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7.

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Willigis, Erzbischof und Baumeister

Als ihn der Diener zum Erzbischof vorließ, blieb Mathes irritiert an der Schwelle des Raumes stehen. Willigis hatte sich eine lange Tafel in den größten Raum bringen lassen, an deren Kopfseite er jetzt saß. Allerdings trug er ein Gewand, das der Vertraute des Erzbischofs bislang noch nie an ihm gesehen hatte. Während Willigis im Alltag zumeist im Habit eines einfachen Mönches herumlief, war er jetzt in ein ungewöhnliches Gewand gekleidet. Es war ein aus kostbarem Stoff gefertigter Überwurf mit Öffnungen für den Kopf und die Arme. Da Mathes die kirchliche Tracht nicht kannte, wusste er zwar, dass die Geistlichen während des Gottesdienstes etwas Ähnliches trugen, aber das hatte nach seiner Erinnerung keine Ärmellöcher. Außerdem war dieser Überwurf auch nach vorn geöffnet und gab den Blick auf eine Tunica frei, die dunkelblau gefärbt war, ein starker Kontrast zu dem Überwurf in einen hellen Rot. Willigis bevorzugte für seine Empfänge seit einiger Zeit diese Kleidung, die auf einer Casula basierte, und darunter eine Tunica nach römischer Art.

Die Ränder waren mit goldfarbener Borte eingefasst, und auch der Halsausschnitt der Tunica war auf ähnliche Weise verziert. Auf dem Kopf trug der Erzbischof jedoch nur eine einfache, runde Kappe, die sogenannte Pileolus, die auf dem Hinterkopf seines starken Haupthaares saß.

„Exzellenz!“, stammte Mathes verlegen, denn er nahm an, dass er den Erzbischof störte.

„Tritt näher, Mathes, ich erwarte zwar gleich noch wichtige Besucher, aber für dich habe ich noch genügend Zeit. Was ist nun mit den Pferden?“

„Sie werden morgen in Eurem Stall stehen, Herr Erzbischof. Außerdem habe ich das Schloss gängig gemacht und dafür gesorgt, dass der hinter dem Stall verlaufende Geheimgang leicht zu passieren ist. Ein Licht ist jeweils zusammen mit dem Feuerstahl auf beiden Seiten in einer Wandnische bereit. Niemand wird sehen können, wer an der versteckten Stelle der Stallmauer eintritt und den Palast betritt.“

„Sehr gut, Mathes. Ich habe mich heute Mittag schon von der Brauchbarkeit dieses Ganges überzeugt. Dass dir seine Entdeckung gelungen ist, verdanken wir nur deinem scharfen Auge und – meiner Fähigkeit, die richtigen Schlüsse zu ziehen.“

„Ja, Herr. Wenn Ihr mich aber nicht darauf hingewiesen hättet, dass das Innere des Pferdestalles kleiner scheint als das Äußere – ich wäre nicht darauf gekommen, dass man ein schmales Stück abgemauert hatte und dadurch einen Geheimgang in das bischöfliche Anwesen schaffen konnte. Ihr habt ebenfalls ein sehr scharfes Auge, Herr Erzbischof, wenn ich das so sagen darf!“

Willigis lächelte und hielt Mathes seine geschlossene Hand hin.

„Ich achte auf jedes Detail bei einem Bau, Mathes. Und wenn ich nun über die Pferde verfügen kann, so fällt mir ein Stein vom Herzen. Damit bin ich unabhängig von allen Förmlichkeiten, die ein Erzbischof nun einmal einhalten muss. Dein Lohn ist in diesem Beutel, und wenn du morgen die Pferde bringst, werden die Knechte entsprechend eingewiesen. Ich weiß noch nicht, wann wir uns wieder sprechen können. Ich erwarte aber von dir, dass du alles wie besprochen einhältst und die Knechte wissen, was ich von ihnen jederzeit erwarte!“

Mathes verbeugte sich dankbar und steckte rasch den Beutel in seinen Gürtel.

