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Kapitel 7

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Auf dem Weg ins Präsidium tauschten Birthe und Daniel sich über die Begegnung mit Jessicas Eltern aus.

»Auf mich wirkten die Wagners leicht unterkühlt«, sagte Daniel, der auf dem Beifahrersitz saß. »Als versuchten sie, den Tod ihrer Tochter zu verdrängen. Als hätte er nichts mit ihnen zu tun.«

»Das ist häufig der Fall. Bei einer Todesnachricht werden Gefühle oft erst einmal unterdrückt, weil der Verstand sonst überfordert wäre. Aber ich glaube, langsam begreifen sie, was passiert ist. Dass die Mutter angefangen hat zu weinen, ist schon mal ein gutes Zeichen.«

»Und er ist so ein Typ, der meint, sich alles erkaufen zu können. Geld regiert die Welt. Ein richtiger Großkotz. Am liebsten würde er bestimmt uns kaufen, wenn der Fall dadurch schneller aufgeklärt werden würde.«

»Lass ihn doch. Das ist einfach seine Art, damit umzugehen. Er trauert auch, aber eben anders als seine Frau.«

Eine Weile hingen sie ihren Gedanken nach. Schließlich fragte Daniel: »Wollen wir morgen Abend gemeinsam da hingehen?«

»Was meinst du? Wohin?«

»Na, zum Auftritt der Band auf der Maiwoche.«

Birthe seufzte. »Henning ist gerade bei mir.«

»Hm«, machte er. »Hast ihn lange nicht gesehen, oder?«

»Diesmal waren es genau vier Wochen. Die Abstände werden jedes Mal größer. Ich hätte nicht gedacht, dass eine Fernbeziehung so schwierig ist. Ich dachte, wir sind beide ledig, haben Autos, die Entfernung von gut zwei Stunden ist machbar, das dürfte kein großes Problem sein, aber die Realität sieht anders aus. Immer wieder kommt etwas dazwischen, Dienstpläne, Extraschichten, Urlaubsvertretungen, Überstunden ohne Ende – du siehst ja selbst, wie es ist, wir arbeiten ständig an der Belastungsgrenze. Und nun gerade wieder das Tötungsdelikt. Henning weiß noch gar nichts davon. Es ist zum Kotzen manchmal. Erst seit ich ihn kenne, merke ich, wie oft wir unter Druck arbeiten müssen, wie eng die Personaldecke gestrickt ist. Da kann ich mir nicht einfach eine Auszeit nehmen und sagen: ›Hey, ich melde mich mal eben ab und fahre an die Nordsee.‹«

»Zusammenziehen wollt ihr nicht?«

»Du sagst das so einfach. Henning lebt an der Küste und fühlt sich sehr wohl da. Seine Eltern betreiben ein Hotel in Norden, und er hängt sehr an seinem Opa, der in einem Pflegeheim in Greetsiel lebt. Den besucht er regelmäßig. Henning kommt auch mit seinen Kollegen bei der Polizei gut klar. Und ich … Es ist schwierig, weißt du. Ich hänge auch an meiner Familie, selbst wenn ich sie momentan nicht oft sehe, und an Osnabrück. Ich könnte mir nicht vorstellen, woanders zu leben. Fast mein ganzes Leben habe ich in Osnabrück verbracht, bis auf die Ausbildungsjahre in Hannover. Und ich hänge an euch als Kollegen. Ich will keine anderen. Mit Henning zusammenzuarbeiten stelle ich mir schwierig vor. Wenn man den ganzen Tag aufeinanderhängt, sind Konflikte vorprogrammiert. Und seinen Kollegen Fiete Bontjes finde ich nicht besonders sympathisch. Den habe ich ja kurz kennengelernt, als ich an der Küste ermittelt habe. Der erste Eindruck hat mir gereicht. Er hat ein antiquiertes Frauenbild. Frauen sind seiner Meinung nach in der Berufswelt nur gut als Sekretärinnen und Kaffeeköchinnen. Nee, mein Entschluss steht: Ich will nicht von hier weg.«

»Bist du sicher? Wir können doch Kontakt halten, wenn du nach Norden ziehst. Durch das Internet ist das alles kein Problem. Obwohl ich zugeben muss, dass ich es persönlich ziemlich doof fände. Aber es geht ja nicht um mich«, sagte er lapidar und sah sie treuherzig an.

