Читать книгу Revolution? Ja, bitte! - Andreas Buhr - Страница 7

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Adenin. Thymin. Guanin. Cytosin. Kurz: ATGC. Das sind die vier Basen, aus denen der menschliche Code, die biologische DNA, besteht. Die Grundbausteine der digitalen DNA sind noch simpler: Null und Eins. Etwas ist oder es ist nicht. So wie bereits Shakespeare seinen Hamlet im dritten Akt sagen lässt: »To be or not to be.« Sein oder Nichtsein.

Null und Eins. Mit diesen zwei Ziffern sind alle Codes des digitalen Lebens geschrieben. Damit lässt sich alles digital sagen. Das ist erstaunlich, zumal die Informationsflut, die digital auf uns einstürmt, unendlich zu sein scheint. Unendlichkeit, erzeugt aus zwei Ziffern. Mit der Digitalisierung scheint alles möglich zu sein, was vorher nicht ging. Beispielsweise in der Archäologie. Gerade bei dieser historischen Disziplin würden die wenigsten vermuten, dass es die Digitalisierung war, die in den letzten Jahren zu entscheidenden Wissenssprüngen verholfen hat. Nicht durch Grabungen und den fein geführten Pinsel gewissenhaft arbeitender Archäologen konnten einige der ganz großen Rätsel der Menschheitsgeschichte gelöst werden, sondern mithilfe der Null und der Eins. Troja beispielsweise, jene legendäre Stadt, die der Dichter Homer in seinem weltberühmten griechischen Epos Ilias beschreibt, hat es vermutlich tatsächlich gegeben. Aufgrund digitaler Satellitenaufnahmen wurde die Stadt, die zu den historischen Beschreibungen passt, in der Türkei geortet.1 Ohne die digitalen Fotos wären die Grabungen niemals in der Provinz Çanakkale vorgenommen worden. Nicht wenige hatten die Erzählungen über Troja schlicht für einen Mythos gehalten.

In der Medizin ist es nicht anders. Die Digitaltechnik hat den Operationssaal revolutioniert, wenn auch auf sanfte Art und Weise.2 Denn die digitale 3-D-Technik liefert uns dreidimensionale Bilddarstellungen, die minimalinvasive Eingriffe erst möglich machen. Bei der Methode genügen kleinste Schnitte, um etwa einen Herzkatheter oder eine Herzklappe einzufügen. Die Erholungszeit des Patienten nach solch einem Eingriff ist erheblich kürzer als bei der traditionellen Operationsmethode. Chirurgen operieren heute mit Unterstützung digitaler Roboter Tumore im Gehirn, die früher als inoperabel galten. In etwa fünf Jahren werden sie sogar mit einer Art Schlangenroboter noch flexibler im Kopf des Patienten operieren können.3

Ob wir ins Weltall schauen oder in die Tiefen des Meeres – digitale Roboter senden uns Daten, die unser Wissen über die Welt und den Kosmos revolutionieren und uns besser und mehr verstehen lassen. Oder aber unsere Vorurteile entlarven. So weiß die Meeresforschung heute, dass es kein Seemannsgarn war, als Matrosen von Seeungeheuern berichteten mit riesigen Tentakeln, die aus den Tiefen des Meeres emporstiegen, von dort, wo sich kein Mensch aufgrund des enormen Wasserdrucks aufhalten kann. Heute wissen wir: Es gibt sie wirklich.4 Wir wissen es, weil die digitalen Roboter uns Bilder ihrer Existenz liefern: Riesenoktopusse. Sie senden uns aber nicht nur Aufnahmen von 100 Kilo schweren blinden Riesentintenfischen, sondern auch Daten über Methanvorkommen, die relevant für unsere zukünftige Energieversorgung sind, Daten über Mikrobakterien, die fähig sind, unseren Müll zu zersetzen, und Informationen über die Entwicklung des Planktons,5 das voraussichtlich für die stetig weiter wachsende Bevölkerung in der Zukunft ein Grundnahrungsmittel sein wird.

Selbst der Marianengraben im Pazifischen Ozean, der tiefste Graben der Welt, der mit rund 11 000 Metern tiefer ist als der Mount Everest hoch, wird mithilfe von digitalen Robotern erkundet.6 Dabei ist das Meer, das 70 Prozent der Erdoberfläche bedeckt, weniger erforscht als die Mondoberfläche, weil der enorme Druck von rund 1000 Bar, die ewige Finsternis, die Kälte und der mangelnde Sauerstoff ein Forschen nahezu unmöglich machten. Jetzt aber ist es möglich. Dank der Null und der Eins können intelligente Roboter in die Meerestiefen vordringen und dort operieren.

Aus der Weltraumforschung ist die digitale Technik ebenfalls nicht mehr wegzudenken. Was im Weltraum los ist, was es mit unserem Sonnensystem auf sich hat, wie die schwarzen Löcher zu verstehen sind, ob wir Menschen auf dem Mars leben könnten7 – zu all diesen Fragen senden uns digitale Roboter die Daten.

