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Kapitel 11

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Ich hatte einen Traum. Stimmen waren um mich herum zu hören. „Was machst du denn? Sei doch leiser, du weckst sie doch noch auf!“ Die Stimmen rückten immer weiter in den Vordergrund, störten meinen Schlaf.

Unruhig drehte ich mich auf der weichen Matratze und war plötzlich hellwach. Ich befand mich im Diamond Tower, heute war der Tag der Prüfung! Langsam öffnete ich die Augen. Draußen dämmerte es schon. Schwaches Licht fiel durch die schweren grünen Vorhänge, als ich mich im Bett aufrichtete und mich umschaute. Mitten im Raum stand ein kleines zierliches Mädchen mit langen glatten blonden Haaren, die ihr bis zur Hüfte gingen. Ich ließ den Blick weiter im Raum umherschweifen und entdeckte zwei weitere Mädchen, eines im Bett neben der Tür sitzend, das andere am Boden liegend. Das Rascheln meiner Bettdecke hatte die Aufmerksamkeit meiner Zimmergenossen geweckt und das kleine Mädchen bewegte sich langsam auf mich zu. „Guten Morgen. Ich hatte bisher noch nicht das Vergnügen deine Bekanntschaft zu machen. Mein Name ist Ann“, stellte sie sich mit hell klingender Stimme vor. Das dahinten in der Ecke ist Juth und das Mädchen hier am Boden ist Thetris.“

Bei der Erwähnung ihres Namens nickte mir Thetris zu, von Juth, die immer noch im Dunkeln verborgen war, kam keine Reaktion. Um nicht unhöflich zu wirken, stellte auch ich mich vor. „Ich bin Zelda.“ Zu Ann gewandt fragte ich: „Seid ihr auch für die Prüfung hier?“

„Wohl eher wegen ihr“, klang es aus der Ecke.

„Warum das?“

„Aus welchem Viertel bist du, dass du nicht Bescheid weißt? Doch nicht etwa aus Ardesia?“

Ich hörte Ann auf die Worte von Thetris verächtlich schnaufen. „In Ardesia laufen die Dinge nicht unbedingt besser ab wie in Limestone oder Coalman. Fühl dich von Thetris nicht unter Druck gesetzt, Zelda. Alle Neuen müssen unter ihr diese Prozedur ertragen.“

„Und, fragte Thetris genervt.“

„Limestone“, antwortete ich zaghaft.

„Noch so eine Limestonerin“, sagte diese mit einem Lachen in Juths Richtung.

Aber von da an war die Stimmung lockerer.

„Was ich meinte war“, führte Juth aus, „dass die Preisrichter mich nicht hergebracht haben, weil sie denken, dass ich eine von ihnen sein könnte. Meine Eltern sind aktive Systemkritiker. Sie haben in Limestone viele Arbeiterproteste angezettelt. Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis die Preisrichter sie dafür bestrafen würden. Was meine Eltern allerdings nicht gedacht haben, war die Tatsache, dass die Preisrichter mich in ihr Gewahrsam nehmen würden, nicht sie. Ich wurde in der Schule mitgenommen, an dem Tag, an dem der Bildungsbeauftragte von Limestone da war. Die Preisrichter wollten meinen Eltern schaden, aber so, dass nicht sie die direkt Geschädigten waren. Sie sollen den Schmerz fühlen, sollen die Angst fühlen um meine Schwester, sollen sich einschüchtern lassen, sollen nachgeben und die Rolle des Funken Hoffnung verlassen. Ihr müsst wissen, dass meine Eltern für viele die Freiheitskämpfer schlechthin sind oder besser waren“, endete Juth mit einem Seufzer.

„Du wirst die Prüfung also nicht bestehen?“

„Zu hundert Prozent nicht. Ich werde als Preislose enden, genauso wie es die Preisrichter wollen.“

„Was ist mit dir, Ann?“ Ich konnte den in mir hochkommenden Graus und die Angst nicht unterdrücken, als ich daran dachte wie viele weitere Jugendliche wohl heute die Prüfung besuchen würden, wohlwissend, dass sie diese eh nicht bestehen würden.

„Ich bin aus Ardesia, was aber nicht heißt, dass es mir dort besser ging als euch in den unteren Schichten“, antwortete Ann auf meine Frage.“ Meine Eltern, im Gegensatz zu Juths, sind für das System und unterstützen streng die Preisrichter. Sie leben das perfekte Leben eines Ardesianers, mein Vater arbeitet in der Verwaltung des Preisrichterquartiers, meine Mutter hilft drei Tage in der Woche in der örtlichen Grundschule als Stonisch- und Mathelehrerin aus. Der einzige Schandfleck in ihrem Leben war ich, bis sie mich losgeworden sind. Ich, die so ganz anders war, die über die Grenzen hinweggehen wollte, die mehr sehen und lernen wollte. Ich hätte ihnen alles zerstört, ich, das Kind, das aus einer Limestoner Familie stammend den Preis eines Ardesianers hatte, ich, die sie, vorbildlich wie sie waren, aufgenommen haben. Also hat mein netter Papi eines Abends verkündet, er werde mich für die Prüfungen anmelden, ich solle angeblich die Familie stolz machen, meinen ganzen Ehrgeiz für die eine große Sache hergeben. Es schien für ihn, als hätte er den perfekten Ausweg gefunden, mich loszuwerden und gleichzeitig sein Ansehen zu vermehren. Nur leider werde ich ihm, oder besser gesagt die Prüfung wird ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Ehrgeiz allein reicht nicht, um eine Preisrichterin zu werden. Man muss eben auch die Preise lesen können“, endete Ann.

