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Bettunruhe

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Mama, Papa und meine Urgroßeltern spielten noch den ganzen Abend Rommé. Leo und ich durften zwar noch ein bisschen mitspielen, allerdings nur bis die letzte Brauseflasche leer war. Freilich nuckelten wir so lange wie möglich daran, trotzdem mussten wir irgendwann ins Bett. Ich nahm Opas Ball mit ins Zimmer und unter meine Decke. Wie viel Trubel machen fünfundsiebzigtausend Leute? Die Stadien in unserer Nähe sind längst nicht so groß. In Cottbus passen dreiundzwanzigtausend rein, in Dresden zweiunddreißigtausend. Ich müsste mal nach Dortmund fahren, überlegte ich. Würden die einen fetten Brausebauch wie mich überhaupt rein lassen? Oh Mann, wie es in mir gluckerte! Als ich einschlief, träumte ich sogar von Brause: Weil ich mit meinem Bauch auf keinen Sitz passte, musste ich im Stadion auf dem Spielfeld stehen. Schwarz und gelb gekleidete Männer trugen eine riesige Flasche in den Anstoßkreis. Ich wollte sie gar nicht haben, aber ich musste trinken, trinken, trinken...

Ich wachte auf und musste pinkeln. Dass im Bad noch Licht brannte, nahm ich nicht weiter ernst. Normal sind ja bloß Mama oder Papa drin, da spielt es keine Rolle. Also bin ich rein, dachte nicht an den Besuch. Und wie ich mich im Tran so auf die Schüssel hockte, keifte Oma auf einmal los.

„Geh raus! Ich mache meine Nachttoilette.“

Toilette passte. Den Rest wollte ich nicht hören. Nur das Plätschern unter mir war wichtig, bis ich mich besser fühlte. Ich erkannte ein Glas mit Blubberwasser vor dem Spiegel. Darin lagen Zähne – pfui Teufel! Doch das war nicht der Grund für Omas Ärger. Sie zog nämlich schnell ein graues Büschel vom Waschtisch und stülpte es sich auf den Kopf. Es saß schief. Oma war richtig sauer. Dabei konnte ich ja nicht ahnen, dass sie eine Perücke trägt. Opa hat seine Haare schließlich auch noch beisammen. Na ja, wenigstens hat sie mich nicht vom Klo gejagt. Jetzt war ohnehin alles zu spät. Ich wusch mir die Hände und lief mit einer Entschuldigung zurück ins Bett. Oma redete im Bad noch eine Weile mit sich selbst. Sie schimpfte über mich, das war Fakt. Wahrscheinlich würde sie Alpträume bekommen von kleinen Hosenpissern, die ihre Perücke klauten. Ich dagegen träumte mich zurück ins Stadion.

Erst jetzt fiel mir auf, wie eng es hier war und wie steil die Traversen nach oben stiegen. Das war doch nicht Dortmund! Steinerne Bögen säumten die Runde, dazwischen drängelten sich Zuschauer auf die letzten Plätze. Jubel brandete auf, als die Mannschaften das Spielfeld betraten. Was für ein Getöse! Nicht einmal den Stadionsprecher konnte ich verstehen. Wir stellten uns in einer Reihe auf und Musik erklang, alle Leute erhoben sich. Moment mal! Das war die Nationalhymne! Seit wann spielte Kückritz für Deutschland? Und war das für ein seltsamer Text?

„Zu weiter Reise auserkoren,

nimm das Glück in deine Hand!“

Jede Mauer überwinden,

nur mit Mut und mit Verstand!“

Ich traute meinen Ohren nicht. Wie kam Oma dazu, dieses Lied zu singen? Die kleine Frau neben der Blaskapelle musste sie sein. Ich stellte erleichtert fest, dass sie ihre Perücke trug. Stolz und schön sang sie vor den vielen Leuten. Anschließend trat ein dunkelhäutiger Mann an ihren Platz und sang die zweite Hymne. Ihre letzten Klänge gingen im Johlen und Stampfen der Zuschauer unter. Jeden Moment musste das Spiel beginnen. Was für ein herrlicher Traum, dachte ich, sogar Oma besuchte mal ein Spiel von mir. Da passierte etwas Schreckliches. Als der Schiedsrichter den Fußball auf den Anstoßpunkt legte, erschütterte ein Beben das Stadion. Alle Menschen verschwanden wie von Geisterhand. Nur ich blieb zurück, zusammen mit dem Ball. Ich musste mit ansehen, wie die Wände zu bröckeln begannen. Eine Seite des Stadions stürzte zur Hälfte ein. Was aber das Schlimmste war: Ich konnte keinen Ausgang erkennen.

Noch einmal bebte die Erde. Ihr wütendes Grollen drang direkt unter mir aus der Tiefe und die Wände um mich herum begannen sich zu nähern. Plötzlich sahen die vielen Bögen wie Mäuler aus. Was wollten die von mir?

„Hilfe!“, rief ich verzweifelt. Mein eigenes Echo kreischte zurück, dass mir die Ohren klirrten. Die Wände rückten weiter vor. Was für ein blöder Traum, dachte ich jetzt.

Wieso konnte ich nicht bei Opa am Kartentisch sitzen?

Der Tisch tauchte sogleich vor mir auf, mit Opa auf seinem Stuhl. Er sah zu mir herüber, warf noch einen Blick auf seine Karten und lief zum Anstoßpunkt. Dort lag nicht mehr die schöne neue Kugel, die der Schiedsrichter hereingetragen hatte, sondern das alte, morsche Geschenk.

„Dieser Ball kennt keine Mauern“, sagte Opa entspannt und warf ihn mir zu. Wenn es nur so wäre, hoffte ich ängstlich, dann könnte ich einfach hindurch schlüpfen. Ich fing den Ball gerade noch rechtzeitig, bevor die Wände über mir zusammenschlugen. Mit rasendem Herzen erwachte ich.

Eine Weile atmete ich nur und wartete, bis das Pochen in meiner Brust sich beruhigt hatte. Ein leises Angstgefühl blieb trotzdem hängen. Sollte ich nochmal aufstehen und etwas Trinken gehen? Dafür war ich zu müde. Irgendwoher kam eine Fliege geschwirrt und versuchte durchs Fenster zu entkommen. Ihr Summen wirkte wie eine Beruhigungspille, mir fielen wieder die Augen zu. Umdrehen und einschlafen, dachte ich. Meine Bettdecke hatte sich verklemmt. Mit einem Ruck war sie frei und ich zog sie mir über die Schulter. Ratsch, hatte es geklungen. Egal. Gute Nacht!


Der Schlüsseldieb

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