mönch einer Frau die Herrschaft zubilligen? Was Wir damit meinen, ist, in aller Deutlichkeit gefragt: Würde ein Erzbischof Thietmar von Prag dulden, dass eine Frau als Herzogin allein regiert?“
Blitzschnell überlegte der Kanzler das gerade über den neuen, böhmischen Herzog Gehörte. War dieser Boleslav II. bereits verheiratet?
Schade, dass man mich nicht vorher über das Thema informiert hat. So wäre es mir möglicherweise gelungen, mehr über den böhmischen Herzog zu erfahren, dachte Willigis, bevor er antwortete: „Mit Verlaub, Herr Kaiser, das glaube ich nicht. Wenn Thietmar Bischof in Böhmen werden sollte, wird er Euch treu ergeben sein, davon bin ich überzeugt. Sollte nun dieser Herzog Boleslav frühzeitig versterben, so wird er mit Sicherheit Sorge tragen, dass bis zur Bestimmung eines Nachfolgers Euer Recht von der Kirche vertreten wird. Ein Bischof würde eine Vormundschaft übernehmen oder aber aus dem Adel einen geeigneten wählen können. Vorausgesetzt, er spricht die böhmische Sprache und kennt sich in den Verhältnissen des Landes aus.“
Der Kaiser lächelte und klopfte ihm jetzt sogar auf die Schulter.
„Das ist gut, Willigis, dafür danken Wir dir. Und ja, Bruder Thietmar spricht die Sprache und lebt schon lange genug in Prag, um die dortigen Verhältnisse beurteilen zu können. Er war schon bei Boleslav I. vor Ort und hat ihn schließlich bei einigen Dingen beraten. Also, mein guter Herr Bischof, dann erklärt mal Unserem Kanzler, was Wir vorgesehen haben!“
„Das neue Bistum in Böhmen wird, mein lieber Willigis, ein Suffragan-Bistum von Mogontiacum werden. Damit müssen sich die böhmischen Adligen einverstanden erklären, sonst wird der Kaiser ihrer Bischofswahl nicht zustimmen.“
„Ja, das verstehe ich, denn schließlich ist ja der Erzbischof von Mogontiacum der wichtigste Kirchenmann für unseren Kaiser.“
Mogontiacum...
Oder Mainz, wie das Volk diese Stadt nannte.
Otto, der im Begriff stand, auf seinen Platz zurückzukehren, drehte sich um und deutete lachend auf seinen Kanzler.
„Richtig erkannt, mein Lieber. Und du hast ja wohl auch von Volkold gewiss schon gehört, wie sich der derzeitige Erzbischof von Mogontiacum, Ruprecht, auf der Synode von Ingelheim verhalten hat? Falls er es dir noch nicht berichtet hat, lass es dir gelegentlich erzählen. Ruprecht ist zu alt und im Denken zu langsam. Er folgt Unseren Anordnungen nur schwierig und scheint von Unserem Bestreben, eine Reichskirche zu schaffen, nicht überzeugt zu sein und gibt nach Unserer Beobachtung zu viel Geld für den Ausbau des Stiftes St. Gangolf aus. Nein, mein lieber Willigis, das Erzbistum ist Uns zu wichtig, um es auf Dauer in so schwachen Händen zu halten. Nicht mehr lange, und Unser Sohn Otto wird an Unserer Stelle regieren. Da möchten Wir einen tatkräftigen Bischof in Mogontiacum wissen. Einen Mann deiner Art, Willigis!“
„Meiner ... meiner Art, Herr Kaiser? Das ist viel Ehre, und ich weiß wirklich nicht ...“
„Unsinn!“, antwortete der Kaiser barsch und deutete mit dem Kopf zum Bischof.
„Der da hat Unser volles Vertrauen. Ruprecht muss ersetzt werden, und du wirst sein Nachfolger. Lass dich von Volkold einweisen, Wir geben dir – mal sehen – die Zeit von höchstens zwölf Monaten, dann möchten Wir dich in Mogontiacum sehen, Willigis!“
Mit diesen Worten drehte sich der Kaiser auf dem Absatz um und verließ den Raum, während sein Kanzler noch tief gebeugt auf seinem Platz verharrte und kaum wagte, tief Atem zu holen.
Bischof Volkold war ebenfalls aufgestanden und stieß seinen Freund nun leicht in die Seite. Als ihn Willigis mit weit aufgerissenen Augen und ungläubiger Miene ansah, lachte der Bischof auf.
