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Fasziniert von der Antike und vom Karneval

Sibylle Mertens-Schaaffhausen

Name: Sibylle Mertens-Schaaffhausen

Geboren: 29. Januar 1797 in Köln

Gestorben: 22. Oktober 1857 in Rom

Tätigkeiten: Antiquarin, Sammlerin

Besonderheit: Erste Frau in Deutschland, die eine eigene Antikensammlung anlegte

Sibylle Mertens-Schaaffhausen war eine der ersten anerkannten Sammlerinnen in Deutschland und Zeitgenossin Goethes. Dass sie darüber hinaus auch ein bewegtes, von Tragik nicht freies Leben hatte, ist jedoch nur wenigen bekannt. Gerade in den letzten Jahren erweckte ihr ungewöhnliches Schicksal das Interesse vor allem der Frauenforscherinnen – zwei Monografien über sie sind in Vorbereitung.

Wer war das?

Die oftmals die „Rheingräfin“ genannte und in Köln geborene Tochter eines reichen Ratsherren und Bankiers verstand sich durchaus als „Kind aus dem Volke“, auch wenn ihr Leben sich von dem des Volkes durchaus unterschied. Von Seiten ihrer Mutter hatte sie einfache Schiffer als Vorfahren, doch diese verstarb bereits bei Sibylles Geburt und ihr Vater gab den Säugling bei seiner Nichte ab, bis er nach drei Jahren erneut heiratete. So konnte sie nie ein inniges Verhältnis zum Vater oder zur Stiefmutter aufbauen, insbesondere weil bald fünf Halbgeschwister die Aufmerksamkeit der Eltern auf sich zogen. Sibylle fühlte sich Zeit ihres Lebens als Außenseiterin und bekannte sich später durch ihre unkonventionelle Lebensweise auch dazu.

Nach ihrer 1816 arrangierten Heirat mit einem Teilhaber ihres Vaters war Sibylle vor allem Gattin und Mutter von insgesamt sechs Kindern. Es war diese sehr unglückliche Ehe mit einem aufbrausenden und zur Gewalt neigenden Mann, die Sibylle den Kontakt zu vielen (auch intimen) Freundinnen suchen ließ, anstatt sich ihm anzupassen. Er hasste die Freundinnen und sie ihn – bis zu seinem Tod 1842. In ihren späteren Jahren lebte sie in Italien, vor allem in Rom, wo sie auf dem Campo Santo Teutonico begraben liegt.


Verträumt und jugendlich. Zeichnung von Ludwig Krevell.

Antikenbegeisterung bis über den Tod hinaus

Sibylle war kulturell und musisch sehr engagiert und beispielsweise erstes weibliches Mitglied des Vereins der Altertumsfreunde im Rheinlande sowie Mitbegründerin des Kölner Dombauvereins. Daneben förderte sie auch den Kölner Karneval, an dem sie als Tochter der Stadt mit Begeisterung teilnahm. Sie sprach zum Unmut ihres Gatten mit Vorliebe Kölner Platt, das sie als Kind ebenso gelernt hatte wie Französisch und Italienisch und nun an ihre Kinder weitergab.

Ihr Haus war Treffpunkt eines wissenschaftlich-künstlerischen Salons ähnlich dem, den ihr Vater früher abgehalten hatte. Dort trafen sich Wissenschaftler, Künstler, Schriftsteller und Politiker weit über das Rheinland hinaus. Sibylle orientierte sich an den Winckelmann’schen Idealen: Antike war ihr Leben, nicht nur der Spleen einer unausgefüllten reichen Dame. Man spielte beispielsweise antike Spiele nach, stellte Tableaux vivants (lebende Bilder) zusammen und kostümierte sich. Doch es gab auch ernstere Seiten: Nach dem Tod ihrer langjährigen engen Freundin Adele Schopenhauer verbrannte Sibylle deren Habseligkeiten „nach römischer Art“ in ihrem Garten:

„Am 29. ließ ich einen Wachholderbaum in meinem Garten fällen und auf dem kleinen Hügel baute ich einen Scheiterhaufen, worauf ich ihre falsche Haarflechte, ihre Öle, Pommaden, Kämme, Schwämme, Essenzen, Räucherwerk, die Rosenbouquetts, die bei ihrer Leiche gestanden, verbrannte. Zuletzt aus dem Garten Zweige von ihren liebsten Pflanzen und Bäumen, ein paar Trauben, eine Feige und einen Epheuzweig. Die Weinreste aus den Flaschen, woraus man sie in den letzten Tagen gelabt, löschten die Asche, die unter dem Rasen meines Gartens dann begraben wurde. Es war in ihrem Sinne: wer wird für meine Bestattung Sorge tragen?“

Trotz der vergleichsweise unglücklichen Kindheit vergötterte Sibylle ihren Vater von klein auf und übernahm seine Interessen. Abraham Schaaffhausen war selbst Sammler und hatte Kontakte zu allen wichtigen Museen und Altertumskundlern. Einer seiner engsten Freunde war der berühmte Ferdinand Franz Wallraf, der so etwas wie Sibylles Mentor wurde. Zusammen mit ihrem Vater war sie oft bei Wallraf zu Gast, der sie mit römischen Münzen beschäftigte, die er ihr gelegentlich auch schenkte und so den Grundstock zu ihrer Münzsammlung legte. Einmal soll er sogar an der kleinen Sibylle die auf einem Münzbild dargestellte Frisur der Kaiserin Agrippina ausprobiert haben – einen Friseur brachte er zu diesem Zwecke gleich mit. Sie sammelte immer gezielt und las einschlägige Fachliteratur, die sie ebenso sammelte wie die Antiken selbst. Darüber hinaus machte sie, wie man heute sagen würde, „Baubeobachtungen“ in Köln und rettete dabei zahlreiche provinzialrömische Funde.

