Читать книгу Das Super Krimi Paket Dezember 2021: 12 Romane in einem Buch - 1800 Seiten Thriller Spannung - Alfred Bekker - Страница 68
24. Kapitel
ОглавлениеLorant betrat das Innere des X-Ray. Auf der Bühne räkelte sich eine halbnackte Tänzerin. Der Club war nicht besonders gut frequentiert. Einige der Bardamen saßen gelangweilt herum.
Lorant ging zielstrebig zum Tresen und sprach den Mann dahinter an. Damit ihn jeder ansprechen konnte, trug er ein Namensschild. JONNY stand darauf.
Die Musik war nicht besonders laut, deshalb konnte man sich einigermaßen unterhalten.
"Hier soll mal einer gearbeitet haben, der Eilert Eilers hieß."
Jonny sah Lorant skeptisch an.
"Was wollen Sie trinken?"
"Eigentlich wollte ich nur eine Auskunft."
"Hier ist es aber üblich, dass man etwas trinkt."
"Eilers soll hier auch an der Bar gestanden haben. Genau wie Sie."
"Warten Sie mal einen Moment. Dann kann ich mich wieder um Sie kümmern."
"Ich habe Zeit."
"Na, um so besser!"
Jonny kam hinter dem Schanktisch hervor, ignorierte sogar die Bestellungen mehrerer Gäste und sprach dann mit einem leichtbekleideten Girl, das gelangweilt herumstand. Sie hatte feuerrote Haare, und die Corsage, die sie trug, war ziemlich knapp. Was sie miteinander redeten, konnte Lorant nicht verstehen. Jedenfalls verschwand die Rothaarige im nächsten Moment durch eine Seitentür.
"Also, was ist?", fragte Lorant, nachdem Jonny zurückgekehrt war.
"Sie sehen doch, ich habe zu tun."
Im Akkordtempo mixte er ein paar Drinks. Die Bewegungen seiner Hände waren dabei derart schnell, dass man ihnen kaum zu folgen vermochte. Da saß jeder Handgriff. Alle Achtung, dachte Lorant. Da versteht einer sein Handwerk. Weshalb sich dieser Mann allerdings so zugeknöpft verhielt, was seinen Kollegen anging, war ihm unverständlich.
Ein Mann mit kurzgeschnittenen, grauen Haare kam wenig später zusammen mit dem rothaarigen Girl durch die Nebentür herein. Das Girl zeigte in Lorants Richtung.
Ich verstehe, dachte der Detektiv. Jetzt kommt entweder einer, der mich rausschmeißen soll, oder einer, der mir wirklich Auskunft geben kann und etwas zu sagen hat.
Der Rolex am Handgelenk des Grauhaarigen nach handelte es sich um einen Kandidaten für die zweite Rubrik.
Aber da konnte man nie sicher sein. Manchmal liefen die Laufburschen mit mehr Protz-Utensilien herum als ihre Chefs, die sich eher im Understatement ergingen. Lorant beschloss, einfach abzuwarten.
Der Grauhaarige stellte sich neben ihn an die Bar.
"Mach dem Herrn hier einen Drink!", wandte er sich an Jonny.
"Gleich da!"
"Gib ihm dasselbe, was ich immer nehme!"
"Okay."
Dann reichte der Grauhaarige Lorant die Hand hin. "Ich bin Tom Tjaden. Mir gehört dieser Laden hier."
Lorant zögerte eine Sekunde, ehe er die Hand seines Gegenübers nahm. Aber nur eine Sekunde. Er hoffte, dass Tjaden das nicht falsch interpretierte.
"Ich bin Lorant."
"Hab schon von Ihnen gehört."
"Ach! Ich wusste gar nicht, dass ich inzwischen eine Berühmtheit bin!"
"Na, wir wollen nicht übertreiben, aber..."
"Aber was?"
"Wenn so einer wie Sie auftaucht, spricht sich das schnell herum. Die Gegend hier ist ein Dorf, wenn Sie wissen, was ich meine."
"Ich denke, ich kapier schon."
Die Drinks kamen. Jonny stellte sie auf den Schanktisch.
