Читать книгу Killer kommen nicht so leicht davon: 7 Strand Krimis - Alfred Bekker - Страница 9

3.

Оглавление

Falk nahm sich für seine Fahrt nach Polen Zeit und wählte die Strecke, welche über die Landstraße zur polnischen Grenze führte, anstatt über die Autobahn um das Stettiner Haff herum Richtung Kolberg zu fahren. Nach etwa drei Stunden Fahrt näherte er sich seinem Ziel und das Ortsschild von Grzybowo nährte sein Interesse. Hier hatte man also Dennis Gerber aus dem Wasser gefischt. Kurz entschlossen bog er von der Bundesstraße ab und fuhr in Richtung Strand. Auf einem Parkplatz, direkt vor den Stranddünen stellte er seinen Wagen ab. Der Platz war menschenleer, was im Sommer bestimmt anders aussah. Über einen sandigen Fußweg ging er durch ein Kiefernwäldchen, das sich bis in Strandnähe zog. Er ging eine kleine Steigung nach oben und blickte auf einen endlosen, breiten Sandstrand.

Falk machte einen tiefen Atemzug und zog die frische Meeresbrise in seine Lungen ein. Der Unterschied zum Ostseestrand, so wie er ihn kannte, fiel ihm sofort auf. Dieser hier strahlte eine ungezähmte Wildheit aus. Nirgends war ein Strandkaffee oder Ähnliches zu sehen. Nur endloser Sand, auf dem sich die Überreste dessen befanden, was der Sturm der vergangenen Woche an Land gespült hatte. Er setzte sich auf die Düne und beobachtete eine Weile die Möwen, die im Sturzflug kleine Fische, die sich an der Wasseroberfläche befanden, erbeuteten. Um ihn herum herrschte absolute Stille. Und das knappe drei Stunden von Stralsund entfernt, dachte er und schloss für einen Moment seine Augen, um die Ruhe zu genießen.

Nach einer Weile stand er auf, klopfte sich den Sand von seiner Kleidung und ging langsam zurück zu seinem Fahrzeug. Einen ersten Eindruck vom möglichen Tatort hatte er gewonnen und für ihn war das sehr wichtig. Er musste einen Fall „fühlen“ und alles, was damit zu tun hatte, in sich aufnehmen. Zufrieden startete er den Wagen und bald darauf hatte er Kolberg erreicht.

Zunächst einmal stand er im Stau vor einer Brücke, die über einen kleineren Fluss führte. Falk schaute den Anglern zu, die in dem klaren Wasser den Fischen nachstellten und nach einiger Zeit rollte er, mit einigen Unterbrechungen, dem Stadtzentrum entgegen. Vorbei an ein paar Plattenbauten folgte er den Anweisungen seines Navis und je mehr er sich dem Zentrum näherte, umso schöner erschien ihm die kleine Stadt. Er fuhr langsam an frisch renovierten alten Häusern vorbei auf ein großes Hotel zu, das gegenüber einem großen Park lag, welches er als Zielort eingegeben hatte. „New Skanpol“ stand dort in großen Buchstaben. Falk lenkte sein Fahrzeug auf den hoteleigenen Parkplatz, stellte es ab, schnappte sich seinen Trolley und betrat die große Empfangshalle. Am Schalter holte er sich seinen Zimmerschlüssel ab und fuhr mit dem Fahrstuhl in den vierten Stock. Das Zimmer erwies sich als recht geräumig und ebenfalls frisch renoviert.

Nachdem er sich eingerichtet hatte, zog er sein Handy aus der Tasche und gab ins Navi die Adresse des hiesigen Polizeireviers ein, wo er Kommissar Stepinska zu treffen hoffte. Er hatte ihm sein Kommen mit einer kurzen Mail übers Handy für den Mittag avisiert und er hatte ihm zurückgeschrieben, dass sie sich um eins in der Lobby des Skanpols treffen wollten.

