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Giovanni Battista und Sarah Belzoni
ОглавлениеName: Giovanni Battista Belzoni | Sarah Belzoni, geb. Bane | |
Geboren: 15. November 1778 in Padua | ??? | |
Gestorben: 3. Dezember 1823 in Gwato/Benin | 1870 | |
Tätigkeiten: Zirkusartist, Erfinder, Raubgräber | Artistin, Abenteurerin | |
Besonderheit: Begründer der wissenschaftlichen Ägyptologie |
Giovanni Belzoni ist eine Ausnahmeerscheinung in der frühen Geschichte der Archäologie. Wer war dieser großsprecherische italienische Zirkusartist, den es nach Ägypten verschlug und der dort durch planmäßiges Rauben von Antiken bekannt wurde? Brian Fagan nennt ihn jedenfalls den „größten Plünderer von allen“.
Wer war das?
Belzoni stammte aus Padua in Oberitalien, wo sein Vater als Barbier tätig war. Nach dem Willen seiner Eltern sollte der junge Giovanni Priester werden, doch dafür konnte er sich ebenso wenig begeistern wie für die Aussicht, bis ans Ende seiner Tage im Laden seines Vaters Haare zu schneiden. Da er für das späte 18. Jh. mit fast zwei Metern Körpergröße ein Hüne war, fühlte er sich zu Höherem berufen. Begeisterungsfähig wie er war, mischte er sich als junger Mann in die Lokalpolitik ein und musste daraufhin Padua fluchtartig verlassen. Als ihm auch noch die Einberufung in die napoleonische Armee drohte, drehte er Italien ganz den Rücken zu und ging nach Holland. Dort beschäftigte er sich zunächst mit seiner Leidenschaft, der Hydraulik, doch schon bald setzte er über den Ärmelkanal nach England über. Auf der Insel fand er eine bei seiner Statur naheliegende Tätigkeit – er arbeitete unter verschiedenen Künstlernamen als „Starker Mann“ im Varieté. Dieser „patagonische Samson“ oder „französische Herkules“, der ohne Mühe mehrere Männer durch die Manege tragen konnte, war bald in ganz England sehr populär. Neben dem Gewichtheben zeigte er auch andere Tricks wie exotisch gefärbte Wasserspiele und entlockte einer Glasharfe Töne. Vielleicht übte gerade dieser offensichtliche Widerspruch seinen besonderen Reiz auf das Publikum aus. Wenn erwünscht, trat er auch als Schauspieler auf, etwa in Tableaux vivants, lebenden Bildern mit biblischen Szenen, die im 19. Jh. sehr beliebt waren.
Belzoni fand eine Ehefrau, Sarah, die ihm später auch in Ägypten auf vielfältige Weise half, und ging mit ihr und seiner Nummer auf Tournee, die ihn bis nach Spanien und Portugal führen sollte. Auch auf Malta machte er Station, wo er durch Zufall dem Mann begegnete, der sein ganzes Schicksal in neue Bahnen lenkte: dem Gesandten des ägyptischen Paschas. Dieser berichtete Belzoni davon, dass sein Herrscher immer auf der Suche nach technischen Neuerungen sei, mit deren Hilfe er sein Land auf den modernen Stand bringen wollte (auch wenn die meisten seiner „Neuerungen“ im wahrsten Sinne im Sand verliefen). Belzoni witterte seine Chance und pries dem Gesandten ein revolutionäres Wasserrad an, das er erfunden hatte und das die Feldarbeit um ein Vielfaches würde rationalisieren helfen. Der Gesandte biss an, und die Belzonis machten sich auf den Weg nach Ägypten. Doch leider versagte der mühsam hergestellte Prototyp des Wasserrades bei der Vorführung vor dem Pascha, und Belzoni brauchte schnell eine andere Einnahmequelle, denn die langwierigen Vorbereitungen hatten seine ganzen Reserven aufgezehrt.
