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Die Erinnerung ist weg

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Mama trudelte viel später ein als erwartet. Sie war mit Einkäufen bepackt und hatte keine Lust, alles allein wegzuräumen. Wir dagegen liefen mit hungrigen Bäuchen ins Haus.

„Warum hast du so fettigen Schinken gekauft?“, maulte Leo. „Wenn wir nicht gleich essen, falle ich um!“

Mama war zu müde zum Streiten. „Wenn ihr essen wollt, deckt den Tisch!“, sagte sie nur und lief mit Duschbad, Creme und Klopapier ins obere Bad. Gleich darauf hörten wir sie kreischen.

„Tina, Leo, ihr Ferkel! Wieso rennt ihr mit schmutzigen Schuhen durchs Haus?“

Verwundert, aber ohne schlechtes Gewissen, liefen wir ihr nach. Tatsächlich lagen auf der Treppe schwarze Krümel. Mama stemmte die Hände in die Hüften.

„Bis ich umgezogen bin, habt ihr das aufgesaugt. Und keine Diskussion!“

„Das waren wir nicht! Wir sind nur draußen gewesen“, verteidigte sich Leo, doch Mama schloss die Tür. Kurz darauf plätscherte Wasser – sie duschte. Das war ein sicheres Zeichen, dass es auf Arbeit Knatsch gegeben hatte. Also hing das Dreckwegräumen und Abendbrotmachen wirklich an uns.

Ich schickte Leo zum Auspacken. Falls Mama Currywürste mitgebracht hatte, würden sie sicher auf dem Tisch landen. Ich saugte derweil den Schmutz auf, von dem ich nicht wusste, woher er kam. Auch den Hintereingang putzte ich schnell, denn diese Krümel waren sicher von uns. Aber wieso fand ich auch noch welche in der Stube? Hatten wir neuerdings Trolle im Haus? Vielleicht hatte so einer in meinem Zimmer die Wand bearbeitet. Nichts wie weg mit dem ganzen Dreck, ehe Mama noch mehr davon fand!

Der Staubsauger dröhnte mir die Ohren voll und mein Magen knurrte mit. Die Mikrowelle summte, mit den Currywürsten in ihrem Bauch, eine Brauseflasche zischte.

„Warte bis ich da bin!“, rief ich über den Krach hinweg zu Leo. Doch sie trank und naschte trotzdem.

Ich schob den Staubsauger so ungeduldig in die Abstellkammer zurück, dass ich mit dem Arm gegen den Türrahmen stieß.

„Aua, verdammt!“ Ich warf die Tür mit dem Fuß zu. Mama, die gerade um die Ecke lief, bedachte mich mit einem bösen Blick. Der fiel jedoch kurz aus, denn sie suchte Papa.

„Ist er immer noch nicht da? Jetzt müssen wir ohne ihn essen“, seufzte sie. Der Appetit verging ihr dabei. Nur eine halbe Stulle und zwei Minitomaten mochte sie essen. Ständig fühlte ich ihren Blick auf mir, bis sie nur noch auf die Uhr schaute. Ab da wurde sie wirklich sauer.

Als wir gerade abräumen wollten, klimperten Papas Schlüssel an der Tür. So wie Mama aufsprang, musste ihr ein wütender Spruch auf den Lippen liegen. Doch dazu kam es nicht. Papa umarmte sie, als wäre Mama eine Stoffpuppe. Dann gähnte er laut und sank auf seinen Stuhl.

„Hoffentlich hattet ihr einen fröhlichen Tag“, schnaufte er. Mir kam plötzlich eine Maschine in den Sinn, die Erwachsene verfolgte, um ihre Energie abzusaugen. Wie Geister mussten sie dann umherziehen und Kindern alles verbieten, um selbst wieder zu Kräften zu kommen. Was für eine gruselige Idee!

Papa war zum Glück nicht so schlimm dran. Ich durfte ihm vorm Schlafengehen meine Einhorngeschichte vorlesen, denn ich hoffte, dass ihm dazu noch etwas einfiel. Leo bekam derweil Mama zugeteilt, die sich noch einmal über den Treppenschmutz beschwerte.

„Das waren wir wirklich nicht!“, beteuerte Leo. „Wir sind nur mit Socken oben gewesen.“

In meinem Zimmer schob ich die Bettdecke zur Seite, damit Papa sich neben mich setzen konnte. Allerdings fiel sein Blick sogleich auf die kaputte Stelle an der Wand.

„Das werde ich wohl erst am Wochenende reparieren können“, sagte er, als ich mich bereits suchend umschaute. Hier fehlte etwas. Opas Erinnerung war fort!

„Mama, hast du den alten Ball weggeräumt?“, rief ich nach nebenan.