Falk schaute auf seine Uhr und stellte fest, dass er noch über ein halbe Stunde Zeit hatte. Er zog sich aus und ging unter die Dusche, die sogar über eine Regendusche verfügte. Nach ein paar Minuten unter dem lauwarmen Wasserstrahl, fühlte er sich wie ein neuer Mensch und zog sich frische Sachen an. Anschließend fuhr Falk mit dem Aufzug nach unten und sah sich nach seinem Empfangskomitee um.

*

Kommissarin Ewa Stepinska saß in einem Sessel der Lobby und sah einen Mann, der gerade den Aufzug verließ und seinen Blick schweifen ließ. Er war groß, hatte dunkelbraunes, kurzes Haar und ein scharf geschnittenes Profil. Seine braunen Augen schauten sich nun suchend um und sie war sicher, dass es ihr deutscher Kollege war. Sein Blick streifte sie, und sie bemerkte ein kleines Lächeln um seinen Mund, als sein Blick weiterwanderte. Ewa schmunzelte. Anscheinend hatte man ihm nicht gesagt, dass er es mit einer Kolleg in zu tun hatte und stand auf, um ihn in Empfang zu nehmen.

*

Falk schaute sich suchend um, aber keiner der Anwesenden in der Lobby entsprach dem Bild, welches er sich in seinem Kopf von Kommissar Stepinska gebildet hatte.

„Ich nehme an, dass Sie Herr Möller von der Kriminalpolizei in Stralsund sind“, hörte er eine helle, wohltönende, weibliche Stimme hinter seinem Rücken. Überrascht drehte er sich um und blickte in das Antlitz der Frau, welcher er eben noch ein flüchtiges Lächeln geschenkt hatte. Sie war etwa eins siebzig groß, schlank, etwa dreißig Jahre alt, hatte kurzes, blondes Haar und schaute ihn erwartungsvoll aus ihren hellblauen Augen an.

„Verzeihen Sie bitte mein Erstaunen, aber ich habe …“

„… mit einem männlichen Kollegen gerechnet“, vollendete sie seinen Satz. „Aber dann hätte er Stepinski heißen müssen. Die Endsilbe a steht immer für den Nachnamen der Frau“, lächelte sie und Falk schluckte kurz. „Freut mich Sie kennenzulernen“, sagte sie und reichte ihm ihre Hand. Falk ergriff sie wie in Trance und schaute weiter in die Augen der Frau.

Alter, du bist hier auf Dienstreise, riss er sich aus seinen Tagträumen und erwiderte den Druck.

„Hatten Sie eine gute Fahrt?“, fragte Ewa ihn, als er ihr aus der Lobby folgte und unwillkürlich auf ihren Hintern schaute, der in einer knappen Jeans steckte.

„Wie? Äh, ja. Alles bestens. Ich bin über Grinzbowo gekommen und habe mir die Gegend um den Fundort der Leiche am Strand mal angeschaut. Ein herrlicher Flecken Erde“, sagte er, als er sich auf dem Beifahrersitz setzte. Ihm war klar, dass er den Namen des Ortes falsch aussprach, aber das war ihm egal und Ewa Stepinska korrigierte ihn nicht.

„Für Ihren Landsmann nicht“, antwortete sie stattdessen trocken. „Aber ja. Unsere Küste ist noch recht unberührt, wenn man von den Sommermonaten mal absieht.“

Sie fädelt sich in den Verkehr ein und nach ein paar Minuten parkte sie ihr Fahrzeug vor einem großen, roten Backsteingebäude ein. Falk folgte ihr in den ersten Stock, wo sie eines der Zimmer betrat, in dem sich eine große Pinnwand befand.

„Mein Büro“, bemerkte Ewa lapidar. „Ihres ist gleich nebenan“, ergänzte sie und zeigte auf einen Raum, der sich ihrem Büro anschloss.