„Exzellenz, alles wird zu Eurer vollen Zufriedenheit sein. Der Schmied hat das Schloss kontrolliert und diese zwei Schlüssel für Euch angefertigt. Weitere gibt es nicht, und ich kann Euch dann noch das Geheimnis des Schlosses zeigen.“

Willigis winkte lächelnd ab.

„Weiß schon, Mathes! Der Schmied hat mir die Stelle gezeigt, an der sich das Schloss von innen ohne Schlüssel öffnen lässt. Er ist ein verschwiegener Mann, von dir weiß ich es auch – nun haben wir ein Geheimnis, das nur drei Menschen auf der Erde kennen.“

„Und wem werdet Ihr es noch mitteilen, Exzellenz?“

Der Erzbischof warf nur einen Blick nach oben.

„ER weiß und sieht ohnehin alles!“, gab er lächelnd zur Antwort, und das war das Zeichen für Mathes, sich zu entfernen. Willigis griff zu einem der großen Pergamentbögen und hielt ihn gegen das Licht, das durch die dünn gegerbten Pergamente in den Fensterrahmen nur gedämpft in den großen Saal fiel.

Er ist wie ein König!, dachte Mathes, als er das Anwesen des Bischofs verließ. Oder besser – wie ich mir einen König immer vorstelle, weil ich noch keinen kennengelernt habe. Aber was für ein schönes Leben ich plötzlich durch meinen neuen Herrn führe! Und die gute, neue Kleidung, die er mir geben ließ! Es wird mir ein Vergnügen sein ... Moment, was ist das für ein Bursche?, unterbrach er seinen Gedankengang, als er eine Bewegung an der hohen Steinmauer bemerkte, die sich um das ganze Anwesen zog. Er hatte eben das Tor passiert, an dem immer zwei Bewaffnete wachten, und mehr aus dem Augenwinkel den Mann gesehen, der sich hastig in den Schlagschatten der Mauer zurückzog.

Rasch war er mit großen Schritten bei der dunklen Gestalt, die er mit der Faust gegen die Schulter stieß.

„Heda, was treibst du dich herum? Kannst du nicht wie ein anständiger Mensch im Sonnenlicht gehen, anstatt dich hier in die Ecke zu drücken, wenn jemand aus dem Hause des Erzbischofs tritt?“

Erst jetzt erkannte er, dass der Mann ein Mönch war. Jedenfalls trug er ein ähnliches Gewand, wie er es bislang beim Erzbischof kannte, die dunkle, bodenlange Kutte. Aber er hatte eine Kapuze weit über den Kopf gezogen, so dass man sein Gesicht nicht erkennen konnte. Rasch griff er dem Mann in den Nacken und zog die Kapuze herunter.

„Lass mich in Ruhe, was fällt dir ein, Kerl? Ich bin ein Mönch und auf dem Weg zum Erzbischof!“, lautete die unwillige Antwort.

Mathes, der den Kapuzenstoff noch fest in der Hand hielt, um zu verhindern, dass der Mann ihm entkommen konnte, schüttelte ihn damit jetzt tüchtig durch.

„Erzähle mir keine Märchen! Wenn du wirklich ein Mönch bist – warum läufst du vor mir weg und dazu in die falsche Richtung? Zum Erzbischof geht es hier durch das Tor mit den Wachen! Aber du hast wohl Schlimmes vor, und deshalb werde ich dich jetzt den Wachen überlassen. Sie werden dich schon ordentlich ausklopfen und die Wahrheit bald erfahren!“

„Lass mich laufen!“, kreischte der Mönch jetzt auf. „Ich bin wirklich ein Mönch und gehöre zum kaiserlichen Gefolge! Wenn du mich nicht sofort in Ruhe lässt, wird das sehr unangenehme Folgen für dich haben!“

Mathes betrachtete mit verächtlicher Miene das ängstliche Gesicht des hageren Mannes im Habit eines Benediktiners. Schweißtropfen auf dessen Stirn, die weit aufgerissenen Augen, die schrille Stimme – von diesem Mann schien keine Gefahr auszugehen. Aber Mathes wollte ihm Angst machen, denn er traute dem Mann nicht.

