Читать книгу Tod unterm Nierentisch - Alida Leimbach - Страница 13
10. Kapitel
ОглавлениеDonnerstag, 24.06.1954
Vor ihm stand eine dampfende Tasse Kaffee, die ihm seine Sekretärin Irmgard Zerhusen gebracht hatte. Johann Conradi schätzte sie auf Anfang 60, eine fleißige, ehrgeizige Frau. Er bewunderte ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten in Stenografie und auf der Schreibmaschine. Vor wenigen Wochen hatte sie an einer Meisterschaft im Stenografieren teilgenommen, die die Industrie- und Handelskammer ausgeschrieben hatte. Die IHK hatte kürzlich ihren Standort am Neuen Graben bezogen, nachdem das alte Gebäude 1944 ausgebombt worden war, und sorgte durch spektakuläre Aktionen wie den Wettbewerb für Aufmerksamkeit. Irmgard Zerhusen hatte einen soliden 16. Platz belegt, was für ihr Alter wirklich bemerkenswert war.
Conradi öffnete gerade seine blecherne Frühstücksbox, die ein Butterbrot und einen kleinen runzligen Apfel enthielt, als sie erneut anklopfte und Besuch vermeldete. »Herr Karl Korittke ist soeben erschienen«, sagte sie. »Gemeinsam mit seiner Mutter Frau Lieselotte Korittke.«
»Haben Sie vielen Dank, Frau Zerhusen. Ich brauche Sie gleich mit Ihrem Stenoblock!«
»Selbstverständlich, Herr Conradi!«
»Ach, noch etwas«, rief er ihr hinterher. »Bringen Sie doch den beiden Zeugen auch eine Tasse Kaffee und ein paar Butterkekse, das wäre sehr freundlich von Ihnen!« Sie machte ein überraschtes Gesicht, weil ein solcher Empfang nicht üblich war, aber sie sagte nichts dazu. Johann Conradi war neu im Präsidium und wusste vieles nicht.
Conradi ließ sich die Pässe der beiden Besucher zeigen und wandte sich dann zunächst an Karl Korittke. »Ihre Schwester habe ich ja bereits kennengelernt«, sagte er. Während der junge Mann ein paar unverständliche Worte murmelte, hatte der Kommissar Gelegenheit, ihn zu mustern. Die Unsicherheit, Verklemmtheit und Hemmung der Jugend stand ihm ins Gesicht geschrieben. Der hochaufgeschossene, picklige Junge litt unter Minderwertigkeitskomplexen, das war deutlich zu sehen. Der schwarze, zu klein gewordene Anzug und die kurzgeschorenen Haare betonten diesen Gesamteindruck noch.
»Meine Schwester hat ihn gefunden«, stammelte er. »Ich bin froh, dass ich es nicht war.« Er starrte die Fotowand an. Conradi folgte seinem Blick. Dort hingen die Lichtbilder aus dem Friseursalon, die Conradi am Tatabend gemacht hatte. Karl wandte sich schaudernd ab.
»Ich habe noch nie einen Toten gesehen«, sagte er leise.
»Nicht mal im Krieg?«
»Ich war noch zu jung. Meine Mutter ist froh darüber. Ich weniger. Ich hätte gerne gekämpft.« Er sah zu seiner Mutter hin, die nicht reagierte. Ihr Gesicht war plötzlich wie versteinert.
»Natürlich hat man Sie nicht genommen. Vor neun Jahren waren Sie entschieden zu jung.«
»Eben«, sagte der Junge beleidigt.
»Wie haben Sie den gestrigen Tag erlebt?«, wollte Conradi wissen. Seine Sekretärin erschien mit einem kleinen Tablett, setzte zwei Tassen mit einem ziemlich dünnen Gebräu ab, stellte Kekse hin. Freundlich distanziert lächelte sie, nahm dann mit ihrem Stenoblock hinter den Zeugen Platz und zog ihren gespitzten Bleistift hinter dem Ohr hervor.
»Ich habe gearbeitet«, sagte Karl. »Ich bin zurzeit in der Hotelküche eingesetzt.«
»In welcher?« Conradi gab ein Stück Würfelzucker und Dosenmilch in den Kaffee, verzog aber dennoch das Gesicht, als er den ersten Schluck nahm. Es war Kaffeeersatz.
»Mein Sohn macht eine Lehre im Hotel Hohenzollern«, antwortete Lieselotte Korittke an seiner Stelle.