„Wir konnten im Rahmen unserer Ermittlungen herausfinden, wo sich Gerber hier in Kolberg aufgehalten hatte. Er hatte ein kleines Appartement direkt am Hafen gemietet. Aber die Durchsuchung hat überhaupt nichts ergeben. Kein Handy, kein Laptop, nichts, außer ein paar Kleidungsstücken. Wir haben auch keinerlei Papiere oder Bargeld gefunden. Fingerabdrücke ließen sich nur Gerber zuordnen. Entweder war er extrem vorsichtig oder man hat die Wohnung penibel sauber gemacht. Ich tippe auf Letzteres. Selten so eine fast klinisch reine Wohnung gesehen. Es gab noch nicht mal Abfall“, führte Ewa aus. „Die Befragung seiner Nachbarn hat ebenfalls nichts ergeben. Nur einer von ihnen hat ihn beobachtet, als er das Haus in Richtung Hafen mit einem großen Rucksack verließ.“

„Da war wohl seine Taucherausrüstung drin“, bemerkte Falk.

Er näherte sich der Pinnwand, an der die Fotos des toten Dennis Gerber hingen. Die Stichwunde in seiner Brust war unübersehbar.

„Weiß man schon, welche Waffe das verursacht hat?“

„Passt zu einem Tauchermesser. Aber da war noch etwas“, sagte Ewa. „Hautabschürfungen an seinen Fußgelenken. Anscheinend hatte man seine Leiche beschwert, bevor man sie ins Wasser geworfen hat.“

„Und der Inhalt der Pressluftflaschen, zusammen mit den Faulgasen, hat seinen Körper nach oben treiben lassen. Durch den Seegang während des Sturms hat sich die Beschwerung offensichtlich gelöst.“

Auf einem weiteren Bild waren die Taucherausrüstung sowie das Drucklufttauchgerät abgebildet, die man mit der Leiche gefunden hatte. Weitere Fotos zeigten einen kleinen Hammer und einen Meißel. Bei einem Bild stutzte Falk kurz und sah es sich genauer an.

Es zeigte einen etwa zwei Zentimeter hohen, kästchenförmigen, kleinen Gegenstand, der auf dem Foto stark vergrößert worden war.

„Wissen wir was das ist?“, fragte er Ewa, die an ihrem Schreibtisch saß und ihren PC hochfuhr.

„Nein. Das Fundstück ist aus Silber, aber durch das Salzwasser korrodiert“, antwortete sie, ohne hochzuschauen. „Es ist bereits im archäologischen Institut in Poznan zur Bestimmung. Gerber hatte es unter dem Neoprenanzug an seinem Handgelenk versteckt.“

„Sie denken dasselbe wie ich?“, fragte Falk sie.

„Dass wir uns als Kollegen duzen sollten?“, lächelte sie ihn nun an. „Ich bin Ewa“, sagte sie und streckte ihm wieder ihre Hand entgegen, die er mit einem leichten Kribbeln nahm und den Druck erwiderte.

„Ich bin Falk“, sah er sie an und entdeckte zwei Grübchen in ihrem Gesicht, als sie ihn anlächelte.

„Und ja, ich glaube, dass wir dasselbe denken“, kam sie nun auf seine Frage ernsthaft zurück. „Da wir Gerbers Fingerabdrücke über Europol identifiziert haben, wissen wir natürlich auch um seine Vorstrafe. Er war Berufstaucher und spezialisiert auf das Wracktauchen. Und dieses kleine Ding hier“, sagte sie und deutete auf die Münze auf dem Foto, „bestärkt uns in der Annahme, dass er hier vor der Küste tätig gewesen sein muss.“

„Aber was kann man denn hier in der Ostsee finden, außer vielleicht ein paar untergegangene Kriegsschiffe aus dem Zweiten Weltkrieg?“

Ewa lachte kurz auf. „So richtig in der Materie bist du nicht drin, nicht wahr?“, fragte sie ihn.

„Nicht wirklich. Man hat mich ja erst gestern Morgen mit dem Fall beauftragt. Klär mich auf.“

„In der Ostsee vermutet man die Wracks von über sechzehntausend versunkenen Schiffen der vergangenen Jahrhunderte, von denen man bisher nur einen Bruchteil lokalisiert hat. Da ist alles dabei: Von Schiffen aus den beiden Weltkriegen über Frachtschiffen aus der Zeit der Hanse bis zurück zu den Schiffen der Wikinger, die in der ersten Zeit ihrer Expansion hauptsächlich die Ost-Route bis hin nach Russland befuhren.“

„Für eine Polizistin bist du aber gut unterrichtet“, grinste Falk.