»Ich weiß, Daniel. Sehr großzügig von dir.«

»Ab und zu kann selbst ich mal altruistisch sein, auch wenn’s mir schwerfällt. Du musst halt Prioritäten setzen. Was ist dir wichtiger: Henning oder deine Leute in Osnabrück?«

»Ich hasse solche Fragen«, schnaubte sie und schaltete in den nächsthöheren Gang.

»Wenn es wirklich die große Liebe ist, solltest du die Frage leicht beantworten können«, sagte Daniel mit einem hoffnungsvollen Seitenblick. Er hatte aus seiner Zuneigung zu ihr nie einen Hehl gemacht. »Im Grunde suchen wir doch alle nur unser Gegenstück, oder? Wir brauchen einen Seelenverwandten, den Menschen an unserer Seite, mit dem wir uns vorstellen können, alt zu werden. Wir alle wollen doch nur eins: ankommen im Leben. Glücklich sein, aufgehoben sein, uns wohlfühlen.«

»Hm«, machte sie und schaltete zurück, da sie auf eine rote Ampel zufuhr. Insgeheim wunderte sie sich. So kannte sie ihn gar nicht. Daniel, der Dummschwätzer, der mit den blöden Sprüchen und dem unsteten Leben. Daniel, der seine Frauen so oft wechselte wie andere Leute ihre Unterwäsche. »Irgendwann muss eine Entscheidung her, das ist klar. Aber nicht heute.«

Schweigend fuhren sie über die enge, dicht befahrene Lotter Straße zur Dienststelle am Kollegienwall. Bis Daniels Handy sie laut klingelnd aus ihren Gedanken riss.

»Oma Hilde«, meinte er. »Die ruft sonst nie um diese Zeit an. Entschuldige, Birthe, ich muss mal eben rangehen.« Er wischte über den Bildschirm. »Oma, was gibt’s?«

»Ich habe mich ganz arg verletzt!« Ihre ältliche Stimme schepperte durch den Lautsprecher.

»Was ist passiert?«

»Ich habe mich an der Brotschneidemaschine geschnitten. Das ist mir noch nie passiert! Deine Mutter kann ich nicht erreichen! Was soll ich tun?«

»Ist ein Finger ab?«

»Nee, das nicht. Aber es blutet wie verrückt. Ich brauche doch die rechte Hand!«

»Dann ist es nicht so schlimm. Oma, bleib ganz ruhig. Binde dir ein sauberes Geschirrtuch um die Hand und lass dich von einem Taxi zum Hausarzt bringen!«

»Wo ist Bärbel? Ich rufe sie dauernd an, aber sie geht nicht ran!«

»Irgendwo zwischen Mallorca und Gran Canaria«, sagte er. »Sie kommt in zwei Wochen wieder. Macht eine Kreuzfahrt. Hat sie dir das nicht erzählt?«

Pause. Nur ein lautes Schnaufen war vernehmbar. »Doch, hat sie. Jetzt erinnere ich mich. Was soll ich denn tun? Ich weiß nicht weiter.«

»Taxi bestellen und zum Arzt fahren«, wiederholte er noch mal lauter. »Mit sauberem Tuch verbinden und ab zum Doc.«

»Was sagst du? Ich verstehe dich nicht!«

»Taxi und Onkel Doktor!«, brüllte er ins Telefon. »Heute Abend komme ich vorbei und schaue mir die Sache an.«

»Ist gut, Daniel, danke! Gib mir mal die Handynummer von Bärbel, ich will sie anrufen! Hab das Notizbüchlein mit ihrer Nummer verlegt.«

»Sie ist nicht da, wird sich aber bei dir melden. Tschüss, Oma, bis nachher!«

Er legte auf. »Typisch Oma«, sagte er zu Birthe, »immer auf der Suche – nach ihrer Brille, ihren Zähnen, ihren Medikamenten oder ihrem Haustürschlüssel. Alt ist sie geworden in der letzten Zeit. Früher hat die Oma auf mich aufgepasst, jetzt ist es umgekehrt.«

Birthe nickte. »Das ist der Lauf der Zeit. Sei froh, dass du noch eine Oma hast! Weißt du was, wir gehen morgen zusammen zum Konzert«, sagte sie, als sie gerade das Felix-Nussbaum-Haus passierten.