„Hör mir zu, Bursche – ob Mönch oder nicht – du hast dich seltsam benommen. Wie ist dein Name, damit ich mich erkundigen kann, ob du wirklich zum kaiserlichen Gefolge gehörst?“

„Ich bin Bruder William vom Kloster zum Berge bei Magdeburg. Und jetzt lass mich gefälligst los!“

„So, William!“, antwortete der verschlagene Mathes. „Seltsam, dass du aus dem gleichen Kloster kommst wie der Erzbischof! Du bist aber nicht etwa dieser Schreiber, der dort in der Bibliotheca zahlreiche Bände kopiert hat?“

Jetzt bekam es William richtig mit der Angst zu tun.

Er streckte beide Hände abwehrend vor sich und rief mit seiner schrillen, sich fast überschlagenen Stimme: „Du weißt, was ich im Kloster gemacht habe? Wie ist das möglich?“

„Nun, es gab, wie mir mein Herr erzählt hat, dort nur einen Mönch mit diesem Namen. Und ich denke mal, es wird ihn sehr interessieren, dass du mir weismachen willst, zum kaiserlichen Gefolge zu gehören!“

„Aber das stimmt wirklich!“, kreischte der Mönch.

„Wird sich zeigen!“, antwortete Mathes, packte den Stoff fester und zog den Mönch mit sich bis zu den Torwachen. „Hier, Freunde, auf den habt ein waches Auge! Er behauptet, der Mönch William zu sein und zum Kaiser gehören. Aber Otto II. ist ja gar nicht in der Stadt, sondern längst wieder von Ingelheim unterwegs zu seinem Umritt und vermutlich längst in Worms. Und meldet dem Erzbischof, wer hier um die Mauern schleicht und behauptet, zu unserem Herrn zu wollen!“

„Aber ich bin ...“, kreischte William erneut, und eine der Wachen stieß ihn so hart in die Seite, dass er gegen die starken Torflügel taumelte und sich dort abstützen musste.

„Maul halten, Kerl!“, herrschte ihn der Soldat scharf an. Er machte ein überaus grimmiges Gesicht. „Mit dir mache ich mir einen besonderen Spaß, solltest du nicht sofort vor mir artig herlaufen und die Treppe in den Keller hinuntergehen.“

„In den Keller? Bring mich sofort zum Erzbischof!“, antwortete William mit lauter, schriller Stimme. Doch das brachte ihm den nächsten, kräftigen Stoß ein, und nun schwieg er ängstlich, denn dass mit diesen Soldaten nicht zu spaßen war, hatte er rasch eingesehen.

„Ich bin morgen wieder hier!“, sagte Mathes. „Berichtet mir, was der Bursche nach dieser Nacht im Keller alles erzählt hat!“

„Keine Sorge, Mathes, diese kleine Portion wird glücklich sein, wenn er uns nachher alles erzählen darf!“, antwortete lachend der andere Soldat, der sich jetzt breitbeinig in den geöffneten Torflügel stellte, während sein Kamerad den unglücklichen Mönch vor sich her über den großen Hof trieb und anschließend im Keller der erzbischöflichen Wache in einen fensterlosen Raum sperrte, wo William nun die Nacht auf einer dünnen Schicht Stroh verbringen musste.

Damit war aber Mathes noch keineswegs am Ende seines heutigen Tagewerks. Er suchte eine der Herbergen auf, wie sie in der letzten Zeit geradezu aus dem Boden zu schießen schienen wie die Pilze nach einem warmen Regentag im Herbst. Rings um den Markt der Stadt Mogontiacum entstanden zahlreiche Unterkünfte für die immer häufiger in die Stadt strebenden Fernhandelskaufleute. Der neue Erzbischof hatte einen guten Ruf, der sich schnell im kaiserlichen Reich ausbreitete. Vor allem aber der bevorstehende Bau einer Kathedrale, über die man bereits bis hinauf im hohen Norden in der Stadt Hamburg sprach, lockte die Händler in die Stadt. In den zahlreichen kleinen Seitengassen gab es die Häuser, die nur eine geringe Anzahl von Kammern aufwiesen, in denen man für die Hälfte des Betrages auf den Hauptstraßen ein Quartier fand. Manchmal musste man sich sogar die kleinen Kammern mit zwei oder sogar drei anderen Menschen teilen, und alle drängten sich auf der Bettstatt zusammen. Aber dort war es einfach der günstige Preis und die Möglichkeit, auch einmal für ein paar Monate bezahlbaren Unterschlupf in der Stadt des mächtigsten Erzbischofs zu finden.