„Du müsstest einmal dein Gesicht sehen können, Willigis! Nun klapp deinen Mund wieder zu, hole tief Atem, und dann reden wir gemeinsam, aber nur unter vier Augen weiter.“
„Volkold, hat der Kaiser das denn so gemeint, was er mir da ankündigt? Ich meine – das ist doch gar nicht so ohne Weiteres und in so kurzer Zeit umsetzbar? Heute bin ich Kanzler des Kaisers, in seiner Abwesenheit so etwas wie sein Stellvertreter, aber Erzbischof? Dazu noch in Mogontiacum? Und was geschieht mit dir, mein Freund?“
„Es spricht für dich, dass du in einem solchen Moment noch einen Gedanken an einen Freund verschwendest. Aber mache dir deshalb keine schweren Gedanken, ich habe das schon auf der Rückreise von Ingelheim mit dem Kaiser besprochen. Du wirst Erzbischof, ganz ohne Frage. Du weißt, dass ich verantwortlich bin und bleibe für die Erziehung des Prinzen, und dass ich auch Bruder William dabei sehr genau auf die Finger schaue. Sein jüngstes Verhalten wird nicht ohne Folgen bleiben, denn die Lateinkenntnisse Ottos sind, schlicht und einfach gesagt, eine Katastrophe. Aber komm hinüber in das Gemach, das ich immer nutze, wenn ich in der Pfalz bin. Dort wird man uns etwas zu Essen auftragen, und wir können in Ruhe reden, was die nächste Zeit für dich bringen wird.“
Wenig später saßen die beiden Freunde gemeinsam an einer kleinen Tafel beim Essen, und Volkold nutzte die Zeit ausgiebig, um Willigis über die geführten Gespräche mit dem Kaiser zu unterrichten.
„Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht!“, sagte Willigis nach etwa zwei Stunden und lehnte sich zurück. „Das viele Essen, der Wein – und die verwirrenden Mitteilungen, verbunden mit der Aussicht, der wichtigste Erzbischof im ganzen Reich zu werden – das ist alles ein wenig viel für mich.“
„Aber, lieber Freund! Du musstest doch wissen, was es für dich bedeutet, wenn dich der Kaiser zu seinem Kanzler bestimmt. Es ist schon seit gut sieben Jahren so vom Kaiser bestimmt worden, dass der Erzkanzler auch der Erzbischof von Mainz ist. Der derzeitige Erzbischof Ruprecht wird sein Amt nicht mehr lange Zeit verwalten können, und das ist ja ebenfalls kein Geheimnis in der Kirche. Zumindest nicht mehr nach seinem Verhalten während der Synode!“
Willigis schluckte, musste dann aber in der Erinnerung an die dortigen Ereignisse wieder unwillkürlich lächeln.
„Wie ungeschickt aber auch Bischof Ulrich von Augsburg bei der Suche nach einem Nachfolger vorgegangen ist! Ohne Zustimmung des Kaisers seinen Neffen Adalbero ins Amt zu setzen, konnte nicht gut gehen. Was mag er sich dabei gedacht haben?“
„Vermutlich, dass er die Zustimmung der anderen Bischöfe während der Synode schon erhalten würde und damit vor den Augen des Kaisers richtig gehandelt hatte.“
„Es war ein unwürdiges Spiel und hat uns allen gezeigt, wie es um unseren Kaiser steht, wenn in seine Rechte eingegriffen wird. Ich bin froh, dass ich in seiner Gunst so hoch stehe und werde mich hüten, jemals etwas gegen ihn zu unternehmen.“
Volkold nickte zustimmend.
„Daran tust du gut, Willigis. Ich denke auch, du wirst sehen müssen, wie du mit seinem Sohn zurechtkommst. Er ist immerhin schon mit knapp sechs Jahren zum Mitkönig und schließlich zum Mitkaiser mit seinem Vater gesalbt worden. Wenn mein Einfluss etwas taugt – und dieser unselige William es auch noch zustande bringt, seine Lateinkenntnisse zu verbessern, sehe ich mutig in die Zukunft.“
„William geht mir übrigens aus dem Weg, wo er es nur kann. Dabei beobachte ich aber immer wieder, dass er meine Nähe aufsucht, wenn er glauben kann, dass ich es nicht bemerke. Er ist ein Schleicher und Kriecher, und ich wundere mich nur, wie er es immer wieder schafft, seinen schlechten Ruf zurechtzurücken.“
Volkold lächelte erneut und deutete auf die Tür.