„Bevor ich in den Polizeidienst eingetreten bin, habe ich Germanistik und Geschichte an der Universität in Poznan studiert. Aber das war mir dann doch zu trocken. Deshalb habe ich mein Studium abgebrochen und bin in den Polizeidienst gewechselt.“

„Ich war immer Bulle“, sagte Falk und schaute sich wieder die Fotos an. „Wollte ich von Anfang an werden, aber hab es bis jetzt nur bis zum Oberkommissar geschafft.“

„Du hast dir selbst im Weg gestanden?“ Ihre Frage war mehr eine Feststellung.

„Ja. Meine letzte Beförderung hatte sich damit erledigt, als ich einem Kollegen eine auf die Zwölf gehauen habe.“

Ewa kicherte und Falk fragte sich, warum er ihr dies überhaupt erzählte.

„Habt ihr herausbekommen, für wen er gearbeitet hat?“, fragte er sie nun, das Thema wechselnd.

„Noch nicht. Aber Kolberg ist eigentlich ein Dorf. Wenn er von hier aus operiert hat, werden wir es herausfinden.“

„Dieser Gegenstand“, sagte Falk und tippte auf das Foto. „Er muss einen besonderen Grund gehabt haben, dass er ihn eingesteckt hat.“

Ewa kam zu ihm an die Pinnwand und gesellte sich neben ihn. Er nahm ihr dezentes Parfüm wahr, das sie umgab, und blickte sie verstohlen von der Seite an. Jadore. Die Dame hatte Geschmack. – Hallo! Sie ist nur eine Kollegin, dachte er und wendete sich wieder dem Foto zu.

„Bis jetzt wissen wir nicht, worum es sich dabei handelt, aber ich bin recht zuversichtlich, dass wir bald ein Ergebnis aus Poznan erhalten werden“, erklärt sie. „In der Zwischenzeit könnten wir die Hafengegend abklappern und uns etwas umhören. Es ist nicht weit, und wir können zu Fuß gehen. Dann hast du auch gleich einen kleinen Eindruck von der Stadt. Warst du überhaupt schon mal in Polen?“

„Ja, einmal in Stettin, aber das ist schon Jahre her. Wir hatten dort einen unterstützenden Einsatz, bei dem es um eine Verhaftung im Rotlichtmilieu ging Wir haben dort einen Zuhälter aus dem Verkehr gezogen, der Nutten aus der Ukraine illegal nach Polen und Deutschland, vorrangig Stralsund, transportiert hat, die für ihn arbeiten mussten. Damals war ich noch bei der Sitte. Ist ewig lange her. Der Einsatz dauerte auch nur ein paar Stunden.“

Inzwischen hatten sich die beiden auf den Weg in Richtung Hafen gemacht. „Wie lange bist du schon bei der Mordkommission?“, wollte Falk wissen.

„Zwei Jahre. Vorher war ich auch bei der Sitte und der Job ist hier in Polen richtig stressig. Der Anteil an Prostituierten ist wesentlich höher als bei euch. Schnell verdientes Geld von deutschen Touristen. Und die Zuhälter sind nicht zimperlich. Vier Jahre hab ich dort gearbeitet und dann hatte ich das Angebot bekommen, zur Mord zu wechseln. Und du? Wie lange bist du schon dabei?“

„Bei der Mordkommission? Zehn Jahre und davor auch vier Jahre Sitte und Betrugsdezernat.“

„Dann hast du ja einiges an Erfahrung voraus.“

„Das hat doch nichts zu sagen. – Ich kenne mich mit euren Rangabzeichen nicht aus, aber du bist um einiges jünger als ich und bist Kommissarin, das wird man doch nicht von ungefähr.“

Ewa fühlte sich geschmeichelt und versuchte das Kompliment zurückzugeben.

