Читать книгу Killer kommen nicht so leicht davon: 7 Strand Krimis - Alfred Bekker - Страница 10

4.

Оглавление

Das Hotel lag nur einen Steinwurf vom Hauptkommissariat Kolberg entfernt. Falk hatte eine ruhige Nacht hinter sich, saß nun im Frühstücksbereich des Hotels und köpfte sein Frühstücksei. Normalerweise war er der totale Morgenmuffel schlechthin und dafür bekannt, dass man ihn morgens nach dem Aufstehen besser nicht ansprach. Aber heute war es anders.

Als sein Wecker sich meldete, war er fast aus dem Bett gesprungen, hatte sich eilig unter die Dusche begeben, sich des drei Tage Bartes entledigt und war eine Viertelstunde später auf dem Weg zum Lift. In erster Linie kreisten seine Gedanken nicht um den aktuellen Fall, sondern, dass er Ewa bald treffen würde.

Falk war dieses Gefühl völlig unbekannt, da er eigentlich mit seinem Beruf verheiratet war. Er schüttelte kurz den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. Sein Gehirn musste frei sein und er durfte sich nicht ablenken lassen. Zwei Tote hatte dieser Fall schon gefordert und Nübel hatte extra ihn hierhergeschickt, um Ergebnisse zu sehen. Aber das war leichter gesagt als getan, denn immer wieder erschienen die Gestalt und das Gesicht von Ewa in seinen Gedanken.

Rasch beendete er das Frühstück und ging, schneller als sonst, in Richtung des Polizeigebäudes. Zwei Stufen auf einmal nehmend eilte er in den ersten Stock und öffnete die Tür zu Ewas Büro.

„Guten Mor… – …gen“, sagte er, aber er schaute nur auf einen leeren Drehstuhl. Verwirrt schaute er sich um, aber von Ewa fehlte jede Spur. Seine gute Laune verschwand in irgendeiner Schublade seines Gehirns und der alte Falk Möller kam wieder zum Vorschein. Auf dem Gang begegnete er einer etwas älteren Frau, die mit einem Aktenstapel in der Hand gerade das gegenüberliegende Büro verließ.

„Suchen Kommissarz?“, radebrechte sie.

Falk nickte. „Nicht da. Kind krank. Hat Mail geschickt.“

Falk schlug sich vor den Kopf, holte sein Handy heraus, das er am Abend zuvor ausgeschaltet hatte und las ihre Nachricht von heute Morgen.

„Iga hat Bauchschmerzen. Komme später. Ewa“, stand dort mit einem traurigen Emoticon ergänzt.

„Adresse Kommissar?“, fragte er die Frau, die ihn erwartungsvoll anschaute.

„Moment“, antwortete sie, kramte einen Zettel aus der Tasche, holte einen Bleistift hervor und reichte Falk kurz darauf die Anschrift.

Ein „Danke“ murmelnd ließ er die Frau stehen, die ihm ein schmales Lächeln hinterherschickte, und ging zurück zu seinem Hotel. Dort stieg er in seinen Wagen, gab Ewas Anschrift in sein Navi ein und fuhr los. Unterwegs kaufte er in einem Spielzeugladen noch einen Stoffbären für Iga und nach zehn Minuten hatte er ihre Wohnanschrift erreicht. Ewa wohnte etwas außerhalb vom Stadtzentrum im Norden der Stadt. Falk blickte auf, dem Anschein nach, neu erbaute, dreistöckige Wohnhäuser. Vor dem Haus Nummer 14 suchte er ihren Namen auf der Türklingel und betätigte den Drücker. Nach kurzer Zeit hörte er den Summer und trat ein. Eine Frau Mitte Fünfzig stand in der Haustür und schaute ihn fragend an. Dann fiel ihr Blick auf den Stoffbären und ihr Gesicht verzog sich zu einem Lächeln.

Ihre Ähnlichkeit zu Ewa war nicht zu übersehen. Es musste ihre Mutter sein. Mit einer Handbewegung bat sie Falk in die Wohnung und aus einem Zimmer kam Ewa, die einen Jogginganzug trug und übernächtigt ausschaute.

„Falk?“, rief sie mit erstauntem Gesichtsausdruck und hochgezogenen Augenbrauen aus. Dann fiel ihr Blick auf den Stoffbären und ihre Miene wurde weich, während ihre Mutter im Hintergrund stand und leicht schmunzelte.