„Ich möchte fast schwören, dass der Mönch schon wieder hinter deiner Tür steht. Aber ich sehe nicht, dass er dir gefährlich werden könnte. Lass ihn reden und murren, er ist ein unbedeutender, kleiner Schreiberling und wird auch von Otto nicht wirklich akzeptiert.“
„Aber Volkold – als Erzkanzler des Kaisers habe ich bereits viel zu tun. Und wenn ich dich richtig verstanden habe, bleibt mir das Amt ja auch zusätzlich erhalten. Ich habe Kopfschmerzen, wenn ich nur daran denke, wie ich das alles zusammenhalten soll!“
Volkold lächelte und erwiderte: „Wenn du willst, lass ich dir den Bader kommen, damit er einen guten Aderlass vornimmt. Du wirst dann sehen, dass deine Säfte rasch wieder im Gleichklang sind und du mit mehr Gelassenheit, als es im Moment der Fall ist, dich für deine neue Aufgabe vorbereitest und zugleich deine hiesige Tätigkeit einem geeigneten Nachfolger übergibst.“
„Ein Aderlass? Warum nicht, aber zuvor werde ich ein ausgiebiges Bad nehmen. Ich danke dir sehr herzlich, Volkold, für alles, was du bislang für mich getan hast. Das werde ich dir nie vergessen, so lange ich lebe.“
„Schon gut, schon gut!“, wehrte der Bischof lächelnd ab. „Aber mal unter uns, bevor du die Anweisungen für das Bad erteilst und wir uns wohl auch aufgrund meiner Amtsgeschäfte frühestens zum Abendessen morgen erst an der Tafel des Kaisers sehen werden: Bereust du, dieses gute, weltliche Leben am kaiserlichen Hof wieder verlassen zu müssen und nun als Oberhirte der Kirche tätig zu werden?“
„Bereuen?“, lachte Willigis. „Das wohl kaum, lieber Freund. Und was das gute, weltliche Leben angeht – ich denke, dass die Küche in Mogontiacum nichts zu wünschen übriglässt. Jedenfalls machte es mir bislang nicht den Eindruck, dass ein Erzbischof von Mogontiacum sparen müsse!“
Die beiden Freunde lachten gemeinsam über den Scherz, und Willigis gab einem der Diener den Auftrag, für heißes Badewasser zu sorgen und ihm den Bader zu schicken. Dann ging er in sein Gemach, das sich auf dem gleichen Flur befand, um sich noch ein wenig vor dem Bad und dem Aderlass auszuruhen. Der Diener, der ihn zum Bad abholte, musste ihn wecken.
In angenehmer Erwartung betrat Willigis den Baderaum. In der Mitte des Kellerraumes stand ein großer, hölzerner Bottich. Sehen konnte man nicht sehr weit, denn obwohl der Raum gut beheizt war, hatten die Schwaden des heißen Badewassers alles eingehüllt. Der Kanzler erkannte hier nur schemenhaft die Umrisse des Zubers und die Konturen einer Gestalt, die plötzlich vor ihm stand und ihm mit einer sanften Geste über die Wangen strich.
„Gerlin?“, flüsterte er leise und erhielt die Antwort: „Wen hast du denn erwartet?“
Sein Lächeln konnte sie nicht sehen, aber jetzt überließ er sich ganz ihren sachkundigen Händen. Er genoss, wie sie nach dem Abstreifen seines langen Hemdes über den Kopf damit begann, seine Schultern mit ihren Händen zu massieren und regelrecht durchzukneten. Gerlin verstand auf ganz besondere Weise die Massagearten, die der Grieche Galenos bereits gut zweihundert Jahre nach Christi Geburt entwickelt hatte.
Mit einem wohligen Stöhnen räkelte sich Willigis unter ihren Händen, genoss es, wie sie ihn mit einem angenehm riechenden Öl einrieb und ihn noch einmal massierte.
Irgendwann kam jedoch der Punkt, am dem Kanzler Willigis auf unangenehme Weise in die Wirklichkeit seiner Umgebung zurückgeholt wurde.
Gerlin hatte ihm eine Frage gestellt. „Wann brichst du nach Mogontiacum auf?“
Der Blick in ihr kummervolles Gesicht sprach Bände.
Hier half kein Verstellen mehr, aber trotzdem war er auf unangenehme Weise durch diese Frage berührt. „Woher weißt du davon, Gerlin?“
„Es stimmt also!“ Sie wandte rasch ihren Kopf zur Seite, damit er ihre Tränen nicht sehen konnte. Willigis aber reagierte ebenfalls schnell, griff ihr in den Nacken und zog sie zu sich heran. Gleich darauf küsste er sie leidenschaftlich und spürte, wie Gerlins anfänglicher Widerstand wich. Dann zog sie sich das schlichte, knielange Hemd über den Kopf und stieg zu ihm in den Zuber.