»Als Koch«, sagte Karl, »aber noch bin ich für alles Mögliche zuständig: die Gäste mit Handwagen vom Bahnhof abholen, das Gepäck aufs Zimmer bringen, die Herrschaften mit Kaffee, Gebäck und Süßigkeiten versorgen, in der Küche helfen, Salat waschen, Gemüse schnippeln, den Köchen zuarbeiten und so weiter. Keine allzu aufregenden Sachen.«
»Du bist immer so ungeduldig«, sagte Lieselotte streng.
»Wann hatten Sie gestern Feierabend?«
»Um 19 Uhr. Ich war ziemlich fertig und habe mich sofort schlafen gelegt.«
»Dann müssten wir uns ja begegnet sein.«
»Ich habe den Kellereingang genommen, weil ich noch eine rauchen wollte.«
»Sie haben sich also nicht sofort schlafen gelegt.«
»Doch, danach schon.«
»Sind Sie noch einmal aufgestanden?«
»Nein, ich habe durchgeschlafen bis zum nächsten Morgen«, versicherte er.
»Das stimmt nicht, Herr Korittke«, entgegnete der Kommissar. »Als ich zum Tatort gerufen wurde, waren Sie nicht da.«
Der Junge suchte Hilfe bei seiner Mutter, aber die sah ihn nicht an.
»Wo sind Sie gewesen?«
»Mein Sohn hat die beiden Kleinen zu Nachbarn gebracht«, antwortete seine Mutter nun an seiner Stelle. »Sie waren sehr aufgewühlt und sollten nicht alles mitbekommen.«
»Als Sie von der Arbeit kamen, müssen Sie die Aufregung mitbekommen haben. Ihr Vater war zu der Zeit bereits tot.«
Karl verneinte und behauptete wiederum, er sei gleich ins Bett gegangen.
»Hat Sie jemand geweckt?«
Hilflos sah Karl erneut zu seiner Mutter.
»Mein Sohn sollte die Kinder fortbringen, weil Bettine dazu nicht in der Lage war. Wir standen alle unter Schock.«
Johann Conradi versuchte, in den Gesichtern der beiden zu lesen. »Sie wohnen noch bei Ihren Eltern oder haben Sie ein Zimmer im Hotel Hohenzollern?«
»Ich wohne bei meinen Eltern, habe aber auch ein Zimmer im Hotel, falls es mal spät wird.«
»Arbeiten Sie mit im Geschäft?«, richtete Conradi das Wort an Lieselotte Korittke.
»Ab und zu kommt es vor, dass ich an der Anmeldung bin oder kassiere. Früher habe ich auch Haare geschnitten und frisiert, aber das mache ich schon lange nicht mehr.«
»Warum nicht?«
»Ich habe es zu selten gemacht, kam aus der Übung und habe es verlernt.«
»Ihr Kerl wollte nicht, dass sie arbeitet«, brummte Karl.
Lieselotte warf ihm einen warnenden Blick zu.
Conradi blieb gelassen. Er wusste, dass es den meisten Männern ein Dorn im Auge war, wenn ihre Ehefrauen einer bezahlten Beschäftigung nachgingen. Sie waren der Überzeugung, andere würden glauben, dass sie nicht in der Lage wären, ihre Familie allein zu ernähren. Und die Frauen hatten ohne Zustimmung des Mannes keine Chance, eine Stelle zu finden, denn er musste den Arbeitsvertrag für sie unterschreiben. Conradi verstand es nicht. Er hätte seiner Frau niemals vorgeschrieben, was sie zu tun und zu lassen hatte, aber er war nun einmal nicht wie andere Männer. Frederike war nach der Heirat selbstverständlich weiter als Kindergärtnerin tätig gewesen. Er griff nach Lieselottes Pass, besah sich das Foto. Lieselotte Korittke war am 21.06.1910 geboren, also gerade 44 Jahre alt geworden. Sie hatte ein jugendliches, attraktives Gesicht, rotblonde, kurze Locken, eine sehr weibliche Figur mit schönen Kurven. Er konnte sich vorstellen, dass es viele Männer gab, die gerne mit ihr ausgehen würden.
»Gab es gestern oder in den Tagen davor Auffälligkeiten im Verhalten Ihres Bekannten? Erschien er nervöser als sonst oder streitlustiger?«
»Nein, er war so wie immer.«
»Wie war er denn immer?«
»Fleißig und strebsam, aber auch schnell aufbrausend, wenn es nicht nach seiner Mütze ging. Er forderte Gehorsam von den Kindern, aber das erwarten ja die meisten Väter.«
Karl stieß ein zischendes Geräusch aus.