„So viel jünger wohl auch nicht.“

„Danke für die Blumen“, lachte Falk. „Ich bin sechsunddreißig.“

„Und ich einunddreißig. So viel ist das ja nun auch nicht“, lachte Ewa nun ebenfalls.

In der Zwischenzeit hatten sie den Hafenbereich von Kolberg erreicht. Falk sah eine breite Straße, die zum Leuchtturm führte und in deren Nähe sich etliche Touristenbuden befanden, die allerlei Nippes den potentiellen Käufern anboten, aber jetzt, um die Winterzeit, geschlossen hatten. Ewa folgte jedoch einer kleinen Nebenstraße und bald befanden sie sich im eigentlichen Hafengebiet.

Eine Reihe von Fischkuttern lag am Pier und dümpelte vor sich hin. In einiger Entfernung erblickte Falk ein mit Tarnfarben gestrichenes Schnellboot.

„Das Schiff der Küstenwache. Die suchen wir später auf. Erst mal sehen, was uns die Fischer so erzählen können“, sagte Ewa und begab sich an Bord des ersten Kutters.

Sie trafen auf einen jungen Mann, der sich auf der Brücke des kleinen Schiffes befand und etwas in seinen Bordcomputer tippte. Ewa sprach ihn an, und Falk verstand kein Wort von dem, was die beiden sagten. Vogelgezwitscher, grinste er in sich hinein und nach etwa fünf Minuten verabschiedete sich Ewa von ihrem Gesprächspartner.

„Na, was herausbekommen?“, fragte er sie, als sie wieder auf dem Kai standen.

„Ich denke schon. Ich habe ihn gefragt, ob er in den letzten Tagen etwas Auffälliges bemerkt habe. Also Schiffe, die eigentlich nicht dorthin gehörten, wo man sie gewöhnlicher Weise antreffen würde. Aber er hat nichts Besonderes bemerkt und er wirkt eigentlich glaubwürdig. Dann habe ich ihm ein Foto von Gerber gezeigt und er hat ihn sofort wiedererkannt. Er sagte, dass er mit zwei anderen Männern die „Grom“, einem Kutter, der weiter unten am Pier liegt, betreten habe. Dabei ist ihm aufgefallen, dass sich der Kutter schon seit Tagen nicht mehr vom Fleck gerührt hat.

Nun kann es sein, dass sie ihre Fangquote für diesen Monat bereits erfüllt hat und deshalb nicht mehr ausgelaufen ist, aber das Fangergebnis ist in dieser Saison, was den Dorsch betrifft, recht mager ausgefallen. Wir sollten dem Schiff mal einen Besuch abstatten. Es ist das vorletzte am Pier.“

Die beiden gingen an der Reihe von Schiffen vorbei, bis sie die Grom fast am Ende der Reihe der Fischkutter erblickten.

„Hallo, ist jemand an Bord?“, rief Ewa, natürlich auf Polnisch. Sie wartete eine Weile und wiederholte ihren Ruf. Aber nichts rührte sich. Das Schiff schien wie ausgestorben, und Ewa wollte gerade das Deck betreten, als Falk sie um ihre Hüfte packte und langsam zurückzog.

„Was hast du?“, fragte sie ihn und stellte überrascht fest, dass ihr diese Berührung nicht unangenehm gewesen war.

Falk wies mit seinem Arm auf das Vordeck.

„Eine Blutspur“, sagte er leise zu ihr und fasste automatisch nach hinten, wo er für gewöhnlich seine Dienstwaffe trug. Dann fiel ihm ein, dass er diese jetzt nicht mitführte, aber Ewa hatte ihre Waffe bereits gezogen und vor sich in Anschlag gebracht. Leise schlichen die beiden über das leere Deck des Schiffes und lugten vorsichtig durch ein Fenster der Brücke. Auch dort war niemand zu sehen und Falk öffnete behutsam die Tür zum Steuerhaus. Ein beißender Gestank kam den beiden entgegen und vor Ekel machten sie einen Schritt nach hinten.

