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II

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Als Grimwood erwachte, nahm er als Erstes wahr, dass Tooshalli nicht mehr da war. Kein Feuer brannte und kein Tee war bereit. Er fühlte wieder den Ärger. Mit zornigem Blick und einem Fluch erhob er sich, um Feuer zu machen. Seine Gedanken schienen ihm verwirrt und aufgewühlt und zuerst begriff er nicht viel mehr, als dass sein Führer ihn in der Nacht verlassen hatte.

Es war sehr kalt geworden. Mit einiger Mühe brachte er das Holz zum Brennen und bereitete sich seinen Tee. Dann erst fand er nach und nach in die wirkliche Welt zurück. Der Indianer hatte sich aus dem Staub gemacht. Vielleicht der Faustschlag, vielleicht sein abergläubisches Grauen – vielleicht auch beides – hatten ihn fortgetrieben.

Er war jetzt allein, das war eine offensichtliche Tatsache. Für andere Dinge als offensichtliche Tatsachen hegte Grimwood nur geringes Interesse. Fantasievolle Spekulationen hatten keinen Platz auf seinem Kompass. Zusammen mit der brutalen Veranlagung entsprach das seiner Natur.

Während er seine Decken zusammenpackte – mit dumpfem, bösartigem Groll – berührten seine Finger ein Stückchen Holz. Er wollte es wegwerfen, als die ungewöhnliche Form plötzlich seine Aufmerksamkeit weckte. Sein seltsamer Traum kehrte zurück. Aber war es ein Traum? Das Stück Holz war anscheinend ein Totemstab. Er untersuchte es und widmete ihm mehr Aufmerksamkeit, als er vorhatte, wünschte. Ja, es war fraglos ein Totemstab. Also war der Traum kein Traum gewesen. Tooshalli hatte ihn verlassen, aber aus Treue zu irgendeinem indianischen Gebot, hatte er ihm ein Mittel zu seinem Schutz dagelassen. Er lächelte säuerlich, stopfte aber den Stab in seinen Gürtel. „Man weiß nie“, murmelte er zu sich selbst.

Grimmwood sah der Situation ins Auge. Er war allein in der Wildnis. Sein tüchtiger, erfahrener Waldläufer hatte ihn im Stich gelassen. Eine ernste Lage. Was sollte er tun? Ein Schlappschwanz würde sicher umkehren und der Spur, die sie getreten hatten, zurück folgen aus Angst, in diesem riesigen Hinterland weglosen Waldes auf sich allein gestellt zu sein.

Aber Grimwood war aus anderem Holz. Beunruhigt war er, gewiss, aber aufgeben würde er nicht. Seine Fehler waren von besonderer Art. Die Brutalität seines Wesens erzeugte Kraft. Er war ein Sportsmann und fest entschlossen. Er würde weiter gehen.

Zehn Minuten nach dem Frühstück, nachdem er ein Lager für den übriggebliebenen Proviant eingerichtet hatte, war er auf dem Marsch, den Höhenrücken hinunter und in das geheimnisvolle Tal des Wildes.

Im morgendlichen Sonnenlicht bot es einen verzaubernden Anblick. Die Bäume schlossen sich hinter ihm, aber er bemerkte es nicht. Es trieb ihn voran …

Er folgte der Fährte des riesigen Elchs, den er zu töten gedachte, und der süße, herrliche Sonnenschein half ihm. Die Luft war wie Wein, die verlockende Spur des großen Tiers mit vereinzelten Blutstropfen auf Blättern und Boden lag stets direkt vor seinen Augen. Er empfand das Tal als – auch wenn ihm dieses Wort nicht in den Sinn kam – verführerisch. Mehr und mehr wurde ihm die Schönheit, die einsame Erhabenheit der mächtigen Fichten und Tannen bewusst, die Pracht der granitenen Klippen, die sich an manchen Stellen über den Wald zur Sonne erhoben.