Hier hatte auch die Küchenmagd Gerlin eine preiswerte Unterkunft gefunden, und das war nun das Ziel von Mathes, dem Vertrauten des Erzbischofs. Er ahnte, warum sein Herr darauf bestanden hatte, dass er sich um diese Frau kümmerte. Gerlin hatte ein hübsches Gesicht, war sehr interessiert an allen Dingen und konnte sogar lesen und schreiben. Das hatte ihr Mathes zu Beginn ihrer Bekanntschaft nicht geglaubt. Er hatte sie auf eine sehr seltsame Weise kennengelernt. Willigis war mit ihm auf einem Feld außerhalb der Stadtmauern spazieren gegangen und dabei wie zufällig mit den Landarbeitern ins Gespräch geraten.

„Und dies, mein lieber Mathes, ist die Magd Gerlin, deren Wohl ich dir besonders ans Herz lege. Sie stammt aus der Stadt Magdeburg und ist eine liebe Freundin deines Herrn. Aus diesem Grund ist es mir sehr wichtig, dass du weißt, wer sie ist, wo sie wohnt, und wie es ihr geht. Sollte es nur den geringsten Anlass zur Sorge geben, sei für sie da, als wärest du ihr eigener Bruder. Und lass es ihr niemals an irgendetwas fehlen, ich kann es nicht leiden, sollte sie Not erdulden müssen.“

Das war deutlich genug für einen Menschen wie Mathes, der bei seinem früheren Beruf eines gelernt hatte: Die Menschen richtig einzuschätzen.

Am heutigen Tag suchte er sie auf, um ihr einen Schlüssel auszuhändigen und ihr zu erklären, auf welche Weise sie einen gewissen Gang zu benutzen hätte und wo sie beim Betreten das Licht vorfinden würde. Gerlin, die ihn in Gegenwart des Erzbischofs als dessen engen Vertrauten kennengelernt hatte, vertraute Mathes. Am heutigen Abend würde sie den Schlüssel ausprobieren, und Mathes beschwor sie, trotz dieser besonderen Möglichkeit Zugang zum Bischofspalais zu finden, vorsichtig zu sein und niemandem zu vertrauen, sollte sie einem anderen als Willigis begegnen.

Im bischöflichen Palais hatte sich der Erzbischof nun auf den Besuch seines Baumeisters eingerichtet, Pläne und Berechnungen lagen ordentlich nebeneinander aufgereiht auf der langen Tafel, und in der Mitte verdeckte ein schweres Tuch einen seltsamen Gegenstand, dessen Formen nicht verrieten, was sich darunter verbarg.

Willigis schritt noch einmal an seinen Aufzeichnungen entlang, schob hier ein Steingewicht exakt auf die Ecke eines Pergaments, legte hier einen Winkel zurecht, und nahm schließlich den Stechzirkel noch einmal auf, prüfte den eingestellten Abstand und legte ihn dann neben den Stein. Auch den großen Feldzirkel besah er sich noch einmal, bevor er ihn an die Tafel lehnte. Beides waren außerordentlich sorgfältig gefertigte Messinstrumente, die der Erzbischof persönlich in Auftrag gegeben und mehrfach kritisch begutachtet hatte, bevor er die Arbeit des Zirkelschmiedes akzeptierte. Dieser Zirkler, wie man sie für gewöhnlich nannte, stammte aus der Nürnberger Zunft und war von Willigis Vorgänger durch einen glücklichen Zufall nach Mogontiacum geholt worden. Es war nicht so, dass sein Vorgänger Ruprecht ebenfalls Baupläne wie nun Willigis hegte. Aber er förderte den Dompropst Theoderich, der die Stiftskirche St. Gangolf an der Mündung des Zeybachs in den Rhein errichtete. Theoderich, der im Jahre 965 Erzbischof von Trier wurde, schonte die Kirche bei den Ausgaben für die Stiftskirche nicht und zog sich dadurch den Zorn Kaiser Ottos I. zu.