Tom Tjaden nahm den seinen, hielt ihn kurz hoch und prostete Lorant zu. "Auf was immer Sie wollen, Herr Lorant!"
"Auf die Wahrheit!"
"Meinetwegen."
"Ihr Bar-Tender war nicht besonders auskunftsfreudig."
"Darum habe ich ihn eingestellt. Diskretion ist eine seiner wichtigsten Eigenschaften."
"Verstehe."
"Sie haben sich nach Eilert Eilers erkundigt?"
"Ja."
"Was ist mit ihm?"
"Ich war eigentlich hier, um Fragen zu stellen, nicht um welche zu beantworten."
Tom Tjaden nippte an seinem Drink und lachte auf. "Also gut. Eilert ist einfach so von einem Tag auf den anderen verschwunden. Zur selben Zeit fehlte auch Geld in der Kasse."
"Und da haben Sie gleich einen Zusammenhang gesehen."
"Ist das so abwegig?"
"Nein, natürlich nicht."
"Andererseits hätte das Geld nie ausgereicht, um irgendwo anders eine neue Existenz aufzubauen oder so etwas. Zirka fünfhundert Euro waren es und ich bin mir nicht einmal hundertprozentig sicher, ob Eilert Eilers wirklich dahinter steckte. Ich habe ja schließlich noch mehr Mitarbeiter."
"Klar."
Tjaden zuckte die Achseln. Für einen Moment wirkte sein Gesicht fast nachdenklich. "Aber mal abgesehen von diesem Betrag, den ich aus der Portokasse nehme..."
"So gut laufen die Geschäfte?"
"...es macht einen doch stutzig, wenn einer von heute auf morgen einfach nicht mehr auftaucht."
Lorant begann, von der Leiche in Huntetal zu berichten und erwähnte dabei auch die beigelegte Boßel-Kugel. "Bis die Gerichtsmediziner das Gesicht rekonstruiert haben, wird es wohl noch ein bisschen dauern, aber ich bin überzeugt davon, dass es sich um Eilert Eilers handelt."
"Sind Sie ein Hellseher oder so etwas? Ich habe ein Etablissement mit einer etwas anderen Publikumsausrichtung auf Borkum. Vielleicht könnten Sie da mal auftreten..."
"Drei Menschen wurden ermordet. Jedem von ihnen wurde eine Boßel-Kugel beigelegt: Gretus Sluiter, der Mann aus Huntetal, von dem ich glaube, dass es sich um Eilers handelt und..."
Tjaden hob die Augenbrauen.
"Wer noch?"
"Dr. Frank Purwin aus Moordorf. Er ist das letzte Opfer. Kurz bevor er mir etwas sagen konnte, wovon er meinte, dass es in Bezug auf Sluiters Tod wichtig wäre, wurde er mit einem Baseballschläger umgebracht."
"Was Sie nicht sagen..."
Tjaden machte ein Pokerface. Es war unmöglich, ihm anzusehen, ob er von Purwins Tod schon vorher gewusst hatte oder nicht. Aber selbst wenn, war das kein Indiz gegen ihn, wusste Lorant. Schließlich verbreiteten sich hier Neuigkeiten und Gerüchte im Eiltempo. So schnell, als ob der Wind sie über das flache Land blasen würde.
Lorant fuhr fort: "Vor der Praxis hat die Polizei eine deutlich sichtbare Bremsspur gefunden, die wahrscheinlich von einem Motorrad stammt."
"Na, und?"
"Ich hatte gerade eine Begegnung mit Ihrem Rausschmeißer."
"Victor?"
"Auch ein Motorrad-Fahrer."
Zum ersten Mal kam jetzt ein ärgerlicher Unterton in Tom Tjadens Worte. Seine Stirn zog sich zusammen. Falten durchzogen sein Gesicht und bildeten markante Linien. Mit der wahrscheinlich durch irgendwelche Beauty-Tricks herbeigeführten Glätte war es also nicht so weit her. Tjadens wahres Alter wurde jetzt ziemlich offensichtlich. Ein Trost, dachte Lorant.
