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Kapitel 1

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„Zelda, wir kommen noch zu spät!“ Meine Mutter hatte nun den Höhepunkt ihrer Nervosität erreicht.

Schon seit Tagen war sie zappelig und schreckhaft gewesen und obwohl der Termin für die Zeremonie schon seit der Geburt des Jungen vor zwei Wochen feststand, hatte mich schließlich meine Mutter doch mit ihrer Aufregung angesteckt und auch ich war unruhig geworden. Ein letztes Mal zupfte ich an meinem Zopf herum, gab es schließlich auf, ihn zu verschönern, und zwängte mich aus dem eh schon engen Badezimmer in den noch schmaleren, düsteren und schmuddeligen Flur mit der dreckgrünen Wandfarbe und dem grauen Steinboden. Schmuddelig war dieser nicht etwa, weil meine Mutter nicht putzte, sondern weil wir uns jenen, genauso wie das Bad, mit zwei weiteren Familien teilten. Mit drei langen Schritten hatte ich den Gang passiert und traf vor der Haustüre auf meine Mutter, in ihrem blauen Gänseblümchenkleid, dem wertvollsten Kleid, das sie besaß, da es keine Flicken hatte, meine kleine Schwester Dora und meinen neugeborenen Bruder. Eigentlich durfte den Kindern vor der Zeremonie noch kein Name gegeben werden, aber meine Mutter, die der festen Überzeugung war, dass der Junge bei uns bleiben durfte, hatte ihn schon benannt: Leo- Löwe.

Natürlich könnte sich jetzt so mancher fragen, warum ich nicht einfach meiner Mutter erzählte, welchen Preis der kleine Leo hatte, aber so einfach war es dann doch nicht. Besonders bei noch sehr jungen Menschen brauchte es als Preisrichter ein geübtes Auge, um den Wert seines Lebens zu erkennen. Bei Erwachsenen dagegen war es sehr einfach: Ein Blick auf ihre Stirn und du wusstest wahrscheinlich mehr über ihren Wohnort und ihr Leben als die meisten anderen auf der Straße. Zahlen verraten einem vieles…Und selbst wenn ich mehr Übung gehabt hätte, hätte ich meiner Mutter Leos Preis nicht sagen können, zum ersten, weil ich ihr mein Geheimnis nicht einfach verraten konnte und zum zweiten, weil ich nicht diejenige sein wollte, die diese unendliche Trauer in ihren Augen auslöste, falls ihr Kind nicht bleiben durfte. Dies war der Fall, wenn sein Preis den Bereich unter 300 sprengte. Dann kam er zu den „normalen“ Familien, zu der Art von Familie, die es sich leisten konnte, einmal im Jahr in den Urlaub zu fahren, deren Kinder die Schule auch nach dem Beenden ihres 15. Lebensjahres noch besuchen konnten und die ein gesundes und glückliches Leben führten. Schon dieser soziale Aufstieg war selten, fast unmöglich erschien da die Überschreitung der 450 Marke. Von da an gehörte man nämlich zu den Reichen, vielleicht noch nicht zur Elite, die ab 600 begann, aber doch zur höheren Bevölkerungsschicht, die kleinere politische Ämter bekleideten oder in großen Konzernen so etwas wie die rechte Hand ihres Chefs waren. Die Elite bildeten wenige Professoren an renommierten Universitäten, Chefs großer Konzerne, Politiker und natürlich die Preisrichter. Jetzt wäre es wohl interessant zu wissen, warum ich diese Chance auf einen so großen sozialen Aufstieg einfach wegwarf. Der Grund dafür war meine Mutter: Regelmäßig zog sie über die, ihrer Ansicht nach, korrupten Preisrichter her. Ich hatte Angst sie würde mich dafür hassen, was ich war und dafür, dass ich sie verlassen würde.

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