„Einmal gerochen vergisst man das nie wieder“, sagte Falk, während Ewas Gesichtsfarbe einen grünlichen Ton annahm und sie leicht würgte. Nun öffneten sie die Türe vollends und Ewa lief, mit einem Tuch vor Nase und Mund zu einem Fenster und riss es sperrangelweit auf. Falk hatte sich ebenfalls ein Tuch vor die Nase gehalten und näherte sich dem Toten, der auf dem Boden des Steuerstandes lag.

„Kopfschuss, wohl aus nächster Nähe“, sagte er und wandte sich zu Ewa um, die sich nun zu ihm gesellt hatte. Sie zog ihr Handy aus der Tasche und informierte ihre Dienststelle über ihren grausigen Fund.

„Wie lange ist er schon tot? Was meinst du?“

„Mindestens vierzehn Tage, wenn nicht länger. Bei dem Verwesungsgrad und das im Winter.“

„Also ungefähr zu der Zeit, als auch Gerber getötet wurde.“

„Kommt hin. Im Obduktionsbericht von Gerber standen vierzehn Tage bis drei Wochen. So genau konnte man das nicht abschätzen. Es laufen aber noch weitere Untersuchungen, die den Todeszeitpunkt genauer festlegen sollten.“

Während Ewa mit ihren Kollegen telefonierte, sah sich Falk im Führerhaus um. Das Erste, was ihm auffiel war, dass der Bordcomputer und das Telemetrie-System völlig zerstört waren. Es schien so, als wenn jemand mit einer Axt oder Ähnlichem ganze Arbeit geleistet hatte. Falk blätterte im Logbuch des Schiffes. Die letzten Seiten fehlten. Aber vielleicht hatten sich ein paar Einträge auf dem Papier durchgedrückt. Das war eine Arbeit für die KTU, die Kriminaltechnische Untersuchung, und Falk legte es vorsichtig wieder an seinen Platz.

Verstreut auf dem Boden lagen ein paar Seekarten, die teilweise vom Blut des Ermordeten durchtränkt waren. Falk nahm sich einen Bleistift und hob eine der Karten an. Unter ihr befand sich eine weitere, die durch das getrocknete Blut an ihr klebte. Vorsichtig löste Falk die Karte von der anderen.

„Was gefunden?“, hörte er Ewas Stimme an seinem Ohr, die sich neben ihm in die Hocke begeben hatte.

„Möglich. Sieh mal. Da hat er etwas auf der Seekarte eingezeichnet“, antwortete er.

„Überlassen wir das der Kriminaltechnischen“, sagte Ewa, erhob sich wieder und schaute auf ihre Armbanduhr. Im selben Augenblick entfuhr ihr ein leiser Fluch. Falk grinste. Das, was er eben gehört hatte, war eines der wenigen Worte, die er auf Polnisch kannte.

„Was ist?“, fragte er sie. „Ich muss Iga vom Kindergarten abholen. Eigentlich hätte ich dort schon vor einer Viertelstunde sein müssen.“

„Iga?“

„Meine Tochter“, erklärte sie und verließ rasch die Brücke des Schiffes. Am Kai erschienen bereits zwei Streifenwagen und ein ziviles Fahrzeug, aus dem gerade zwei Männer mit weißen Ganzkörperanzügen stiegen.

Ewa sagte etwas auf Polnisch zu ihnen, die beiden nickten und bewegten sich an Falk vorbei an Bord.

„Kommst du mit? Es ist nicht weit von hier“, rief sie ihm über die Schulter zu.

„Klar. Sonst verlaufe ich mich noch in dieser Großstadt“, grinste Falk und beeilte sich, ihr zu folgen.

„Irgendwann bekomme ich mal Ärger mit den Kinderpflegerinnen. Ich komme ständig zu spät“, sagte sie, als sie schnellen Schrittes in Richtung Stadtmitte ging.