Da jedoch der Pascha durchaus Gefallen am Erfinder gefunden hatte, protegierte er Belzoni und machte ihn mit einigen wichtigen Leuten bekannt. Darunter waren sowohl der englische Konsul Henry Salt als auch der Schweizer Orientreisende Johann Ludwig Burckhardt. Letzterer war so vertraut mit der orientalischen Sprache und Lebensart, dass er sich „Scheich Ibrahim“ nennen und als Einheimischer ausgeben konnte. Salt dagegen suchte gerade jemanden, der Altertümer auftreiben und für das Britische Museum nach London verschiffen konnte – Belzoni war dafür genau der richtige, und nach den ersten Erfolgen entwickelte sich eine jahrelange Partnerschaft zwischen den beiden. Doch irgendwann war Belzoni die Intrigen und Machenschaften leid und verließ Ägypten 1819/1820. Nach einem erneuten Aufenthalt in England starb er bereits 1823 auf einer spontanen Expedition nach Zentralafrika, wo er die Quellen des Niger hatte suchen wollen. Er kam aber nur bis Benin, erkrankte schwer an der Ruhr und starb. Als der englische Afrikareisende Richard Francis Burton einige Jahre später dort vorbeikam, war nicht einmal mehr sein Grab wiederzufinden.
Ein starker Charakter mit Sinn für Stil
Belzoni hatte ein für seine Herkunft und Biografie erstaunlich höfliches und zuvorkommendes Auftreten, was es ihm leicht machte, Kontakte zu neuen Auftraggebern zu knüpfen. Er war begierig nach der Anerkennung seines Publikums und wollte schließlich als Pionier der Ägyptologie wahrgenommen werden und nicht als ehemaliger Zirkusartist – dieser Teil seines Lebens wird in seinen niedergeschriebenen Erinnerungen nicht einmal erwähnt. Zugleich war er ein rastloser Charakter, zupackend und furchtlos: Mehr als einmal stellte er sich kaltblütig – und siegreich – bewaffneten Überfällen in Ägypten entgegen. Mit seiner Entscheidungsfreudigkeit schaffte er vollendete Tatsachen, während andere noch zögerten und verhandelten.
Was hat er geleistet?
Belzonis erster „archäologischer“ Auftrag galt dem „Jungen Memnon“ in Theben, dem Oberteil einer Kolossalstatue des Pharaos Ramses II., an dem alle großes Interesse hatten. Doch niemand war bisher in der Lage gewesen, den riesigen, 7 Tonnen schweren Stein auch nur zu bewegen – Belzoni aber traute sich das ohne Weiteres zu. Zwar widersetzte sich der Kopf zunächst auch seinen Transportversuchen, aber schließlich wurde er doch mit archaischen Mitteln wie Holzrollen und Seilen sowie durch die Muskelkraft von 130 Männern auf ein Schiff verladen und nach London verschickt.
„[Der junge Memnon] lächelte mich offensichtlich an, angesichts des Gedankens, nach England verschifft zu werden.“
Beschreibung des Abtransports in Belzonis Reisebericht
Nachdem dieses Problem gelöst war, belud Belzoni Schiff um Schiff mit Antiken für das Britische Museum, was ihm den Titel „Offizieller Mitarbeiter und Lieferant“ einbrachte. Das klang besser als es war, arbeitete doch Belzoni zum Selbstkostenpreis – er erhielt von Salt nur seine Auslagen zurück, aber so gut wie kein Honorar. Erst nach einigen Jahren konnte er eine schriftliche und lukrativere Einigung mit dem Konsul treffen. Im nationalistischen Wettrennen um die altägyptischen Kunstwerke hatte Belzoni mehrere entschiedene Konkurrenten, allen voran seinen Landsmann Bernardino Drovetti, der als französischer Konsul für den Louvre das tat, was Belzoni für das Britische Museum versuchte. Gerade die „Diplomaten“ waren die größten Schatzjäger und Raubgräber, waren sie doch als offizielle Vertreter ihrer Länder beim Pascha gut angesehen. Da sie neben ihrer diplomatischen Tätigkeit noch viel freie Zeit hatten, machten sie sich einen Sport daraus, ihren Konkurrenten Antiken vor der Nase wegzuschnappen. Der Pascha stand diesem Treiben eher gleichgültig gegenüber – zwar war er es, der offiziell Grabungslizenzen vergab und über die Ausfuhr von Kunstwerken entschied, doch beidem verweigerte er sich gegen entsprechend fürstliches Bakschisch selten.