Auch in der Kunst bahnt sich eine Revolution an. Die britische Sängerin Imogen Heap8 singt auf der Bühne zu einer Musik, die sie digitalen Musikhandschuhen entlockt. Töne, die unsere Ohren noch nie vernommen haben. Musikingenieure basteln an weiteren ungewöhnlichen Instrumenten, um digitale Klangteppiche zu erzeugen, die unsere Hörgewohnheiten radikal verändern werden. Geräusche, die erst in unserem Kopf zu Musik werden.

Das alles geschieht bereits heute. Das Tempo der Veränderungen wird weiter anziehen, denn die Digitalisierung bringt exponentielles Wachstum, und zwar in allen Bereichen, die mit der Digitalisierung in Berührung kommen. Sich dieses exponentielle Wachstum vorzustellen, fällt schwer, es sprengt unsere Denkgewohnheiten. Ein Experiment macht deutlich, worum es geht. Probanden sollten das für sie attraktivste Angebot aus zwei möglichen Varianten auswählen. Angebot A verspricht den Kandidaten jeden Tag 1000 Euro, 30 Tage lang, am Ende werden also 30 000 Euro aufs Konto gebucht. Variante B dagegen hört sich bescheiden an: Der Kandidat erhält einen Cent am ersten Tag, am zweiten zwei Cent, am dritten vier Cent und so weiter, denn wir sprechen über exponentielles Wachstum. Am Ende, also am 30. Tag, sind dies nicht etwa wenige Cent, wie die meisten Probanden vermuteten und sich daher für Variante A entschieden, sondern 536 870 912 Millionen Euro.9

Wir müssen verstehen, dass wir mit der Digitalisierung kein lineares Wachstum mehr vor uns haben, also ein Wachstum, bei dem in gleichen Abständen die konstant gleiche Menge hinzukommt, sondern ein exponentielles Wachstum, bei dem sich in den jeweils gleichen Zeitabständen die Menge jeweils verdoppelt.

Besonders deutlich zeigt sich das in der Genomforschung. Glaubte man 1990 zu Beginn des Projektes, zur Entschlüsselung des Erbgutes bis zum Jahr 2010 zu benötigen,10 war man bereits 2003 damit fertig, sieben Jahre früher. Dabei mussten immerhin drei Milliarden Basenpaare sequenziert werden. Nicht gerade wenig. Ohne die Fortschritte in der Digitaltechnik, die immer größere Datenkapazitäten bietet, hätte das nicht funktioniert. Das drückt auch die Kosten. So verursachte die Sequenzierung im Jahr 2000 noch 100 Millionen Dollar an Kosten, 15 Jahre später nur noch 1000 Dollar11 und bald soll die Entschlüsselung des Erbgutes sich auf rund 100 Dollar beziffern. Das macht die Erforschung vieler Erbkrankheiten erst in diesen Tagen möglich. Die Kombination von stetiger Steigerung der Rechenleistung einerseits und sinkenden Kosten andererseits erlaubt erst den exponentiellen Verlauf der Digitalisierung – im Fall der Gensequenzierung bedeutet dies eine exponentielle Verringerung der Analysekosten. Dieses Beispiel macht deutlich, dass erst durch die fortschreitende Digitalisierung große Datenmengen erzeugt und auch verarbeitet werden können, denn im Kern geht es bei der Digitalisierung um Daten, egal um welche Daten es sich handelt, und diese Daten werden mit immer weiter ansteigender Geschwindigkeit erhoben, verarbeitet und vernetzt. Das Ergebnis sind verbesserte oder komplett neue Möglichkeiten der Kommunikation und Interaktion.

Deswegen potenziert sich nicht nur in der Genomforschung das Wissen exponentiell. Ganz allgemein gilt: Die Sprünge in Bezug auf Wissen und Umsetzung desselben werden aufgrund der Digitalisierung immer größer, die Zeitabstände immer kürzer. Verdoppelte sich das Wissen vor zehn Jahren etwa alle fünf bis sieben Jahre, ist dies heute bereits alle zwei Jahre der Fall, und das Tempo steigt weiter rasant an.12

So rasant, dass das, was wir Zukunft nennen, nicht mehr so undurchsichtig ist wie die Vorhersagen des Orakels von Delphi; stattdessen werden die Vorhersagen dank der gesammelten Daten immer präziser. Das betrifft fast alle unsere Lebensbereiche: Gesundheit, Verkehr, Job und Freizeit, sogar Naturkatastrophen wie Erdbeben und Tsunamis. Aber auch: was wir morgen im Kühlschrank benötigen, welche Hemden und Anzüge wir kaufen, wohin wir in Urlaub fahren und was das Hotel kosten darf, damit wir es buchen. Die Cookies auf unserem iPhone wissen es. Sie haben uns zugeschaut, wenn wir Flüge buchten, Autopreise verglichen und Bücher in unseren Warenkorb legten. Die Cookies kennen uns besser als wir uns selbst und bieten uns die Produkte genau zu jenem Preis an, bei dem wir zuschlagen müssen, weil sie genau auf unsere Gewohnheiten zugeschnitten sind. Alle diese Informationen fließen zusammen zu jenem Gebilde, das Big Data genannt wird. Informationen, die in einer Fülle erhoben werden, die vor der Digitalisierung gar nicht möglich gewesen war, und nun auch noch miteinander verknüpft werden und so Predictions, jene vorausschauenden Datenanalysen, möglich und damit die Zukunft berechenbarer machen.

Revolution? Ja, bitte!

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