"Wollen Sie jetzt Motorradfahrer im Kreis Aurich oder darüber hinaus verdächtigen? Damit Sie's gleich wissen: Ich habe sogar ZWEI Motorräder. Eine Harley und eine Kawasaki." Er atmete tief durch, fuhr sich mit einer fahrigen Geste über das Gesicht. "Leider komme ich nicht so viel dazu, mit den Maschinen durch die Lande zu gurken, wie ich mir das vorstelle. Aber das ist ein anderes Thema..."
"Ich wollte Sie keinesfalls in irgendeiner Weise angreifen!"
"Ach, nee? Keine Sorge, ich nehme Ihnen den Drink schon nicht wieder weg!"
"Na, da bin ich aber beruhigt."
Tjaden merkte, dass er wohl etwas zu laut geworden war.
Einige der Gäste waren selbst von den nackten Tatsachen der blonden Schönen auf der Bühne abgelenkt worden und hatten sich umgedreht. Tjaden vollführte ein paar beschwichtigende Gesten, die ihn fast wie einen Dirigenten erscheinen ließen.
"Alles in Ordnung. Sehen Sie wieder in die andere Richtung, da ist es interessanter!"
Eines der Girls saß in unmittelbarer Nähe. Sie war Lorant gleich aufgefallen. Eine Dunkelhaarige mit aufregender, sehr kurviger Figur. Sie trug ein knappes Kostüm. Lorant fragte sich, ob sie ihren Auftritt noch vor sich hatte. In dem Fall lohnte es sich vielleicht, noch etwas im X-Ray zu verweilen.
"Glotz mich nicht so an, Melinda!", fuhr Tjaden sie an.
"Ist ja gut!"
Tjaden leerte sein Glas. Lorant nahm auch einen Schluck.
Der Drink war ihm entschieden zu süß. Die schöne Melinda verzog sich mit einem Schmollmund.
"Seien Sie froh, dass ich Ihnen diese Fragen stelle, Herr Tjaden. Die Polizei wird dasselbe wissen wollen - auch wenn's bei deren Arbeitsgeschwindigkeit noch eine Weile dauern kann."
Tjaden verzog das Gesicht.
"Ich zergehe vor Dankbarkeit."
"Victor hat zusammen mit einem Komplizen Ubbo Sluiter verprügelt. Ich kam gerade dazu und mir hätte Ihr Rausschmeißer beinahe eine Kugel zwischen die Ohren gebrannt."
Tjaden hob die Augenbrauen. "Bin ich das Kindermädchen dieses jungen Mannes?"
"Ich dachte, es interessiert Sie trotzdem - falls Sie es nicht schon wussten. Victor hat Ubbo Sluiter übrigens angedroht, dass es ihm wie seinem Vater ergehen könnte."
"Sie meinen, Victor hat diesen Sluiter, Eilers und den Doc umgebracht?"
"Ich bin überzeugt davon, dass es derselbe Täter war."
"Ich kann Ihnen leider nicht weiterhelfen, Herr Lorant."
"Sie könnten mir sagen, ob Eilert Eilers boßelte."
"Keine Ahnung. Da müssten Sie seine Familie fragen."
"Haben Sie sich dort eigentlich mal gemeldet, nachdem er verschwand? Um sich zu erkundigen, meine ich."
"Ja. Aber dabei ist nichts herausgekommen."
"Ich möchte, dass Sie mir Victors vollständigen Namen und seine Adresse geben."
"Tut mir leid."
"Wie?"
"Ich habe ihn für ein Handgeld engagiert. Keine Ahnung, wer er ist und wo er herkommt."
"Bei der Polizei werden Sie sich nicht so einfach rausreden können."
"Dass lassen Sie mal meine Sorge sein, Lorant."
Lorant lächelte dünn. "Ich werde dann ja sicher in der Zeitung davon lesen, wenn Sie festgenommen werden."
Tjaden kochte innerlich. Es kostete ihn sichtlich Mühe, sich zu beherrschen. Seine Hände krampften sich zu Fäusten zusammen. Am Hals pulsierte eine Ader.
"Besser Sie gehen jetzt, Lorant."
Lorant deutete zur Bühne.
"Ich würde mir diese Melinda gerne noch ansehen. Wann tritt die auf?"