»Klar gehe ich mit dir da hin«, stellte er fest und grinste. »Ich würde überall mit dir hingehen.«

Sie antwortete nicht, schüttelte nur leicht den Kopf.

»Was findest du eigentlich an ihm? Hast du das Gefühl, ihr passt zusammen?«

Birthe wollte nicht über Henning reden. Ihre rosarote Brille hatte sie ohnehin längst abgelegt. Sie hatte sich die Beziehung mit ihm einfacher vorgestellt. Als sie sich vor fast einem Jahr in Norden kennengelernt hatten, war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Sie hatte geglaubt, in Henning Achterdiek den Mann ihres Lebens gefunden zu haben. Stundenlang hatten sie geredet, gelacht, gefachsimpelt, aber auch tiefgründige Gedanken geteilt. Schöne Tage waren das gewesen in Norddeich, mit langen Strandspaziergängen, leckerem Fisch am Hafen und einem wunderschönen Sonnenuntergang am Meer. Manchmal wurde ihr wehmütig ums Herz, wenn sie an ihre Anfänge zurückdachte.

*

Henning kam ihr im Flur entgegen, als sie knapp zwei Stunden später die Haustür aufschloss. »Hab’s schon gehört«, sagte er. »Die Tote war Sängerin, gehörte zu einer Osnabrücker Band. Läuft gerade nicht wirklich rund mit uns, was?«

Sie ließ sich von ihm in die Arme ziehen. »Leider nicht«, sagte sie. »Es tut mir sehr leid. Ich hatte mir den Tag mit dir auch anders vorgestellt!«

»Möchtest du einen Tee? Ich habe eine Kanne auf dem Stövchen stehen.« Er ging vor in die Küche und sie folgte ihm, nahm Platz auf der Eckbank aus den 60er-Jahren, die Birthe mal vom Sperrmüll geholt hatte.

Er brachte ihr einen Becher und schenkte auch sich nach. Ihr fiel auf, dass er neue Jeans trug und ein blau-gelb kariertes Hemd, das sie noch nie an ihm gesehen hatte. Anscheinend war er außerdem vor Kurzem beim Friseur gewesen, denn seine Haare waren kürzer als sonst. Sie schämte sich, dass sie ihn jetzt erst richtig wahrnahm, obwohl er schon gestern angereist war und sie am Morgen zusammen gefrühstückt hatten. »Was hast du gemacht in den letzten Stunden?«, fragte sie und nippte an dem Tee. Plötzlich merkte sie, dass Tränen in ihr aufstiegen. Das geplatzte Wochenende mit Henning, Müdigkeit, Erschöpfung, die Konfrontation mit den Eltern des Opfers – es war gerade alles zu viel. »Die gemeinsame Zeit mit dir ist sowieso immer zu kurz. Umso bitterer ist es, wenn davon noch viel abgezogen wird. Es tut mir leid, dass ich so lange weg war. Die Ermittlungen am Tatort, erste Vernehmungen, der Besuch bei den Eltern der Toten, es hat sich alles ewig hingezogen.« Verstohlen wischte sie eine Träne weg.

»Kein Problem, wirklich. Wenn einer Verständnis für deine Arbeit hat, dann ich. Als Polizisten sind wir es doch gewohnt, dass das Privatleben manchmal hinten anstehen muss. Keine Sorge, ich habe mich nicht gelangweilt. Ich hatte Gelegenheit, mich ein bisschen mit deinen Mitbewohnerinnen zu unterhalten. Yuki und Hoi-Hoi ziehen zum Monatsende aus, das hast du mir nicht erzählt.«

»Habe ich nicht? Es stimmt, sie haben endlich eine bezahlbare kleine Wohnung in der Innenstadt gefunden. Wenn sie nur noch zu zweit wohnen, können sie sich endlich in der Küche ausbreiten, das ist ihnen wichtig. Keiner mehr da, der sich über den Fischgeruch und den brodelnden Reiskocher morgens um 7 aufregt.«

»Traurig?«

»Ein bisschen schon. Ich habe mich an sie gewöhnt. Mit Veränderungen kann ich nicht so gut umgehen. Man weiß nie, was danach kommt. Ist schließlich nicht gesagt, dass es besser wird. Willst du nicht bei mir einziehen?« Sie lachte verlegen. Die Frage war ihr spontan rausgerutscht.

