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Kapitel 6

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Bald schon hatten wir Strecke zwischen das Hauptquartier der Preisrichter und uns gebracht. Die Sonne stand bereits tief und schien uns ins Gesicht, als wir endlich den Pfad erreichten, dem wir dann bis zum Südtor folgen mussten. Bei Anbruch der Dunkelheit kamen wir schließlich dort an und nahmen die nächste Straßenbahn nach Limestone. Irgendwo zwischen Marpel und Ardesia war meine vom Tag erschöpfte Schwester eingeschlafen, ihr Kopf lag schwer auf meiner Schulter. Auch ich verspürte große Müdigkeit, allerdings war der Drang, den Schlaf meiner Schwester zu bewachen größer. Ihr langes glattes kastanienbraunes Haar erzitterte bei jedem ihrer gleichmäßigen Atemzüge. Auch meine Mutter hatte ihren Blick auf Dora gerichtet. Sie sah ebenfalls müde aus, ihre tiefen Augenschatten ließen keinen Zweifel daran, und doch war da das lebhafte Funkeln in ihren blauen Augen, das ich schon lange nicht mehr gesehen hatte. Doch da nun die alles überlagernde Sorge weg war, hatte ich in meinem Kopf viel zu viel Platz für meine anderen Probleme. Was war mit dem Jungen von heute Mittag? Hatte er mich doch noch verraten? Würden morgen die Preisrichter kommen, um mich zu holen? Und wenn er mich doch nicht verraten hatte? Aber warum sollte er das tun? Viel zu viele Fragen gingen mir durch den Kopf und als wir schließlich Limestone erreichten und ich meine Schwester aufweckte, schwirrte mir dieser vom vielen Denken. Den Weg nach Hause durch die dunklen Gassen hasteten wir nur so dahin. Wir alle waren froh, wieder zu Hause zu sein. Aber mir war bewusst, dass ich auch daheim keinen Schutz vor meiner selbst finden würde. Ich spürte, dass mein Geheimnis kurz vor der Enthüllung stand.

Trotz allem fiel auch von mir die Anspannung ab, als wir schließlich vor unserer Haustür standen. Meine Mutter schloss auf und schnell schlüpften wir in den schmuddeligen Flur, in dem wir heute früh noch gestanden hatten, nichtsahnend, was uns die Zukunft bringen würde. Nach einer weiteren Tür befanden wir uns in unserer Wohnung, die mir nach dem großen Zeremoniensaal noch kleiner vorkam. Sie bestand nur aus zwei Räumen, der Küche und dem gemeinsamen Schlafzimmer, die beide nicht nennenswert voneinander abgetrennt waren. Nur ein Tuch hing da, wo die Tür hätte sein müssen. Es diente dazu Essensgerüche, von denen es bei uns eher nicht so viele gab, aus dem Schlafraum zu halten und Gästen den jämmerlichen Anblick unserer „Betten“, zweier Matratzen und einem Gitterbett für Leo, zu ersparen. Ansonsten befand sich im Schlafzimmer nur noch ein alter Teppich und eine Kleiderstange, die unsere spärliche Auswahl an Kleidungsstücken zeigte. Ein Fenster gab es dort nicht. Die Küche, die unseren Wohnraum darstellte, war etwa doppelt so groß wie das Schlafzimmer, was aber nicht viel bedeutete, weil dieses mit den wenigen Sachen, die sich darin befanden, so voll gestopft war, dass man sich darin fast nicht mehr bewegen konnte, ohne auf einer Matratze zu stehen, und war gefüllt mit einer schmalen Küchenleiste und einem Tisch mit drei Stühlen. Dieser war so an die der Küchenzeile gegenüberliegende Wand geschoben worden, dass es noch Platz gab, um dazwischen hindurchzugehen. Das Ganze war durch eine einzige Glühbirne an der Decke in schummriges Licht getaucht. Anscheinend hatten wir heute Glück gehabt, denn es war nicht selbstverständlich, dass wir Licht hatten. Die Stromversorgung in Limestone konnte nicht gerade als zuverlässig bezeichnet werden. Und wie auf ein Kommando standen wir plötzlich wieder im Dunkeln. Meine Mutter stöhnte auf und ich konnte mir sehr gut vorstellen, wie sie die Augen verdrehte, bevor sie sich zu unserem einzigen Schrank vortastete, aus dem sie im untersten Fach auch einige Kerzenstummel herausholte. Der Strom kehrte den restlichen Abend nicht zurück und so nahmen wir unser karges Mahl aus trockenem Brot und kalter Brühe im Kerzenschein ein. Wir lachten viel und so machte es uns nichts aus, als wir mit immer noch knurrendem Magen ins Bett stiegen, denn an andere Aktivitäten, wie das Lesen eines Buches, war bei dieser Lichtqualität nicht zu denken. Nachdem meine Mutter dem kleinen Leo ein Gutenachtlied gesungen hatte, bei dem auch Dora die Augen zugefallen waren, löschte sie das Licht und war nach kurzer Zeit ebenfalls eingeschlafen. Allein ich lag noch lange in der Dunkelheit wach und grübelte über meine Zukunft nach. Als ich merkte, dass meine Gedanken immer öfter abschweiften, überließ ich mich schließlich der warmen Leere des Schlafes.

Ich stand in einer Menge an Leuten. Mein Blick schweifte hin und her. Ich suchte nach meiner Familie. Plötzlich traf ich den Blick eines anderen Augenpaars. Seine blauen Augen bohrten sich in meine, blau auf blau, Eis auf Meer. Plötzlich drehten sich die anderen zu mir um, als der Junge auf mich zeigte. Und die Stimme des obersten Preisrichters dröhnte in meinen Ohren: Zelda Turris, rief er, Zelda Turris!

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