„Wie geht es der Kleinen?“, fragte er.

„Das Eis gestern war wohl nicht das Richtige für sie“, sagte Ewa, als er ihr in das Kinderzimmer folgte. Iga lag in ihrem Bett und ihre Miene erhellte sich, als sie Falk und natürlich den Stoffbären in seiner Hand sah. Sofort zog sie das Stofftier an sich und legte es unter ihre Bettdecke.

„Danke“, sagte das Mädchen auf Deutsch und freute sich wie eine Schneekönigin.

„Sie wollte unbedingt wissen, was Danke auf Deutsch heißt“, sagte Ewa etwas verlegen.

Iga drehte sich zur Seite und die beiden schlossen leise die Tür von außen.

„Mutter passt heute auf sie auf. Wir haben schließlich noch einiges zu tun. Ich ziehe mir nur rasch was anderes an und dann können wir los“, sagte sie nun in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ.

Ewas Mutter hatte einen Tee vorbereitet, den Falk dankend annahm und kurz darauf erschien Ewa in Jeans und Schlabberpullover. Er verabschiedete sich von Ewas Mutter, die ihm ein breites Lächeln schenkte, und die beiden machten sich auf den Weg.

„Ich habe gestern noch nachgeforscht, wer der Besitzer der Grom ist. Es ist ein gewisser Jacek Kowalski, Geschäftsführer der Firma „Trans Shipping Poland“

„Hier aus Kolberg?“

„Nein, der Firmensitz ist in Koszalin, etwa vierzig Kilometer von hier. Ich habe heute Morgen schon mit ihm telefoniert und einen Termin bei ihm vereinbart.“

„Gut. Dann auf nach … wie heißt das?“

„Koszalin“, grinste Ewa „Sprich nach! Koschcz – alin.“

„Koschaalinn“, radebrechte Falk und Ewa kicherte albern.

Falk schmunzelte. „Werde ich nie lernen“, sagte er.

„Brauchst du auch nicht. Du hast ja eine Übersetzerin. In Koszalin können wir übrigens zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Dort gibt es ein Meeresinstitut, das uns sicher etwas über die Strömungsverhältnisse am Fundort der Leiche erzählen kann.“

Wieder ein Punkt weniger auf meiner Liste, dachte Falk und wendete sich dem Verkehr zu.

*

Jacek Kowalski war nach dem Telefonat mit der Kriminalpolizei Kolberg äußerst beunruhigt. Die Beamtin hatte ihm mitgeteilt, dass auf einem Schiff seiner Fangflotte ein Mann ermordet aufgefunden wurde. Natürlich hatte er einem Treffen zugestimmt und benachrichtigte seine beiden Geschäftspartner. Auf dem Firmenhof hörte er die Auspuffanlage von Szymon Nowaks AMG Mercedes, der als Erster eintraf und ein betroffenes Gesicht machte. Kurz nach ihm traf Leszek Meller, sein zweiter Co-Partner ein. Unterschiedlicher hätten die beiden, rein von ihrem Erscheinungsbild, nicht sein können. Nowak trug, wie immer einen dunklen Maßanzug, der an seinem fülligen Körper perfekt angepasst war. Als Meller etwas später Kowalskis Büro betrat, zog er seinen Fahrradhelm vom Kopf und entledigte sich seines Ponchos. Selbst jetzt, im Winter, fuhr der hagere, fast dürre Mann, mit dem Fahrrad. Autos vermied er so gut es eben möglich war und Kowalski schüttelte verständnislos den Kopf.

„Wir haben draußen fünf Grad, Leszek.“

„Na und? Gerade in unserem Alter muss man fit bleiben. Was liegt an?“

„Ein Toter auf der Grom liegt an und er ist nicht an Altersschwäche gestorben.“

„Du hast ihm noch nichts erzählt?“, fragte Szymon.

„Wie denn? Leszek hat kein Handy, nur seinen altertümlichen Pieper.“

„Ein Toter? Auf einem unserer Schiffe?“, fragte nun Leszek nach und setzte sich in einen Sessel.

„Ja. Der Kapitän. Henryk Stala. Er wurde im Hafen auf der Grom erschossen aufgefunden. In einer Stunde kommen Beamte aus Kolberg. Die Akte des Kapitäns und die Unterlagen des Schiffes habe ich angefordert. Wisst ihr beide etwas, das ich nicht weiß?“, fragte er seine beiden Teilhaber lauernd.