Er seufzte tief. »Ach, Birthe, ich weiß, die Situation ist nicht besonders schön im Moment. Aber Osnabrück gefällt mir nicht sonderlich. Ich bin ja aus Hannover weggezogen, gerade weil ich nicht mehr in einer Großstadt leben wollte. Zum Schluss ist mir alles auf die Nerven gefallen, der Verkehr, die Parksituation in der Innenstadt, zu viele Menschen auf einem Haufen, zu viele Autos, zu viele Fahrräder, die langen Wege. Als Polizist bist du obendrein ganz anders gefordert als in einer beschaulichen Kleinstadt. Ein Kapitalverbrechen passiert bei uns höchst selten. Wir haben es eher mit Körperverletzung, Sachbeschädigungen oder Eigentumsdelikten zu tun. Ab und zu werden wir zu häuslichen Konflikten gerufen. Alles in Maßen. Der Einzelne steht viel stärker unter Beobachtung. Das ist das Gute an einer Kleinstadt oder einem Dorf. Die soziale Kontrolle funktioniert noch. In der Regel benehmen sich die Leute anständiger, wenn es nicht so anonym zugeht. Ich habe mich bewusst wieder für die Küste entschieden, ich mag das raue Klima, die Ruhe und Beschaulichkeit und den Menschenschlag, der gut zu mir passt. Jetzt in eine Großstadt zu ziehen, wäre für mich eine Strafe, auch wenn ich dich liebe und am liebsten rund um die Uhr mit dir zusammen wäre. Komm du doch zu mir! Norden ist einfach perfekt. Es lebt sich gut da. Klein, überschaubar, gemütlich, nicht weit zum Meer … Du findest es doch auch schön. Hast gesagt, dass du glücklich bist in Norden.«

»Natürlich«, sagte sie schnell. »Für ein Wochenende, für einige Tage oder eine Woche. Sogar sehr glücklich. Aber auf Dauer? Für immer?« Es gelang ihr nicht, ihm in die Augen zu schauen. »Dort leben und mich von deinem Kollegen rumkommandieren lassen? Fiete Bontjes ist keine Alternative.«

»Du hättest auch mich als Kollegen«, sagte Henning leicht gekränkt.

»Ja, aber noch lieber habe ich dich ausschließlich als Liebhaber und Partner. Viel, viel lieber! Es ist oft nicht gut, mit dem Partner zusammenzuarbeiten. Das bringt Stress in eine Beziehung.«

»Schade«, sagte er und rieb sich das Kinn. »Das ist mir alles irgendwie neu, und ich muss es erst einmal verdauen.«

»Okay. Und ich hatte gedacht, du würdest gerne zu mir nach Osnabrück ziehen. Ich hatte es gehofft.«

Er seufzte und trank seinen Tee. »Natürlich fehlst du mir. Ich vermisse dich schon im Auto, wenn ich nicht einmal ganz aus Osnabrück raus bin. Dann geht’s mir richtig dreckig, und ich würde am liebsten sofort das Steuer rumreißen und zurückfahren.«

»Offensichtlich reicht das nicht. Also bleibt eben alles beim Alten«, sagte Birthe traurig. »Wenn keiner von uns beiden bereit ist, sein Leben umzukrempeln und einen Neuanfang zu wagen.«

»Du kannst mir keinen Vorwurf machen, wenn du selbst nicht bereit für eine Veränderung bist. Ich habe dich mehr als einmal gefragt, ob du zu mir ziehen willst. Es muss nicht bei meiner jetzigen Bude bleiben. Wir können uns gemeinsam eine größere Wohnung suchen. Mit zwei Einkommen haben wir mehr Spielraum. Ich hätte Spaß dabei, alles mit dir einzurichten. Weißt du noch, wie wir neulich zusammen durch das Norder Möbelhaus gestreift sind und uns vorgestellt haben, wie unser gemeinsames Wohnzimmer aussehen würde? Die Küche? Das Schlafzimmer? Wie wir unser Nest geplant haben und uns bei den meisten Dingen einig waren?« Seine Stimme hatte einen weichen Klang angenommen.

