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Völlig verträumt

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Hagel und Sturm! Was war das für ein Spiel! Dauerregen prasselte auf meine Haare, von meiner Torwartkluft tropfte der Matsch. Alle Gegner und Freunde verschwammen vor meinen Augen.

„Pfeif endlich ab, Mann!“, rief ich zum Schiedsrichter. Doch ich hätte auf das Spiel achten sollen. Wie eine Faust schoss der Ball auf mich zu und traf genau mein Kinn. Die Pfütze vor meinem Tor wäre was für Wildschweine, dachte ich noch, da lag ich schon drin. Kalt und nass, viel zu echt für einen Traum!

Als ich mir die Pampe aus den Augen gewischt hatte, fand ich eine Wand aus Beinen vor mir. Braunfleckige Schienbeinschützer und triefende Fußballschuhe. Die Spieler vom FC Mosern starrten mich wütend an.

„Was macht ihr hier?“, fragte ich. „Mit euch spiele ich nicht mehr! Ihr seid längst aufgestiegen.“

„Gib den Ball her!“, grunzte ihr fetter Kapitän. Doch ich konnte die Kugel nirgendwo entdecken. Als ich ratlos die Schultern hob, zog er mich mit einem Ruck an seine Brust.

„Gib ihn zurück, du Zwerg!“ Er schüttelte mich so heftig, als könnte die Pille einfach aus mir heraus fallen. Aber ich hatte doch gar nichts getan! Seine Augen fingen vor Wut an zu glühen, riesige Hauer wuchsen ihm aus dem Mund. Und seine Nase erst! Ich versuchte verzweifelt, mich loszureißen, doch er hielt mich gepackt, bis mir alle Kräfte schwanden. Weil auch seine Kumpane den Ball nicht entdeckten, warf er mich schließlich weg wie eine alte Cola-Dose. Regenrauschen war das letzte, was ich hörte. Alles wurde schwarz.

Beim Aufwachen hörte es sich fast genauso an. Draußen goss es in Strömen. Wetter zum Ausschlafen eigentlich, aber nicht heute! Es war der siebente Mai, mein elfter Geburtstag. Ich hätte losstürmen können, die Treppe hinunter, in die Stube, zu meinen Geschenken. Stattdessen lief ich zum Schreibtisch und schrieb meinen Traum auf einen Notizzettel. Vielleicht konnte ich ihn später einmal in einer Geschichte verwenden.

Gleich würden die anderen zu mir kommen. Sah ich auch nicht zu verschlafen aus? Doch! Mein kleiner Handspiegel log nicht: Schlafsand in den Augen und meine Haare drehten sich wie rote Korkenzieher überall hin. Bloß zurück ins Bett!

Unten in der Küche rumorte es. Bis in mein Zimmer hörte ich, wie meine Schwester Leo den Tisch deckte: es klimperte und klirrte. Hatte sie etwa keine Lust? Egal! Geburtstage liefen immer gleich ab, und heute war ich die Glückliche.

Beim Zudecken segelte ein Zeitungsausschnitt von meinem Nachttisch, mit der Ligatabelle vom letzten Wochenende. Den wollte ich noch einrahmen, schließlich standen wir zum ersten Mal auf Platz eins. Alemannia Kückritz – wer hätte das gedacht, nachdem wir vor einem Jahr fast hingeworfen hätten! Mit Leos Vollstreckerkünsten und mir als Torfrau hatten die Gegner nichts mehr zu lachen. Ich war richtig stolz darauf und unsere Eltern noch mehr. Sie fuhren uns ohne Murren zu jedem Fußballspiel.

Eigentlich durften sie mich jetzt begrüßen kommen. Nun macht schon, dachte ich. Endlich tapsten sie die Treppe hoch: Leo das Grünauge, Mama Klara mit ihren langen Locken und Alex, mein segelohriger Papa. Ich hörte sie tuscheln. Erst vor meinem Zimmer wurden sie still. Ich zog die Bettdecke über die Nase und stellte mich schlafend. Die Türklinke knackte leise, alle huschten hinein, um mit einem Mal zu rufen: „Happy Birthday! Guten Morgen, Tina! Alles Gute zum Geburtstag!“ Sofort saß ich im Bett, doch sie drückten mich zurück in die Federn. Oh, Familienkuscheln, das war schön!

„Meine Sommersprosse, du wirst immer größer!“, lachte Mama.

„Selber Sprosse!“, umarmte ich sie fest. Gleichzeitig platzte ich vor Neugierde. „Wo sind die Geschenke?“ Ich befreite mich und lief nach unten. Mmmh, wie die Brötchen dufteten! Und frische Erdbeeren auf dem Tisch! Ganz schnell war eine stibitzt und ich stürmte weiter.

War es dabei? Es musste dabei sein! Oh ja, dort stand es: mein nagelneues Mountainbike mit knallroter Schleife!

„Du holst dir eine Beule, wenn du es weiter so umarmst“, grinste Papa von der Stubentür aus. Hinter ihm drängte sich Leo durch.

„Und hüpf‘ mal zum Frühstückstisch!“, rief sie.