Szymon und Leszek schüttelten beide verneinend den Kopf.

„Ich frage euch jetzt, bevor die Beamten kommen. Der Mann ist doch nicht wegen ein paar Dorsche umgebracht worden. Keine Schmuggelware aus Schweden oder Dänemark?“

Wieder Kopfschütteln. „Gut, dann warten wir deren Fragen ab.“

*

Falk sah sich einige Zeit später drei Männern gegenübersitzen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Der eine Mann, der sich als Leszek Meller vorgestellt hatte, hätte genauso gut ein Protestler gegen Atomkraftwerke sein können, so wie man sich diese Leute landläufig vorstellte. Hager mit einem schmalen Gesicht, das kurze Haar etwas unordentlich gestaltet, was aber auch daran liegen konnte, dass er wohl mit dem Fahrrad unterwegs gewesen war. Seine Rennfahrerkleidung sprach deutlich dafür.

Neben ihm hockte Szymon Nowak, ein fülliger Mittvierziger im Maßanzug, dem unzweifelhaft der brandneue, recht protzige Mercedes gehörte, neben dem Falk seinen altersschwachen Passat geparkt hatte. Letztlich Kowalski, der Haupteigner der Fischfangflotte, ein Mann Anfang sechzig mit einem sympathischen, fast runden Gesicht, der, so hatte Falk den Eindruck, am meisten unter dem Aspekt litt, dass auf einem seiner Schiffe ein Mord geschehen war.

Da Ewa die Befragung naturgemäß auf Polnisch führte, ließ er sie fragen, ob sie etwas dagegen hätten, wenn er sich ein wenig in den Büroräumen umschauen würde. Anscheinend erklärte sie den drei Männern gleichzeitig, dass er kein Wort Polnisch verstand und sie nickten ihm jovial lächelnd zu.

*

„Sie haben Ihre Geschäftspartner über den Grund unseres Besuches informiert?“, fragte sie Kowalski, der unruhig in seinem Sessel hin und her rutschte.

„Ja natürlich. Furchtbare Sache. Und das auf einem unserer Schiffe.“

„Ist Ihnen denn nicht aufgefallen, dass die Grom seit mindestens zwei Wochen nicht mehr zum Fischen ausgelaufen ist?“

„Nein. Aber wir kontrollieren das auch nicht mehr. Jeder Schiffsführer ist am Umsatz beteiligt. Davon lebt er schließlich. Wir haben festgestellt, dass das eine bessere Motivation darstellt, als wenn ein Kapitän ein festes Gehalt bekommt. So profitieren beide, der Schiffsführer und der Reeder. Früher war das anders und da hatten wir tatsächlich ein paar faule Äpfel dabei. Aber seit der Umstellung haben wir einen ständig steigenden Umsatzgewinn zu verzeichnen.“

„Und die Schiffe haben feste Gebiete in denen sie fischen?“

„Alles ist genau festgelegt, besonders die Fangquoten. Aber natürlich können die Schiffe in ihrem vorgeschriebenen Fanggebiet fischen wo sie wollen.“

„Der Kapitän, Henryk Stala. Wie lange arbeitet er schon für Sie?“

„Laut den Unterlagen seit drei Jahren. Wir kennen die Schiffsführer in der Regel nur recht flüchtig“, sagte Kowalski und die anderen beiden nickten zustimmend. „Aber bisher ist er in keiner Weise negativ aufgefallen, wegen Schmuggel oder so.“

„Kommt das vor?“, fragte Ewa.

„Ja, natürlich. Wir hatten in der Vergangenheit zwei Fälle, wo Drogen in die deutschen Hoheitsgewässer verschifft und dort übernommen wurden. Aber die Leute hat man, Gott sei Dank, aus dem Verkehr gezogen.“

„Stala war spielsüchtig. Wussten Sie das?“

„Nein. Woher auch. Wie gesagt, wir kennen den Mann kaum, hauptsächlich aus den Unterlagen, die er uns eingereicht hat, als er sich als Kapitän bei uns bewarb und da stand so etwas verständlicherweise nicht drin. Kann das der Grund sein, warum man ihn getötet hat?“

„Möglich“, gab Ewa vage an und beobachtete die Reaktion der Männer. „Aber nicht wahrscheinlich. Kennen Sie diesen Mann?“, fragte sie nun, holte ein Foto von Gerber aus der Tasche und legte es vor den dreien auf den Tisch. Die Männer sahen sich das Foto an und einer nach dem anderen schüttelte mit dem Kopf.

