Читать книгу Killer kommen nicht so leicht davon: 7 Strand Krimis - Alfred Bekker - Страница 19

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Überall waren Lichter. Fabriken und Wohnhäuser drüben in Weehawken, New Jersey. Die abendlich illuminierte Skyline aus Beton und Glas hier an der Westside. Beides zusammen sorgte für schillernde Reflexe auf der Wasseroberfläche des Hudson River. Nur in seiner unmittelbaren Umgebung war es stockfinster. Kein Hauch von Helligkeit drang bis dorthin vor. Brackiges Wasser schlug mit rhythmischem Schmatzen gegen Pontonplanken. Irgendwo auf dem Hudson keuchte die heisere Typhonstimme eines Schleppers.

Frank Taliferro spähte zum Westside Highway hinüber, dessen betagte Stahlstelzen sich schwarz und skelettartig vor Manhattans Lichterglanz abzeichneten. Oben auf der Fahrbahn zogen Scheinwerfer und Rückleuchten weiße und rote Glühfäden.

Eine Bewegung im Halbdunkel zwischen den Highway-Stützpfeilern. Taliferros Haltung entspannte sich, als er die Silhouette eines Mannes erkannte. Der Mann überquerte die Jay Street und kam mit eiligen Schritten auf ihn zu. Das Gegenlicht zeichnete seine Konturen mit harten Linien, gab ihm das Aussehen eines gesichtslosen Scherenschnitts.

»Jesse?«, fragte Taliferro aus der Dunkelheit heraus.

Der andere brummte zustimmend, und als er auf fünf Schritte heran war, bewegte sich seine Rechte blitzschnell.

Mattschwarzer Waffenstahl schimmerte in der fernen Helligkeit von Manhattan und Weehawken.

Taliferro zuckte zusammen. Ungewollt. Im nächsten Atemzug spannten sich seine Muskeln. Doch äußerlich blieb er unbewegt, lehnte weiter mit der linken Schulter an der Baracke, die Arme vor dem breiten Brustkorb verschränkt.

»Vernünftig so«, sagte der andere anerkennend. »Schön ruhig, Frankieboy. Du kannst meine Kanone erkennen?«

»Ziemlich genau, Benito.« Taliferro hatte ihn an der Stimme identifiziert.

Benito Scalzone. Er gehörte zu denen, die in Manhattan-Midtown prächtig im Geschäft waren — und keinen anderen neben sich duldeten, wenn dieser andere Unruhe ins Geschäft brachte.

»Va bene — gut so«, nickte Scalzone. Sein Gesicht, von einem breitkrempigen schwarzen Hut überschattet, lag noch immer im Dunkeln. Nur das Glitzern seiner Pupillen war jetzt zu erkennen. »Du weißt, Frankieboy, dass es nicht groß auffällt, wenn es hier bei den Piers knallt. Deshalb…«

»Spar dir die lange Ansprache«, fiel ihm Taliferro ins Wort. »Du wirst abdrücken, ohne mit der Wimper zu zucken. Ist es das, was du sagen wolltest?« Er hatte seine innere Ruhe wiedergefunden. Eiskalt wartete er jetzt auf den Sekundenbruchteil, in dem der andere einen Fehler machte, unaufmerksam wurde, sich ablenken ließ, egal was. Dieser Sekundenbruchteil würde kommen. Taliferro vertraute darauf. Er hatte immer darauf vertraut.

Und er lebte noch.

Scalzone stieß einen wütenden Zischlaut aus.

»Wenn du den dicken Mann markieren willst, bist du an der falschen Adresse. Glaubst du, ich bin alleine hier?«

»Ich glaube immer nur das, was ich sehe, Benito.«

Scalzone lachte höhnisch.

»Schlechte Angewohnheit, Frankieboy. Bei passender Gelegenheit wirst du daran kaputtgehen. Vielleicht schon heute Abend.«

Taliferro wusste genug. Irgendwo im Hintergrund lauerten Scalzones Handlanger. Seine Schlägertruppe. Seine Leibgarde. Gut dressierte Hofhunde, die nur auf die Stimme ihres Herrn warteten.

Frank Taliferro seufzte geduldig.

