Читать книгу Die dreizehn Fenster - Andrea Lieder-Hein - Страница 5
Kapitel 3 Hochzeitstag
ОглавлениеLeefke nickte zufrieden. Der Tisch war gedeckt, fünf rote Rosen standen auf dem Tisch, der Wein war eingeschenkt und das Essen stand in der Küche bereit.
Es war ihr fünfter Hochzeitstag und sie hatte sich große Mühe gegeben, denn es war ein ganz besonderer Tag. Diesmal hatte sie eine umwerfende Überraschung für Joost, aber die bekam er nicht an diesem Tag, nein, die bekam er erst in der folgenden Woche. Da hatten sie beide nämlich Geburtstag, beide am gleichen Tag. Das war unheimlich praktisch, denn dann vergaß keiner von ihnen den Geburtstag oder den Hochzeitstag, der nur vier Tage früher war.
Als sie Schritte hörte, rannte sie zur Tür. „Joost, herzlichen Glückwunsch zum Hochzeitstag“ , flüsterte sie zärtlich in sein Ohr. Joost küsste sie und lachte. „Du siehst fabelhaft aus.“
Ihr Mann staunte nicht schlecht, als er den gedeckten Tisch und die Blumen sah. Vorsichtig zog er einen Umschlag aus der Tasche und legte ihn auf ihren Teller. Leefke öffnete den Umschlag und fand Tickets für eine Woche Urlaub auf der Bodensee-Insel Mainau. Sie liebte den Bodensee, denn sie war in Konstanz geboren und hatte bis zu ihrem Abitur dort bei ihren Eltern gelebt.
„Oh, DANKE, Joost!“, rief sie, „Wir beide dort, wie schön.“
Nach dem Essen zog Joost sie ins Schlafzimmer und knöpfte ihr vorsichtig die Bluse auf. „Ich habe noch etwas“, flüsterte er und während er sie weiter auszog, fischte er zwischendurch eine kleine Tüte aus der Tasche. Darin befanden sich ein süßer roter BH und ein dazu passendes Höschen.
Als er zärtlich in sie eindrang, war sie einen Augenblick versucht, ihm alles zu sagen, aber dann verkniff sie es sich doch. „Nein“, dachte sie, „erst am Geburtstag.“
Am nächsten Tag frühstückten sie gemeinsam. Danach ging Joost wie gewohnt zur Arbeit. Leefke aber nahm ihr Geheimnis aus der Handtasche, legte es in einen Umschlag, packte es hübsch ein und machte sich auf den Weg, es bis zum Geburtstag auf dem Dachboden zu verstecken.
Der Dachboden gruselte sie ein wenig, denn sie hasste es, mit dem Stab die Dachbodentreppe von der Decke zu ziehen. Wenn sie dann oben war, ging sie ungern rückwärts die Treppe wieder hinunter. Aber der Dachboden war der Ort, wo Joost wohl kaum das Geburtstagsgeschenk vermutete.
Oben schaute sie sich um und überlegte angestrengt. Wo konnte sie wohl den Umschlag verstecken? Leefke schloss die Augen und saugte tief und entspannt die Luft durch ihre Lungen. Was Joost wohl sagen würde, wenn sie ihm den Umschlag mit dem Ultraschallbild geben würde? Sophia-Marie hatte sie schon mal als Namen vorsichtig für sich ausgesucht. Es war ein Mädchen und sie war endlich schwanger. Dabei hatten sie beide schon aufgegeben. Und nun schon Ende des fünften Monats! Sie hatte gar nichts bemerkt, kein Gramm zugenommen.
Gleich hinter dem Geländer waren in einem Regal alte Aktenordner gestapelt. Da schaute Joost niemals hin. Also legte sie den Umschlag auf einen der Ordner.
Nach einem leckeren Cappuccino im Wintergarten fiel ihr ein, dass sie den hellen Anzug von Joost noch abbürsten wollte. Für ihren gemeinsamen Geburtstag. Sie liebte diesen Anzug und würde ihn bitten, ihn anzuziehen, obwohl es eigentlich ein Büro-Anzug war. Joost sah immer umwerfend darin aus.
