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EIN NEUER TAG

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Mein Name ist Mustafa,

ich bin 21 Jahre und komme aus Kobanê.

In meiner Familie sind wir acht Geschwister,

fünf Jungen und drei Mädchen.

Als ich sechs Jahre alt war, sagte mein Vater zu mir:

„Heute fängt ein neuer Tag für dich an!

Es ist Zeit, zur Schule zu gehen!“

Ich freute mich sehr, aus verschiedenen Gründen.

Ich hatte damals das Gefühl,

dass mein Vater diejenigen von uns,

die zur Schule gingen, mehr liebte.

Außerdem wusste ich, dass ich extra für die Schule

neue Klamotten bekommen würde:

eine schöne helle braune Jacke, ein Halstuch und einen Hut.

Der Hut war das Schönste.

Er sah genauso aus wie die Kopfbedeckung,

die die französische Polizei trug.

Die Schule war für mich nicht besonders wichtig,

aber die Schuluniform.

Als der erste Schultag kam, hatte ich aber immer noch keine!

Das war ganz schlimm für mich.

Ich wollte nicht zur Schule gehen.

Ich musste mit meinen normalen Klamotten dahin gehen.

Ich war traurig, verunsichert, wütend und schämte mich.

Alle andere in der Schule gaben mit ihren neuen Kleidern an,

nur ich nicht.

Eine Katastrophe.

Es dauerte zwei Monate bis ich sie endlich bekam!

Mein Vater brachte mich zum Schneider

und er hat alles genau für mich geschnitten.

Ich war sehr glücklich und sah super aus.

Diese Uniform sollte mindestens zwei bis drei Jahren halten,

aber leider kam schon im nächsten Jahr

irgendein Schwachkopf auf die Idee,

die Schuluniform neu zu entwerfen!

Aus meiner Familie waren schon mehrere in der Schule.

Man sollte für sie alle eine neue Uniform kaufen!

Woher denn? Das Geld hatten wir nicht.

Zwei von uns durften nicht mehr dahin gehen.

Sie fingen an zu arbeiten.

Ich war acht Jahre alt, als eines Tages das Herz meines Vaters

urplötzlich aufhörte zu schlagen.

Er war erst vierzig Jahre alt.

Meine Mutter, dreißig Jahre alt, entschied, nie wieder zu heiraten.

Ich besuchte dann die Schule bis zur neunten Klasse.

Danach musste ich auch arbeiten, als Handwerker.

Ich verschwand aus der Schule

und später verschwand auch die Schule.

Die Bomben haben sie völlig zerstört.

Der Krieg hat mein Leben komplett verändert.

Meine Familie lebte in Aleppo.

Als der Krieg ausbrach, flohen wir nach Kobanê.

Aber der Krieg kam auch nach Kobanê.

Man kämpfte nur fünfzehn Kilometer

von unserem Haus entfernt,

als wir Richtung Türkei flohen.

Meine Mutter mit ihren ganzen Kindern.

Ich war glücklich, aber gleichzeitig sehr traurig.

Glücklich, weil wir den Krieg hinter uns ließen,

aber traurig, weil auch alles andere hinter uns blieb.

Wir sind eine große Familie, viele Verwandte,

es war nicht einfach, sich von allen verabschieden zu müssen.

Ich hatte dort ein schönes Leben, wenig Geld, aber viel Liebe.

Es gab immer jemanden, mit dem man reden,

zusammen lachen, zusammen feiern konnte.

Ich habe mich nie einsam gefühlt wie jetzt.

Meine Mutter und meine Schwestern sind auch

hier in Deutschland, eine Schwester ist

bei mir hier in Delmenhorst.

Ohne sie wäre es für mich nicht möglich gewesen,

hierzubleiben.

Ich wäre wahrscheinlich zurückgekehrt.

Sie passt auf mich auf, sie ist eine große Hilfe.

Ich spiele gerne Theater.

Ich habe vier Jahre in der Türkei gelebt

und dort in einer Theatertruppe gespielt.

Ich war ein Komödiant und spielte u. a. beim Nouruz Fest,

das ist das kurdische Neujahr.

Dieses Fest ist mehr als 3.000 Jahre alt.

Wörtlich übersetzt heißt Nouruz: „ein neuer Tag“.

Ich finde Bremen schön,

aber es gibt hier viele Regeln.

Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich von einer Seite der Welt

zur anderen ging, nur um zu lernen, Biomüll vom Plastik zu trennen.

Ich bin hier ein Ausländer, aber ich weiß,

dass Deutschland ein Luxusort ist,

wo man eine Chance für ein gutes Leben finden kann.

Wenn ich die Möglichkeit hätte, eines Tages

in meine Kindheit zurückzugehen

und dann mich als Kind wiedertreffen würde,

dann würde ich ihm sagen:

„Glaub ja nicht alles, was andere dir sagen.

Sei immer so, wie du bist.“

Dann würde ich ihm all das Geld geben,

was ich in der Tasche habe.

Grenzenlose Hoffnung

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