»Wie alt ist Ihre Tochter Bettine?«
»So alt wie Karl, 19. Die beiden sind Zwillinge. Bettine hat vor zwei Jahren ausgelernt und ist eine große Stütze im Salon. Ich war nie so eine gute Friseuse wie sie. Meine Tochter hat ein unglaubliches Talent. Sie kann es weit bringen. Auch viel weiter als Rolf. Alle Damen im Salon wollen am liebsten von ihr bedient werden.«
»Wie viele Kinder haben Sie?«
»Ich habe sechs Kinder geboren, von denen eins nicht mehr lebt. Gerd, der Erstgeborene, wäre jetzt 26 Jahre alt. Er ist im Krieg gefallen.«
Conradi murmelte eine Beileidsbekundung. Der Krieg war neun Jahre her, damals war Gerd demnach erst 17 Jahre alt.
Lieselotte erzählte ihm die Geschichte. Ihr Sohn Gerd hatte eine Lehre beim Bäcker gemacht. Im Herbst 1944 hatten Offiziere der Waffen-SS die Schüler der Berufsschule besucht und fünf Schüler ausgewählt, deren Namen und Adressen sie notierten. »Darunter war auch Gerd«, sagte sie mit gesenkter Stimme. »Im Frühjahr 1945, kurz vor Kriegsende, bekam er den Einberufungsbefehl. Er sollte sich im tschechischen Kurort Bad Luhatschowitz einfinden, um dort eine Kurzausbildung im Umgang mit Waffen zu absolvieren. Gerd sollte auf die Schnelle zusammen mit Gleichaltrigen zum Soldaten ausgebildet werden, um die Rote Armee an der tschechischen Grenze aufzuhalten. Mein Sohn war viel zu jung und unerfahren, um sich dem Feind zu stellen. Er hatte keine Chance. Beim Versuch zu fliehen wurde er von Soldaten der Waffen-SS zusammen mit seinem Freund Erich ergriffen, in den Wald geführt und dort erschossen. – Die Benachrichtigung über seinen Tod habe ich immer noch«, sagte Lieselotte leise. »Sie steckt hinten im Fotoalbum der Kinder. Das war der Tiefpunkt meines Lebens. Am liebsten wäre ich ihm in den Tod gefolgt.«
»Soll ich alles mitschreiben?«, fragte die Stenotypistin.
Conradi winkte ab. »Lassen Sie mal. Ich gebe Ihnen ein Zeichen, wenn es wieder nötig ist.« Er wartete ab, bis Lieselotte Korittke weitersprach.
»Zwei seiner vier Freunde aus der Berufsschule haben den Krieg überlebt und alles mitbekommen«, sagte sie mit spröder Stimme. »Sie haben mir hinterher erzählt, was geschehen ist. Einer von ihnen fragte noch: ›Wo geht ihr hin?‹, als er gesehen hatte, dass die Soldaten mit meinem Jungen und seinem Freund Erich durchs Dorf zogen. Wissen Sie, was mein Sohn geantwortet hat?«
Conradi schüttelte schmallippig den Kopf.
»›Zum Sterben‹, soll er gesagt haben. »Können Sie sich das vorstellen? Zum Sterben! Es zerreißt mir bis heute das Herz, wenn ich daran denke. Er war noch ein Kind! Mein Kind!«
Conradi nickte betroffen.
»Warum ich Ihnen all das erzähle: Meinen Lebenspartner Rolf hat das überhaupt nicht interessiert. Es hat ihn ungerührt gelassen. Soll ich Ihnen sagen, was seine Reaktion auf dieses tragische Ereignis war, als ich es ihm erzählt habe? ›Immerhin ein Esser weniger‹, hat er gesagt. Ist das nicht grausam? Er hat Gerd nie kennengelernt und war wohl froh darum. Wie herzlos von ihm! Mein Karl reichte ihm schon. Und Eva und Bettine interessierten sich für sein Friseurgeschäft. Eva zumindest am Anfang, dann ist sie andere Wege gegangen.«
»Ich verstehe«, sagte Conradi.