»Okay, Benito. Du hast mir ein paar nette Drohungen an den Kopf geknallt und nebenbei nur herumgefaselt. Wenn dir die Beretta schon zu schwer wird, solltest du langsam dran denken, zur Sache zu kommen. Was hast du auf dem Herzen, amigo?«

Das Glitzern in Scalzones Augen verstärkte sich. Er war ein unbeherrschter, leicht aufbrausender Typ. Aber er riss sich zusammen. Noch schaffte er es. Noch hatte Taliferro ihn nicht genug gereizt.

»Wer ist Jesse?«, zischte Scalzone.

»Himmel!«, stöhnte Taliferro in gespielter Verzweiflung. »Ist dir klar, wie geistreich deine Frage ist? Es gibt zig Millionen Jesses in den Staaten. Das fängt bei unserem verehrten Präsidenten an und hört bei Jesse Miller aus dem hintersten Winkel von Nebraska auf.«

Scalzones Beretta ruckte ein Stück vor. Die Mündung war jetzt zu erkennen. Neun Millimeter. Viel Platz für ummanteltes Blei, das hässliche Löcher riss.

»Du weißt verdammt genau, wen ich meine!«, fauchte der Italo-New-Yorker. »Wir haben dich seit eineinhalb Stunden beobachtet, Frankieboy. Nirgends hast du dich lange aufgehalten. Nur hier, auf diesem elenden Ponton, stehst du jetzt schon zehn Minuten. Ist dein Freund Jesse unpünktlich, oder bist du zu früh dran, he?«

»Benito, hör zu«, sagte Taliferro mit der Geduld eines Lehrers, der dem Klassenletzten zu erklären versucht, weshalb zwei mal zwei vier ist. »Angenommen, ich habe wirklich eine Verabredung… welchen Unterschied macht es, ob der eine zu früh oder der andere zu spät dran ist? Das Ergebnis bleibt dasselbe, capisci?«

»Es stimmt also!«, frohlockte Scalzone.

»Was, bitte?«

»Dass du eine Verabredung hast, zum Teufel!«

»Ist das für dich so wichtig, Benito?«

»Ich warne dich, Taliferro!«, knurrte Scalzone. »Noch geht es gemütlich zu zwischen uns beiden. Aber das kann sich sehr schnell ändern. Es liegt ganz an dir, wie dieser Abend endet. Allerdings hatte ich geglaubt, dass wir wie vernünftige Menschen reden könnten.«

»Über Gott und die Welt?«

»Taliferro! Treib es nicht auf die Spitze! Spiel nicht den Ahnungslosen, verdammt nochmal. Oder willst du abstreiten, dass du anfängst, mir Konkurrenz zu machen?«

Frank Taliferro blieb ruhig. Äußerlich jedenfalls. Innerlich vibrierten seine Nerven dem Punkt entgegen, an dem er explodieren würde.

»Benito, mein Freund«, sagte er sanft. »Siehst du nicht ein, dass es sich mit einer Kanone dazwischen schlecht redet? Warum setzen wir uns nicht in die nächste Kneipe, machen es uns gemütlich und kippen ein paar Drinks? Das lockert die Zunge.«

»Schluss jetzt!«, zischte Scalzone wütend. »Mir reicht’s. Heraus damit: Was hast du in meinem Revier vor? Wen willst du einsteigen lassen? Wer sind deine Hintermänner?« Unbeherrscht und fordernd wedelte er mit der Rechten. »Ich will Klartext von dir hören, Frankieboy!«

»Okay«, brummte Taliferro, »dann also Klartext…«

Blitzartig schnellte er zur Seite, noch bevor die letzte Silbe über seine Lippen gekommen war.

Nur einen halben Schritt weit. Aus der Bewegung heraus wirbelte er herum. Seine rechte Handkante zuckte von unten empor.

Scalzone stieß einen Wutschrei aus, versuchte, den Pistolenlauf herumzuschwenken.

Mit grellem Schmerz detonierte der Handkantenhieb unter seinem Ellenbogen. Seine Waffenhand wurde hochgerissen. Reflexartig krümmte sich sein Zeigefinger.

Die Beretta bäumte sich auf, spie Feuer und Mantelblei.

Das dumpfe trockene Bellen des Schusses zerfetzte die Stille, und der kurze Nachhall ging im Hintergrundrauschen des Verkehrslärms von Manhattan unter.

Frank Taliferro stoppte seine rasante Bewegung, verharrte geduckt und breitbeinig.

