Читать книгу Das Super Krimi Paket Dezember 2021: 12 Romane in einem Buch - 1800 Seiten Thriller Spannung - Alfred Bekker - Страница 73

28. Kapitel

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Die Familie von Eilert Eilers bewohnte einen anderthalbstöckigen Klinkerbungalow in Twixlum. Lorant parkte in der Einfahrt, stieg aus und ging auf die Haustür zu. Einen Augenblick lang stutzte er, als er das Schild VORSICHT - BISSIGER HUND! sah.

Das riesenhafte Doggenkalb von Bernhardine Sluiter war ihm noch allzu gut in Erinnerung. Lorant wagte sich trotzdem bis zur Haustür und klingelte. Er lauschte angestrengt und erwartete jederzeit das Aufbellen irgendeiner abgerichteten Kampfhundbestie.

Aber nichts dergleichen geschah.

Allerdings öffnete auch niemand. Lorant befürchtete schon, dass niemand zu Hause war, versuchte es aber dennoch ein zweites Mal und klingelte Sturm.

Schließlich geschah irgendetwas hinter der milchigen Verglasung der Haustür.

Die Tür wurde aufgeschlossen.

Allerdings nur einen Spalt. "Ich kaufe nix!", sagte die resolute Stimme einer älteren Frau.

"Ich will Ihnen auch nichts verkaufen!"

"Ja, ja, das sagen sie alle. Und dann kommen Sie mit einem Teppich unter dem Arm in die Wohnung oder versuchen einem eine Versicherung aufzuschwatzen."

"Ich ermittle in einem Mordfall und brauche Ihre Hilfe, Frau Eilers."

Lorant hatte das gerade noch früh genug gesagt, um zu verhindern, dass die alte Dame die Tür nicht sofort wieder ins Schloss drückte. Zum Glück ist sie nicht schwerhörig!, war Lorants erster Gedanke, als sich der Spalt wieder so weit öffnete, dass die Kette, die von innen angebracht war, stramm gezogen wurde.

"Sind Sie von der Polizei...?"

"Ich suche den Mörder von Gretus Sluiter aus Forlitz-Blaukirchen. Sie werden davon in der Zeitung gelesen haben."

"Und was habe ich damit zu tun?"

"Sie persönlich wahrscheinlich gar nichts. Aber möglicherweise ist ein gewisser Eilert Eilers von demselben Täter ermordet worden..."

Die alte Frau starrte durch den Spalt. Sie öffnete den Mund, vergaß ihn auch einige Augenblicke später wieder zu schließen und schüttelte dann nur fassungslos den Kopf. Lorant hoffte inständig, dass sie jetzt in den nächsten Minuten nicht an einem Herzanfall starb. Dafür wollte nun wirklich nicht verantwortlich sein.

"Sie meinen -—mein Sohn ist tot?"

"Ich weiß es nicht genau und vielleicht könnten Sie mir helfen, darüber Gewissheit zu gewinnen. Aber ich würde vorschlagen, dass wir uns nicht hier an der Tür unterhalten."

Die alte Dame zögerte.

"Ihren Ausweis!", forderte sie dann. Offenbar hatte sie unzählige Folgen von AKTENZEICHEN XY UNGELÖST und NEPPER, SCHLEPPER, BAUERNFÄNGER gesehen und war entsprechend konditioniert.

Nie jemanden hereinlassen, der keinen Ausweis vorzeigen konnte.

Auch keinen offiziellen Vertreter der Staatsgewalt, der kommunalen Energieversorger oder der Deutschen Telekom.

Einen Dienstausweis der Kriminalpolizei konnte Lorant natürlich nicht vorweisen. Andererseits wollte er dem Eindruck der alten Dame, dass er ein Polizist sei, nicht unnötigerweise widersprechen. Schließlich besaßen Beamte jeglicher Couleur bei Menschen ihrer Generation noch einen gewissen Vertrauensvorschuss. Lorant schätzte sie auf Ende siebzig, das hieß, dass sie in jedem Fall noch der obrigkeitshörigen Generation angehörte. Bei den etwa Sechzigjährigen lag die Grenze. Bei den Sechzigjährigen und jüngeren machte sich der Einfluss der 68er bemerkbar. Mit der Behauptung, Polizist zu sein, hätte ich mich da unter Umständen schwer in die Nesseln setzen können!, überlegte Lorant und dachte kurz darüber nach, ob er in dem Fall vielleicht hätte vorgeben können, ein von den Zwängen der kapitalistischen Gesellschaft ins soziale Abseits gedrängter Ex-Knacki zu sein.