»Am liebsten hätte ich mich auf der Stelle von ihm getrennt, als er das gesagt hat, aber wir hatten schon die gemeinsamen Kinder, Karin und Peter. Und dann muss es ja vorwärts gehen, immer weiter. Im Krieg habe ich gelernt, dass man scheußliche Dinge so schnell wie möglich hinter sich lassen sollte. Wer nicht vergessen kann, hört nicht auf zu leiden, Herr Wachtmeister. Dann hört das Ganze nie auf. Wir müssen stark sein. Ich möchte über diese schlimmen Dinge nie wieder reden. Karl hört zum ersten Mal davon. Entschuldige, Karl!«
Ihr Sohn nickte mit gesenktem Kopf.
»Ich verstehe Sie vollkommen. Es war eine schlimme Zeit. Ich hoffe, dass wir so etwas niemals mehr durchmachen müssen!«
»Sie fangen doch schon wieder an«, klagte Lieselotte. »Sie rüsten wieder auf, als hätten sie nichts gelernt, diese Halunken. Sie werden mir eines Tages auch mein jüngstes Kind wegnehmen, mein Peterle. Ich könnte heulen vor Wut!«
»Das ist nicht gesagt. Ich denke, dass sie in Zukunft vorsichtiger sein werden. So leicht riskiert niemand einen neuen Krieg!« Nervös geworden, griff er nach seinen Zigaretten und zündete sich eine an. Er hielt Lieselotte Korittke die Packung hin. Die schüttelte den Kopf.
»Lesen Sie keine Zeitung? Sie rüsten auf, diese Himmelshunde. Es wird wieder Krieg geben! Ich will nicht noch eines meiner Kinder verlieren.« Resigniert ließ Lieselotte ihre Hände im Schoß sinken.
»Ein Kind geht, ein Kind kommt«, warf Karl plötzlich ein. »Der Lauf des Lebens. Bald ist noch mehr Leben in der Bude. Bettine wird Mutter!«
Lieselotte herrschte ihn an: »Hältst du wohl den Rand, du Bengel! Ich könnte dich …« Sie hob die flache Hand.
Karl presste den Mund zusammen, blieb ansonsten äußerlich ungerührt. Seine Schüchternheit schien verflogen zu sein.
»Also ist es wahr?«, fragte Conradi, dem der zart gerundete Leib bei Bettine aufgefallen war. »Ihre Tochter ist in anderen Umständen?«
Lieselotte Korittke schwieg ärgerlich. Karl grinste.
»Sie kennt diesen Mann noch gar nicht lange«, sagte Lieselotte schließlich. »Erst seit vorigem Jahr. Er ist eigentlich ein Freund von unserem Karl, ging bei uns wie selbstverständlich ein und aus. Warum musste er sie gleich schwängern?«
»Gab es zu Hause Streit deswegen?« Conradi zog an seiner Zigarette und blies den Rauch durch die Nasenlöcher aus.
»Natürlich war es uns nicht recht. Noch immer haben wir uns nicht an den Gedanken gewöhnt. Meinem Mann … also meinem Bekannten war es allerdings ein Dorn im Auge. Er hat sich sehr geärgert, als er gehört hat, dass dieser Edmund ein Auge auf unsere Bettine geworfen hat.«
»Er hat getobt«, sagte Karl und lächelte verschmitzt.
»Nun übertreib mal nicht. Also gut, er hat sich furchtbar aufgeregt.«
»Dann sag auch, was er von Bettine verlangt hat.«
Lieselottes Augen wurden eisig.
»Was denn?«, wollte Conradi wissen und aschte in den Zinnbecher. »Was hat er von ihr verlangt?«
Sie wand sich, brauchte ein paar Sekunden Bedenkzeit. »Er wollte mit ihr zu so einer Frau gehen, aber das habe ich nicht erlaubt. Nun, auch mir fällt es nicht leicht. Auch ich bin hin- und hergerissen, was in dem Fall zu tun ist. Offen gestanden mache ich mir Sorgen um meine Tochter, wirklich große Sorgen. Edmund will sie nicht heiraten. Wie steht sie denn da als ledige Mutter? Was soll aus ihr werden? Ich fürchte mich vor dem Klatsch und Tratsch der Leute. Bald kommt keiner mehr zu uns, wir können schließen. Wir werden nicht mehr eingeladen. Das geht nicht. Wir brauchen unsere Stammkunden und können es uns nicht leisten, dass die schlecht über uns reden.«
»Und wenn? Ist doch egal«, maulte Karl.
»Ja, dir ist alles egal.«
»Ihr Mann hat verlangt, dass sie abtreibt?«, hakte Conradi nach.
Lieselotte nickte. »Ja, aber das wollte ich nicht. Ich traue diesen Engelmacherinnen nicht. Meine Freundin hat das damals nicht überlebt. Sie war auch in so einer Situation.« Sie senkte den Kopf.