„Es ist mir, als tauchten überall Erinnerungen in mir auf, [...] es klingen überall Töne an meine Seele, denen ein verwandter Ton aus meinem Innern antwortet.“

Sibylle über ihre Beziehung zur Antike

Was hat sie geleistet?

Die Mehrzahl ihrer Antiken stammte aus dem Kunsthandel, genauso wie ihre Gemälde und die Kollektion orientalischer Waffen. Ihr Sammlungsschwerpunkt lag jedoch – wie so oft in dieser Zeit – auf Münzen und Gemmen. Mit 1876 Stück war Sibylles Gemmen- und Kameensammlung eine der größten in Europa, dazu kamen zahlreiche Glaspasten, die billigeren Imitationen der Gemmen. Kernstück war die im 17. Jh. zusammengetragene Sammlung des Nürnberger Patriziers Praun mit über 1000 Stück, die Sibylle 1839 erworben hatte. Größer war nur die Sammlung Stosch mit 3444 Stück.

Gemmen – Antike im Kleinformat

Als Gemmen bezeichnet man Schmucksteine aus (Halb-)Edelstein, die durch Einschneiden von Motiven verziert wurden. Steine mit vertieftem Muster nennt man Intaglio (ital. „das Eingeschnittene“), solche mit erhabenem Relief Kameen. Bekannt seit altägyptischer Zeit, waren Gemmen besonders in der hellenistisch-römischen Zeit beliebt und wurden oft zum Versiegeln von Dokumenten verwendet. Warum aber waren ausgerechnet Gemmen im 18. und 19. Jh. als Sammelobjekte so begehrt? Man sah sie als Abbild der Antike im Miniaturformat. Gleichzeitig bewunderte man die technische Herausforderung – es galt als ein Zeichen besonderer Bildung, sich mit Gemmen beschäftigen zu können und aus ihnen quasi eine Enzyklopädie der Antike zusammenzustellen, wobei man sich am Winckelmann’schen Katalog orientierte. Gemmensammler waren ein elitärer Kreis von Sammlern, die untereinander tauschten, fachsimpelten und korrespondierten (es war Mode, die Briefe mit neu erworbenen Gemmen zu versiegeln). So bildet die Gemmenkunde den Ursprung aller Kleinfundforschung und wurde zum adeligen Hobby der Zeit. Winckelmann versprach sich etwa von der Bearbeitung der Sammlung Stosch berufliches Weiterkommen, denn wer sich mit Gemmen auskannte und es bewies, hatte gute Anstellungschancen.

Sibylle bekam über die Gemmen beispielsweise Kontakt zu Goethe, der selbst nur etwa 60 Exemplare besaß, aber einige ihrer Stücke begutachtete. Eine weitere Bekanntschaft war Philipp Houben in Xanten, einer der bedeutendsten Sammler des Rheinlandes, der wohl ebenfalls mit ihr tauschte oder ihr Xantener Stücke verkaufte. Sibylle wurde so im Laufe der Jahre zu einer ausgewiesenen Expertin auf dem Gebiet, die auch von ihren männlichen Kollegen anerkannt wurde. Sie publizierte immer wieder kleinere Aufsätze, ein geplanter Gesamtkatalog konnte jedoch nie realisiert werden. Zudem hielt sie – vollkommen ungewöhnlich für eine Frau ihrer Zeit – Vorträge, in denen sie besondere Stücke ihrer Sammlung besprach, so im Vorläufer des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) in Rom, dem Instituto di Corrispondenza Archaeologica. Zur Vergrößerung ihrer Sammlung pflegte Sibylle Kontakte zum stadtrömischen Kunsthandel, der damals europaweit tätig war und über den sie gezielt kleinere Sammlungen aufkaufte. Eine besonders gute Möglichkeit, um Gemmen zu erwerben, boten die Mittelmeerhäfen: Genua, wo Schiffe aus Nordafrika anlandeten, Marseille, aber auch und vor allem Rom und Neapel, wo sie sich regelmäßig aufhielt. Andere, nichtgemmenkundliche Entdeckungen begeisterten sie weniger, so dass sie sie männlichen Kollegen zur Publikation überließ. Anderes blieb aus familiären und gesundheitlichen Gründen liegen und wurde überhaupt nicht mehr ausgearbeitet.

Was bleibt?

Sibylle betrachtete die Antiken generell als Allgemeingut der Menschheit, nicht als Privatbesitz. Deshalb sollte ihre Sammlung nach ihrem Willen einmal in öffentlichen Besitz übergehen. Doch dem sollte nicht so sein – nach dem Tode ihres Mannes war sie gezwungen, einen Teil ihrer Sammlung zu verkaufen, um dessen Erben ausbezahlen zu können, mit denen sie in bitterem Streit stand. Schließlich verkaufte sie sogar ihre rheinischen Immobilien und zog auf Dauer nach Rom. Sofort nach ihrem Tod versteigerten ihre Erben die restliche Sammlung, die auseinandergerissen wurde und heute nicht mehr verifizierbar ist. So bleibt nur die Erinnerung an diese ungewöhnliche Frau voller revolutionärer Ideen.

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