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ОглавлениеAlte Bekannte kommen wieder
Der junge Kaiser hatte einige Amtsgeschäfte in der unmittelbaren Zeit nach dem Tod seines Vaters zu regulieren, bestätigte vor allen Dingen die von seinem Vater verfügten Ländereien des Erzbistums Magdeburg. Das schuf ihm gleich zu Beginn seiner Alleinherrschaft neue Probleme, die eigentlich zu den alten seines Vaters gehörten. Denn der Adel in Sachsen nahm die neuen Bistümer nicht widerspruchslos hin, und Kaiser Otto II. musste eine Reihe von Hofbeamten bestellen, deren Aufgabe es war, die Grenzen festzuschreiben und die Rechte der Bistümer zu sichern. In dieser Situation fehlten ihm schon vom ersten Tag an gute Ratgeber. Zwar hatte er eine nachhaltige Stütze in Bischof Volkold an seiner Seite, aber er vermisste auch Erzbischof Willigis, mit dem er bereits in Italien war und der schließlich als Erzkanzler des Reiches der Stellvertreter des Kaisers war.
Also entschloss er sich, zusammen mit seiner Ehefrau, der byzantinischen Prinzessin Theophanu, zuerst seinen Erzbischof in Mogontiacum aufzusuchen, dann weiter nach Worms zu reisen und dort seinen ersten Hoftag zu zelebrieren. Während das kaiserliche Paar nebst seinem umfangreichen Gefolge unterwegs war, eilten die Kuriere zu den Herzögen und Fürsten im Kaiserreich, um sie einzuladen. Otto II. hatte zudem vor, auf seiner Rundreise auch einige der wichtigsten Höfe aufzusuchen und vor allem mit den Bischöfen zu sprechen.
So versetzte die Nachricht vom Eintreffen des Kaisers die Stadt Mogontiacum am Ufer des Moenus, wie die Römer den Main nannten, in helle Aufregung. Es blieb kaum Zeit für die wichtigsten Vorbereitungen, die in erster Linie natürlich der Unterbringung des kaiserlichen Paares sowie der wichtigsten Begleitpersonen gelten musste. Dafür aber gab es in der Stadt keinen ausreichenden Platz, und man sorgte also dafür, dass der junge Kaiser wie zuvor schon sein Vater in die Pfalz zu Ingelheim reisten und die Adligen unter Anführung des Erzbischofs Willigis sich ebenfalls auf den Weg machten, um dort ihrem Kaiser zu huldigen.
Am Abend des zweiten Tages nach ihrer Ankunft bat Kaiser Otto II. seinen Erzkanzler zu einem persönlichen Gespräch unter vier Augen. Das war in diesem Falle wörtlich von ihm gemeint, wie Willigis beim Eintreten in den Königssaal sofort erkannte. Nicht einmal Diener standen hier bereit, kein Schreiber saß zu Füßen des Kaisers, und ein etwas beklommenes Gefühl beschlich den Erzbischof. Aber die herzliche Art, mit der ihn Otto begrüßte, der vertrauliche Umgang im Gespräch mit ihm, und schließlich der Wunsch, mehr über sein Bauvorhaben zu erfahren, ließen ihn schließlich überschwänglich plaudern, nachdem sie sich vorab über ein paar schwierige Amtsvorgänge ausgesprochen hatten.
„Wie Wir hörten, wollt Ihr Euren Traum verwirklichen!“, begann der Kaiser nach einem Moment des Schweigens. Sie hatten eine Mappe mit Dokumenten durchgesehen, und der Kaiser legte sie nun erleichtert auf den Tisch.
„Ihr meint meinen Traum vom Bau einer Kathedrale zu Mogontiacum? Ja, Herr Kaiser, noch nie zuvor war ich so dicht daran, diesen Traum zu verwirklichen. Ich möchte, dass die Stadt eine wunderbare, große Kirche erhält, die Platz für alle Christen zugleich bietet. Ein solcher, prächtiger Bau, ausgeführt von den besten Baumeistern, soll zu Gottes und Eurem Lob dienen.“
Der Kaiser lächelte milde und strich sich dann über das bartlose Kinn.
„Zum Lob auch des Kaisers, wie schön. An was genau denkt Ihr dabei, wollt Ihr gar Aachen einen Gegenpart bieten?“
Der Erzbischof zögerte kurz, dann nickte er heftig.
