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Getriebener Schöngeist

Johann Joachim Winckelmann

Name: Johann Joachim Winckelmann

Geboren: 9. Dezember 1717 in Stendal

Gestorben: 8. Juni 1768 in Triest

Tätigkeiten: Archäologe, Antiquar, Kunstschriftsteller

Besonderheit: Vater der wissenschaftlichen Kunstgeschichte

Winckelmann gilt als Begründer der Archäologie als Wissenschaft, indem er das bis dahin vorherrschende reine Kunstsammeln auf ein festes theoretisches Fundament setzte. Viele Archäologen und Kunsttheoretiker haben sich seither auf ihn berufen.

Wer war das?

Winckelmann war der Sohn eines einfachen Schuhmachers in Stendal, durfte aber die Lateinschule besuchen. Aufgrund seiner umfassenden Interessen eignete er sich – größtenteils im Selbststudium – eine große Allgemeinbildung an. Auch seine Studienfächer zeigen eine breite Themenpalette: Theologie, Hebräisch, Griechisch, Geschichte, Recht, Medizin, Mathematik. Die Altertumskunde kam hier zunächst nur am Rande vor. Er nahm eine Stelle als Hauslehrer an, die ihm die Möglichkeit gab, seine Studien weiter zu vertiefen. Am liebsten las er griechische Klassiker wie Homer und Sophokles sowie europäische Schriftsteller wie Montaigne.

1743–1748 war Winckelmann Konrektor an der Lateinschule in Seehausen, konnte dem Lehrerdasein aber nicht wirklich etwas abgewinnen: „Ich habe den Schulmeister mit großer Treue gemacht.“ 1748 wurde er dann „dritter Bibliothekar“ des Grafen von Bünau in der Nähe von Dresden, wo er neben reinen Katalogarbeiten in der über die Landesgrenzen hinaus berühmten Bibliothek auch Auftragsarbeiten wie historische Zusammenstellungen schrieb (Geschichte der Ottonen).

„Nichts hatte dieser Mensch auf seinen Lebensweg mitbekommen als sich selber.“

Ludwig Curtius über J. J. Winckelmann

Die Nähe zum Dresdener Hof machte sich bald bezahlt, da Winckelmann dort eine Vielzahl wichtiger Kontakte knüpfen konnte. Entscheidend für seine Zukunft wurde seine Begegnung mit dem späteren römischen Kardinal Archinto, der ihm nahelegte, mit nach Italien zu kommen. Er wechselte sogar die Konfession und wurde Katholik, um diese Chance wahrnehmen zu können – und er lernte zu zeichnen. Nach ersten schriftstellerischen Erfolgen erlangte er ein Stipendium des sächsischen Königs, mit dessen Hilfe er sich 1755 nach Rom aufmachte. Dort angekommen, wurde er schnell in die künstlerischen Kreise eingeführt und von verschiedenen Kardinälen gefördert. Er erhielt einen Bibliothekarsposten an der Apostolischen Kanzlei der Cancelleria und wurde schließlich zunächst Schreiber der Vatikanischen Bibliothek, dann Präsident der stadtrömischen Altertümer. Der preußische König wollte ihn nach Deutschland zurückholen, indem er ihm eine Stelle in Berlin anbot, doch Winckelmann lehnte ab, hatte er doch in Rom seinen wahren Lebensmittelpunkt gefunden. Kurz vor seinem Tod wollte er noch einmal seine Heimat besuchen, machte aber angewidert schon in Bayern kehrt und reiste über Wien zurück nach Italien, wo er sein vorzeitiges Ende fand.

Menschliches …

Winckelmann hatte offenbar ein gesundes Selbstvertrauen, das er mit seiner niedrigen Herkunft auch dringend benötigte. Er selbst hielt sich für einen hervorragenden Forscher, während alle anderen bestenfalls Dilettanten waren. Eitel und selbstverliebt wie er war, stimmte er einmal dem Diplomaten und Kunstsammler William Hamilton ohne zu zögern zu, als der sein klassisches Profil rühmte. Dagegen war er ungern bereit, Fehler einzugestehen. Er hat Großes geleistet, aber er wusste es auch und gab sich entsprechend arrogant. „Einer sich häutenden Schlange gleich kaufte Winckelmann sich jedesmal neue Garderobe, wenn er in einen neuen Lebensabschnitt eintrat“ (Wolfgang Leppmann).

