Читать книгу Tod unterm Nierentisch - Alida Leimbach - Страница 8

5. Kapitel

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»Ich muss mit Ihnen reden«, sagte Drescher, »setzen Sie sich bitte. Wir müssen uns kurz über Ihre Situation unterhalten.« Drescher war Mitte 30 und in den Rängen der Polizei rasch aufgestiegen. Er war nicht sehr groß und viel zu zierlich für einen Mann.

Mit einem mulmigen Gefühl nahm Conradi Platz. Was wollte der Chef von ihm? Beim Hinsetzen warf er einen verschämten Blick auf seine Uhr. Er ärgerte sich, dass er aufgehalten wurde. Ihn zog es nach Hause, so schnell wie möglich, zu seinem abgewetzten Ohrensessel am Fenster und dem neuen Radio mit dem erstklassigen Empfang. Zwei Flaschen Bier hatte er in seiner Waschschale bereits kaltgestellt. Wenn er die Straßenbahn in 20 Minuten erwischte, wäre er noch rechtzeitig vor dem Spiel zu Hause. Aber im Moment sah es nicht danach aus. Albert Drescher fing an und hörte nicht mehr auf. Er redete und redete. Johann Conradi hörte kaum zu. Er beobachtete, dankbar für jede Ablenkung, einen Marienkäfer, der sich am Rand der Schreibtischplatte von seinem Flug erholte. Gerade hob der Winzling seine Beinchen und putzte die rotgepunkteten Flügel.

»Es geht um Sie, Herr Inspektor Conradi«, stellte Albert Drescher klar, nahm seine Brille ab und polierte sie mit einem karierten Taschentuch. »Ihre Zukunft als Polizist steht auf dem Spiel. Ich habe Sie gerade gefragt, und das nicht zum ersten Mal, warum Sie oft so gleichgültig wirken und unkonzentriert. Ich lese in Ihrem Gesicht, dass es Sie keinen Funken interessiert, was ich Ihnen erzähle.« Mit einer fahrigen Handbewegung setzte er die Brille wieder auf. Die Gläser wirkten nun verschmierter als zuvor. Sein Gesicht hatte bereits die schlaffen Züge eines älteren Mannes.

»Verzeihung«, sagte Conradi räuspernd. Er versuchte sich nicht anmerken zu lassen, was er von dem zwölf Jahre jüngeren Chef hielt, der seine rasche Beförderung Gerüchten zufolge einem Onkel zu verdanken hatte. Jeder auf der Etage beneidete ihn um sein repräsentatives Büro, ein helles Eckzimmer mit Radierungen von Franz Hecker an den Wänden und gediegenen Möbeln aus glänzendem Mahagoni.

Albert Drescher ließ den Deckel seiner bunten Zigarrenkiste aufschnappen. »Schauen Sie sich ruhig um, Herr Conradi, hier kann man es weit bringen, wenn man fleißig, diszipliniert und ehrgeizig ist.«

Johann Conradi atmete tief durch und betrachtete seine Hände auf der Stuhllehne. Am Morgen, nach dem Aufstehen, hatte er endlich, nach langem Zögern, seinen Ehering abgenommen. Wo er gesessen hatte, war nun ein heller Abdruck zu sehen.

Seit einem Monat war er zurück in Osnabrück. Von Anfang an hatte es Spannungen zwischen ihm und Drescher gegeben. Vielleicht war es tatsächlich besser, er beendete die Probezeit von sich aus und ging woandershin. Die Polizeiarbeit war überall gleich, und Osnabrück erkannte er sowieso kaum wieder. Die Silhouette der Stadt hatte sich völlig verändert. Überall Ruinen und Schuttberge, wo mal prächtige Villen und Geschäftshäuser gestanden hatten. Dafür gab es jetzt einstöckige Behelfsbauten, schnell gebaut und zweckdienlich. Am Nikolaiort und im Schlossgarten waren Siedlungen mit Nissenhütten aus Wellblech entstanden. Viele Familien und Flüchtlinge lebten dort, die ihr Zuhause verloren hatten. Besonders der Neumarkt war nicht wiederzuerkennen. Die Plätze waren durch die Bombardierung so verändert, dass sie nicht mehr zu Osnabrück passten und sich auch in einer anderen Stadt hätten befinden können.