Als Willigis nun den großen Feldzirkel mit einem nachdenklichen Blick betrachtete, weil er ihn an Theoderich erinnerte, fiel ihm ein, was erst beim letzten Gespräch der junge Kaiser Otto II. zu Erzbischof Theoderich mitgeteilt hatte. Das unter der Herrschaft seines Vaters von Theoderich erworbene Kloster St. Marien in Oeren wurde jetzt wieder eingezogen und stand künftig unter der Förderung Otto II., der sich auch sehr für die Gründung neuer Klöster im Reich einsetzte. Neben St. Marien unterstützte der Kaiser auch das Kloster St. Maximin zu Trier. Das Kloster war vor gut vierzig Jahren eingestürzt, der Wiederaufbau zog sich noch immer einige Zeit hin, weil es auch galt, Wünsche der jeweiligen Äbte zu berücksichtigen. Nach dem Abt Asolf wollte auch dessen Nachfolger, Abt Thiedfried, sowie zwischenzeitlich Abt Ogo seine Pläne umgesetzt wissen.

Mag auch Theoderich maßlos im Geldverschwenden gewesen ein, dachte Willigis und strich noch einmal über den Stechzirkel, so hat er doch gutes Werkzeug fertigen lassen. Und ich habe natürlich wirklich Glück gehabt, dass er den Zirkelschmied hierher holen konnte. Das sparte viel Zeit! Und ich werde damit wohl bei Baumeister Magistri Luciano Eindruck schinden. Außerdem bin ich gespannt auf das Gesicht meines alten Freundes Niclas. Wie mir mitgeteilt wurde, traf er bereits gestern aus Magdeburg ein und hat seine Unterkunft in einer Herberge am Markt gefunden. Ich hoffe nur, dass Gerlin ... ach was, Willigis, du machst dir einfach zu viele Gedanken. Der Herr wird es lenken, der Herr wird es richten. Gelobt sei der Name des Herrn!

Ein vernehmliches Pochen an der Tür schreckte ihn aus seinen Gedanken, und auf sein lautes „Herein!“ führte einer der Diener den Magistri herein, dicht gefolgt von Niclas und einigen weiteren Männern.

Auch Baumeister Niclas hatte zwei seiner Männer aus Magdeburg mitgebracht, während der Magistri fünf Mann seiner Baurotte hinter sich hatte. Es fiel Willigis sofort auf, wie sie sich für den Besuch beim Erzbischof gesäubert und ordentlich gekleidet hatten. Er verkniff sich ein Lächeln, denn in den Haaren, Augenbrauen, wie im Bart der Männer war wohl bei einem eher flüchtigen Waschen nun reichlich Steinstaub verblieben und hatte die ursprünglichen Naturfarben in ein leichtes Hellgrau verwandelt. Weder die Magdeburger noch die langobardischen Bauleute, die ursprünglich aus Como kamen, konnten ihren Beruf verleugnen.

„Schön, dass es mir gelungen ist, euch gemeinsam hier zu versammeln. Wir wollen uns auch nicht lange Zeit unnötig mit irgendwelchen Höflichkeiten austauschen. Magistri Luciano wird sich von Meister Niclas bestätigen lassen können, dass ich hier nicht vor euch stehe und mir Dinge ausgedacht habe, die mir im Traum eingefallen sind. Vielmehr weiß ich sehr genau, wovon ich rede, denn ich habe die Steinmetztechniken ebenso studiert wie das Messen und Berechnen von Bögen, Gewölben, Fenstern und Wandhöhen. Schenkt euch deshalb alle diesbezüglichen Einwände. Wenn wir über meine Pläne sprechen, hier in der altehrwürdigen Stadt Mogontiacum eine Kathedrale zu errichten, so will ich von euch Zustimmung, keine Einwände hören. Hier sind meine entsprechenden Aufzeichnungen, Pläne und kleine Skizzen. Ich möchte bei den Rundbögen und Gewölben abwechselnd Säulen mit quadratischem und rundem Querschnitt haben. Die Krypta wird sehr groß werden, um vielleicht einmal in späteren Jahren als kaiserliche Grablege ausgeführt zu werden. Das müsst ihr aber zu Beginn noch nicht planen, sie soll sich nur unterhalb des Mittelschiffes bis zur guten Hälfte hinziehen.“

„Und dürfen wir die Decke als Holzdecke planen, Exzellenz, oder habt Ihr da auch eigene Vorstellungen?“, erkundigte sich Luciano vorsichtig.

