Читать книгу Aileen - Algernon Blackwood - Страница 31

IV

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Ich hatte immer das Zutrauen dieses kleinen, dunkeläugigen Mädchens besessen. Zwischen uns herrschte eine Vertraulichkeit, die unsere Unterhaltungen und Spiele außerordentlich vergnüglich machte. In der Regel - ohne dass ich dafür eine befriedigende Erklärung finden konnte - bevorzugte ich es, im Sonnenschein mit ihr zu reden. Es war nichts Unheimliches an ihr - gesegnet sei ihr kleines, seltsames und geheimnisvolles Herz - aber sie hatte eine Art, andere Wege des Lebens und Daseins anzudeuten, die meinen Blick in die Dunkelheit lenkte und mich fragen ließ, was sich hinter den Schatten verbergen mochte oder hinter der nächsten Ecke wartete.

Wir waren auf dem Rasen, wo die buschigen Eiben dichte Schatten warfen. Die milde Luft ließ daran denken, draußen einen Tee, zu nehmen, meine Cousine hatte einige Ferngespräche erhalten und war außer Haus. Aileen hatte sich von selbst eingefunden und befasste sich auf eine Art und Weise mit meinen Manuskripten, die mich irritierte; denn ich hatte ihr meine Märchen vorgelesen und sie hatte mir immer wieder Fragen gestellt, die meine begrenzten Fähigkeiten beschämten. Ich erinnere mich auch, dass ich ganz froh darüber war, dass der Collie ständig um uns herumlief, hinter den Schwalben auf dem Rasen her jagte und sie anbellte.

„Nur ein paar von deinen Geschichten sind wahr, stimmt's?“, fragte sie plötzlich.

„Woher weißt du das, kleine Kritikerin?“ Ich hatte abgewartet, bis sie das Gespräch eröffnete. Jede Aufforderung meinerseits hätte sie vielleicht misstrauisch werden lassen.

„Oh, ich bin mir sicher.“

Dann kam sie zu mir und ohne die leiseste Ermunterung meinerseits flüsterte sie: „Onkel, es ist doch wahr, dass wir zusammen schon an anderen Orten waren, nicht wahr? Und sind es nicht die Dinge, die wir dort getan haben, die in den wahren Geschichten stehen?“

Diese Eröffnung kam mir außerordentlich gelegen und spielte mir perfekt in die Hände.

Ich kann aber nicht begreifen, wie es kam, dass ich darauf so seltsam reagierte; ich meine, wie es kam, dass die Worte und der Name ohne mein Zutun herausschlüpften, so, als ob ich im Traum redete.

„Gewiss, kleine Lady Aileen, denn weißt du, in unserer Fantasie sind wir ...“

Doch bevor ich den Satz, mit dem ich hoffte, ihre innerliche Not hervorzulocken, vollenden konnte, warf sie sich über mich.

„Oh“, schrie sie in einem unvermittelten, leidenschaftlichen Ausbruch. „Also kennst du meinen Namen? Du kennst die ganze Geschichte - unsere Geschichte!“

Sie war äußerst aufgeregt, ihr Gesicht gerötet und ihre Augen bewegten sich unruhig. Alle Empfindungen eines bis zum Rand mit Erfahrungen angefüllten Lebens brausten durch ihre kleine Person.

„Natürlich kenne ich deinen Namen, Fräulein Erfinderin“, sagte ich rasch, verwirrt und mit einer plötzlichen, unangenehmen Betroffenheit, die mir die Kehle zuschnürte.

„Und alles, was wir hier getan haben?“, fuhr sie fort und deutete mit steigender Aufregung in Richtung der dicken, efeuberankten Mauern des alten Hauses.

Meine eigene Unruhe wuchs jäh, ein flüchtiges, undeutliches Unbehagen, das all meine Berechnungen durcheinanderwarf. Denn plötzlich ging mir auf, dass ich, als ich sie Lady Aileen nannte, den Namen nicht korrekt ausgesprochen hatte. Meine Zunge hatte mir einen Streich mit den Konsonanten und Vokalen gespielt, obwohl mir, als ich sie aussprach, der Unterschied nicht aufgefallen war. Aileen und Helen klangen fast gleich; und tatsächlich hatte ich Lady Helen gesagt.