Aus dem Nichts entstanden in den Randbezirken Neubaugebiete mit grauen gesichtslosen Mehrfamilienhäusern, Doppel- und Reihenhäusern. Sie waren praktisch gebaut und zweifellos modern, aber längst nicht so schön wie die Gebäude, die er aus seiner Kindheit und Jugend kannte. Alles war anders. Selbst die Menschen waren ihm fremd geworden. Osnabrück war nicht länger seine Stadt, war keine Heimat mehr. Sogar das Heimweh, das ihn in den Jahren der Kriegsgefangenschaft geplagt hatte und auch noch danach, war auf einmal nicht mehr wahr. Es musste ein Irrtum gewesen sein oder ein Traum. Johann Conradi fragte sich, wonach er sich verzehrt hatte. Die Menschen, die er geliebt hatte, waren tot. Das, was jetzt war, hätte er sich niemals ersehnt. Danach konnte man kein Heimweh haben.

»Sie sind zur Probe eingestellt worden und von meinem Wohlwollen abhängig. Ob Sie bleiben dürfen, entscheide ich, vergessen Sie das nicht!« Albert Drescher nahm eine Zigarre aus der Kiste, schnitt die Spitze ab und zündete sie an, ohne Conradi eine anzubieten. »Menschenskinder, Conradi, was soll ich nur von Ihnen halten. Es fällt mir schwer, meine Enttäuschung zu verbergen. Was habe ich mich auf Sie gefreut! Ein erstklassiger Polizist seien Sie, wurde mir gesagt, jung, sportlich, ambitioniert.« Er rauchte manieriert mit gespreizten Fingern und blies eine Wolke gen Zimmerdecke. Seine großen leicht abstehenden Ohren wackelten dabei. Conradi fand, dass er Ähnlichkeit mit einer Spitzmaus hatte. Dazu passten auch sein schmaler Kopf, die leicht hervorstehenden Augen hinter den dicken Brillengläsern und die fusseligen Haare.

»Gewissenhaft, rechtstreu, fleißig, einer der Besten, die die Polizei zu bieten hätte«, fuhr der Chef mit verkniffenem Mund fort und stieß ein heiseres Lachen aus.

Das Büro lag bereits im blauen Dunst. Conradi mochte den Geruch nur, wenn er selbst rauchte.

»Jaja, und dann diese Enttäuschung. Himmel, hätte ich auch nur geahnt, wen sie mir da schicken, hätte ich gewiss eine andere Entscheidung getroffen.«

Conradi fühlte sich, als hätte ihm jemand einen Schlag in die Magengrube verpasst. »Es tut mir leid, dass Sie so unzufrieden mit mir sind«, sagte er geistesabwesend. Er wollte nichts mehr hören. Nur noch eine Dreiviertelstunde bis zum Spiel Deutschland gegen die Türkei. Er wollte, dass dieses unangenehme Gespräch endlich ein Ende fand, er wollte nichts als nach Hause.

Dass er Geburtstag hatte, schien niemanden zu interessieren. 47 war er geworden. Zwei Drittel seines Lebens waren vorbei. Sein Vater hatte einmal gesagt, die Jahre um die 50 seien die schönsten in seinem Leben gewesen. Ein gutes Alter, wie ein gereifter Wein. Die Jugend, mit all ihren Unsicherheiten und Unwägbarkeiten, war vorbei und die Beschwerden des Alters lagen noch in weiter Ferne. Im Alter von 52 Jahren hatte er sich noch einmal verliebt und Sophie geheiratet. Sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr gemeinsames Lebensende im Januar 1944, als eine britische Fünfzentnerbombe ihr Haus getroffen hatte. Sie hatten keinen Luftschutzkeller aufgesucht, weil Sophie ihren kleinen Terrier nicht im Stich lassen wollte, den sie nicht mitnehmen durfte. Johann Conradi hatte von ihrem Tod erst Jahre später erfahren.

»Kann ich jetzt gehen?« Conradi veränderte seine Sitzhaltung. Vielleicht half das.