„Warum. Was ist mit dem Mann?“, fragte Meller.

„Der Mann heiß Dennis Gerber, ist deutscher Staatsbürger und Berufstaucher. Man hat ihn vor drei Tagen, nach dem großen Sturm, bei Grzybowo tot aus dem Wasser gefischt. Er muss fast zur selben Zeit ermordet worden sein wie Stala.“

„Ein Taucher? Aber wir betreiben eine Fischfangflotte“, sagte Nowak mit erstauntem Blick.

„Man hat ihn, zusammen mit zwei weiteren Männern, an Bord der Grom gehen sehen. Es ist also davon auszugehen, dass Stala das Schiff, sagen wir mal so, zumindest zeitweilig zweckentfremdet hat. Wir vermuten, dass er die Grom als illegales Bergungsschiff eingesetzt hat. Und da Sie Eigner des Schiffes sind, werden Sie verstehen, dass Sie in unseren Focus rücken.“

„Ja, das ist verständlich, aber ich versichere Ihnen, dass wir nichts mit der Sache zu tun haben“, erklärte Kowalski.

„Nun gut, das war es fürs Erste. Falls wir noch Fragen haben, werden wir Sie kontaktieren“, beendete Ewa das Gespräch.

*

Falk verließ den Raum und wandte sich nach rechts, wo die Büroräume der Partner lagen. Als Erstes fand er Nowaks Büro und ging hinein. Er war zweifellos ein Autonarr, da die Wände seines Büros mit den Abbildungen exotischer Sportwagen gepflastert waren. Auf seinem Tisch stand als Dekoration eine silberne, offene Hand, deren Fingerspitzen vergoldet waren. Eine Anspielung auf Midas, dem sagenhaft reichen Herrscher aus der Antike.

Meine Frau, mein Haus, mein Boot, dachte er grinsend, als er sich an die alte Reklame aus den Achtzigern erinnerte und genau diese drei Fotos auf dem Schreibtisch stehen sah. Nowak stand, seiner Ansicht nach, dem schnöden Mammon also nicht gleichgültig gegenüber.

Nun ging er durch eine Verbindungstür zum angrenzenden Büro, das unzweifelhaft Meller gehörte.

Er schien ein Sportfreak zu sein. An der Wand hingen Bilder von einem Triathlon, an dem er wohl teilgenommen hatte und in einer Ecke stand eine abstrakte Skulptur eines Fahrrades. Auf einigen Bildern war er mit anderen Männern zu sehen. Bei einem hielt er einen gefangenen Barrakuda an einer Hochseeangel hoch, während er von zwei Männern flankiert wurde. Auf einem anderen war er zu sehen, wie er mit seinem Fahrrad in den Bergen auf einem Pass stand, ein anderes zeigte ihn vor den Ruinen einer antiken Stätte und ein weiteres in einer Hafengegend.

Falk wandte sich um, verließ das Büro und traf auf dem Gang auf Ewa, die ihre Befragung gerade beendet hatte.

„Was Interessantes herausgefunden?“, fragte er, als er ihr nachdenkliches Gesicht betrachtete.

„Ich weiß nicht. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass hier etwas faul ist. Der Kapitän Henryk Stala hat ein Vorstrafenregister und zwar wegen Schmuggel, na gut, dass haben viele Schiffsführer aber auch wegen Körperverletzung. Außerdem war er ein notorischer Spieler. Als ich das gegenüber den dreien erwähnt habe, konnte man richtig erkennen, dass, zumindest bei Meller und Nowak, ein Stein von Herzen fiel und sie versuchten, mich auf diese Schiene zu drücken. Kowalski hingegen hat nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Entweder hat er nichts mit der Sache zu tun oder er ist einfach nur abgebrüht. – Und was hat deine Schnüffelei ergeben?“

„Nowak ist auf Geld aus. Er hat sogar eine Hand des Midas auf seinem Tisch stehen. Und Meller? Der scheint ein Fitnesstyp zu sein, der gerne reist. Und er ist ledig, glaube ich. Kein einziges Bild zeigt seine Familie.“

„Dann lass uns jetzt zum Institut fahren, um das Seegebiet einzugrenzen, wo man Gerber wahrscheinlich über Bord geworfen hat“, sagte Ewa und beide gingen zum Wagen zurück, wo sich Falk hinters Steuer setzte.