„Ja, Herr Kaiser, das ist mein Gedanke. Ich möchte die Stadt Mogontiacum damit heben. Dort stand einst ein bedeutendes Lager der Römer, und Rom ist noch heute unser Vorbild und der Sitz des Heiligen Vaters. Der Petersdom ist ein wunderbarer Bau, das werdet Ihr mir gern bestätigen. Und so wünsche ich mir die Kathedrale in meiner Stadt.“
Der Kaiser schien ein wenig überrascht von diesen Worten, denn er kannte die Stadt und wusste, dass der Bau einer neuen Kirche eigentlich nicht erforderlich war. Die Christen von Mogontiacum fanden ausreichenden Platz in den vorhandenen Kirchen, wenn auch vielleicht nicht eben alle gemeinsam in einer einzigen. Aber er kannte Willigis gut genug, um zu wissen, dass er sein Vorhaben mit aller Kraft vorantreiben würde. Sicher hatte er auch längst die finanzielle Seite aufgestellt, aber er würde auch die Unterstützung des Kaisers benötigen. Voraussetzung dafür war, dass Otto II. mit einem solchen Kirchenbau überhaupt einverstanden war.
„Mein Vater war der erste König, der im Jahre des Herrn neunhundertsechsunddreißig die alte Tradition der Königskrönung im Aachener Dom wieder einführte. Und ich folgte ihm, wie Ihr wisst, neunhunderteinundsechzig nach. Denkt Ihr wirklich, verehrter Herr Erzbischof, dass man mit der Verlegung dieser Zeremonie nach Mogontiacum einverstanden sein wird?“
„Das kümmert mich nicht sonderlich, Herr Kaiser, wenn Ihr nur damit einverstanden sein wollt! Es spricht vieles dafür, denn wie es Euer Vater gewünscht hat, ist der kaiserliche Erzkanzler zugleich Erzbischof von Mogontiacum, und da sollte die kaiserliche Würde in Zukunft auch in dieser neuen Kirche verliehen werden.“
Willigis hatte bei seinen Worten leicht gerötete Wangen bekommen, was bei ihm außerordentlich selten zu sehen war. Bei allen Verhandlungen hatte er sich stets als zurückhaltender, fast kühl wirkender Ratgeber gezeigt, der seine Gefühle nur wenig zeigte. Aber dieses Thema war nun einmal seine Herzenssache, und so wurde verständlich, dass sogar seine feste Stimme leicht vibriert hatte, als er seinen Plan vollständig aufdeckte.
„Ein neues Rom! Eine Kathedrale so prächtig wie der Petersdom! Ich muss schon sagen, Ihr habt überzeugende Gedanken, verehrter Herr Erzbischof. Hier meine Hand darauf, diesen Pakt gehe ich gern mit Euch ein. Und wenn es um die Silberlinge geht – Ihr habt das Wort Eures Kaisers!“
Willigis strahlte vor Glück.
Das war seine Hoffnung, und nun würde er die Vorbereitungen für den Bau rasch vorantreiben können.
„Noch etwas, mein Lieber. In einer guten Stunde wird wohl das Essen aufgetragen werden. Ich möchte gern, dass Ihr hier zu meiner Rechten sitzt.“
„Eine hohe Ehre für mich, Herr Kaiser. Und Eure Gemahlin, die Kaiserin?“
„Wird auf Eurer anderen Seite sitzen. Jeder soll sehen, wie wir mit Euch in Unserer Mitte zufrieden sind!“
Hochbeglückt eilte der Erzbischof aus dem Königssaal, nachdem er sich entsprechend verbeugt hatte. Beinahe wäre er auf dem Weg zu dem Gemach, das er für gewöhnlich bei Aufenthalten in der Kaiserpfalz bewohnte, mit einem Herrn zusammengestoßen, der es ebenso eilig hatte wie er selbst.
„Volkold! Welche Freude!“
„Meine Güte, der eilige Erzkanzler und Erzbischof persönlich!“, rief der Bischof freudig aus, dann umarmten sich beide.
„Entschuldige mich, mein Freund, aber ich muss dringend mit dem Kaiser sprechen, es gab gerade wichtige Nachrichten durch einen Kurier, die er hören muss.“
„Und sein Erzkanzler nicht?“, antwortete Willigis und drohte scherzhaft mit dem Zeigefinger.