»Warten Sie, nicht so eilig. Also gut, eine Chance gebe ich Ihnen noch. Eigentlich sollte das Starnke machen. Ein Schmugglerring in einem Kraftfahrzeugbetrieb. Lesen Sie sich heute noch ein. Da wird hochwertiges Material außer Landes gebracht, vormontierte Armaturenbretter, Schrauben, Türmodule. Die Ware geht nach Holland. Der Betrieb hat Anzeige erstattet. Dann zeigen Sie mal, was Sie draufhaben.«

»Jetzt sofort?«

Drescher klappte die Akte zu. »Ich habe gleich noch einen Termin«, stellte er klar und machte eine Wischbewegung mit seiner Zigarre.

Als der Marienkäfer um die Schreibtischlampe herumkrabbelte, entdeckte Drescher ihn. Schon hielt er seine Hand über ihn, um ihn zu erschlagen.

Aber Conradi war schneller. »Verzeihung«, rief er, »lassen Sie mich das bitte machen.«

Perplex starrte Drescher ihn an. Conradi nahm eine Karteikarte aus einem Holzgestell und schob sie vorsichtig unter das Tierchen. Damit trug er es zum Fenster. Den Hebel nach links, dann gab es da noch diesen Haken an der Seite und … Mit einem Quietschen ließ der Rahmen sich schließlich öffnen. Conradi streckte den Arm ins Freie. Zufrieden sah er zu, wie das Insekt seine Flügel ausbreitete und davonflog. »Gute Reise, Kleiner«, murmelte Conradi.

Beim Schließen des Fensters merkte er, dass es aus den Angeln geraten war. Mit etwas zu viel Kraft wollte er es zurück in die Verankerung drücken. Dabei löste sich die Scheibe und zersplitterte krachend auf dem Fußboden. Fassungslos starrte Conradi auf die zahllosen Scherben. Dass er sich am Unterarm verletzt hatte, merkte er erst, als er das Blut sah. Zum Glück hatte er ein sauberes Stofftaschentuch dabei und drückte es dagegen. Langsam drehte er sich um und sah Drescher den Kopf schütteln.

»Ein Depp sind Sie, Conradi, ein Depp!«

*

Als Conradi zu seinem Schreibtisch zurückkehrte, lief das Radio. Fritz Starnke pfiff leise mit. Der Schlager handelte von einer Orangenverkäuferin aus Italien, von Sonne, Wärme und Liebe, alles Dinge, von denen sie in ihrem kleinen muffigen Büro nur träumen konnten.

»Bleiben Sie auch länger, Herr Starnke? Ich habe noch einen Vorgang bekommen.«

Der junge Kommissar nickte. Er hatte ein fein geschnittenes Gesicht und war im Sitzen fast einen Kopf größer als Conradi. »Ja, aber es macht mir nichts aus. Hier habe ich mehr Ruhe als zu Hause. Meine Mutter hat ständig kleine Aufträge für mich, seit mein Vater nicht mehr da ist.«

»Wartet sie immer noch jeden Sonnabend mit ihrem Schild am Bahnhof?«

»Allerdings. Ich sehe sie freudig aufgeregt weggehen, wenn ein Transport aus Russland angekündigt ist, und bedrückt wiederkommen. Furchtbar ist das. Eine sehr belastende Situation, und das seit nunmehr zehn Jahren. In mir sieht sie eine Art Ersatz-Ehemann. Mal soll ich eine Glühbirne auswechseln, dann einen kaputten Wasserhahn reparieren oder ein Regal an die Wand dübeln. Nicht, dass ich das ungern mache, aber manchmal wird es mir zu viel, und heute geht nun einmal der Fußball vor. Das versteht sie nur leider nicht.«

»Ich muss gestehen, dass ich zwei linke Hände habe«, meinte Conradi kleinlaut. »Ich könnte das gar nicht. Meine Frau hat sich häufig über mich lustig gemacht. Für jeden Handgriff musste sie einen Handwerker holen.«

»Sie haben bestimmt andere Qualitäten«, meinte der junge Polizist schmunzelnd.