Ich fühlte mich, nachdem ich die Schicksaale der beiden gehört hatte, wie ein Luftballon, dem die Luft ausgegangen war. Ich dachte meine Geschichte wäre schlimm, dass ich mich meiner Bestimmung verwehren wollte, dass ich deshalb meine Familie verloren hatte, doch im Gegensatz zu Anns und Juths sah meine Zukunft ja geradezu rosig aus.

„Wenigstens gibt es gutes Essen“, fügte Thetris sarkastisch hinzu.

Bevor aber eine meiner Zimmergenossinnen fragen konnte, wie ich dazu gekommen war, eine Prüfung zur Preisrichterin zu bestreiten, hörte ich jemanden an der Tür klopfen.

„Macht euch fertig und kommt in zehn Minuten in die Eingangshalle“, ertönte eine kühle Frauenstimme hinter dem schweren dunklen Holz der Tür.

„In die Eingangshalle“, murmelte Thetris enttäuscht, während sie zu ihrem Bett ging und ihre wenigen Habseligkeiten in einen zerlumpten Beutel stopfte. „Dann gibt es ja gar kein Frühstück mehr!“

Auch ich war in reges Treiben verfallen. Ich richtete das Bett, bürstete mein hellbraunes Haar und wechselte meine Kleidung, sodass ich statt einer braunen Hose und einem dunkelgrünen Hemd jetzt ein hellblaues Blusenkleid trug, das nur für besondere Anlässe gedacht war. Zusammen mit den anderen verließ ich den Raum und fuhr mit dem Lift ins Erdgeschoss. Dort angekommen empfing uns, als sich die Aufzugtüren öffneten, ein bizarres Bild. In edelsten seiden Anzügen gekleidete Männer standen neben anderen, die gerade einmal eine lumpige Hose und ein zerrissenes Hemd trugen, Frauen standen nebeneinander, die eine im dreckigen Kittel, die andere in einem halben Ballkleid. Dieser Tag war wohl einer der wenigen, an dem so viele verschiedene Schichten an einem Ort versammelt waren. Ann, Juth und ich stellten uns neben den Empfangstresen, Thetris hatte wohl irgendeinen Kumpel aus Coalman entdeckt. Ich ließ den Blick über die vielen Menschen schweifen, die die Eingangshalle gänzlich ausfüllten. Unter den Prüflingen, von denen manche von einem Erwachsenen begleitet wurden, waren alle Altersklassen zwischen sieben und achtzehn Jahren vertreten. Die Preisrichter akzeptierten als neue Preisrichter also nur Kinder oder Jugendliche, wahrscheinlich, weil sie noch besser formbar waren, besser zu erziehen, besser in die Lebensweise der Preisrichter zu integrieren. Wieder kam die „Was wäre wenn- Vision“ in mir hoch. Wenn ich mich weiter verborgen hätte… Vielleicht hätte ich ja bleiben können… Vielleicht, wenn ich erwachsen gewesen wäre, hätten sie mich nicht mehr nehmen wollen… Ich schüttelte die sinnlosen Gedanken ab. Ich war von den Preisrichtern geholt worden. Das war eine Tatsache und ich würde wohl besser daran tun, diese zu akzeptieren und mich der Wirklichkeit zuzuwenden, schließlich hatte ich eine Prüfung zu bestehen. Neben mir hörte ich einen Vater auf sein Kind einreden, eine Mutter nahm ihren kleinen Jungen in den Arm. Wie viel würde ich darum geben, dass meine Mutter jetzt da war und mich in den Arm nahm, mir Mut zusprach. Hinter mir hörte ich die Schritte von hohen Absätzen im Gang widerhallen. Um die Ecke bog eine Frau mittleren Alters. Ihre blonden, kinnlangen Haare und ihre enge, grüne Hose und das dazu passende Sakko verliehen ihr eine strickte und harte Hülle. Sie stellte sich hinter den Tresen und schon nach den Begrüßungsworten, die sie mit ihrer kühlen Stimme wie Nebelschwaden in die Menge sande, war der ganze Saal in eine Totenstille verfallen. „Ich begrüße euch, Prüflinge, hier im Diamond Tower, dem Hauptsitz der Preisrichter. Ihr seid hier, um die Prüfung zu bestehen, die Prüfung, die entscheiden wird, ob ihr einer von uns, den Preisrichtern, werdet oder, aber ich denke, das wisst ihr schon.“

Sie lächelte in die Runde. Ihr Lachen verzerrte ihr Gesicht wie eine Maske, Wärme strahlte es nicht aus. Für mich sah es eher wie eine Morddrohung aus.

„Sie tut ja gerade so, als würde es die Preisrichter kümmern, wenn diejenigen, die durchfallen, Preislose werden“, flüsterte mir Juth ins Ohr.

Überall in der Eingangshalle war Gemurmel aufgekommen. Die Preisrichterin verschaffte sich mit einem Räuspern wieder Gehör.“ Mehrere Preisrichter werden als Jury jeden einzelnen Prüfling testen. Ich bitte die Eltern ihre Kinder von hier an allein zu lassen, alle Prüflinge folgen mir bitte.“

Die Frau bog nach links in den endlosen Gang, der zum Saal führte, in dem Leos Zeremonie stattgefunden hatte und bald war mir klar, dass genau dieser unser Ziel war.

Morgensonnenschein

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