*

„Wir müssen reden“, sprach der Mann mit einer, fast hysterischen Stimme, in sein Mobiltelefon. „Gerade waren Beamte der Mordkommission hier, eine Frau und ein Kommissar aus Deutschland. Man hat Gerber gefunden und seinen Tod mit dem von Henryk Stala in Verbindung gebracht.“

„Wenn du ihn nicht so dilettantisch versenkt hättest, wäre er nie mehr aufgetaucht und der Tod von Stala wäre unter der Rubrik unbekannt abgelegt worden“, antwortete eine dunkle Stimme mit starkem Akzent. „Aber dadurch, dass die deutsche Polizei ins Spiel gekommen ist, will man wohl, seitens der hiesigen Behörden deren Kompetenz unter Beweis stellen. Egal. Das Ding wird weiter durchgezogen und du mein Freund wirst dafür sorgen, dass wir Ersatz für die Grom finden. Und dein Kontaktmann bei den Behörden soll mal was für seinen Anteil tun.“

„Bist du irre? Die nehmen jetzt jedes Schiff unter die Lupe.“

„Dann besorg eins aus Danzig oder woher auch immer. Es geht hier um Millionen und vergiss nicht; du bist nicht unersetzlich“, zischte der Mann am anderen Ende der Leitung und legte kommentarlos auf.

*

„Der Tote wurde genau hier an Land gespült“, sagte Ewa in Deutsch und Falk war froh, endlich einmal einem Gespräch zu den Ermittlungen folgen zu können. Dr. Kwiatkowski vom Institut für Meeresforschung in Koszalin sprach hervorragend Deutsch und so konnten sie sich in Falks Landessprache unterhalten.

Falk schaute auf den Punkt der Karte und erkannte, dass er am Tag zuvor fast am selben Ort war.

„Wie lange, vermuten Sie, lag er im Wasser?“

„Mindestens zwei Wochen“, sagte Ewa.

„Gut, wollen wir mal sehen. Meistens gehen die Strömungen von West nach Ost. In der Höhe des Fundortes bildet sich jedoch ein Wirbel, der durch die Insel Bornholm ausgelöst wird, aber die Hauptströmung kommt aus dem Westen. Durch den Sturm, der voll aus nördlicher Richtung auf das Festland prallte, hebt sich die Strömung allerdings auf.“

Kwiatkowski spielte auf dem Computer den Sturm ein und zusätzlich berücksichtigte er in der Simulation die Strömungsverhältnisse.

„Sie sagen, dass die Leiche womöglich beschwert war und sich die Beschwerung durch den Sturm gelöst hat?“

„Das vermuten wir.“

„Dann muss sich der Tote in relativ seichtem Wasser, also ungefähr in zehn bis fünfzehn Meter Tiefe befunden haben, denn ansonsten hätten ihn die Naturgewalten nicht erreicht.“ Er spielte weitere Informationen ein, welche die Wassertiefe betrafen und der Radius engte sich beträchtlich ein.

„Wenn sie sagen, er hat eine Woche im Wasser gelegen, würde sich die Leiche, auch mit einer Beschwerung, die nicht allzu schwer gewesen sein kann, mit der Strömung bewegen, zumal sich ja Gase im verwesenden Körper bilden und er immer noch die Pressluftflasche trug. Sie können davon ausgehen, dass er sich in diesem Gebiet“, er bildete mit seinem Finger einen Radius auf der Karte des Monitors, „befunden hat.“

Falk schaute auf die Karte, von der Kwiatkowski einen Ausdruck gefertigt hatte.

„Erkennst du das wieder?“

„Ja. Das ist der Ort, an dem Stala die Kreise auf seiner Karte markiert hat. Danke Doktor. Sie haben uns sehr geholfen“, sagte Ewa.

*

Die beiden standen vor dem Institut und kauten an einem Döner herum, den sie in einem nahegelegenen Imbiss gekauft hatten.

