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DER HIMBEERBAUM

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Ich bin Ayman und komme aus Syrien.

Ich bin in einer Ortschaft, die wie ein Gebirgsdorf aussah,

groß geworden.

Im Garten hatten wir Granatapfelbäume,

Oliven und Apfelbäume.

Auch einen Himbeerbaum hatten wir.

Er war sehr groß und sein Stamm war glatt.

Deshalb war es sehr schwierig für uns, am Baum hochzuklettern.

Das ging nur mit einer Leiter.

Auf unserem Himbeerbaum haben

mein kleiner Bruder und ich ein Baumhaus gebaut.

Mein Bruder war sieben und ich zehn Jahre alt.

Mein Lieblingsspiel war damals „die Biene“.

Man versucht dabei, den Gegner

auf die Hände zu schlagen.

Ich sagte immer meinem Bruder, er soll richtig hart zuschlagen.

Als ob er eine richtige Biene wäre.

Ich wollte immer draußen sein,

mit den Kindern der Nachbarn,

Drachen in die Luft steigen lassen oder Fußball spielen.

Ich freute mich immer, wenn wir Gäste zu Hause hatten,

weil meine Mutter sich dann mit ihnen beschäftigte

und wir Kinder länger spielen durften.

Sie merkte nicht, dass es für uns schon Zeit war zum Schlafen.

Ich freute mich besonders,

wenn unser Onkel zu Besuch kam.

Er war Psychiater und alle mochten ihn, besonders die Frauen.

Ich wollte eines Tages wie er sein.

Er spielte oft mit mir und ich bekam von ihm viele Geschenke.

Einmal schenkte er mir ein Flugzeug mit Fernbedienung.

Alle waren auf mich neidisch.

Als Kind war ich sehr laut und voller Energie.

Ich wollte immer viele Freunde um mich haben.

Niemand sollte schlecht gelaunt oder gelangweilt sein.

Ich habe viel getan, damit das so ist.

Deshalb sind alle vor mir geflohen.

Aber andere haben mich eben wegen meiner Energie sehr geliebt.

Trotzdem fühlte ich mich damals oft sehr einsam.

Ich wollte einen Bruder haben.

Einen Bruder so groß wie ich und im selben Alter.

Hatte ich leider noch nicht.

Dafür aber hatte ich einen Cousin.

Er war genauso alt wie ich, aber etwas kleiner.

Mein Cousin war wie ein Mafiaboss.

Er hat mich benutzt wie ein Instrument.

Wie sein Instrument.

Er war nicht so stark wie ich.

Deshalb war er nicht in der Lage

die andere Kinder zu dominieren.

Also musste ich die Dreckarbeit machen, z.B. jemanden bestrafen.

Ich liebte meinen Cousin, deswegen habe ich es gemacht.

Alle hatten Angst vor mir und sie waren sauer auf mich.

Als ich sechs Jahre alt war, ist mein Bruder zur Welt gekommen.

Als er größer wurde, ersetzte ich meinen Cousin durch ihn.

Meine Kindheit war eine Welt der Fragen und Mysterien.

Wenn ich etwas sah, wollte ich sofort alles darüber wissen.

Wenn ich zum Beispiel ein Spielzeug von meinem Vater bekam,

musste ich es sofort auseinandernehmen,

um herauszufinden, wie es funktioniert.

Das hatte einen Nachteil:

als ich es wieder zusammenbaute,

blieben oft einige Teile übrig.

Ich bin jemand, der eher den schwierigen Weg nimmt.

Mich interessiert der einfache nicht besonders.

Als Kind versuchte ich unter dem Sofa durchzukommen,

oder mich im Kühlschrank zu verstecken.

Manchmal hing ich lange an einer Deckenlampe.

Wie eine Katze.

Meine Mutter war sehr geduldig,

sie versuchte mir voller Güte zu erklären, was gut und was böse ist.

Sie hatte einen Friseursalon; manchmal habe ich ihre Föhne

auseinandergenommen und sie repariert.

Auch wenn ab und zu ein Teil übrig blieb,

haben sie danach gut funktioniert.

Wie gesagt, ein Mysterium.

In der Schule hatte ich gar keine Freunde.

Ich hatte für sie keine Zeit.

Meine Zeit war mit meiner Krankheit beschäftigt:

Ich hatte Krebs.

Ich sah damals nicht besonders gut aus:

Keine Haare auf dem Kopf, keine Augenbrauen, keine Wimpern.

Eigentlich wie ein kleiner Alien.

Wenn Sie mich fragen:

Ich hätte mit mir auch nicht gespielt!

Schuld daran waren die stinkigen, hässlichen Medikamente,

die ich im Krankenhaus immer wieder eingespritzt bekam.

Manchmal sogar alle vier Stunden.

Die Spritzen waren sehr schmerzhaft.

Manchmal habe ich wie ein Wahnsinniger geschrien

und wollte aus dem Krankenhaus fliehen.

Aber dann haben mich zwei Krankenschwestern

am Bett festgehalten,

damit ich die verdammte Spritze bekomme.

Ich habe mich unter dem Bett versteckt,

oder im Badezimmer, sogar im Fahrstuhl.

Keine Chance.

Sie haben mich immer wieder gefunden.

Ich wollte durchsichtig sein und verschwinden,

wie ein Comic-Held.

Wenn es mir zu schlecht ging,

dann musste ich länger im Krankenhaus bleiben.

Einmal lag ich im Krankenhaus auf meinem Bett

und fragte meine Mutter:

„Mama, wo gehen die Toten hin, nachdem sie sterben?“

Sie antwortete:

„Sie werden Bäume.“

Ich dachte dabei:

„Wenn ich sterbe,

möchte ich ein Himbeerbaum werden.“


Grenzenlose Hoffnung

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