Читать книгу Du darfst nicht sterben - Andrea Nagele - Страница 16
ANNE
Оглавление»Was hältst du davon, wenn wir später Brüder heiraten?«, fragte Lili mich einmal in der Grundschule. »Oder besser noch andere eineiige Zwillinge? Wir bauen unsere Häuser nebeneinander, natürlich an einem See, und bekommen gleichzeitig unsere Babys.«
»Meine Idee ist besser«, sagte ich damals. »Wir wohnen gemeinsam in einem Haus und haben nur einen Mann, den wir uns teilen. Ist doch praktischer so.«
Lili, die normalerweise länger braucht, um auf Touren zu kommen, verstand blitzschnell: »Und nur eine von uns muss ein Kind bekommen. Ja, da bin ich dabei.«
Das Flurlicht ist gedimmt – es ist ja schon spät. Trotzdem erkenne ich ihn sofort. Schnellen Schrittes geht er über den Teppichläufer, dessen Farbe sich mit dem Blau seines Anzugs beißt. Er hält den Kopf gesenkt. Auch als er ihn hebt, bemerkt er mich nicht. Erst als ich »Paul« flüstere, bleibt er ruckartig stehen, und das Lächeln, das eben noch auf seinem Gesicht zu sehen war, macht einem überraschten Ausdruck Platz.
»Anne?« Es klingt nicht freundlich.
Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und hauche einen Kuss auf seinen Hals. Er riecht himmlisch.
»Das ist keine gute Idee.«
»Nein?«
»Nein.« Verärgert schiebt er mich weg.
Ich lehne mich gegen die Wand, strecke mich und verschränke die Beine. Es ist eine gute Methode, das Kleid höherrutschen zu lassen und dabei elegant auszusehen. Sofort wandert sein Blick zu meinen Oberschenkeln in den durchsichtigen Strümpfen und verweilt dort, wo man neben dem Strumpfband einen Streifen nackte Haut sieht.
»Du warst es doch, der sich gefreut hat, dass es uns im Doppelpack gibt.«
»So war das nicht gemeint.« Unsanft geht er um mich herum zu seiner Zimmertür und hält die Schlüsselkarte an den Scanner.
»Paul, ich möchte doch nur unser Gespräch vertiefen, an einem ruhigeren Ort. Lärm bereitet mir Kopfschmerzen«, sage ich unschuldig.
Bin ich verliebt? Ich weiß es nicht. Alles, was ich weiß, ist, dass ich ihn haben will.
Die Tür schwingt auf, und er stößt mich ins Zimmer. Der Raum ist dunkel. Nur die Bettwäsche leuchtet weiß. Paul packt mich grob an den Schultern, dreht mich zu sich. Er starrt mich an.
»Hast du kein Ehrgefühl in dir?«
»Ist Ehrgefühl eine Grundvoraussetzung, um Sex zu haben?«
Paul murmelt etwas, das schwer nach Zustimmung klingt. Ich aber lächle im Dunkeln, denn sein Atem geht schnell.
Schon zieht er an meinem Kleid, und ich hoffe, dass es nicht reißt, der Stoff ist so fein. Mein bestes Stück, helles Gold auf gewirkter Seide.
Seine Hände fassen den Saum der Strümpfe, er rollt sie über meine Oberschenkel und Knie. Den Slip zerrt er hastig zur Seite. Er drängt mich zum Schreibtisch, hebt mich hoch, setzt mich auf die Tischplatte. Die Pumps fliegen unter mir weg. Er küsst mich, sein Mund verschließt meinen ganz, packt mich mit beiden Händen, macht mein Dekolleté frei, küsst meine nackten Brüste.
Ich höre eine Naht meines Kleides platzen, aber ich fühle mich wie in Trance. Alles außer ihm ist gleichgültig geworden.
»Du bist ein böses Mädchen«, flüstert er wenig später in mein schweißnasses Haar. »Ich glaube, ich mag dich nicht.«
»Dann ist ja alles in bester Ordnung.«
Vor dem Fenster herrscht Schneetreiben, und ich versuche mich krampfhaft daran zu erinnern, ob er ein Kondom übergezogen hat.
Benommen rutsche ich vom Schreibtisch und reinige mich oberflächlich im Badezimmer. Im Spiegel begegnet mir der Blick meiner grünen Augen über der verschmierten Wimperntusche, und ich sehe erschrocken weg.
Zurück in seinem Zimmer, schließe ich geblendet vom Deckenlicht die Augen. Als ich sie wieder öffne, steht er vor mir und drückt mir ein Glas in die Hand.
»Trink, das wird dir guttun.« Er sagt es ohne die geringste Spur Freundlichkeit.
Wortlos stürze ich den Whiskey hinunter. Die Schärfe des Alkohols nimmt mir den Atem.
Ich schlüpfe in meine Pumps, richte mein Kleid, glätte mein Haar und schlinge es zu einem losen Knoten. Die Strümpfe lasse ich in seinen Papierkorb fallen.
»Alles ist wieder, wie es sein sollte. So wolltest du es doch, oder irre ich mich?« Seine Stimme ist samtweich, aber seine Augen funkeln wie Murmeln aus Glas.