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IV

– Feldschlacht bei Fleming, aD 1203 –

Aufwachen! Du musst aufwachen, schrie die innere Stimme des kleinen Jungen, der wie gestochen den Hang hinaufeilte. Panisch schaute er zurück und musste erkennen, dass ihm die Reiter noch immer dicht auf den Fersen waren. Schweißperlen rannen ihm über das blutbespritzte Gesicht. Die Nase lief. Sein Herz raste und pochte unangenehm gegen die gequetschte Lunge. Wach auf, Sanguis! Das ist alles nur ein Traum!

Als er sich zum wiederholten Male in die Wange kniff, übersah er die Leiche vor ihm und stürzte zu Boden. Sein Kopf krachte gegen den Helm eines Gefallenen. Die wackligen Knie schlitterten ungebremst über den ausgetrockneten Boden in eine klebrige Blutlache. Das Wiehern eines Pferdes dröhnte in seinen Ohren. Er spürte, wie das Tier durch seine Nüstern schnaubte, und sich winzige Wassertropfen in seinem Nacken absetzten. Er schrak auf. Warf den Blick erneut über seine Schulter.

»Mama«, wimmerte seine dünne Stimme.

Vom Schlachtenlärm übertönt, blieb sie ungehört. Der braunhaarige Junge spürte das Pulsieren der Beule am Kopf, ja die zähe Flüssigkeit, die austrat und durch sein struppiges Haar kroch. Über ihn beugte sich der gewaltige Schatten eines in Dunkelheit gehüllten Reiters. Kleine Schlitze weißen Augenlichts ruhten auf dem Knaben, der sich zitternd aufzurichten suchte. Die hereingebrochene Dämmerung ließ ein Schwert aufblitzen. Der Junge war sich sicher, dass es die Furcht war, die ihn zwischen den vielen Toten festnagelte. Doch was ihn dazu veranlasste, unter dem Pferd hindurch zu tauchen und dem tödlichen Hieb zu entkommen, das konnte er zum Zeitpunkt des Geschehens nicht feststellen. Stattdessen rannte er weiter. Er schlug Haken wie ein Hase, während er sich dem Rand des Waldes näherte. Bolzen zischten an ihm vorbei. Pfeile gruben sich vor ihm in den Boden. Einzelne, sich in Verzweiflung wehrende Kämpfer, ließ er genauso wie die vielen schreienden Verwundeten hinter sich.

Ehe er den rettenden Wald erreicht hatte, blickte er noch einmal zurück. Die, die ihn verfolgt hatten, stürzten sich nun unter gellendem Jubel auf die todgeweihten Zurückgebliebenen. Sanguis sah, wie Lanzen die Unglückseligen durchbohrten, die nicht schnell genug gerannt waren. Er sah wie ein Streitkolben den Schädel eines tapfereren Landsknechtes zerschmetterte. Und wie Schwerter die Leiber der wehrlosen Verwundeten durchstießen. Bei diesem Anblick drängten sich dem elf Winter zählenden Sanguis Cor salzig schmeckende Tränen auf.

Er hatte den Wald schon längst betreten, doch noch immer trugen ihn seine dürren, aufgeschürften Beine über das Wurzelwerk der unheimlich großen Tannenbäume. Das Klappern des schartigen, und zugleich für den Knaben viel zu schweren Schwertes verklang schlagartig, als ihn grobschlächtige Hände packten.

»Wo willst du denn hin?«, hörte der Junge den Riesen unter den drei Kerlen sagen, der seinem Lauf Einhalt geboten hatte.

Nun hielt er ihn an den spitz aufragenden Schultern vor sich fest. Sanguis erkannte, dass er ein Kettenhemd trug. Es war jungfräulich, von etwaigen Kampfspuren verschont geblieben.

»Wir sind geschlagen! Ihr müsst fliehen, fliehen müsst ihr! Sie schlagen jeden tot, den sie zu fassen kriegen«, keuchte der Knabe völlig außer Atem.

Aus angsterfüllten Augen blickte er sie an.

»So, so«, entgegnete der Zweite, der einen dicken Lederharnisch trug.