Lorant suchte umständlich in seiner Brieftasche nach etwas, das er der alten Dame zeigen konnte. Schließlich entschied er sich für den schlichten Personalausweis. Besser als die Karte der Barmer Ersatzkasse war er allemal.

Er reichte den Ausweis durch den Spalt. Sie sah ihn sich interessiert und ziemlich ausgiebig an. Dazu schob sie erst einmal wieder die Tür ins Schloss und Lorant dachte: Wenn das Ding jetzt nur nicht weg ist!

Schließlich öffnete sie aber die Tür wieder. Diesmal löste sie auch die Kette.

"Kommen Sie herein, Herr..."

Sie versuchte die Schrift auf dem Ausweis zu lesen, kniff die Augen dabei zusammen und machte ein ziemlich ratloses Gesicht.

"Lorant", half Lorant ihr.

"Herr Lorant."

"Ja."

"Kommen Sie mit mir. Wir gehen ins Wohnzimmer."

"Sehr freundlich."

Sie reichte ihm den Ausweis, dann ging sie voran. Lorant schloss die Haustür. Bei all ihrem Sicherheitsdenken hatte die alte Dame daran nicht gedacht. Vielleicht ist sie ja auch schon älter als Ende siebzig, dachte Lorant. Einige Augenblicke lang schwirrte der Gedanke in seinem Hirn herum, dass es sich bei ihr vielleicht um eine schwer pflegebedürftige Alzheimerkranke von Mitte neunzig handelte, die zu keiner vernünftigen Aussage mehr fähig war. Immer positiv denken!, sagte er sich selbst.

Frau Eilers führte ihn ins Wohnzimmer, dessen Einrichtung ihn an die Einrichtung des Sluiter'schen Wohnzimmers erinnerte.

Wahrscheinlich hatten Bernhardine und Gretus Sluiter die Einrichtung ihrer Wohnung in weiten Teilen von ihren Eltern übernommen. Und ein so braver Sohn wie Ubbo würde diese Tradition mit Sicherheit irgendwann fortführen.

"Ich weiß gar nicht, wie ich das der Swantje sagen soll, dass der Eilert tot ist...", murmelte Frau Eilers vor sich hin. Dann sah sie Lorant an. "Die Swantje, das ist meine Schwiegertochter. Sie ist im Moment nicht hier. Wollen Sie mit ihr auch noch sprechen?"

"Mal sehen."

"Bitte, könnten Sie ihr vielleicht die schlimme Nachricht überbringen? Ich glaube, ich schaff das nicht!"

"Frau Eilers, ich WEISS nicht, ob Ihr Sohn wirklich tot ist.

Aber an der Raststätte Huntetal bei Oldenburg ist eine Leiche gefunden worden, die Ihr Sohn sein KÖNNTE. Genaueres werden Ihnen die Kollegen mitteilen, sobald das Gesicht des Toten rekonstruiert wurde..."

Frau Eilers nickte gefasst. Sie rieb nervös ihre Hände gegeneinander. Lorant hatte schon ein schlechtes Gewissen dabei, die alte Dame dermaßen in Schrecken versetzt zu haben.

Ist für einen guten Zweck!, versuchte er sich einzureden.

Schließlich hoffte der Detektiv auf diese Weise, einem gefährlichen Mörder auf die Spur zu kommen. Und was ihn selbst anging, so war er davon überzeugt, dass es sich bei der Huntetal-Leiche um Eilert Eilers, den Bar-Tender des X-Ray-Clubs handelte. Auch wenn die Faktenlage diese Ansicht bislang allerhöchstens als eine begründete Vermutung erscheinen ließ, so vertraute Lorant in diesem Punkt doch eher seinem Instinkt.

Seinem Bauch. In irgendeiner Apothekenzeitschrift hatte er davon gelesen, dass in der Bauchgegend mehr Nervenenden miteinander verbunden waren als im Gehirn und dass die Redensart 'mit dem Bauch denken' von daher eine völlig neue Bedeutung zugemessen werden könnte. Von einer Art 'zweitem Hirn' war da die Rede gewesen. Wie auch immer - Hauptsache, es funktioniert!, dachte Lorant.