»Anscheinend habe ich gar keine. Wissen Sie, was mir eben passiert ist? Ich habe Dreschers Fenster ruiniert.«

»Sie haben … was? Ich habe mich schon über Ihren seltsamen Verband gewundert.« Er deutete auf Conradis Arm mit dem zusammengeknoteten Taschentuch und dem durchscheinenden Blutfleck. »Haben Sie sich verletzt?«

»Halb so wild, ist nur ein Kratzer.« Conradi erzählte die Geschichte mit dem Marienkäfer und dem Fenster.

»Na, da haben Sie ja jetzt einen neuen Freund gewonnen.«

»Ich mache mir eher Sorgen um das kaputte Fenster.«

»Cheffe wird sich bei dem Regenwetter hoffentlich eine Lungenentzündung holen und lange krank zu Hause bleiben.«

Conradi verzog zerknirscht den Mund.

»Na, wenigstens haben Sie ein Leben gerettet«, meinte Starnke und zwinkerte ihm zu. »Der Marienkäfer wird es Ihnen auf ewig danken.«

»Und Drescher wird mich auf ewig hassen.«

»Das tut er doch sowieso schon, wo ist der Unterschied?«

Conradi grinste.

»Machen Sie sich nichts draus, Herr Conradi, der Kerl mag niemanden außer sich selbst. Aber wir haben uns inzwischen daran gewöhnt. Liebe holen wir uns woanders, nicht wahr?«

Conradi lächelte gequält und schlug die Akte auf, die Drescher ihm gegeben hatte. Liebe gab es nicht mehr, jedenfalls nicht für ihn.

Ein paar Kollegen aus der Abteilung hatten sich dazugesellt, um das Spiel gemeinsam zu verfolgen.

Die Tür flog auf und eine Duftmischung aus starkem Tabak und Eau de Toilette wehte herein. Albert Drescher lehnte sich gegen Conradis Schreibtisch und mischte sich sofort ein. Conradi bedachte er mit keinem einzigen Blick. »Was fiel Sepp Herberger ein, gegen Ungarn mit so einer miserablen Mannschaft anzutreten«, regte er sich auf. »Ungarn spielte in Bestbesetzung, dagegen hatten wir nicht die geringste Chance. Nach 20 Minuten bereits 0:3, unfassbar, so eine Katastrophe!« Wieder erwähnte er den Leserbrief, den er an die Redaktion der Osnabrücker Tagespost geschickt hatte, mit Kopie an Sepp Herberger, Mannschaftshotel Belvédère in Bern. Die »faulen Spieler« sollten ihr Fett wegbekommen, jeder einzelne. Er war stolz, die Adresse des Hotels herausgefunden zu haben, und fest davon überzeugt, mit dem Brief etwas bewirken zu können. »Die sollen mal aufwachen, die Jungs, die sollen sich warm anziehen und in die Pötte kommen, kann doch nicht so schwer sein! Zwei Kriege verloren und nun auch noch eine Niete im Fußball!«

Conradi bedachte ihn mit einem ärgerlichen Blick. Ihm gefiel es nicht, dass sich Drescher zu ihnen gesellt hatte.

»Im Grunde können die einpacken, diese Waschlappen«, polterte Drescher und steckte seine Hände in die Hosentaschen. »Es ist gelaufen, so muss man das leider sehen. Aus und vorbei, keine Chance mehr.«

»Vielleicht ja doch«, meinte Starnke mit wenig überzeugtem Gesichtsausdruck. »Nach dem Spiel ist vor dem Spiel«, dozierte er wie ein Alter. Den Satz hatte er sicher schon dutzende Male von seiner Mutter und seinem Großvater gehört.

»Abwarten«, sagte Drescher, »abwarten. Was glauben Sie denn, Herr Conradi, wer gewinnt das heutige Spiel?«

Inspektor Conradi zuckte mit den Schultern. »Der Bessere, würde ich sagen.«

»Haben Sie überhaupt Ahnung von Fußball?«, dröhnte Drescher. »Jetzt still sein, es geht los, ich will was mitkriegen!«

Im Büro wurde es ruhig. Alle stellten die Arbeit ein, legten die Bleistifte weg, brachten die Hängeordner in die Registraturen und in die Aktenschränke, schlossen ab und verriegelten ebenfalls die Schreibtische. Zigaretten wurden herumgereicht und angezündet. Bier wäre auch schön gewesen, aber im Büro herrschte strenges Alkoholverbot. Da wurde auch heute keine Ausnahme gemacht.