Diese Erkenntnis nahm mir für einen Moment den Atem, dies und die Art, wie sie den Namen sofort aufgegriffen und sich zu eigen gemacht hatte.

„Weißt du, niemand sonst kennt mich als Lady Helen“, fuhr sie flüsternd fort, „denn das gehört nur in unsere eigene Geschichte, nicht wahr? Und jetzt bin ich nur Aileen Langton. Aber solange du das weißt, ist es in Ordnung. Oh, ich bin so furchtbar glücklich, dass du ihn kanntest, so überaus furchtbar, furchtbar glücklich.“

Für einen Augenblick fehlten mir die Worte. Eifrig bestrebt, die Leidensgeschichten des Kindes in nüchternere Bahnen zu lenken und ihr so Linderung zu verschaffen, zögerte ich einen Moment, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Ich murmelte irgendetwas Beruhigendes über unsere Geschichte, während ich in Gedanken angestrengt nach dem besten Weg suchte, um sie an die Erklärungen für den Schrecken des Gürtels, die Furcht vor dem Verhungern, den Raum, der sie zum Schreien brachte und all das Andere, heranzuführen.

All das, vor dem ich mich fürchtete, es aus ihrer gepeinigten, kleinen Seele herauszuholen und durch einen freundlicheren Traum zu ersetzen.

Mit einer Überzeugungskraft, die selbst über Hexerei hinausging, hatte mich die kleine Erfinderin in der Realität ihrer eigenen Geschichte gefangen. Und der nächste Satz, denn sie fast augenblicklich auf mich losließ, machte mein Unbehagen vollständig:

„Mit dir“, sagte sie, immer noch halb flüsternd, „mit dir könnte ich sogar in das Zimmer gehen. Allein könnte ich das ... nie!“

Der Frühlingswind, der hinter uns in den Eiben flüsterte, rief etwas von vergangenen Kindertagen in mir wach, das mich erschauern ließ. Eine Woge vergessener Leidenschaft, deren Ursprung und Art ich nicht erraten konnte, wallte durch mein tiefstes Inneres und sandte undeutliche Botschaften an mein Bewusstsein:

Aileen, die kleine Unruhestifterin, verwandelte sich vor meinen Augen, als sie so dicht bei mir stand. Verwandelte sich in eine hochgewachsene, traurige Gestalt, die mir über den Abgrund von Raum und Zeit zuwinkte, den Schleier von Äonen in ihren Augen und Gesten. Ich war gezwungen, sie scharf mit meinem Blick zu fokussieren, um sie wieder als das Mädchen mit dem wirren Haar zu sehen, als das ich sie kannte.

Während ich auf dem knarzenden Gartenstuhl saß, zog ich sie zu mir auf mein Knie, entschlossen, die ganze Geschichte aus ihrem Geist zu gewinnen. Ich hatte das Haus im Rücken, doch saß sie in einem solchen Winkel, dass sie die Fenster und Türen im Blick hatte. Ich erwähne dies, weil ich, kaum dass ich meinen Anschlag begonnen hatte, bemerkte, wie ihre Aufmerksamkeit abgelenkt wurde, und dass sie sich seltsam unbehaglich zu fühlen schien. Ein, zwei Mal wechselte sie ihre Position, um etwas in den Blick zu bekommen, das sich hinter meiner Schulter abspielte. Ich spürte, wie ein leiser Schauer durch ihren kleinen Körper bis zu meinen Knien lief. Sie schien - ängstlich - etwas zu erwarten.

„Wir wollen eine besondere Expedition unternehmen - bis an die Zähne bewaffnet“, sagte ich mit einem Lachen, indem ich mich auf ihre eigentümlichen Worte über das Zimmer bezog. „Als Erstes schicken wir Pat hinein, damit er die Spinnweben verbellt; und wir nehmen jede Menge Lebensmittel und Wasser mit, für den Fall, dass es zu einer Belagerung kommt - und eine Feile ...“

Ich kann nicht vorgeben, zu verstehen, warum ich genau diese Worte wählte, oder warum ich das Gefühl hatte, dass andere Gedanken als die, die ich beabsichtigt hatte, in mir empor keimten und danach schrien, herausgelassen zu werden. Es schien, als könne ich nichts anderes dagegen tun, als möglichst wenig Weiteres über den Raum zu sagen, was sie sie nur noch mehr verschreckt hätte, anstatt sie zu erleichtern.