Das Tal war tiefer und weiter als er es sich vorgestellt hatte. Er fühlte sich sicher hier, daheim, auch wenn diese Wörter ebenfalls nicht in sein Bewusstsein drangen. Hierher könnte er sich für immer zurückziehen und Frieden finden. Er entdeckte eine neue Eigenschaft an dieser tiefen Einsamkeit. Die Landschaft übte zum ersten Mal in seinem Leben einen Reiz auf ihn aus und die Art dieses Reizes war eigenartig – er fühlte sich behaglich.

Für einen Mann seiner Gewohnheiten war das ungewöhnlich, aber die neuen Empfindungen stahlen sich so sanft an ihn heran, so allmählich, dass sein Bewusstsein sie zunächst nur indirekt wahrnahm. Sie hatten sich in ihm ein genistet, lange bevor er sie wahrnahm; und diese Unterschwelligkeit zeigte sich darin, dass seine Jagdleidenschaft einem Interesse an dem Tal selber Platz machte.

Dieses Jagdfieber, die wilde Lust, aufzuspüren und zu töten, der unwiderstehliche Wunsch, kurz gesagt, seine Beute in Schussweite vor sich zu sehen, zu zielen, zu feuern, die Erfüllung der langen Expedition zu erleben – das alles hatte spürbar nachgelassen, während der Eindruck, den das Tal auf ihn machte, sich stetig verstärkte. Es lag eine Art Begrüßung darin, die er nicht verstand.

Diese Veränderung war einzigartig, doch, seltsam genug, sie kam ihm nicht einzigartig vor, sie war unnatürlich, aber sie fiel ihm nicht auf. Für einen stumpfen Geist seiner unachtsamen, oberflächlichen Art brauchte es herausragende, dramatische Änderungen, damit er sie wahrnahm. Etwas wie ein Schock musste sie begleiten, damit er bemerkte, dass etwas geschehen war. Aber es hatte keinen Schock gegeben.

Die Fährte des großen Elchs war viel deutlicher, jetzt, da er den Vorsprung des Tieres fast aufgeholt hatte; die Blutspuren waren häufiger zu sehen. Er entdeckte den Platz, an dem es geruht hatte, der mächtige Körper hatte einen deutlichen Eindruck auf dem weichen Boden hinterlassen. Hier und da war zu erkennen, wo es die Blätter von Baumschößlingen gezupft hatte. Zweifellos musste es sich ganz in der Nähe aufhalten und er rechnete jede Minute damit, den riesigen Körper vor sich zu sehen, nahe genug für einen sicheren Schuss. Aber sein Jagdeifer war irgendwie abgeflaut.

Er bemerkte diese Veränderung an sich, als ihm plötzlich bewusst wurde, dass das Tier sich weniger vorsichtig verhielt. Es musste ihn doch wittern. Ein Elch mit seinem schwachen Sehvermögen war gänzlich auf seinen außerordentlich feinen Geruchssinn angewiesen. Und er hatte den Wind im Rücken. Das kam ihm entschieden ungewöhnlich vor: Der Elch war offensichtlich sorglos, trotz der Nähe des Jägers. Er hatte keine Angst.

Es war diese unerklärliche Veränderung im Verhalten des Tiers, die ihn schließlich den Wandel in sich selbst bemerken ließ. Er war dem Elch nun einige Stunden gefolgt und hatte dabei achthundert bis tausend Fuß Höhenunterschied zurückgelegt. Die Bäume standen hier lichter und es gab parkähnliche Flecken, wo Silberbirke, Essigbaum und Ahorn ihre lodernden Farben versprühten. Ein kristallklarer Bach schäumte über mehrere Wasserfälle dem Talgrund zu, der noch einmal tausend Fuß weiter unten lag.