Später lagen sie eng beisammen auf dem Ruhelager, das Willigis im Nebenraum hatte einrichten lassen. Er war damit einer Idee der schönen Magd gefolgt und hatte mit ihr hier etliche Stunden voller Lust und Leidenschaft verlebt. Bei dem Gedanken, dass es damit nun zu Ende sein sollte, überkam auch ihn ein Moment der Trauer. Aber rasch wischte er diese Gedanken beiseite, legte seinen Arm wie beschützend um die schlafende Gerlin und küsste sie sanft auf die ihm zugedrehte Wange. Überrascht schlug sie die Augen auf und lächelte ihn an.
„Nimm mich mit, Willigis. Ich möchte mit dir nach Mogontiacum!“
„Du weißt, dass das vollkommen ausgeschlossen ist, Gerlin!“, antwortete er mit sanfter Stimme und strich ihr liebevoll über den Nacken. „Du hast immer gewusst, dass wir uns eines Tages trennen müssen, wenn ich eine neue Aufgabe vom Kaiser bekomme. Noch liegt der Tag in einiger Ferne, aber wir beide wissen gut, dass es sich nicht mehr aufschieben lässt.“
„Trotzdem, Willigis. Ich möchte dich nicht verlieren. Warum kann ich nicht in deinem Haus in Mogontiacum leben? Dort wird es auch Mägde geben, und ich ...“
„Gerlin, bitte. Ich werde zum Erzbischof geweiht, und da kann ich nun wirklich keine Magd im Haus haben, die mit mir das Lager teilt!“
„Aber – ein Priester muss doch nicht auf eine Frau verzichten? Warum dann ein Erzbischof?“
Willigis lächelte. Gerlin war nicht dumm und hatte mit ihrer naiven Bemerkung durchaus Richtiges gesagt. Dem Priesterstand war es nicht ausdrücklich verboten, zu heiraten oder eine Frau zu haben, mit der man sich das Lager teilte. Aber es wurde nicht gern vom Vatikan gesehen, denn die Verbindung mit der Kirche sollte Vorrang haben – und über alles andere gestellt werden.
„Gerlin, auch das haben wir immer und immer wieder besprochen. Lass das Thema nun ruhen, es kann sich nichts ändern. Ein Erzbischof ist ein mächtiger Mann, nicht nur für die Kirche. Und der Erzbischof von Mogontiacum gar ist nach dem Kaiser der wichtigste Mann im Reich. Was glaubst du wohl, wie ich dastehe, wenn man von deiner Existenz in meinem Haus erfährt?“ Willigis sprach leise und vergrub sein Gesicht in ihren Haaren.
Einen Moment zögerte Gerlin, dann aber sprang sie vom Lager auf, griff wortlos nach ihrem Hemd und war aus dem Raum, noch ehe Willigis reagieren konnte. Nur ein leises: „Gerlin – nicht so!“, rief er ihr nach, aber eine heftig zugeworfene Tür ließ ihn verstummen.
Mit einem Seufzer erhob auch er sich nun, kleidete sich an und eilte in sein Gemach, um sich für die Nacht einzurichten.
Die dunkle Gestalt, die sich still hinter eine Säule auf dem Gang drückte, bemerkte Willigis im Aufruhr seiner Gefühle nicht. Wie hätte er auch annehmen können, dass Bruder William noch immer jeden seiner Schritte verfolgte und sich bemühte, irgendetwas zu entdecken, mit dem er Willigis schaden konnte. Heute wähnte er sich seinem Ziel nahe, konnte allerdings nicht ahnen, dass sein verhasster Gegner ihm schon wieder um ein sehr großes Stück voraus war. So groß, dass Bruder William bald selbst um sein Leben fürchten musste, wollte er etwa eine Anklage gegen den Erzkanzler verbreiten wollen, in dem es um dessen Umgang mit Frauen ging.
Kanzler Willigis bereitete sich in seinem Gemach auf die Nacht vor.
Für ihn bedeutete das eine kleine Andacht, in der er den Tag an sich vorüberziehen ließ, seine Fehler und Sünden vor dem Herrn bekannte, und dann in einem Gebet endete. Das war seine persönliche Weise, die Komplet zu vollenden.