Zwar wies er Schnitte und Kerben in seiner Oberfläche auf, doch der blutbesprenkelte Junge störte sich an ihrer Sauberkeit. Sanguis spürte mit einem Mal, wie der Riese seinen Griff löste, den Helm absetzte und ihn unter den Arm klemmte. Sein kantiges, von dunklen Flecken verunstaltetes Gesicht beugte sich zu ihm herunter. Der Braunhaarige sah sich plötzlich mit unheimlich großen, schwarzen Augen konfrontiert.

»Soldaten fliehen nicht, Knirps«, betonte der Riese, »denn auf Fahnenflucht steht standrechtlich der Tod.«

Sanguis überkam ein kalter Schauer. Ihm schien, als loderten die Pupillen seines Gegenübers auf. Aus dem Augenwinkel erkannte er einen Dritten, der sich aus dem Hintergrund näherte.

»Sag‘, bist du geflohen, Rotznase?«, fragte der Schwarzäugige, dessen Gesicht von den Schatten nur noch unheimlicher wurde.

»Nein«, stotterte der Junge.

Dann erfasste ihn ein erschütternder Ruck, der ihn auf die Knie zwang.

»Du lügst«, brüllte ihn der Dritte mit einer ungewöhnlich hohen Stimme an.

Eine Ohrfeige presste dem Knaben den Kopf schmerzhaft zur Seite. Tränen bahnten sich ihren Weg nach unten. Eine Hand des Riesen tastete nach dem Schwertknauf.

»So jung und schon ein Deserteur«, urteilte der Soldat im Lederharnisch, indem er kräftig mit dem Kopf schüttelte.

Diesem Schuldspruch nicht genug, musste Sanguis plötzlich auch noch bemerken, dass an der Stelle, wo er den Greif seines Landes auf den Rüstungen suchte, die Konturen eines ganz anderen Wesens Einzug hielten. Auch wenn er es in der Dunkelheit nicht genauer erkannte, seine wässrigen Augen ließen doch keinen Zweifel darüber offen, dass die Kerle nicht zu Crests Armee gehörten. Sondern zu der der Feindes.

Panik erfasste den Jungen. Wieder vermochte er nicht zu sagen, ob es die Angst oder etwas anderes war, das ihn die Initiative ergreifen ließ. Er wand sich aus dem Griff und sprang unerwartet auf. Der Stoß, welcher den Schwarzäugigen traf, genügte, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er kippte nach hinten. Ohne schützenden Helm krachte er auf einen scharfkantigen Fels, der den Hinterkopf krachend spaltete. Während der Dritte zu Boden stürzte und fluchend feststellte, dass sein Kamerad tot war, schleuderte eine Faust den Jungen unbarmherzig zu Boden. Mehrere Schläge ließen sein Gesicht in kürzester Zeit anschwellen. Die Tritte gegen die Bauchdecke und die Lunge ließen den Elfjährigen erst keuchen, dann würgen.

»Du kleiner Bastard! Ich werde dir die Augen ausstechen«, drohte der Mann im Lederharnisch.

Wutentbrannt warf er sich auf die magere Gestalt des Knaben, würgte, schlug und trat ihn auf derart brutale Weise, dass Sanguis das Bewusstsein zu verlieren drohte. Als er den Dolch zog, um seine Drohung wahr zu machen, schnappte jemand nach seinem zielsuchenden Handgelenk.

»Warte. Diese Mistgeburt hat etwas ganz anderes verdient«, meldete sich der ehemals Dritte zu Wort, nachdem er die Geldkatze des Verstorbenen in seiner Hose hatte verschwinden lassen, »statt eines gnädigen Todes zu sterben, soll er an einem qualvollen Leben verrecken.«

Das anfängliche Grinsen wuchs sich zu einem höhnenden Gelächter aus, nachdem der Schläger verstanden hatte, worauf sein Kamerad anspielte. Dann packte der Wutentbrannte den regungslosen Jungen unter der Achsel und schleifte ihn weiter in den Wald.

»Diesen Schlamassel hast du dir selbst zuzuschreiben. Jetzt, du Rotznase, geht es für dich mit Empfehlungsschreiben unseres Königs zum Toten Haufen«, verhieß ihm der Mann.

Doch Sanguis, benommen von der malträtierenden Gewalt, wollte nur aufwachen. Aufwachen aus einem Albtraum. Aus einem Albtraum, der keiner war.

Der Wolf der Wölfe

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