„Wirst du auch in die Mauer sprechen?“, fragte sie und senkte ihren Blick plötzlich mit leichtem Erröten und leidenschaftlichem Ausdruck zu mir herab. Und obwohl ich nicht die leiseste Ahnung hatte, was sie damit meinte, sandte die Frage eine Agonie quälenden Verlangens durch mich hindurch.

Ich begriff augenblicklich, dass in die Mauer sprechen auf den innersten Kern ihres Leids hinwies, auf die zentrale Vorstellung, welche sie so ängstigte und die Qual und den Schrecken ihrer Fantasien bewirkte.

Aber ich fand keine Zeit, den Hinweisen zu folgen, die mir so geheimnisvoll dargeboten wurden, denn fast im selben Moment heftete sich ihr Blick mit dem Ausdruck tiefsten Entsetzens auf etwas in meinem Rücken, so als sehe sie eine Gefahr auf sich zukommen, die vielleicht tödlich sein konnte.

„Oh, oh!“, weinte sie leise. „Er kommt! Er kommt, um mich zu holen! Onkel George. Philip ...!“

Wir schienen beide auf denselben Impuls zu reagieren, als ich mit geballten Fäusten aufsprang, während sie augenblicklich von meinem Knie sprang und sich mit angespannten Muskeln neben mich stellte, wie um sich einem Angriff entgegenzustellen. Sie zitterte erbärmlich und ihr Gesicht war weiß wie ein Bettlaken.

„Wer kommt ...?“, fragte ich scharf, und hielt inne, als ich die Gestalt eines Mannes erblickte, der vom Haus aus auf uns zukam. Es war der Butler - der neue Butler, der erst diesen Nachmittag eingetroffen war. Es war unmöglich zu sagen, was in seinem plötzlichen, stillen Auftauchen lag, das so ... entsetzlich wirkte. Der Mann, so schien es, war bei uns, kaum dass ich ihn erblickt hatte. Im selben Moment schrie Aileen laut auf, Sie blickte sich wild nach einem Platz um, an dem sie sich verstecken konnte, dann warf sie sich Hals über Kopf in meine Arme und vergrub ihr Gesicht in meiner Jacke.

Ich war furchtbar ratlos, doch zugleich verlegen darüber, dass der Bedienstete meine kleine Freundin in diesem Zustand sah, und tat mein Bestes, es so aussehen zu lassen, als sei es Teil eines verrückten Spiels oder etwas Ähnlichem. Ich fing sie in meinen Armen auf, rief dem Colli zu:“Komm mit, Pat, sie ist unsere Gefangene!“, rannte los und setzte sie erst wieder ab, als wir uns unter den Linden am anderen Ende des Rasens befanden. Vor Entsetzen war sie gespenstisch bleich, blickte verzweifelt um sich und zitterte so heftig, dass ich befürchtete, sie könne jeden Moment in Ohnmacht fallen. Mit den Fingern klammerte sie sich eng an mich. Wie ich diesen Mann hasste. Gemessen an der plötzlichen, wilden Abscheu, die ich empfand, hätte er ein Monster sein können, das beabsichtigte sie zu quälen.

„Lass uns weggehen, noch viel weiter weg, so weit, wie es nur geht!“, flüsterte sie, und ich nahm sie bei der Hand, beruhigte sie mit Worten so gut ich konnte, und begriff, dass sie nur meinen starken Arm um sich wollte, der ihr Schutz bot. Ihre Angst zerriss mir das Herz, aber das Merkwürdige dabei war, dass mir nichts Beruhigendes einfiel, das echt geklungen hätte. Wenn ich mir irgendwelchen besänftigenden Unsinn ausgedacht hätte, hätte ich weder sie noch mich überzeugt und am Ende nur ihr Vertrauen in mich erschüttert, und damit jede Macht verloren ihr zu helfen. Es wäre so gewesen, als wäre ein Tiger aus den Büschen gesprungen und ich hätte ihr versichert, er würde nicht beißen. Trotzdem stammelte ich irgendetwas. ...