Scalzone stöhnte schmerzerfüllt, versuchte vergeblich, den rechten Arm zu heben. Seine Finger waren wie gelähmt. Die schwere Automatikpistole drohte ihnen zu entgleiten. Er erkannte, dass seine Chancen zusammenschmolzen, ins Gegenteil umschlugen. Seine Augen begannen zu flackern. Mit unsicheren Schritten wich er zurück.

Taliferro setzte nach. Der pantherhafte Satz, mit dem er auf Scalzone zuschnellte, war kaum mit den Augen zu verfolgen.

»Du bist verrückt!«, keuchte Scalzone. Schützend hob er den linken Arm. »Lass den Unsinn! Du machst alles nur noch schlimmer! Ich warne dich, ich…«

Taliferro zerschmetterte seine klägliche Deckung mit einem einzigen gnadenlosen Hieb.

Scalzone wurde zurückgeschleudert. Sein spitzer Schrei erstickte in einem Gurgeln, als Taliferro eine brettharte Gerade hinterherfeuerte.

Die Beretta polterte mit einem dumpfen Laut auf die Holzbohlen des Pontons.

Im nächsten Moment hakte Scalzone irgendwo mit dem Absatz fest. Der Länge nach schlug er hin. Hart prallte sein Hinterkopf auf die Bohlen. Er rührte sich nicht mehr.

Taliferro bückte sich, wollte nach der Beretta tasten, deren schwarzer Waffenstahl von der Dunkelheit aufgesogen wurde.

Das Geräusch rasend schneller Schritte hielt ihn davon ab.

Er fuhr hoch, spähte zum Westside Highway hinüber.

Die Schatten huschten unter den Stahlstelzen hervor, hasteten quer über die Jay Street.

Vier Mann.

Sie erreichten den Ponton, bevor Taliferro auch nur eine Chance hatte, auf festen Boden auszuweichen. Hinter ihm waren nur die knapp hundert Quadratyard des Pontons und jenseits davon das dunkle, brackige Wasser des Hudson River.

Die Kerle stoppten ihre Schritte, bildeten eine Front, die die ganze Breite des Pontons einnahm.

Drohend lauernd kamen sie näher.

Frank Taliferro glaubte, ihr höhnisches Grinsen zu sehen. Doch das war eine Sinnestäuschung. Vor der Lichterglocke Manhattans erkannte er nur ihre Umrisse.

Ein metallisches Klicken, gefolgt von einem flirrenden Reflex.

Taliferros Augen wurden schmal.

Der Kerl ganz rechts hatte ein Messer gezogen. Das Funkeln der langen, schmalen Klinge war deutlich zu sehen.

Taliferro begann zurückzuweichen. Seine Rechte tastete unwillkürlich nach der schweren Automatik, die er im Inside-Holster unter dem Hosenbund trug. Keine Dienstvorschrift verbot es ihm, sich mit der Waffe zur Wehr zu setzen. Selbst ein Warnschuss erübrigte sich. Es lag in seinem Ermessen, sofort gezielt zu feuern. Eine Entscheidungsfreiheit, über die jeder New Yorker Polizeibeamte in lebensbedrohlichen Situationen verfügte.

Aber die vier Kerle da vorn wussten nicht, dass Frank Taliferro Polizeibeamter war. Sie hielten ihn für einen unverfrorenen, aalglatten Ganoven, der in fremden Revieren zu jagen begann und nach dem ganz großen Geschäft fieberte.

Wenn er sie kampfunfähig schoss, war es mit dieser Legende vorbei. Ebenso, wenn sie ihn überwältigten und seine Waffe, seine Dienstmarke und sein Walkie-Talkie entdeckten.

Seine Rolle konnte er nur weiterspielen, wenn er es schaffte, sich heil aus der Affäre zu ziehen.

Ein fast aussichtsloses Unterfangen.

Er wich weiter zurück, an der Seitenwand der Baracke entlang. Der Gedanke, den nassen Fluchtweg durch den Hudson River einzuschlagen, durchzuckte ihn. Eine einfache Lösung, vielleicht auch erfolgversprechend. Doch es würde bedeuten, dass das Image, das er sich mühsam aufgebaut hatte, dahin war. Wenn er erst einmal als Feigling galt, brauchte er sich nicht weiter anzustrengen, in das Geschäft einzusteigen.

Unter den Schritten der vier Schläger begann der Ponton zu schwanken.

Auf der freien Plattform, wo tagsüber die Hubschrauber landeten, blieb Taliferro stehen.

Und er ließ sie kommen.

Killer kommen nicht so leicht davon: 7 Strand Krimis

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