„Kann dein Mann sie nicht vom Kindergarten abholen?“

„Ich bin geschieden. Mein Ex-Mann lebt in Warschau und hat mit Kindern nicht viel am Hut“, antwortete sie etwas einsilbig. „Es hat halt nicht gepasst“, sprach sie weiter, als sie Falks fragenden Blick sah. Ewa beschleunigte ihren Schritt und bald erreichten sie ein weißes, flaches Gebäude, auf dessen Treppe ein kleines Mädchen saß, das ihren Kopf in den Händen hielt und dessen Gesicht sich erhellte, als sie ihre Mutter erblickte. Das Kind sprang auf, lief Ewa entgegen und diese nahm sie in die Arme. Ewa sagte etwas zu ihr und gleich darauf blickte das Kind Falk fragend an.

„Das ist Iga, meine Tochter“, sagte Ewa und das Mädchen gab Falk artig die Hand. Ihre blauen Augen hatte sie von ihrer Mutter geerbt, und sie sah auch sonst so aus wie eine Ewa in Miniaturausgabe. Iga nahm die Hand ihrer Mutter und fragte sie wohl etwas, das Ewa mit einem kurzen Auflachen quittierte.

„Sie hat gefragt, ob du mein neuer Freund bist“, grinste sie Falk an.

„Irgendwie schon“, erwiderte er belustigt und das erste Mal trafen sich ihre Blicke intensiver.

Tolle Frau, dachte er bei sich. Den Beruf und ihre Rolle als Mutter unter einen Hut zu bringen, das war nicht einfach.

„Darf ich euch beide zum Essen einladen?“, fragte er, als sie die Straße hinunterschlenderten.

Ewa sprach kurz mit ihrer Tochter und ihr kleines Gesicht verzog sich zu einem Lächeln.

„Nur, wenn es auch Eis gibt“, schmunzelte Ewa.

Falk lächelte Iga an und zeigte mit dem Daumen nach oben. Sie strahlte über das ganze Gesicht und machte an der Hand ihrer Mutter einen kurzen Hüpfer.

Iga übernahm mit ihren fünf Jahren die Führung und natürlich landeten sie bei einem dieser bekannten Burger-Restaurants.

„Sie liebt Chicken Nuggets und als Nachtisch ein Eis“, sagte Ewa lächelnd, als sie und Falk Iga beobachteten, die an ihren Nuggets herumknabberte.

Ihrer beider Essen fiel sehr karg aus, da weder Ewa noch Falk nach ihrem grausigen Fund an Bord des Kutters besonderen Appetit entwickelten. Nachdem Iga auch noch ihr Eis vertilgt hatte, verabschiedeten sich die beiden und Falk verabredete sich mit Ewa für den nächsten Morgen auf dem Revier. Iga winkte ihm noch einmal zu und dann waren beide um die nächste Ecke verschwunden, während Falk sich zurück ins New Skanpol und auf sein Zimmer begab, wo er die bisherigen Geschehnisse rekapitulierte.

Es gab noch so viel zu tun, aber mangels seiner Sprachkenntnisse waren ihm komplett die Hände gebunden, zumal er hier keinerlei Befugnisse hatte. Also machte er eine Liste von Fragen, die unbedingt geklärt werden mussten.

Zunächst galt es festzustellen, wer der Schiffseigner der Grom war, um diesen als Erstes zu befragen. Danach mussten die herrschenden Strömungsverhältnisse am Fundort der Leiche ermittelt werden.

Mit wem war Gerber gesehen worden? In welche Kneipe ging er abends auf ein Bier?

Falk griff zu seinem Mobiltelefon und rief Robert Schröder in Stralsund an.

„Na, hast du Kommissar Stepinska kennengelernt?“, fragte Robert ihn amüsiert.