Schließlich lief das „Antikengeschäft“ damals weitgehend über Bestechung ab – wer das meiste bot, bekam das Stück, denn die Einheimischen hatten nur den größtmöglichen Verdienst im Sinn. Intrigen und Betrügereien waren an der Tagesordnung, und ab und zu gab es sogar Morddrohungen oder Anschläge auf den Gegenspieler. Doch Belzoni beeindruckte die ägyptischen Fellachen allein durch seine Körpergröße und Kraft, weswegen die meisten ihn bewunderten. Im Gegensatz zu vielen anderen Europäern war er zudem in der Lage, sich in die Mentalität der Bauern einzufühlen und bot ihnen als Tauschware Spiegel oder Perlen an, denn für Geld hatten die meisten keine Verwendung. Sein Kontrahent Drovetti bot dagegen immer noch mehr Geld und konnte nicht verstehen, warum es abgelehnt wurde. Überhaupt war es nicht einfach, die Einheimischen zum Arbeiten zu bewegen, denn die hier geforderte Art „Arbeit“ ergab in ihrem Weltbild keinen Sinn und ließ die Fremden schlicht verrückt erscheinen.
Europäer plündern Ägypten
Die Europäer sahen ihre Tätigkeit im frühen 19. Jh. als ein Retten der ägyptischen Kulturgüter an. Hätten sie sie nicht für französische oder englische Museen außer Landes gebracht, wären sie auf Nimmerwiedersehen verschwunden: Verkauft oder zerstört von den Einheimischen, verschenkt vom Pascha, der zwar ein Museum für ägyptische Altertümer eingerichtet hatte, dies aber nur als Vorratslager für diplomatische Gastgeschenke nutzte. Ihr Wettrennen war auch eines gegen die ägyptischen Kalköfen, die Architekturteile von Tempeln fraßen, und gegen die ländlichen Lagerfeuer, die unablässig mit Mumienhüllen und Sarkophagbruchstücken gefüttert wurden – natürlich nachdem man diese auf der Suche nach Goldschmuck oder Papyri zuvor handlich zerkleinert hatte. Da planmäßige Archäologie damals noch nicht bekannt war, muss man dieses Argument zumindest zum Teil gelten lassen. Denn – was wäre aus dem „Jungen Memnon“ oder den Obelisken geworden, wären sie im Lande verblieben?
Immerhin verwendete Belzoni kein Dynamit, um Gräber oder Pyramiden aufzusprengen, wie es sogar ein Forscher vom Schlage eines Lepsius tat. Auch hielt er – zumindest meistens – fest, was er plünderte, und ließ von vor Ort verbleibenden Artefakten Zeichnungen oder Wachsabgüsse herstellen. So dokumentierte er das Innere des Tempels von Abu Simbel unmittelbar nach der Entdeckung und fertigte zahlreiche Aquarellzeichnungen von Fundorten und Funden an – trotz der hohen Temperaturen, die oftmals den Schweiß auf die Zeichenblätter tropfen ließen. Insofern war er durchaus auf der Höhe der Zeit und verwendete diejenigen Methoden, die die Forscher im Schlepptau Napoleons ihm vorgemacht hatten. Ob er jedoch tatsächliches Interesse an den Antiken hatte, ist unklar – wichtiger war ihm sicher der Entdeckerstolz: „Dieses außerordentliche Vergnügen, etwas zu entdecken und der Welt ein neues, perfektes Monument der ägyptischen Vergangenheit vorstellen zu können.“