1768, auf der Rückreise vom abgebrochenen Heimatbesuch, wurde Winckelmann unter mysteriösen Umständen in Triest ermordet. Über diesen Mord wurde und wird noch immer spekuliert. Während manche annehmen, die Tat könne etwas mit seinen homosexuellen Neigungen zu tun haben, erklären andere sie mit der simplen Geldgier seines Zimmernachbarn. Was wirklich das genaue Motiv war und wie der Mord ablief, wird wohl nie genau zu klären sein. Der Mörder wurde jedenfalls überführt und durch Rädern (!) hingerichtet. Schon wenige Jahre später war die Affäre vergessen, so dass der deutsche Reiseschriftsteller Johann Gottfried Seume 1802 im selben Hotel in Triest übernachten konnte, ohne etwas von Winckelmann oder dem Mord zu erfahren.

Was hat er geleistet?

Winckelmanns erstes Werk, die „Gedanken über die Nachahmung der Griechischen Werke in der Malerei und Bildhauer-Kunst“ (1755), wurde schnell populär, war aber auch – scheinbar – umstritten, denn das kritische „Sendschreiben ...“, das im Jahr darauf unter falschem Namen erschien, war von ihm selbst zu Werbezwecken verfasst worden. Wieder unter eigenem Namen antwortete er darauf mit den „Erläuterungen ...“ Er behandelt darin den von ihm postulierten Vorbildcharakter der griechischen Kunst und das Problem der richtigen und falschen Ergänzungen fragmentierter Statuen. Dabei kombinierte er literarische und archäologische Quellen, auch unter Einbeziehung der Kleinfunde und besonders der Gemmen, und entwickelte daraus eine völlig neue Kunsttheorie. Allerdings kannte er ausschließlich römische Kopien, so dass er die richtigen Schlüsse aus den falschen Voraussetzungen zog. In der Epoche zuvor hatte man ausschließlich Einzelbetrachtungen von Kunstwerken mit einem Schwerpunkt in der Ikonografie betrieben und sie mit den Schriftquellen zu parallelisieren versucht.

Winckelmanns Aufenthalt in Rom half ihm, diese Gedanken zu vertiefen und zu präzisieren. 1764 erschien seine „Geschichte der Kunst des Altertums“, die einen rein subjektiven und darum sinnlichen Zugang zur antiken Kunst thematisierte. Sein bis heute oft zitierter Leitsatz der „edlen Einfalt, stillen Größe“ führte also ausgehend von einer falschen Idee zum tiefgreifenden Einfluss auf den beginnenden, auf die klassische Antike fixierten Klassizismus (ca. 1770–1830). Auch die Weimarer Klassik mit Schiller und Goethe war sehr von Winckelmann geprägt – insbesondere Goethe kannte dessen Schriften genau und äußerte sich über sie 1805 in seinem Aufsatz „ Winckelmann und sein Jahrhundert“. In seinen Werken entwickelte er den Winckelmann’schen Ansatz der reinen Nachahmung des Griechischen später weiter und arbeitete auch moderne humanistische Ansätze ein.


Der Antiquar Johann Joachim Winckelmann arbeitet im pelzverbrämten Mantel an seiner antiken Kunstgeschichte. Gemälde von Anton von Maron, 1768, Staatliche Galerie Moritzburg, Halle/Saale.

„Edle Einfalt, stille Größe“

Für Winckelmann war es die vorrangige Aufgabe der Kunst, Schönheit darzustellen. Hierfür fand er die Formel „edle Einfalt, stille Größe“, welche er dem Überladenen und Allegorischen des Barock und Rokoko entgegenhielt. Er verklärte das „Schöne“ an sich, ging aber dabei von der falschen Annahme aus, die antiken Statuen seien „weiß“ oder unbemalt, also „hell“ gewesen, was ihren Eindruck auf den Betrachter sehr verändert. Der Nachweis der ursprünglichen Farbigkeit antiker Statuen durch erhaltene Farbreste gelang erst später.