„Es ist nur der neue Butler. Er hat mich auch erschreckt, hat sich richtig angeschlichen - nicht wahr?“ Oh, wie verzweifelt ich nach Worten suchte, die das Ganze so alltäglich wie möglich wirken ließen - und wie vergebens.

„Aber du weißt doch, wer er wirklich ist“, flüsterte sie weinend. Sie lief den Pfad hinunter und zog mich hinter sich her. „Und wenn er mich wieder kriegt ... oh! Oh!“ Sie schrie laut vor peinigender Angst.

Diese Angst trieb uns beide den gewundenen Pfad hinunter und zwischen die Büsche.

„Aileen, Liebling“, rief ich, umschlang sie mit beiden Armen und drückte sie eng an mich. „Du musst keine Angst haben. Ich werde dich immer beschützen. Ich werde immer bei dir sein, mein liebes Kind.“

„Halt mich fest mit deinen großen Armen, immer, immer - versprichst du das, Onkel - Philip?“ Sie vermischte die Namen miteinander.

Die würgende Spannung in ihrer Stimme quälte mich entsetzlich. „Immer, immer, wie in unserer Geschichte“, bettelte sie flehentlich und verbarg ihr Gesichtchen wieder in meiner Jacke.

Ich hatte nicht die geringste Vorstellung, was ich jetzt am besten tun sollte. Ich wagte kaum, sie zum Haus zurückzubringen. Ich fühlte, dass der Anblick des Mannes sich fatal auf ihr erschüttertes seelisches Gleichgewicht auswirken würde. Ich befürchtete, sie könne eine Ohnmacht oder einen Anfall erleiden, falls sie ihm zufällig über den Weg lief, wenn ich nicht bei ihr war. Über einen Punkt war ich mir dennoch schnell im Klaren.

„Ich schicke ihn sofort weg, Aileen“, sagte ich zu ihr. „Wenn du morgen aufwachst, wird er nicht mehr da sein. Deine Mutter wird ihn bestimmt nicht hier behalten.“

Diese Versicherung schien sie in einem gewissen Grad zu beruhigen, und zumindest gelang es mir, sie auf verborgenen Pfaden zum Haus zurückzubringen, auch wenn ich nicht gewagt hatte - wie es zuerst meine Hoffnung war - die ganze Geschichte aus ihr herauszubringen. Ich sah, wie sie die Treppe hinauf zu ihrem Zimmer ging. Also übernahm ich es, die notwendigen Anordnungen zu erteilen. Sie durfte den Mann nicht mehr zu Gesicht bekommen. Aber warum fühlte ich da in meinem tiefsten Herzen den Wunsch, er möge irgendetwas Abscheuliches tun, damit ich die Möglichkeit hatte, sein Leben an der Wurzel abzuschneiden und ihn zu töten ...?

Doch meine Cousine, im höchsten Grade besorgt, machte schließlich einen vernünftig klingenden Vorschlag: Ich sollte das gepeinigte kleine Kind schon am nächsten Tag mit mir nehmen, nach Hartwich hinunterfahren und mit ihr - als absolute Veränderung und Ablenkung - für eine Woche auf die Nordsee hinausfahren.

Mittlerweile war ich zu der Überzeugung gelangt, dass das Experiment, zu dem ich mich neulich nicht hatte bereit erklären wollen, jetzt nicht nur erlaubt, sondern sogar notwendig war. Mit Hilfe von Hypnose wollte ich die Geschichte aus diesem heimgesuchten Geist hervorholen, ohne dass sie es mitbekam. Und vorausgesetzt, ich konnte sie tief genug in Trance versetzen, konnte ich zudem vielleicht die Erinnerung so vollständig aus ihrem Bewusstsein löschen, dass sie zumindest noch etwas vom Glück der Kindheit erfahren mochte.

Aileen

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