"Was möchten Sie wissen, Herr Kommissar?", fragte sie.

Es war lange her, dass jemand Lorant so genannt hatte. Und da hieß es immer, dass nur die Jüngeren vom Fernsehen geprägt worden waren...

"Erzählen Sie mir, wie das war, als Ihr Sohn verschwand."

"Was gibt es da viel zu erzählen? Er war von einem Tag auf den anderen einfach weg."

"Hatte er an dem Tag im X-Ray zu tun?"

"Nein, er hatte frei. Eigentlich wollte er am Abend mit seiner Frau essen gehen. Ich weiß das genau, die beiden hatten nämlich Hochzeitstag, und ich hatte ihn vorher noch daran erinnert."

"Ist es zu dem Essen gekommen?"

"Nein. Jemand rief an und Eilert war danach wie ausgewechselt. Er meinte, er müsste noch mal kurz weg."

"Und dann ist er weggefahren?"

"Ja."

"Sie haben keinen Schimmer, wohin die Fahrt ging?"

"Nein." Frau Eilers seufzte hörbar. "Das hat ein Theater gegeben, kann ich Ihnen sagen. Meine Schwiegertochter war alles andere als begeistert davon, dass Eilert noch mal weggefahren ist. Wie ein Rohrspatz hat sie herumgeschimpft. Ich habe mich da rausgehalten. Ist das Beste so. Zwischen den beiden ging's ja manchmal hoch her, aber ich glaube, wenn ich noch dazwischengegangen wäre, wäre es nur noch schlimmer gewesen."

"Hat Eilert Ihrer Tochter gesagt, wer ihn angerufen hat?"

"Das weiß ich nicht."

"Ich meine, er muss seiner Frau doch eine plausible Erklärung darüber abgegeben haben, wieso er das gemeinsame Essen am Hochzeitstag quasi geschmissen hat!"

"Ja, wo Sie das jetzt so sagen, klingt das sehr einleuchtend, Herr Kommissar."

"Bitte versuchen Sie sich zu erinnern! Jede Kleinigkeit könnte wichtig sein..."

Fra Eilers machte ein ziemlich angestrengtes Gesicht. "Ihre Kollegen haben uns das alles ja schon gefragt und soweit ich weiß, hat Eilert auch meiner Schwiegertochter nicht gesagt, wer da angerufen hat."

"Sie kannten Ihren Sohn doch am besten."

Du sprichst in der Vergangenheit von ihm und diese Frau hofft vielleicht noch, dass er lebt!, rief sich Lorant ins Gedächtnis.

Aber diese Feinheiten entgingen Frau Eilers. Sie war in Gedanken. In ihrem Hirn schien es zu arbeiten. Sie kratzte sich am Kinn, ihr Blick ging ins Nichts.

Dann schüttelte sie den Kopf. "Ich wüsste nichts, was Ihnen weiterhelfen könnte. Tut mir leid."

"Hat Ihr Sohn irgendetwas Besonderes mitgenommen auf diese Fahrt?"

"Nicht, dass ich wüsste. Er sagte nur: Soo'n Schiet, jetzt muss ich noch tanken."

"Könnte man so auffassen, als ob er eine längere Fahrt vor sich hatte."

"Möglich. Ich meinte noch: Mutt dat denn sein, so spät noch?

Und er meinte: Dat mutt! Für tausend Euro mutt dat!"

"Tausend Euro für einen einzigen Abend? Muss ein toller Job gewesen sein..."

"Jau, ich hatte ja auch kein gutes Gefühl dabei." Sie seufzte.

"Dat war sicher nich alles in Ordnung, was er gemacht hat, aber ein schlechter Junge war deshalb auch nich!"

"Ist es schon zuvor mal vorgekommen, dass er sich nach einem Anruf in den Wagen gesetzt hat und mit unbekanntem Ziel losgefahren ist?"

"Ja, höchstens wenn sein Arbeitgeber irgendwelche Aufgaben für ihn hatte."

"Tom Tjaden? Sprechen Sie von dem?", fragte Lorant

"Ja, so war der Name! Tjaden!"

"Ihr Sohn war doch Barmann im X-Ray."