Erst im Nachhinein, etwa durch Howard Carter, erhielt Belzoni dann die Anerkennung für seine außergewöhnlichen Leistungen, die ihm zu seinen Lebzeiten nicht vergönnt gewesen war. Wie jener grub auch er im Tal der Könige, wo er ein gutes Dutzend Gräber innerhalb von zwölf Tagen freilegte. Darunter war auch das Grab Sethos’ I. mit seinem wundervollen, aber leeren Alabastersarkophag – es sollte später oftmals auch als „Belzonis Grab“ bezeichnet werden. Das Grab Tutanch-Amuns verfehlte er dagegen – man muss schon sagen, glücklicherweise – nur um wenige Meter. Nicht auszudenken, was Belzoni mit dem legendären Grabschatz angestellt hätte, dessen fachgerechte Bergung Carter über 100 Jahre später für mehrere Jahre beschäftigen sollte! In diesem Fall hatte also Belzoni sein sprichwörtlich „richtiger Riecher“ nicht zum Ziel geführt. Sonst erkannte er oftmals verborgene Eingänge, die niemand zuvor entdeckt hatte, weil er sich die mutmaßliche Konstruktion des Baues vor Augen führte. Auch wenn ab und zu ein zu verladendes Stück im Nil landete, wie der Obelisk aus Philae – es wurde eben wieder herausgefischt und erreichte trotzdem sein Ziel.
Expeditionen und Ehekrisen
Belzoni reiste kreuz und quer durch Ägypten, bis weit nilaufwärts nach Nubien (Philae, Edfu, Elephantine, Abu Simbel), nach Westen in die Oase Bahariya, und er war auch der erste, der die Handelsstadt Quseir al-Qadim am Roten Meer wiederentdeckte, das antike Berenike, das damals in Europa noch so gut wie unbekannt war. Während Giovanni eifrig auf Antikenjagd war, reiste seine Frau Sarah mal eben aus Langeweile nach Jerusalem. Dort wartete sie eine Weile auf ihren Gatten, der versprochen hatte, nachzukommen, doch als er das nicht tat, kehrte sie ins Tal der Könige zurück, um im Grab Sethos’ I. geduldig auf seine Rückkehr zu warten. Ansonsten schrieb sie gelegentlich an seinen Büchern mit, half ihm aber nicht im Sinne einer Ausgräberin bei der Arbeit, wie es später beispielsweise Hilda Petrie tun sollte. Wie sie die Zeit nach seinem Tod verbrachte, ist nicht genau bekannt – jedenfalls überlebte sie ihn um 50 Jahre.
Wieder in Europa zeigte Belzoni Ausstellungen seiner Entdeckungen in London und Paris, darunter Abzeichnungen der Grabreliefs aus dem Tal der Könige. Angereichert waren diese Expositionen mit Modellen der Bauten sowie lebensgroßen Figurinen der Götter und Pharaonen. Von besonderem Interesse für das staunende Publikum waren aber altägyptische Alltagsgegenstände wie Körbe oder Schuhe – all das wurde nach Ende der Ausstellung an Interessenten verkauft. Ab und zu wurde dazwischen als Attraktion eine Mumienauswicklung durchgeführt, denn Belzoni blieb trotz aller Antikensammlerei doch immer der Showman, als der er früher so große Erfolge gefeiert hatte.
Was bleibt?
Giovanni Belzoni schrieb meist sehr schnell umfangreiche Berichte über seine Expeditionen. Diese sind lebhaft und großspurig formuliert, denn ihr Autor war nicht unbedingt der Wahrheit verpflichtet. Gerade deshalb sind sie sehr amüsant zu lesen, etwa wenn er beschreibt, wie der Staub von Mumien schmeckte, den er aus Versehen aufwirbelte, als er versuchte, sich auf einen Stapel mumifizierter Körper zu setzen und diese seinem Gewicht nicht standhielten. An solchen Szenen wird deutlich, dass Belzoni nach wie vor in seinem Herzen der Schausteller war, der auch im Falle des alten Ägypten jeden Show-Effekt auszunutzen wusste.