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Pathologe mit Passionen

Rudolf Virchow

Name: Rudolf Ludwig Karl Virchow

Geboren: 13. Oktober 1821 in Schivelbein/Pommern

Gestorben: 5. September 1805 in Berlin

Tätigkeiten: Pathologe, Medizinhistoriker, Sozialreformer, Vorgeschichtsforscher

Besonderheit: Begründer der Vorgeschichte als eigenständiger Wissenschaft

Rudolf Virchow hatte nicht nur einen Beruf, sondern er hatte viele: Mediziner und Medizinhistoriker, Anthropologe, Ethnologe, Vorgeschichtler, aber auch Sozialreformer. So zeichnete er verantwortlich für die Einführung der Kanalisation in Berlin, war zugleich Politiker und aktiver Teilnehmer der Märzrevolution.

Wer war das?

Virchow promovierte 1843 in Pathologie und war danach an der Berliner Charité und der Militärärzte-Akademie tätig. 1856 wurde er Ordinarius für Pathologie. Er gab mehrere Zeitschriften heraus, deren berühmteste die „ Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte“ ist. An seinem Institut baute Virchow eine riesige Vergleichssammlung von über 10.000 Skeletten und Einzelschädeln auf. Damals galten Schädel als wichtigster Körperteil für morphologische Vergleiche, die das gesamte übrige Skelett ersetzen konnten. Man sandte ihm daher Schädel aller Epochen und Regionen, unter anderem auch von Ausgrabungen. So schickte ihm etwa der deutsche Ägyptologe Emil Brugsch von seinen Ausgrabungen im römerzeitlichen Gräberfeld von Hawara den abgetrennten Mumienkopf einer Frau, von der auch das zugehörige Mumienporträt ins Berliner Museum gelangt war (die sog. Aline). Virchow sollte versuchen, mögliche Ähnlichkeiten zwischen Schädel und Porträt festzustellen, was aber nur zum Teil erfolgreich war.

Menschliches ...

1848 war Virchow heftig in die Revolutionswirren verstrickt und musste daraufhin Berlin für sieben Jahre verlassen. Diese Zeit nutzte er gut: Er lehrte an der Universität Würzburg, heiratete und gründete eine Familie, die im Laufe der Zeit auf sechs Kinder anwachsen sollte. Er betrachtete es als Entspannung, in den Sommerferien mit seinen Kindern am jeweiligen Urlaubsort Probegrabungen durchzuführen, was nicht selten in regulären, von Fachleuten geleiteten Ausgrabungen mündete. Virchow war eng mit Heinrich Schliemann befreundet, der ihm aus Troja Exemplare der sog. Gesichtsurnen schickte – einem seiner bevorzugten Sammelgebiete. Daraus entwickelte sich eine langjährige Freundschaft, die nach zehnjährigen Verhandlungen darin gipfelte, dass Virchow die Troja-Funde für das Berliner Museum sichern konnte. Auch verschaffte er dem als Raubgräber verschrienen Schliemann fachliche Hilfe und vermittelte ihm möglicherweise sogar Wilhelm Dörpfeld als Assistenten. Er hatte erkannt, dass Schliemann durchaus wissenschaftlich denken und handeln konnte, selbst wenn er dessen „Überinterpretation“ Homers kritisch sah. Von seiner Ägyptenreise mit Schliemann ist eine Reihe ethnologisch und kulturgeschichtlich sehr interessanter Fotografien erhalten.

Über den Menschen Rudolf Virchow ist relativ wenig bekannt, außer einigen Schlaglichtern wie diesem, das sein Ende schildert: Er war es sein Leben lang gewohnt, von der noch fahrenden Straßenbahn zu springen. Im Januar 1902, er war inzwischen über 80 Jahre alt, brach er sich dabei auf vereister Straße das Bein und sollte sich davon nicht mehr erholen.

Was hat er geleistet?

Neben bahnbrechenden Entdeckungen auf dem Gebiet der Medizin (u. a. die Entdeckung der Zellularpathologie, 1858) beschäftigte Virchow sich auch intensiv mit der Archäologie und Vorgeschichtsforschung, die er erstmals als eigene Disziplin von der Klassischen Archäologie absetzte. Auch wenn Virchow nie selbst eine vorgeschichtliche Fundstelle ausgrub, war er dennoch davon überzeugt, dass alle Aspekte der Forschung – und somit auch die Archäologie – nötig seien, um ein genaues Bild von der Lebensweise vorgeschichtlicher Menschen zu gewinnen. Dabei orientierte er sich streng an rein naturwissenschaftlichen Kriterien und lehnte alle anderen Herangehensweisen ab. Heute ist seine vorgeschichtliche Arbeit weitgehend vergessen, was auch daran liegt, dass er seine Ergebnisse nur sehr verstreut publiziert hat.