„Wo habe ich nur meine Gedanken? Komm mit mir, Otto wird nichts dagegen haben, wenn du mit dabei bist! Es ist in der Tat von allerhöchster Wichtigkeit.“
Während die beiden Geistlichen zurück zum Königssaal eilten, sagte Volkold nur kurz vor dem Eintreten: „Nur, dass du nicht allzu sehr überrascht bist. Es ist wieder einmal Heinrich der Zänker, der seinem Namen alle Ehre macht. Gerade erst hat ihm Otto ihm die königliche Burg Bamberg geschenkt, und nun melden mir meine Vertrauten, dass er sich in Schwaben breit macht und dort seine alten Spiele wieder aufgenommen hat. Soviel vorab, jetzt werde ich vor dem Kaiser berichten. Komm, alter Freund, das wird uns alle noch lange Zeit beschäftigen!“
Während seines detaillierten Berichtes über die Machenschaften Heinrichs, der zusammen mit seinem Schwager Burchard III. von Schwaben dabei war, anstelle des Abtes Werner von Fulda seinen eigenen Vetter zum neuen Bischof von Augsburg am Domkapitel vorbei einzusetzen, kam für einen Moment so etwas wie Neid in Willigis auf.
Volkold vertrat nicht nur den Erzbischof von Magdeburg regelmäßig, sondern auch andere im Kaiserreich, war sehr viel unterwegs und arbeitete mit vielen Würdenträgern im Sinne des Kaisers. Doch dann musste er sich selbst ermahnen und daran erinnern, was der Freund schon alles für ihn getan hatte. Und schließlich leistete er ihm innerlich Abbitte für diese Gedanken.
Eigentlich wollte er den Bischof noch fragen, ob etwa in seinem Gefolge auch Bruder William wieder mitgereist war, aber durch das nun beginnende Essen war er darüber hinweg gekommen und vergaß seine Frage.
Während des feudalen Gelages, das sich über einen langen Zeitraum dehnte, plauderte der Erzbischof höchst ungewöhnlich auch immer wieder mit der Kaiserin und erfuhr dabei, dass Otto II. vorgesehen hatte, seiner Frau Theophanu mit einem besonderen Titel alle kaiserlichen Rechte zu sichern, für den Fall, dass sie ihn überleben sollte.
„Wie hört sich das für Euch an, Herr Erzbischof: Coimperatrix Augusta!“
Willigis zuckte förmlich zusammen. Einen solchen Titel hatte es noch nie gegeben.
„Sehr treffend, Herr Kaiser. Damit wird ihr Anspruch allen deutlich gemacht!“, brachte er dann in einem flüssigen Satz heraus, dachte aber zugleich bei sich: Ob ihr das im Ernstfall wirklich helfen wird, bleibt sehr fraglich. Wie ich hörte, ist die Kaiserin beim sächsischen Adel nicht sonderlich angesehen. Bleibt nur, für den Kaiser und seine Gesundheit regelmäßig zu beten!
Gerade gab er einem Diener ein Zeichen, ihm noch einmal aus dem großen Steinkrug den Becher nachzuschenken, den er zu diesem Zweck erhoben hatte. Es fehlte nicht viel, und er wäre ihm aus der Hand gefallen, als sein Blick zufällig auf eine der Kochmägde fiel, die eben mit einer großen Platte aufgeschnittenem Fleisch an den Gästen vorüberging. Aber er beherrschte sich und stellte den Becher auf den Tisch.
Als die junge Frau mit gesenktem Haupt neben ihm stand und sich leise erkundigte: „Darf ich Euch auch noch etwas auflegen, Exzellenz?“, nickte er nur und spürte, dass er ein trockenen Rachen bekommen hatte.
Schon war sie zum nächsten Gast geeilt, und Willigis griff zum Becher, leerte ihn in einem Zug und suchte mit den Augen nach der Maid, ohne sie jedoch zwischen den geschäftig hin und her eilenden Menschen noch einmal zu entdecken.
Wie hat sie das nur geschafft? Ich hätte es ahnen müssen, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit würde Gerlin nicht zögern, mir nachzureisen. Gut, ich will ihr nicht zürnen, aber dann muss sie auch gehorchen und Rücksicht nehmen. Ich kann mir weder hier noch in Mogontiacum einen Skandal erlauben!
Sobald es ihm nur möglich war, entschuldigte er sich beim kaiserlichen Paar mit Kopfschmerzen und zog sich in sein Gemach zurück. Hier saß er nur eine Weile beim flackernden Licht einer Öllampe und vollzog seine Exerzitien wie an jedem anderen Abend. Doch lange Zeit kam er nicht wirklich zur Ruhe und befürchtete schon, dass Gerlin die Gelegenheit suchen würde, um zu ihm in sein Gemach zu gelangen. Doch dann fielen ihm die Wachen vor seiner Tür ein, und er drehte sich beruhigt auf die andere Seite, um bis zum Sonnenaufgang tief und fest zu schlafen.