»Ich muss Ihnen eine Frage stellen, die Sie bitte nicht persönlich nehmen. Aber ich muss Sie das fragen. Wo waren Sie am Mittwochabend zwischen 18 und 19 Uhr?«
Fassungslos starrte sie ihn an.
»Wie gesagt, ich muss Sie das fragen, Frau Korittke. Das hat nichts mit Ihnen als Person zu tun!«
»Im Wohnzimmer«, sagte sie und schluckte hörbar.
»Wer kann das bezeugen?«
»Alle – die ganze Familie.«
Conradi reckte sein Kinn in Karls Richtung. »Und Sie?«
»Ich habe fest geschlafen«, kam die Antwort mit einem leichten Zögern. Karls Mimik zeigte keine Regung. »Das habe ich Ihnen schon gesagt.«
»Das stimmt«, bekräftigte Lieselotte.
»Sie haben vorhin gesagt, Sie mussten nicht schießen im Krieg. Können Sie denn schießen?«
»Nee, damit will ich nichts zu tun haben«, wehrte Karl ab und öffnete seine Hände. »Und?«, fragte er mit neckischem Grinsen. »Bin ich der Mörder? Verhaften Sie mich?«
»Ich möchte Sie bitten, das Protokoll zu unterschreiben«, erklärte er mit einem Seitenblick auf seine Sekretärin. »Wenn es denn fertig ist.«
»Ich könnte Ihnen vielleicht sagen, wer der Mörder ist«, bemerkte Karl und schlug ein Bein über das andere. »Falls es Sie interessiert.«
Conradi nickte ihm zu.
»Ich weiß zum Beispiel, dass es kurz vor dem Tod meines Stiefvaters Streit gegeben hat mit einem Kunden.«
Conradi machte ein überraschtes Gesicht. »Nanu? Erzählen Sie mal.«
»Dieser Kunde heißt Bartsch, Erwin Bartsch. Ein Kohlenhändler aus der Altstadt. Im Krieg hat er ein Bein verloren, deshalb hinkt er. Und gibt dafür Rolf die Schuld. Angeblich hätte mein Ziehvater ihn im Schützengraben allein gelassen, ohne sich um ihn zu kümmern. Rolf hat behauptet, das wäre Unsinn. Er wäre davon ausgegangen, Erwin Bartsch sei tot. Aber Bartsch kam immer wieder, um meinen Vater vorzuführen.«
»Wie oft?«
»Einmal die Woche bestimmt.«
»Was verstehen Sie unter ›Vorführen‹?«
»Er ist durch den Laden gehumpelt, auf und ab, auf und ab, hat laut mit seinem Stock aufgestampft, immer wieder seinen hässlichen Stumpf gezeigt, dann hat er Geld verlangt, um sich eine Mahlzeit zu kaufen, wollte einen Haarschnitt, eine Tönung, eine Rasur, Pflegemittel … ach, was ihm gerade so einfiel, alles für umsonst. Er war laut und unverschämt. Mein Stiefvater hat ihm oft mit der Polizei gedroht. Er war immer froh, wenn das Wetter umschlug. Denn dann kommt Erwin Bartsch nicht. Phantomschmerzen, so nennt er das. Das abbe Bein schmerzt höllisch und er muss zu Hause bleiben.«
»Das amputierte Bein schmerzt? Sie meinen, der Stumpf?«
»Wahrscheinlich.«
»Warum hat Ihr Stiefvater Bartsch nicht einfach vor die Tür gesetzt?«
»Der ließ sich nicht rausschmeißen. Der blieb einfach sitzen und klopfte mit seinem Stock auf dem Boden herum. Rolf hat irgendwann nichts mehr gesagt, er wollte keine Szene vor den Kunden.«
Conradi blickte Karl direkt ins Gesicht. »Sie halten Bartsch für den Täter?«
»Sonst wüsste ich keinen.«
»Hatte Bartsch denn schon einmal eine Waffe dabei? Hat er damit gedroht?«
Karl sackte ein wenig in sich zusammen, als strenge es ihn plötzlich an, aufrecht zu sitzen.
»Ja oder nein?«
»Weiß nicht.«
»Wo finden wir diesen Erwin Bartsch?«
»Schauen Sie mal ins Adressbuch der Stadt Osnabrück. Da steht er sicher drin. Rolf hat nie Geschäfte mit Bartsch gemacht. Wir beziehen unsere Kohlen woanders her.«