„Der Mensch mit seinem ganzen Thun und Treiben, seinem Denken und Meinen, seinem inneren Wesen soll wieder entdeckt, soll aufgefunden werden ... Nicht nur der Anatom, sondern auch der Zoolog, der Botaniker, der Geolog, der Astronom müssen hier mitwirken, gleichwie die prähistorische Archäologie ...“

Rudolf Virchows ganzheitlicher Ansatz der Vorgeschichtsforschung

Ausschlaggebend für Virchows Beschäftigung mit der Vorgeschichte war seine Teilnahme an einem entsprechenden Kongress im Jahr 1867 in Paris, wo ihm klar wurde, dass auch dieses Spezialgebiet, ebenso wie Anthropologie und Ethnologie, entscheidend für das Verständnis der Menschheitsgeschichte war. Er nahm sich daher vor, diese bis dahin weitgehend unbekannte Disziplin in Deutschland zu fördern. Dabei hatte er neben all seinen medizinischen Aufgaben nur sehr wenig Zeit für Vorgeschichtsforschung – umso bemerkenswerter ist, was er in Bewegung gebracht hat! Virchow besaß eine für einen „Nebenberufler“ erstaunlich umfangreiche Materialkenntnis, die er durch regelmäßige Museumsreisen beständig erweiterte. Ihn interessierte alles: von der Steinzeit über vorgeschichtliche Handelswege bis hin zur Gräberforschung. Zudem hatte er eine private Antikensammlung, die nach seinem Tod den Berliner Museen übergeben wurde.

Zu Virchows Lieblingsthemen gehörten die Feuchtbodensiedlungen in Nordeuropa, die er mit den Schweizer Seeufersiedlungen verglich und im Gegensatz zu anderen Wissenschaftlern in ihrer Echtheit belegen konnte. Dass sie so völlig anders konstruiert waren als die alpinen Siedlungen, lag einerseits an den in Nordeuropa veränderten Gegebenheiten, anderseits an ihrer um einiges jüngeren Datierung. Durch typische Keramikfunde konnte Virchow sie in frühmittelalterlich-slawische Zeit datieren. Hierbei erkannte er die Bedeutung der Keramik für die Bestimmung und Datierung von Kulturgruppen, was für seine Zeit erstaunlich weitsichtig war. Vieles sollte erst eine Wissenschaftlergeneration später von Paul Reinecke und seinen Nachfolgern formuliert werden. Er erforschte vor allem die Vorgeschichte seiner unmittelbaren Umgebung, wobei er erstmals bronze- und eisenzeitliche sowie slawische Keramik unterscheiden konnte. Insbesondere seine Herausarbeitung der spätbronzezeitlichen Lausitzer Kultur (2. Hälfte des 2. Jts. v. Chr.), die er auf stratigrafischem Wege von den slawischen Befunden abgrenzen konnte, ist bis heute von Bedeutung. Zudem gelang ihm die Zuordnung der für diese Epoche charakteristischen Schläfenringe, was einen bedeutenden Fortschritt in der Slawenforschung bedeutete.

Virchow und die Arierfrage

Virchow äußerte auch seine Meinung zur damals wichtigen „Arierfrage“. Ab 1886 ging er diesem heiß diskutierten Thema mit einer breit angelegten Studie auf den Grund: 6 Millionen Schulkinder wurden auf Haar- und Augenfarbe, Typ und Herkunft untersucht, was einige der Annahmen bezüglich „Ariern“ und „ Turaniern“ widerlegte – ganz abgesehen davon, dass er etwa 10% blonde und blauäugige Juden nachweisen konnte. In seinem bis heute lesenswerten Vortrag „Die Urbevölkerung Europa’s“ [sic] stellt er genau fest, in welchem Verhältnis Philologie und Archäologie bei der Rassenfrage stehen und welche Schlüsse man überhaupt ziehen kann. Er entlarvt die „kaukasische Rasse“ als Mythos und lehnt generell die Gleichsetzung „Kultur = Rasse“ ab. Diese Widerlegung der ganzen Rassenlehre wurde aber in der Folgezeit stillschweigend ignoriert. Ironie der Geschichte: 1902, im Jahr von Virchows Tod, erhielt Gustav Kossinna die Professur für „Deutsche Archäologie“, machte die Rassenlehre zum wichtigsten Forschungsthema – und das Unheil nahm seinen Lauf.

Doch Virchow unterliefen auch – zugegeben seltene – Irrtümer. So stand er Darwins Evolutionstheorie eher skeptisch gegenüber, was aber möglicherweise daran liegen könnte, dass er an ihrer Entwicklung nicht beteiligt war, denn er allein entschied, was als ausreichender Beweis gelten durfte und was nicht. Ebenso wenig glaubte er daran, dass der Neandertaler eine Vorstufe des Homo sapiens war, sondern hielt die dort zu beobachtenden Unterschiede für rein pathologische Veränderungen des Skeletts – die einzige Art von Evolution, die er akzeptieren konnte; selbst wenn er sich dabei widersprach.

Was bleibt?

Rudolf Virchow ist nicht nur der Begründer der modernen Pathologie, sondern auch der Vorgeschichtsforschung und zudem, da er ebenfalls vorgeschichtliche Nahrungsreste als wichtige Quelle zum Leben der Menschen untersuchte, Begründer der Paläobotanik und Archäozoologie. In vielem nahm er spätere Forschungen vorweg und erstrebte immer die Synthese, die er höher bewertete als die als reiner Selbstzweck gesehene Detailstudie der Einzelfunduntersuchung. Dabei waren für ihn Fundumstände genauso wichtig wie der Fund selbst – eine überaus moderne Sichtweise.

Archäologen

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