Читать книгу Grenzenlose Hoffnung - Alvaro Solar - Страница 10

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Mein Name ist Hadi, ich komme aus Syrien.

Als Kind lebte ich in einem kleinen Ort in der Nähe von Qamischli.

Dort gab es eine Schule, aber keine Verwandten oder Bekannten,

bei denen ich leben konnte.

Ich war sieben Jahre alt, als ich nach Kobanê gebracht wurde,

um bei meinen Großeltern zu leben und zur Schule gehen zu können.

Ich war ein kleines Kind und musste

von meiner Familie Abschied nehmen.

Auch von meinen Freunden musste ich mich trennen.

Als der Wagen losfuhr, freute ich mich auf die Schule,

aber gleichzeitig spürte ich eine tiefe Traurigkeit.

Na ja, alles im Leben hat Vor- und Nachteile.

Ich wusste damals nicht, dass ich eines Tages

noch mal alles hinter mir lassen

und wieder so viel Heimweh verspüren würde.

In der Schule saß ich neben einem Mädchen.

Sie hat ständig alles von mir abgeguckt.

Eines Tages sollten wir ein Diktat schreiben,

ich wusste aber nicht, wie das geht.

Man hatte mir gesagt,

dass man bestraft wird, wenn man null Punkte bekommt,

indem man auf die Füße geschlagen wird.

Ich bekam Angst.

Ich schaute zu dem Mädchen neben mir

und diesmal kopierte ich alles, was sie schrieb.

Nicht nur das, sondern auch wie sie schrieb.

Sie hat über die Seite geschrieben, diagonal von oben nach unten.

Es war das reine Chaos.

Ich dachte, das Mädchen sieht schlau aus,

sie weiß, was sie tut, so muss es richtig sein.

Dann gab ich dem Lehrer mein Diktat.

Sie bekam null Punkte. Und ich? Ich natürlich auch.

Wir wurden beide bestraft und auf die Füße geschlagen.

Dann brachten sie uns von Klassenraum zu Klassenraum,

damit alle sehen konnten, wer beim Diktat,

null Punkte bekommen hatte.

Wir sollten uns richtig schämen.

Dabei hat uns der Lehrer ununterbrochen beschimpft.

Er meinte damals, dass das erste Jahr in der Schule

genau definiert, wie der Rest des Lebens sein wird.

Er sagte mir:

„Wenn du jetzt schlecht bist, dann wirst du immer schlecht sein!“

Er meinte auch, dass ohne körperliche Strafe,

ein Kind nicht richtig lernen kann.

Zum Glück ist das in Syrien mittlerweile verboten.

Mein Start in der Schule war also sehr schlecht.

Trotzdem habe ich es geschafft, mein Abitur zu machen

und später an der Universität Betriebswissenschaften zu studieren,

wo ich mit Bachelor promoviert habe.

Von wegen immer schlecht!

Meine Heimat zu verlassen war sehr schwer.

In meiner Erinnerung blieb das Gesicht meiner Mutter,

ihr Lächeln und die Tränen in ihren traurigen Augen.

Meine Frau und ich wussten nicht, was auf uns zukommt.

Wir sind geflohen mit der Ungewissheit,

ob wir überhaupt überleben würden.

Aber wir wollten vom Geräusch der fallenden Bomben weg,

vom Schmerz und Weinen der Frauen und Männer

über den Verlust ihrer Kinder.

Wir haben es geschafft und nun sind wir in Deutschland.

In Bremen fühle ich mich sicher.

Es gibt zwar viele Regeln, auf die man achten muss,

es ist viel zu kalt, es regnet zu oft,

es ist grau und ich muss von null an anfangen.

Aber ich sage mir:

„Du bist jetzt hier!

Die Vergangenheit muss hinter dir bleiben.

Wir sind im richtigen Land angekommen.“

Eine wichtige Verbindung zu diesem Land ist meine Tochter:

Sie ist in Bremen zur Welt gekommen,

in einem Land, das in Frieden lebt.

Wie gesagt, alles im Leben hat Vor- und Nachteile.

Wie in der Liebe.

Nichts ist leicht im Leben.

Man braucht Mut und einen starken Willen,

um das zu erreichen, was man möchte.

Manchmal fühlen wir uns wie Fremde und manchmal wissen wir,

dass unser Leben hier besser ist als das Leben vieler anderer.

Die Liebe, die ich für meine Heimat empfinde,

bleibt weiterhin bestehen, ich vermisse sie.

Meine Kindheit ist dort geblieben,

der Gesang der Vögelchen am Himmel über den Ruinen der Städte.

Eines Tages werde ich zurückkehren,

zu meiner Mutter, zu ihren Tränen,

die in meiner Erinnerung geblieben sind.

Eines Tages werde ich zurückkehren,

zu meinem Vater, der voller Geduld auf uns wartet.

Eines Tages werde ich zurückkehren, zu meinen Geschwistern,

für die das Leben ohne mich bitter ist.

Eines Tages werde ich zurückkehren,

zu meinem Syrien,

das wir in düsteren Zeiten verlassen mussten.

Manchmal wünsche ich mir, dass meine Mutter bei uns ist,

damit sie ihre Enkeltochter umarmen kann.

Dann würde ich ihr auch erzählen,

wie großzügig die Deutschen sind,

wie sie uns unterstützt haben,

wie solidarisch sie sind.

Ich würde die fröhlichen Augen meiner Mutter anschauen

und den traurigen Blick von damals,

als wir unsere Heimat verlassen mussten,

für immer vergessen.


Grenzenlose Hoffnung

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