An einem stillen, von Felsen umschlossenen Teich, hatte der Elch offensichtlich gehalten um zu trinken. Grimwood erhob sich, nachdem er sorgfältig geprüft hatte, welche Richtung der Elch nach dem Trinken genommen hatte - die Hufabrücke waren frisch und deutlich in dem moorigen Boden am Ufer – und blickte plötzlich geradewegs in die Augen des riesigen Geschöpfs. Es war keine zwanzig Meter entfernt von dort, wo er jetzt stand – und er hatte fast zehn Minuten dort gestanden, gefangen vom Zauber und der Einsamkeit des Platzes. Der Elch musste die ganze Zeit dicht neben ihm gewesen sein. Er hatte ruhig getrunken, ungestört durch seine Anwesenheit und ohne Scheu.

Jetzt kam der Schock, der Schock, der seiner schwerfälligen Natur die Erkenntnis aufzwang. Für einige Sekunden, wahrscheinlich Minuten, stand er wie angewurzelt, bewegungslos, kaum atmend. Er starrte als sähe er eine Vision. Das Tier hatte den Kopf gesenkt, aber etwas schräg gewandt, so dass die Augen an den Seiten des mächtigen Hauptes ihn genau beobachten konnten. Grimwood sah die weit gespreizten Vorderbeine, die enormen Schultern, die zu den herrlichen Flanken hin abfielen. Es war ein prächtiger Bulle. Das Geweih und der Schädel erfüllten seine wildesten Erwartungen, sie waren unübertrefflich, ein Rekordexemplar, und eine Redensart – wo hatte er die gehört? – ging ihm undeutlich, wie aus weiter Ferne, durch den Sinn: ‘Der größte Elch auf der Welt.’

Trotzdem, da war die außergewöhnliche Tatsache, dass er nicht schoss; er fühlte nicht einmal den Wunsch zu schießen. Der vertraute Instinkt, sonst so stark in seinem Blut, meldete sich nicht; der Wunsch zu töten hatte ihn offenbar verlassen. Plötzlich war es ihm unmöglich, das Gewehr anzulegen, zu zielen und zu schießen.

Er bewegte sich nicht. Das Tier und der Mensch starrten sich gegenseitig in die Augen, eine lange Zeit, deren Dauer er nicht ermessen konnte. Dann hörte er ein sanftes Geräusch dicht neben sich: Das Gewehr war seinem Griff entglitten und mit einem dumpfen Laut auf den moosigen Boden zu seinen Füßen gefallen.

Und der Elch bewegte sich nun zum ersten Mal. Mit gemächlichem, ruhigem Schritt kam er auf ihn zu. Sein ungeheures Gewicht erzeugte schmatzende Geräusche, wenn er die Füße vom sumpfigen Grund löste. Die massigen Schultern verliehen ihm den Anblick eines auf dem Meer schwankenden Schiffes. Dann war das Tier neben ihm, berührte ihn fast, den prächtigen Kopf gesenkt. Die Breite des mächtigen Geweihs lag direkt vor seinen Augen. Er hätte es tätscheln, streicheln können. Er sah, mit einem Anflug von Bedauern, das Blut, das aus einer Wunde in der linken Schulter sickerte und das dichte Fell verklebte. Es schnüffelte an dem fallengelassenen Gewehr.

Dann hob es wieder Kopf und Schultern und witterte in die Luft, diesmal mit einem vernehmbaren Geräusch, das die letzte Möglichkeit aus Grimwoods Bewusstsein verjagte, es könne sich um einen Traum oder eine Vision handeln.

Einen Moment starrte es in sein Gesicht, mit furchtlosen braunen Augen, dann wandte es sich abrupt ab und trabte davon, immer schneller, über die parkartigen Stellen, bis es schließlich jenseits davon im Gewirr des Unterholzes verschwand. Die Muskeln des Engländers gaben nach, seine Starre verließ ihn, die Beine weigerten sich, sein Gewicht zu tragen, und er sank schwer zu Boden.

Aileen

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