„Nein, eine flache Holzdecke ist von mir gedacht. Sie wird dann schöne Malereien aufnehmen können. Sind noch weitere Fragen? Lasst nach mir rufen, wenn ihr mit euren Besprechungen fertig seid, ich freue mich schon auf eure Prüfung!“

Lächelnd eilte der Erzbischof aus dem großen Saal und begab sich in seine Bibliothek, um hier noch ein paar Dinge nachzusehen, die ihm selbst während der kurzen Einweisung der Bauleute durch den Kopf gegangen waren.

Hier verging ihm die Zeit wie im Fluge, und er war erstaunt, als ihm einer der Diener meldete, dass die Herren bereit wären, mit ihm über das Projekt zu sprechen. Also ging der Erzbischof mit gemessenen Schritten zurück in den großen Saal, wo sich die Köpfe aller Anwesenden zu ihm drehten, kaum dass ihm die Tür geöffnet wurde.

Am lächelnden Gesicht seines alten Freundes Niclas erkannte er, dass man wohl eine gemeinsame Erklärung gefunden hatte. Tatsächlich nickte der Baumeister hinüber zu Luciano, dessen Gesicht zwar noch eine gewisse Anspannung zeigte, aber dann begann er erst langsam, dann immer rascher seine Begeisterung in Worte zu kleiden.

„Hochverehrter Herr Erzbischof, Eure Exzellenz! Ihr habt mir die Gnade erwiesen, mich zu Euch zu holen, weil Ihr den Wunsch gehegt habt, Euren Bau einer neuen Kathedrale durch meine Baurotte beginnen zu lassen. Nun, wir alle hatten zunächst unsere Zweifel, was die Größe Eurer Kathedrale betraf.“

Mit gerunzelter Stirn und hochgezogenen Augenbrauen war Willigis zu den Männern getreten. Er erfasste sofort die mit einem Kohlestift angefertigten Skizzen, für die Luciano wohl ein eigenes Stück Papier mitgebracht hatte.

„Nun, ich hatte nicht vor, eine Kirche zu erbauen, die einem Heiligen geweiht ist und nur den Pilgern Raum für eine kleine Andacht gibt. Was ich will, habe ich klar gesagt. An dieser Stelle wird ein neues Rom entstehen, sowohl, was meine Kathedrale angeht, als auch in Bezug auf die Stadt Mogontiacum“, erwiderte er ein wenig von oben herab, was in seinem Falle schon allein durch seine Körpergröße keinerlei Mühe bedeutete.

„Wohl verstanden, Herr Erzbischof, wohl verstanden! Darf ich aber Euer Gnaden zugleich an das Schicksal der Marienkirche, genannt St. Maria und St. Korbinian, zu Frigisinga (Freising) erinnern? Die einst von Bonifatius als Bischofskirche bestimmte brannte ab und brach zusammen, weil die Baumeister falsche Berechnungen erstellten. Ich war vor wenigen Monaten mit meiner Baurotte dort und habe mir angesehen, was alles falsch gelaufen sein musste damals, vor gut zweihundert Jahren. Wir Baumeister haben gelernt und wissen heute mehr, aber ich bitte Euch darum, das Langhaus zu kürzen.“

„Zu kürzen? Auf gar keinen Fall!“, antwortete Willigis unwirsch und spürte, wie der Zorn in ihm aufstieg. „An meinem Entwurf wird nichts gekürzt – Niclas, hast du dein Veto bereits eingelegt?“

Der Baumeister nickte lächelnd.