„Mein Gott, ist das ein Fraß“, sagte Ewa voller Abscheu und warf den halben Döner in die Mülltonne. „Dass du so was essen kannst.“

„Reine Gewohnheit“, kaute Falk auf dem labbrigen Brötchen herum. „Von dem Zeug lebe ich fast.“

„Dann wird es Zeit, dass du mal was Anständiges isst“, sagte sie mit bestimmtem Ton. „Heute Abend gibt es richtiges Essen und zwar bei mir. Abgemacht?“

Falk schaute den traurigen Rest der Dönertasche an und schmiss sie ebenfalls in den Müll.

„Abgemacht. Aber ich will dir keine Umstände machen.“

„Quatsch. Die machst du, wenn überhaupt, meiner Mutter, aber ich habe den Eindruck, dass sie dich mag. Kocht sie eben für eine Person mehr.“

„Wohnt deine Mutter bei dir?“, fragte er beiläufig, als sie zurück zum Wagen gingen.

„Gott bewahre, nein“, lachte Ewa. „Sie hat eine eigene Wohnung in der Nähe und ein eigenes Leben. Aber sie ist immer für mich da. Wir haben ein sehr herzliches Verhältnis, seit mein Vater gestorben ist“, antwortet sie mit etwa belegter Stimme.

„Vorher nicht?“

„Man soll nicht schlecht über Verstorbene reden, aber mein Vater war ein Ekelpaket erster Güte. Er hat ihr praktisch verboten, mit mir Kontakt zu haben.“

„Warum das?“, fragte Falk sie überrascht. Falk startete den Wagen und fuhr los.

„In Polen ist es etwas anders als in Deutschland. Die Pflanze der Emanzipation wächst hier viel langsamer als bei euch. In den Vorstellungen der meisten Männer hier existiert für die Frau immer noch die Rolle Kinder, Küche, Kirche und das Patriarchat ist tief verwurzelt. Vater ist nicht damit klar gekommen, dass ich plötzlich eine Respektsperson wurde, egal ob für Männer oder Frauen und ich ihm die Meinung gesagt habe, wenn er Mutter mal wieder schlecht behandelt hat.“

„Solche Typen gibt es bei uns auch“, murmelte Falk.

„Mag sein und ich sage ja nicht, dass Mama von ihm geschlagen wurde oder so etwas in der Art. Er hat keine Wiederworte geduldet. Sie musste sich immer seinem Willen fügen und da habe ich nicht mitgespielt.“

„Wie ist er ums Leben gekommen?“

„Verkehrsunfall. Betrunken gegen einen Baum gefahren. Kommt hier oben öfter vor“, antwortete sie knapp und Falk hörte keinerlei Bedauern aus ihrer Stimme heraus. Da musste mehr dahinterstecken, über dass sie sich nicht auslassen wollte, aber er merkte auch gleichzeitig eine gewisse Aufgewühltheit in ihr.

„Interessanter Vortrag, den Dr. Kwiatkowski uns präsentiert hat“, wechselte er rasch das Thema.

„Ja. Er hat uns sehr geholfen. Als Erstes werden wir die Karte, die wir auf dem Schiff gefunden haben, mit der aus dem Institut vergleichen“, antwortete sie mit sichtlich erleichterter Stimme.

*

Ewa war Falk dankbar dafür, dass er das Thema gewechselt hatte. In ihr kamen alte, längst vergessene Erinnerungen hoch und diese waren nicht angenehm. Das sprach für ihn. Hinter seiner rauen Schale verbarg sich anscheinend ein Mann mit viel Empathie. Als sie ihn heute Morgen in der Eingangstür mit dem Teddybären für Iga in der Hand gesehen hatte, hätte sie ihn knuddeln können, da sie merkte, dass ihm wirklich etwas an der Gesundheit ihrer Tochter lag und seine Geste war nicht nur eine Höflichkeitsfloskel gewesen.

Ewa nahm ihr Mobiltelefon und rief zu Hause an, um sich zu erkundigen, wie es der Kleinen ging. Ihre Mutter beruhigte sie. Iga spielte mit ihren Stofftieren, wobei sie einen neuen Favoriten auserkoren hatte.

„Dein Kollege macht einen netten Eindruck“, hörte sie die Stimme ihrer Mutter. „Wie wäre es, wenn du ihn zum Abendessen einlädst?“

„Schon passiert, Mutter. Du kannst wirklich Gedanken lesen“, lachte Ewa.