Winckelmanns Veröffentlichung unbekannter Denkmäler war jedoch weniger für die noch kaum existente archäologische Wissenschaft gedacht, sondern für bildende Künstler zur Bereicherung ihres Formenkanons. Ironischerweise wurden die Denkmäler aber im Laufe der Zeit viel mehr von der Archäologie rezipiert als von der Kunst und waren richtungsweisend für die sich entwickelnde Klassische Archäologie des 19. und 20. Jhs. Eine der wichtigsten Fragestellungen war dabei der Versuch einer Rückführung römischer Plastiken auf griechische Originale und das Ausfindigmachen von Vorbildern oder Anregungen aus der Mythologie oder Literatur. Somit ist Winckelmann der Begründer der wissenschaftlich betriebenen Kunstgeschichte und ihrer bis heute gültigen Methodik. Entscheidend war zudem sein revolutionärer kulturtheoretischer Entwurf, wonach in jeder Hochkultur die Abfolge Aufstieg – Blüte – Niedergang zu beobachten ist.

Er leistete auch Pionierarbeit bei der Unterteilung der klassischen Kunst und war der erste, der überhaupt „griechisch“ von „römisch“ unterschied. Er erstellte folgende Zeitstufen: Archaik, Frühklassik, Spätklassik, Hellenismus, Spätantike (inkl. Römerzeit). Dabei galt ihm die griechische, insbesondere die klassische Kunst des 5. und 4. Jhs. v. Chr. als das Maß aller Dinge, nach der nur noch Degeneration folgen konnte. Neu war außerdem die Forderung, zum Verstehen einer antiken Kultur all ihre Relikte heranzuziehen und sich nicht nur auf Literatur und Philosophie zu beschränken.

Insgesamt dreimal (1758, 1762, 1764) besuchte Winckelmann Pompeji und Herculaneum, die damals gerade erst entdeckt worden waren (Herculaneum 1709, Pompeji 1748) und die durch ihren Fundreichtum die Sicht auf die römische Antike in völlig neue Bahnen lenkten. Darüber hinaus besuchte er weitere antike Stätten und Privatsammlungen, was ihm aber oftmals von den Ausgräbern oder Sammlern erschwert wurde, die „ihre“ Antiken eifersüchtig bewachten. Dass er in solchen Fällen dann seine Beziehungen spielen ließ, um dennoch Zugang zu erhalten, machte ihn in diesen Kreisen nicht beliebter, ebenso wenig seine oft harsche Kritik an ihren Methoden, die der bereits in wissenschaftlichen Maßstäben denkende Winckelmann lautstark äußerte. Die Dilettanten sahen ihn als Bedrohung und fürchteten um ihre Position.

Was bleibt?

Durch seine völlig neue Sicht auf die antike Kunst, die er nach neu entwickelten Kriterien beschrieb und als Erster in Epochen einordnete, gab Winckelmann nicht nur Anregung für den Klassizismus, der ohne ihn so nicht stattgefunden hätte, sondern auch für die Entwicklung der verschiedenen archäologischen und kunsthistorischen Disziplinen. Trotz mancher Irrtümer ist seine Pionierarbeit aus der europäischen Kunstgeschichte nicht wegzudenken. Goethe nimmt etwa in seiner „Italienischen Reise“ häufig Bezug auf Winckelmann und setzte sich sein Leben lang intensiv mit ihm auseinander.

Die Winckelmann-Gesellschaft in Stendal wurde 1940 im Andenken an Winckelmanns Leistungen gegründet. Sie unterstützt Forschungen zu dessen Person, zur Kunst- und Wissenschaftsgeschichte und betreibt ein eigenes Museum in der Geburtsstadt des Gelehrten.

Archäologen

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