„Ich habe Hunger!“ So wie sie mich anschaute, musste ich an einen Puma denken. Seit Leo für ihren Traum trainiert, verändert sie sich: Sie wirkt so stark, so entschlossen.

Ich schaute auf das Bild, das sie mir zum Geburtstag gezeichnet hatte. Fußballerblut stand unten in der Ecke. Auf dem Blatt zischten Blutkörperchen in Fankleidung auf ein herzförmiges Stadion zu. Ich habe es noch am selben Wochenende eingerahmt, denn Leo zeichnet hammermäßig!

Dafür kann sie schlecht auf’s Essen warten. Sie schob mich in die Küche, wo sich Mama gerade einen Milchzopf griff. Beim Aufschneiden lächelte sie verschmitzt. Papa goss ihr einen Kaffee ein und grinste ebenfalls. Leo kaute bloß und wollte mir nicht in die Augen sehen. War da noch was?

„Was versteckt ihr noch, Mama? Fußballschuhe? Einen Schwimmbadgutschein?“

Sie schüttelte den Kopf. „Da kommst du nicht drauf. Wir bekommen Besuch.“

„Wen? Lara und Mara? Meine Freunde habe ich längst eingeladen.“

Mama strich sich eine Locke hinters Ohr.

„Die meine ich nicht. Oma Anni und Opa Helmhold haben sich angemeldet. Extra für dich!“

„Echt?“ Das war schwer zu glauben. Meine Urgroßeltern aus Leipzig fahren nur noch selten weg. Aber da Mama sich so freute, musste es wohl stimmen. Ich sage zu Anni und Helmhold nur Oma und Opa. Für das „Ur“ bin ich zu faul. Opa Helmhold hat früher bei einem Fußballclub gearbeitet und Oma singt immer noch in einem Chor. Die beiden sind fast immer gut drauf, außer wenn Opa beim Kartenspielen schummelt. Oma erwischt ihn meistens, dann spielen sie Zanken.

„Fünf nach zwölf kommt der Zug an“, sagte Mama. „Bis dahin ist noch viel zu tun!“

Das bedeutete wohl Spülmaschinendienst für mich, denn Leo hilft lieber beim Kochen.

Papa ritt nach dem Frühstück auf dem Staubsauger durchs Haus, die Betten wollten bezogen und alle Zimmer aufgeräumt und geputzt werden. Als ich den Lappen endlich Leo überlassen konnte, blieb noch etwas Zeit für mich. Sollte ich weiter an meiner neuen Geschichte schreiben? Wie ein Schmetterling flatterte eine Idee in meinem Kopf: Auf der Wiese neben dem Einhornwald schauten die Tiere der Gegend einem Spiel zu, das die Wiesentrolle den Menschen abgeschaut hatten. Die Wiesentrolle wiederum hatten den Sumpftrollen eingeredet, dieses Fußballspielen unbedingt mal zu probieren. Das war nicht schwer, denn Sumpftrolle finden alles toll, was schmutzig macht. Und so spielten die beiden Troll-Mannschaften nun gegeneinander. Die edlen Einhörner fanden das nicht so lustig. Ein großes Einhorn warnte die kleinen sogar.

„Dieses Spiel ist nichts für euch! Ihr werdet euch die Beine brechen!“ Trotzdem trafen sich die Einhörnchen heimlich im Schutz der Tannen, um wenigstens zuzuschauen. Dem großen Einhorn blieb das nicht verborgen. Es war jedoch so weise, die Kinder nicht auszuschimpfen. Stattdessen beobachtete es das Spiel aus einem anderen Versteck. Als ausgerechnet dort der Ball hin flog – dem Einhorn genau auf den Kopf – da war das Durcheinander perfekt. Ach, Schreiben macht mir solchen Spaß!

Als eine Seite voll war, nahm ich schnell ein neues Blatt und schrieb weiter. Da flog meine Zimmertür auf.

„Wenn du nicht endlich runter kommst, kannst du deine Party allein feiern!“, rief Mama aufgebracht. Was war denn los?


„Ich schreibe doch nur an meiner Geschichte!“, sagte ich verwirrt.

„Aber nicht, wenn ich dich schon dreimal gerufen habe!“

Wie bitte? Ein Blick auf die Uhr verriet mir, warum sie so sauer war. Wenn der Zug aus Leipzig keine Verspätung hatte, standen meine Urgroßeltern schon auf dem Bahnhof. Ich hätte mich gern entschuldigt, aber Mama nahm mir das Papier aus der Hand.

„Du und deine Märchen!“, sagte sie nach kurzem Überfliegen. „Das Leben spielt sich hier ab, Tina, nicht in irgendwelchen Phantasiewelten! Jetzt komm endlich!“

Ich trottete ihr nach, erschrocken und enttäuscht. Meinte sie das ernst? Ich habe schon drei Fußballbücher geschrieben – alles aus dem echten Leben. Da war sie doch auch immer stolz, oder nicht? Auf meine Urgroßeltern konnte ich mich plötzlich kaum noch freuen.


Der Schlüsseldieb

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