„Er gefällt dir“, stellte ihre Mutter mehr fest, als dass sie fragte.

„Quatsch. Er ist ein Kollege und ich kenne ihn doch kaum“, wehrte sich Ewa zaghaft, aber sie war sich bewusst, dass ihre Mutter recht hatte. Sie hatte Falk erst gestern kennengelernt, aber er war ihr mittlerweile so vertraut, als wenn sie ihn seit Monaten kannte.

„Also du kochst uns etwas für heute?“

„Klar. So wie er aussieht, ernährt er sich wohl hauptsächlich von Pizza und vom Imbissstand. Dann bekommt er mal etwas Anständiges aufgetischt. Ist er verheiratet?“, hörte sie die Stimme ihrer Mutter mit einem belustigten Unterton.

„Keine Ahnung“, antwortete Ewa patzig und legte auf. Verstohlen blickte sie auf seine Hände, aber dort war kein Ring, oder auch nur dessen Abdruck zu finden. Ihr Mund verzog sich zu einem zufriedenen Lächeln und im nächsten Moment ärgerte sie sich über ihre Geste.

„Wie geht es Iga?“, fragte Falk.

„Alles bestens. Dein Teddy hat die Nummer eins in ihrer Beliebtheitsskala übernommen“, grinste sie.

„Nur bei ihr?“, fragte er leise und sah sie von der Seite an.

Ewa errötete leicht und schwieg. Jedes Wort wäre falsch gewesen, aber ihre Reaktion sprach Bände, ob sie wollte oder nicht.

*

Die letzten Kilometer bis Kolberg hatten sie schweigend zurückgelegt. Als sie in Ewas Büro zurückkehrten, fanden sie die Expertise über den silbernen Gegenstand vor, den man bei der Leiche von Gerber befunden hatte sowie einen Umschlag, in dem sich die gesäuberten Seekarten befanden.

Ewa las den Bericht der Expertise und ihre Stirn legte sich in Falten.

„Nach dem was hier steht, handelt es sich um eine Gotländische Dosenfibel. Davon hab ich noch nie gehört.“

„Ich weiß nicht mal, was eine Fibel ist, außer die aus der Grundschule“, grinste Falk.

„Eine Fibel ist eine Gewandnadel, ähnlich einer heutigen Sicherheitsnadel, mit einem ähnlichen Verschlussprinzip. Früher, besonders in der Antike, gab es keine Knöpfe. Die Gewänder wurden mithilfe von Fibeln verschlossen. Ich habe schon einige römische gesehen, aber diese Form ist mir völlig unbekannt. Hier steht weiter, dass sie wohl Wikingischen Ursprungs ist und dem Typ nach aus Gotland stammt.“

„Das würde bedeuten, dass Gerber nach einem Wikingerschiff getaucht hat?“

„Nicht unbedingt. Solche Waren wurden überall rund um die Ost- und Nordsee gehandelt, und das über einen langen Zeitraum. Weiter steht hier, dass es sich wohl um einen späten Typ handelt. Als Datierung wird das 12. bis 13. Jahrhundert angegeben. Da war die Zeit der Wikinger, so wie wir sie kennen, fast schon vorbei.“

„Schauen wir doch mal, was die beiden Karten uns sagen.“

Falk holte die Karten aus dem Umschlag, auf der Stala die Markierungen angebracht hatte und verglich sie mit der ausgedruckten Karte aus dem Institut.

„Die sind fast identisch, nur Stalas Karte ist genauer. Und was ist das hier?“ Falk deutete auf eine rot gestrichelte Linie.

„Keine Ahnung, aber das haben wir gleich“, antwortete Ewa und griff zum Telefon.

„Das ist die geplante Route von Nordstream 2“, sagte Ewa, als sie das Telefonat mit Kwiatkowski beendet hatte. „Ist das wichtig? Was meinst du?“

„Kann ich noch nicht sagen, aber auf jeden Fall ein weiteres Mosaiksteinchen in unserem Puzzle.“

Ewa schaute auf die Uhr und stellte fest, dass es bereits achtzehn Uhr war.

„Machen wir Schluss für heute. Ich muss Mutter noch beim Abendessen helfen. Um halb acht bei mir?“

„Okay“, sagte Falk und Ewa rauschte aus ihrem Büro.

Killer kommen nicht so leicht davon: 7 Strand Krimis

Подняться наверх