Als er sich jedoch beim Erwachen sofort an Gerlin erinnerte, die sich unter dem Küchenpersonal des Kaisers befand, wurde er wieder nervös.
Ich muss sie finden und ihr Verhaltensmaßregeln nennen!, dachte Willigis während des Ankleidens. Dann eilte er aus seinem Gemach, schaffte es noch, im Vorbeilaufen den beiden Bewaffneten vor seiner Tür einen guten Morgen zu wünschen, und eilte in den Küchentrakt. Schon von Weitem hörte er die Geräusche des geschäftigen Treibens und blieb abrupt stehen.
So geht es auch nicht. Der Erzbischof kann unmöglich am frühen Morgen in die Küche stürmen und verlangen, mit einer Magd zu reden. Willigis, bleib vernünftig. Es wird sich ein Weg finden.
Langsam drehte er sich um und ging hinüber zum Königsaal, in dem sich bereits die ersten Ministerialen versammelten, die zum kaiserlichen Gefolge gehörten. Viele von ihnen kannte er seit längerer Zeit, nickte ihnen freundlich zu und überflog rasch den Raum. Keine Spur von Gerlin, und fast kam es ihm schon so vor, als hätte er sich ihre Anwesenheit nur erträumt. Als er dann jedoch Volkold erblickte und gleich darauf neben ihm Platz nahm, wurde er vom Gegenteil überzeugt. Der Bischof begrüßte ihn lächelnd und sagte dann mit gedämpfter Stimme: „Hatte nicht erwartet, dass du so früh zum Frühstück kommst. Allerdings habe ich dich in der Kirche nicht gesehen!“
„Mein werter Herr Bischof, kontrolliert Ihr jetzt den Erzbischof, ob er seine Stundengebete spricht? Seid gewiss, dass ich nichts dergleichen vernachlässige! Und überhaupt, warum sprichst du so verwunderlich, Volkold? Warum sollte ich nicht zu dieser normalen Stunde an der Frühstückstafel erscheinen?“
Der Bischof lächelte wissend, warf einen schnellen Blick über die Schulter und antwortete dann: „Ich habe eine gewisse Küchenmaid gestern gesehen, die uns aufgetragen hat. Sollte ich mich getäuscht haben?“
Willigis beugte sich zu ihm herüber.
„Wenn du mein Freund bist, hilf mir lieber, anstatt über mich zu spotten! Ich wollte sie heute Morgen in der Küche aufsuchen, besann mich dann aber eines Besseren!“
„Wohl getan, Herr Erzbischof!“, schmunzelte Volkold und erhielt dafür einen Rippenstoß. „Aber lass mich das machen, Willigis. Ich werde mit ihr reden und ihr einschärfen, dass sie dich hier in der kaiserlichen Pfalz auf keinen Fall in Verlegenheit bringen darf!“
„Danke!“, antwortete Willigis und erhob sich, dabei dem Freund auf die Schulter klopfend. „Wir sehen uns noch später, ich muss frische Luft holen, sonst kann ich nicht frei atmen. Hier bedrängt mich schon wieder alles, was ich von mir fernhalten wollte! Ich dachte, ich hätte mein altes Leben am Hof des Kaisers hinter mir gelassen und bin nun als Erzbischof Herr meines Lebens. Aber weit gefehlt!“
Damit eilte er davon, und verwundert blickten einige der Männer an der Tafel auf.
„Ich staune, wie eilig es der hohe Herr hat!“, knurrte einer der Ritter und wischte sich das Bratenfett aus dem Bart. Dann griff er wieder gierig nach dem Fleisch auf seinem Teller.
„Ich wundere mich über seine Gewandung, mein Freund. Seit ich den Erzherzog hier in der Pfalz sehe, läuft er kaum besser gekleidet als ein Mönch herum. Stets nur in dieser schwarzen, schlichten Kutte. Hat das Domkapitel so wenig Geld, dass sein Erzherzog sparen muss?“
Lachend stießen die beiden ihre Becher gegeneinander, was ihnen einen missbilligenden Blick des Bischofs eintrug, der unweit von ihnen entfernt saß und ebenfalls nur wieder in das schlichte Habit der Benediktiner gekleidet war.
Die beiden Spötter zogen nur die Schultern hoch und grinsten unverschämt.