„Der liegt auf deinem Schreibtisch. Ins Bett gehst du nicht damit!“

„Will ich ja gar nicht!“ Eine Lampe, ein Stiftebecher und ein paar Bücher standen auf meinem Schreibtisch – viel zu ordentlich für mich. Dazu die Fotos von Katze Rosalie aus der alten Wohnung, mein Schreibkram, ein Puzzlespiel, Lineal und Dreieck, ein Glas mit Pinseln, Malfarben, noch mehr Papier und Leos Monopoly-Spiel. Bloß der Ball war nicht da. Wenn Mama hier nur nicht ständig aufräumen würde!

Auch Papa blickte nun umher. Ich ging in Leos Zimmer.

„Auf dem Schreibtisch ist er nicht, Mama!“

„Doch, Tina! Mitten drauf, seit heute früh.“

„Nein, guck doch selber!“

Über ihrer Nase erschien eine kleine Falte. Widerwillig folgte sie mir. Papa durchforstete gerade meine Schränke.

„Hör auf zu suchen, Alex!“, rief sie. „Der Ball lag hier auf dem Schreibtisch. Wenn er weg ist, hat ihn Tina beim Spielen verlegt. Bestimmt liegt er draußen in der Hütte oder am Ende noch auf der Wiese.“

„Ich hab’ den Ball nicht angefasst!“, protestierte ich. „Du hast in meinen Sachen gewühlt!“

„Wie bitte?“, rief sie zornig. „Nochmal helfe ich dir nicht, wenn du so weiter machst!“

Besser wäre es, dachte ich. Dann würde mein Zimmer wenigstens bleiben, wie es ist. Aber ich wiederholte lieber nur, dass ich den Ball nicht genommen hatte.

„Ich habe noch nicht mal einen schönen Platz für ihn gefunden. Nach der Schule musste ich Mathe machen und dann sind wir auf die Wiese gegangen.“

„Und außerdem hat ein Monteur geklingelt“, rief Leo aus dem Hintergrund.

„Stimmt. Den hatte ich ganz vergessen. Aber sonst war wirklich nichts los, Mama, ehrlich!“

„Dann weiß ich es auch nicht.“ Mama zog einen Haargummi aus der Hosentasche und band sich einen Zopf. „Welcher Monteur eigentlich? Hast du einen bestellt, Alexander?“

„Nein. Es ist nichts kaputt. Was hat der Mann gesagt, Leo?“

„Er wollte an die Heizung ran, der Nervtöter!“

„Habt ihr ihn ins Haus gelassen?“

„Wir sind doch nicht blöd! Könnte ja jeder sagen, er wäre der Weihnachtsmann.“

„Ja, und dann ist die Bude leer“, überlegte Papa. „Ihr hättet mich ruhig anrufen können. Aber das war schon richtig so.“

„Moment mal!“, klang Leo auf einmal aufgeregt. Wir sind dann gleich Fußballspielen gegangen!“

„Das hat Tina schon gesagt“, meinte Papa. „Seid ihr zur Apfelwiese gefahren?“

„Nein, wir haben erst hinterm Haus gespielt“, dachte ich nach. In meinem Magen schien ein Stein zu wachsen. „Dann hinter den Büschen, mit Mattu und Klem.“

Papas Stimme wurde kühl: „Ihr seid zum Hintereingang raus gegangen?“

Leo und ich tauschten einen Blick und nickten.

„Den Schlüssel habt ihr hoffentlich eingesteckt?“

Der Augenblick des Nachdenkens, wurde Mama zu lang.

„Seid ihr mit Schuhen durchs ganze Haus gelaufen?“, fragte sie plötzlich.

„Sind wir nicht!“, antworte Leo, die Augen weit offen.

„Wer war es dann?“

Ich konnte es kaum aussprechen, so sehr hielt der Schreck mich gepackt, aber alle waren sich ohnehin schon sicher.

„Die Hintertür war offen.“ Unglaubliche Bauchschmerzen überfielen mich. Mama hielt sich an Papa fest.

„Was machen wir jetzt?“, fragte Leo.

„Die Polizei rufen!“, verlangte Mama, doch Papa war anderer Meinung.

„Erst mal Ruhe bewahren! Klara und ich sehen nach, ob etwas gestohlen wurde. Ihr beide müsst jetzt sowieso ins Bett. Lest von mir aus noch etwas, nur keinen Krimi bitte! Alles Weitere entscheiden wir morgen.“ Unsicher taten wir, was er sagte.

Konnte ich den Ball nicht in einer Ecke vergessen haben? Ich fürchtete mich in meinem eigenen Bett. Konnte nicht alles nur ein Irrtum sein? Nein, es war keiner. Das spürte ich.

In der Schatulle für meine Armbänder lag auch mein Zimmerschlüssel. Ich steckte ihn ins Schloss und drehte ihn um. Aber was, wenn nachts jemand durchs Fenster stieg? Ich schloss wieder auf und ließ die Deckenlampe an. Wie sollte ich nur schlafen? Das war vollkommen unmöglich.


Der Schlüsseldieb

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