„Ja, habe ich“, antwortete er kurz angebunden. „Habt ihr irgendetwas Neues für mich?“

„Nicht viel. Gerber war alleinstehend und hatte nur noch eine Schwester, die ihn jedoch schon lange nicht mehr gesehen hat und auch nicht gut auf ihn zu sprechen ist. Sie vermutet aber, dass er sich schon lange nicht mehr in Stralsund aufgehalten hat. Die Durchsuchung seiner Zwei-Zimmer-Wohnung hat auch nichts erbracht. Überall lag fingerdicker Staub. Da war schon lange keiner mehr gewesen und es gab auch keinen Hinweis darauf, wo er sich in der letzten Zeit aufgehalten hatte. Auch die Nachbarn kannten ihn so gut wie gar nicht.“

„Dafür haben Ewa und ich heute einen Toten auf einem Fischkutter gefunden.“

„Aha, wir sind schon beim du“, frotzelte Robert. „Einen Toten?“

„Einen Mausetoten. Der lag schon mindestens zwei Wochen auf dem Kahn.

Ein interessantes Detail haben wir auch noch entdeckt. Man hat ein silbernes Kleinod bei Gerber gefunden, das zur Bestimmung nach Poznan gesandt wurde. Das ist bisher unser wichtigstes Indiz. Gerber scheint seiner alten Liebe für das Plündern alter Wracks treu geblieben zu sein.“

„Treu bis in den Tod“, sinnierte Robert am anderen Ende der Leitung. „Und, wie ist sie denn so?“

„Wer?“, fragte Falk, den Ahnungslosen spielend.

„Frag nicht so blöd. Deine polnische Kollegin natürlich.“

„Sehr nett und kompetent. Auf jeden Fall hat sie sich bei dem Leichenfund tapfer geschlagen. Du weißt ja, was das für eine Scheiße ist.“

„Nach zwei Wochen Fäulnis? Ja. Das ist hart. Ruf mich an, wenn du was Neues für mich hast.“

„Klar, mach ich“, sagte Falk und legte auf. Er schaute auf die Uhr und stellte fest, dass es fast acht Uhr war. Um die Spesenkosten in die Höhe zu treiben, plünderte er die Minibar, warf sich aufs Bett und machte den Fernseher an. Er hatte die Wahl zwischen ARTE und dem ERSTEN und ließ sich von einer Sendung über den Brasilianischen Regenwald berieseln.

Aber seine Gedanken waren ganz woanders, waren bei einer blonden Frau mit blauen Augen. Was sie jetzt wohl machte? Wahrscheinlich Iga ins Bett bringen, sich anschließend mit einem Glas Wein vor den Fernseher begeben und früh schlafen gehen. Das jedenfalls spielt ihm seine Fantasie vor. Vielleicht lag sie aber auch mit ihrem Freund auf der Couch und kuschelte sich … Nein! Iga hatte gefragt, ob er ihr neuer Freund sei. Seine Hand tastete zu seinem Handy. Eine Sekunde zögerte er und dann tippte er ihr eine kurze Nachricht.

„Ich wünsche dir und Iga eine gute Nacht.“ Zwanzig Uhr dreiundzwanzig.

Wie ein Kaninchen vor der Schlange starrte er auf sein Mobiltelefon, das sich brutal in den Standby-Modus abmeldete und schwarz wurde.

Er schaute wieder auf die Bilder des Regenwaldes und wieder verstohlen zu seinem schlummernden Handy.

Zwanzig Uhr vierzig. Keine Antwort. War ich vielleicht zu aufdringlich, fragte er sich, als das Display hell wurde und sich mit einem „Pling“ zurückmeldete.

„Sorry. Hab Iga ins Bett gebracht. Auch wir beide wünschen dir eine gute Nacht. PS: Iga will morgen wieder Eis essen gehen.“ Als Emoticon war ein Smiley, das einen Kuss aussendet und dahinter eines mit einem Augenzwinkern angefügt.

Zufrieden schaltete Falk sein Handy aus und sank in sein Kissen. Was machte er da eigentlich? Er freute sich fast wie ein Kind über einen kurzen Text und ein Emoticon? Er war hier, um einen Mordfall zu lösen und nicht auf Brautschau. Aber plötzlich war er sich diesbezüglich nicht mehr so sicher. Etwas verärgert über sich selbst machte er den Fernseher aus, drehte sich auf die Seite und war im nächsten Augenblick eingeschlafen.

Killer kommen nicht so leicht davon: 7 Strand Krimis

Подняться наверх