"Ich sage so etwas nicht zweimal, Lorant!"
"Schade... Ich hätte dann noch zwei Fragen an Sie, die Sie mir bitte präzise beantworten. Andernfalls müsste ich meinen speziellen Freund Kriminalhauptkommissar Meinert Steen von der Kripo Emden darum bitten, das für mich zu tun."
"Sie sind unverbesserlich!"
"Kennen Sie Ubbo Sluiter?"
Für den Bruchteil einer Sekunde hatte Tom Tjaden seine Gesichtszüge nicht unter Kontrolle. Für Lorant reichte das als Antwort. Er war überzeugt davon, dass Tjaden genau wusste, wer Ubbo Sluiter war.
Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr Lorant fort: "Ich nehme an, dass er des Öfteren hier war. Zumindest wusste er, dass der Schläger, den Sie engagiert haben, hier Türsteher ist. Und woher soll er das wissen, wenn er nicht schon einmal durch diese Tür hindurchgegangen ist?"
"Es gibt hier viele Gäste. Und ich bin nur etwa einmal die Woche überhaupt hier im X-Ray. Schließlich habe ich auch noch andere Geschäfte..."
"War Gretus Sluiter auch mal hier?"
"Ich sage keinen Ton mehr."
"Und Dr. Purwin?"
"Hören Sie auf!"
"In seiner Wohnung lag eines Ihrer Streichholzbriefchen."
"Schluss jetzt, sonst werfe ich Sie eigenhändig raus!"
"Ist ja schon gut. Aber glauben Sie ja nicht, dass nicht auch die Polizei auf den Gedanken kommen wird, dass es möglicherweise zwischen den Opfern des Boßel-Kugel-Killers außer der unvermeidlichen Hartholzkugel noch eine Gemeinsamkeit gibt. Ihr schönes Etablissement hier!"
Lorant nickte ihm zu, registrierte mit Befriedigung, dass sein Gegenüber ziemlich perplex war.
Der Detektiv legte eine seiner Karten auf den Schanktisch.
"Vielleicht fällt Ihnen ja noch etwas ein, was mich weiterbringen könnte. Aber bitte nur die Handynummer anrufen... Ach, und wo ist das Klo?"
Tjaden steckte die Karte ein. "Da hinten und dann links!", deutete er auf einen der Nebenausgänge.
"Danke."
"Schwache Blase, was? Kaum genippt an dem Drink und muss schon!"
Lorant verließ den Hauptsaal durch den Nebenausgang, den Tjaden ihm gezeigt hatte. Er ging einen Flur entlang, der mit Teppichboden ausgelegt war. Man hörte seine Schritte daher kaum. An den Wänden hingen großformatige Fotos der Girls, die im X-Ray arbeiteten. Melinda war auch dabei, auch wenn man sie kaum wiedererkennen konnte, so sehr war an dem Bild herumretuschiert worden.
Lorant ging dem WC-Schild nach, bog um eine Ecke.
Schließlich fand er die Toilette, stellte sich kurz an das Pissoir und erleichterte sich.
Als er einen Augenblick später wieder in den Korridor trat, wartete dort jemand auf ihn.
Es war die dunkelhaarige Melinda.
"Stimmt das, was ich da gerade mitbekommen habe?"
"Was?"
"Dass Dr. Purwin ermordet wurde?"
"Ja. Sie werden es morgen in der Zeitung lesen."
"Und steht es außerdem mit Gewissheit fest, dass der Mörder ein Motorradfahrer war?"
"Naja, was steht im Leben schon mit Gewissheit fest?"
Sie schluckte, atmete tief durch.
"Ich kann jetzt nicht sprechen. Geben Sie mir Ihre Nummer."
"In Ordnung."
"Ich rufe Sie an."
Lorant gab ihr eine seiner Karten. Sie entriss sie ihm, dann lief sie auch schon davon. Offenbar hatte sie gewaltige Manschetten davor, dass ihr Chef sie hier mit ihm erwischte.
Lorant dachte darüber nach, ob er die Schöne nicht noch daran hätte erinnern sollen, dass sie nur die Handynummer anrufen sollte...