„Exzellenz, der Magistri Luciano ist ein geschickter Mann, jedenfalls in seinen Reden, mehr will ich nicht beurteilen. Aber er will vorbeugen, will Euch darauf hinweisen, dass es Probleme geben könnte und vor allem – Probleme der finanziellen Art!“

Rasch flog Willigis Kopf zu Luciano herum, und er erkannte, dass Niclas das Richtige getroffen hatte.

„Ich bitte Euch um Vergebung, Exzellenz, aber Ihr wünscht ein Querhaus von einer Breite, die zweihundert römischen Fuß entspricht, so habt Ihr es jedenfalls im Plan vermerkt. Nur, um nicht fehl zu gehen: Ihr meint damit das pes drusianus und nicht etwa das übliche Maß, das um zwei digiti länger ist? Ich frage so gründlich, weil wir in unserer Bauhütte das karolingische Fußmaß benutzen, und das weicht doch erheblich vom römischen ab!“

„Verstehe ich Euch richtig, Luciano, so betreibt Ihr ein wenig Haarspalterei. Das Querhaus ist auf zweihundert römische Fuß von mir festgelegt, und zwar nach dem üblichen Maß und nicht dem pes drusianus, das nach meinem Wissen nur in einigen Provinzen Verwendung fand. Das Querhaus erhält die Breite, die auch der Länge des Langhauses entspricht. Oder, um mich verständlicher zu machen und hier, Meister Niclas zu meinem Zeugen zu bestimmen, was ich gesagt habe. Es ist mir bekannt, dass viele Bauhütten eine Kathedrale so planen, dass ein Querhaus aus drei Quadraten besteht, die der Seitenlänge des Mittelschiffbaus entsprechen. Ich aber wünsche die Ausführung von vier solchen Quadraten, womit sich die Maße, die ihr eben mir spitzfindig in andere Maße rechnen wolltet, ergeben. Das Querhaus bekommt die Breite, die der Länge des Langhauses entspricht. Und außerdem wünsche ich – hier ist es“, unterbrach sich der Erzbischof, auf dessen glatt rasierten Wangen eine hektische Röte ausbreitete, „hier bei den Säulen eine ausgeschiedene Vierung.“

Die beiden Baumeister wechselten einen raschen Blick, dann nickte Niclas Luciano zu. „Es verhält sich genauso, wie ich es dir gesagt habe, Luciano. Das wird eine Kathedrale, wie sie sich der Erzbischof vorstellt. Alles andere, verkleinern oder verschieben der Querschiffe, bringt uns hier nicht weiter.“

„An das Querhaus sollen sich ein quadratischer Chorbau und eine Apsis anschließen. Der Vierungsturm ebenfalls hier im Westen.“ Damit deutete Willigis auf seine kleinere Zeichnung, die dem weiteren Kirchenausbau galt. Es war dem Erzbischof klar, dass bis dahin noch eine lange Zeit vergehen würde, aber es lag ihm daran, das Ganze in einem Wurf zu sehen.

„Im Westen das alles, Exzellenz?“, erkundigte sich Luciano noch einmal zweifelnd.

Der Erzbischof trat dicht an ihn heran und erkundigte sich: „Bist du schon einmal in Rom gewesen und hast die Peterskirche gesehen, Luciano?“

„Ja, Exzellenz, vor vielen Jahren. Und ich verstehe, was wir hier wünscht. Eure Kathedrale soll nach Westen ausgerichtet werden, der Altar ebenfalls dort stehen, und nicht, wie sonst üblich, im Osten.“

„Genau erkannt, Magistri Luciano. Auch hier will ich der Peterskirche nacheilen. Sind wir nun einig?“

Willigis zwang sein angespanntes, gerötetes Gesicht zu einem gewinnenden Lächeln, und der Magistri warf nur einen raschen Blick zu den Männern seiner Baurotte, dann ergriff er vorsichtig die Hand des Erzbischofs, sank vor ihm in die Knie und berührte mit den Lippen seinen Ring.

„Zu Gottes Lob und Ehre!“, antwortete Willigis und hob die Hand zum Segen über die Männer, die er zu diesem richtungsweisenden Bau eingeladen hatte.

Tore aus Bronze – Die Trilogie

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