"Ja, aber Tjaden hat ihn wohl auch darüber hinaus für andere Aufgaben angestellt."

Aufgaben!, dachte Lorant. Ein harmloser Ausdruck, für das, was vermutlich dahintersteckte.

Lorants Erfahrung als Ex-Polizist sagte ihm, dass Eilers wahrscheinlich von Leuten wie Tjaden für die Drecksarbeit rekrutiert wurde: missliebigen Konkurrenten oder säumigen Schuldnern die Beine brechen, vielleicht auch Dienste als Drogenkurier.

Fest stand wohl, dass jemand Eilers einen Bombenjob angeboten hatte.

"Was waren das für Aufgaben?"

"Genau hat Eilert sich da nicht drüber ausgelassen. 'Ma, du bist einfach zu neugierig', hat er immer gesagt. Ich glaube, einmal hat er mitgeholfen, in Tjadens Villa in Leer Parkett zu legen. Da hat Eilert noch so geflucht, weil seine Knie ganz durchgescheuert waren. Er hatte nämlich den ganzen Tag darauf herumrutschen müssen. Ich weiß, nach dem Krieg, da habe ich mal mitgeholfen einen..."

Lorant unterbrach sie.

"Haben Sie ein Foto Ihres Sohnes, das Sie mir für Fahndungszwecke zur Verfügung stellen könnten?"

Frau Eilers wirkte im ersten Moment etwas erstaunt, dann nickte sie.

"Ja, sicher! Warten Sie einen Moment..."

Wenig später brachte sie einige Fotos ihres Sohnes herbei.

Lorant nahm sich das jüngste. Ein Passfoto, das laut Aufdruck des Fotolabors keine zwei Jahre alt war. "Sie bekommen es zurück", versprach er.

"Darum möchte ich auch gebeten haben!"

"Noch eine Frage."

"Aber bitte, Herr Kommissar!"

"Hat Ihr Sohn eigentlich auch geboßelt?"

"Ja und wie!"

"War er in einem Verein?"

"Bei den Söipkedeelern! Früher hatten wir nämlich einen Hof in der Nähe von Forlitz-Blaukirchen. Wissen Sie, wo das Große Meer ist?"

"Weiß ich."

"Ja, da ganz in der Nähe. Aber als mein Mann starb, da konnten wir den Hof nicht mehr halten. Und unser Eilert, der ist ja nun gar nicht so für die Landwirtschaft zu haben. Natürlich hätten wir den Hof auch umbauen können, aber Swantje hat damals gesagt, ich heirate den Eilert nur, wenn wir in ein richtiges Haus ziehen, wo man nicht gleich in den Kuhfladen tritt, wenn man bei der Tür rausgeht, und es überall nach Gülle riecht." Die alte Dame seufzte. "Ja, so sind sie die jungen Dinger! Wollen keinen Bauern mehr heiraten! Aber ganz im Vertrauen: Dass der Eilert kein Bauer wird, das habe ich schon gewusst, bevor er die Schule fertig hatte. Der hatte einfach kein Geschick dafür. In so einem Nachtclub hinter der Bar stehen, das war wohl das Richtige für ihn. Gut, dass mein Mann das nicht mehr erleben musste, der hätte sich im Grabe umgedreht, wenn er das noch hätte erfahren müssen! 'Ne Zeitlang hat der Eilert ja im Emder Außenhafen gearbeitet. Ist ja auch nix Dolles, aber immerhin konnten wir da noch in die Kirche gehen, ohne dass sich alle nach uns umgedreht haben. Aber jetzt!" Sie seufzte zum Steinerweichen. Die Last eines langen Lebens schien darin zu leben. "Gut, dass wir den Hof verkauft haben und umgezogen sind, kann ich da nur sagen."

"Aber seinem Boßel-Klub hat Eilert auch nach Ihrem Umzug die Treue gehalten?"

"Das hat er. Kickers Emden hat Eilert nach der letzten Saison den Rücken gekehrt und seine Fahne im Garten verbrannt. Aber wenn die Söipkedeeler auf Tour gehen, dann war er bis heute immer dabei." Sie beugte sich etwas vor. "Hier in Twixlum sind wir ja eigentlich auch nur Zugezogene!", verriet sie Lorant dann im gedämpften Tonfall der Vertraulichkeit.

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