Birthe schwieg. Sie hatte keine Lust auf Diskussionen dieser Art, fühlte sich gegängelt und unter Druck gesetzt. Sie hatte sich auf Henning gefreut und Pläne für das Wochenende geschmiedet. Stattdessen saßen sie nun zusammen bei einer Tasse Tee und machten sich gegenseitig das Leben schwer.

Ihre Beziehung hatte vor fast einem Jahr begonnen. Im letzten Sommer hatten sie sich kennengelernt, als Birthe von ihrem Chef für einige Tage an die Küste geschickt worden war, um zu ermitteln. Ein Osnabrücker Schulleiter war auf einer Landstraße kurz vor Norddeich auf dem Weg zu seiner Geliebten tot aufgefunden worden. Henning Achterdiek war einer der Beamten der Norder Polizeiinspektion, mit denen sie zu tun gehabt hatte. Sie waren sich auf Anhieb sympathisch gewesen. Schnell hatten sie Gefühle füreinander entwickelt. Doch auf die wenigen Tage und Stunden, die sie miteinander verbracht hatten, war sogleich eine längere Trennung gefolgt.

»Ich möchte heute nicht darüber reden«, bat Birthe. »Bitte versteh das, Henning. Ich habe anstrengende Vernehmungen hinter mir und bin einfach durch. Mich beschäftigt der Tod der jungen Sängerin sehr. Ihre Eltern sind fix und fertig. Ihnen die Todesnachricht zu überbringen, hat mich unendlich viel Kraft gekostet.«

Mit einem weicheren Ausdruck sah er sie an. »Okay, ich verstehe das. Wir müssen nichts übers Knie brechen.«

Sie rückte zu ihm hin und schlang beide Arme um seinen Hals.

»Wir wollen nicht streiten, oder?«, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf und schmiegte sich in seine Halsbeuge. Er duftete nach seinem vertrauten Rasierwasser, nach seinem Duschgel, einfach nach Henning. Sie konnten später weiterreden, irgendwann, irgendwo. Aber nicht heute.

»Wollen wir nachher zur Maiwoche?«, fragte er. »Erst was Schönes kochen, dann ein bisschen kuscheln und danach ziehen wir los? Ich war noch nie dort. Du wolltest mir alles zeigen.«

Birthe nickte müde. »Mal sehen«, sagte sie. »Erst ein bisschen liebhaben.« Sie schloss die Augen und genoss seine sanfte Nackenmassage.

Später bereiteten sie gemeinsam das Essen zu, Spaghetti Bolognese mit buntem Salat und Wein, zum Nachtisch sollte es heiße Früchte auf Vanilleeis geben. Sobald sie mit Henning zusammen war, war alles gut. Sie genoss jeden Augenblick mit ihm, egal, ob sie etwas unternahmen oder zu Hause blieben, kochten und dabei redeten wie eben gerade und es sich vor dem Fernseher gemütlich machten – Arm in Arm auf dem Sofa unter einer weichen Decke eingekuschelt. Wenn nur nicht immer wieder die bevorstehende Trennung wie ein Damoklesschwert über ihnen hängen und sie vor einen Haufen Probleme stellen würde!

Nach dem Essen schliefen sie miteinander. Sie liebten es, die nackte, warme Haut des anderen zu spüren, den Duft des anderen einzuatmen, der vertrauten Stimme zu lauschen und sich in der Gegenwart des anderen zu verlieren. Lange lagen sie noch nebeneinander, vernahmen den Herzschlag des anderen und verloren jedes Gefühl für Raum und Zeit.

Die Tote von der Maiwoche

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