Voller Vorfreude ging sie ins Schlafzimmer und leerte zuerst seine Jackett-Taschen. Als sie einen zusammengefalteten Zettel fand, wollte sie ihn schon ungelesen wegwerfen, aber dann erkannte sie Inkens Schrift. Was hatte Inken denn wohl ihrem Mann geschrieben? Inken war ihre beste Freundin, und zwar seit Kindesbeinen an.
Mit einem unguten Gefühl las sie den Zettel.
Hi, Joost,
ich könnte heute gegen 14:00 Uhr in der Mittagspause. Kannst Du auch? Wir treffen uns vor VW, bei den Schaufenstern. Wenn es nicht geht, simse mir, aber sei vorsichtig, dass Leefke nichts merkt. :)
Inken
Der letzte Satz traf Leefke besonders. Was sollte sie nicht merken? Je mehr sie nachdachte und je öfter sie den Zettel las, je mehr Wut stieg in ihr auf. Ausgerechnet jetzt, wo sie endlich schwanger war! Er und Inken, so ein Schwein, und das zwischen ihrem Geburtstag und Hochzeitstag! Wutschnaubend entschloss sie sich, den Umschlag wieder vom Dachboden zu holen. DAS sollte er jetzt noch nicht erfahren! Wenn überhaupt!
Sie nahm also den Stab und steckte ihn mit dem Haken in die Öse, um die Boden-Klappe herunterzulassen. Während sie noch ihre linke Hand hob, um die gelöste Treppe zu stützen, bemerkte sie, dass die Halterung nicht eingehakt gewesen sein konnte, denn die Dachbodentreppe schoss auf ihren Kopf zu. Das letzte, was ihr durch den Kopf ging, war, dass hinter ihr gleich die Treppe zum Flur war, die in einer steilen Kurve zur Haustüre hinabging. Dann spürte sie einen heftigen Stoß gegen ihre Stirn und fiel nach hinten über.
*****
Joost kam wie immer gegen 18:00 Uhr nach Hause und freute sich an diesem Tag besonders auf seine süße Frau, denn auch nach fünf Jahren liebte er sie wie am ersten Tag.
Als er die Türe öffnete, lag Leefke am Fuße der Treppe in einer großen Blutlache. Wie von Sinnen griff Joost nach seinem Handy und rief den Rettungswagen. Aber es war zu spät. Seine geliebte Leefke hatte sich bei dem Sturz von der Treppe das Genick gebrochen. Sie war schon seit Stunden tot.
Nachdem der Krankenwagen wieder abgefahren war und die Polizei ihre Arbeit getan hatte, war es totenstill im Haus. Joost kämpfte mit Wut, Hass, Verzweiflung und vor allem mit der Frage: WARUM? Was wollte sie auf dem Dachboden? Der Frage wollte er nachgehen.
Mühselig und mit Tränen in den Augen ging er die Treppe hoch, öffnete die von der Polizei wieder verschlossene Dachbodentreppe und sah sich um. Er konnte nichts finden. Nichts in den Schränken, nichts bei den Koffern, nichts auf dem Tisch. Als er schon im Hinuntergehen war, fiel sein Blick auf einen bunten, hübsch eingepackten Umschlag. Ob es das war? Joost nahm ihn von den alten Ordnern im Regal und setzte sich in die Küche. Fast ängstlich öffnete er den Umschlag und schaute fassungslos auf das Ultraschall-Bild eines Babys. Er konnte die Nase schon erkennen, das kleine Gesicht, der Daumen am Kinn. Das Baby, sein Baby? Ihr gemeinsames Wunschkind? Er hatte also an diesem Tag Frau und Kind verloren. Durch einen Vorhang von Tränen las er auf dem Umschlag in rot die Worte „Sophia-Marie“.
Der Gong an der Tür rief ihn in die Wirklichkeit zurück. Langsam schleppte er sich zur Tür und öffnete sie. Vor ihm stand Inken mit fröhlichem Gesicht. „Hey, Joost, was ist? Ich hab den Autoschlüssel dabei, schön eingepackt für Leefke. Den kleinen schwarzen Fox habe ich in unserer Garage geparkt, damit Leefke ihr Geschenk nicht vor ihrem Geburtstag sieht. Was ist los, Joost, weinst Du?“