Nach fünf Minuten Spielzeit stieß Drescher einen gellenden Schrei aus. Conradi, in Gedanken versunken, fuhr zusammen.

»Ottmar Walter, klasse Junge! Mensch, das erste Tor«, frohlockte Drescher, sprang auf und schlug sich auf die dürren Oberschenkel. »Weiter so, Bursche, zeig es den Türken!« Er riss die Arme in die Höhe und ballte die Fäuste. Auch Fritz Starnke strahlte übers ganze Gesicht und jubelte, wenngleich auch dezenter.

Als in der zwölften Minute das zweite Tor fiel, geschossen von Hans Schäfer, hielt die Kollegen nichts mehr auf den Stühlen. Sie wirbelten herum, schrien, tänzelten vor den Schreibtischen, klatschten sich ab. Conradi fühlte sich ausgeschlossen. Er war hin- und hergerissen. Für ihn gab es noch keinen Frieden und wegen der Vorkommnisse der letzten Jahre keinen Grund, fröhlich zu sein. Ihm war nicht nach ausgelassener Partystimmung. Der Nationalstolz war ihm fremd geworden, auch wenn er sich darüber freute, dass Deutschland zum ersten Mal seit 16 Jahren bei der WM mitspielen durfte. Und dennoch: Das Deutschlandlied, das Fahnenschwenken, die Kampfbereitschaft … Er hatte das alles so satt! Der Krieg war erst knapp neun Jahre her und steckte ihm immer noch in den Knochen. Die anderen konnten nicht wissen, wie es in ihm aussah, denn er sprach nicht darüber. Die wussten nichts von seinem Schicksal, nichts von seiner Trauer. Ratlos blickte er zu seinen Kollegen hin, die nicht aufhören wollten, sich zu freuen.

Erst als die Türkei aufholte und ein Tor für sich verbuchen konnte, wurden die Mienen ernster und es herrschte Totenstille im Raum. Der Jubel setzte aber sofort wieder ein, als Max Morlock kurze Zeit später für ein 3:1 sorgte. Ihn und weitere Spieler hatte Sepp Herberger zuvor geschont. Sie sollten erst zu strategisch wichtigen Spielen eingesetzt werden. Der Plan schien aufzugehen. Conradi verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete etwas distanziert seine Kollegen, wie sie abermals kurz davor waren, die Fassung zu verlieren. Je fröhlicher und ausgelassener sie wurden, desto trauriger wurde er selbst. Es tat ihm leid für die anderen, aber er konnte es nicht ändern.

»Tooor!«, schrie Drescher und entblößte sein blasses Zahnfleisch beim Lachen. Die Schlaffheit war von ihm gewichen, auf einmal sah er viel jünger aus, seinem Alter entsprechend und nicht wie ein alternder Mann. »Tor, Tooor, Tooor!«, freute er sich, »begnadet, der Kerl, ein As! Ich fasse es nicht! Herbergers bestes Pferd im Stall, und den hast du uns vorenthalten, du Schweinehund! Morlock, Walter, Schäfer, Donnerwetter, Granaten seid ihr, die Besten, ihr seid Weltklasse! Menschenskinder, was für ein Tag, was!« Er boxte sich in die flache Hand und drehte sich um die eigene Achse, was bei seiner mickrigen Statur an einen Derwisch erinnerte.

»Das Spiel ist noch lange nicht zu Ende«, warf Conradi mit einem schiefen Lächeln ein. Auch er freute sich über den Erfolg der deutschen Mannschaft, aber er ärgerte sich noch immer über das Gespräch mit Drescher. Die Arbeit konnte noch so schön sein, wenn der Chef einem das Leben schwermachte, war alles nichts.

»Ach was! Wie schon gesagt, die Türken können nach Hause fahren.« Drescher winkte ab. »Und morgen kümmern Sie sich um das verflixte Fenster!«

Tod unterm Nierentisch

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