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Reichlich beschenkt

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Zum Glück kam der Zug viel zu spät. Mama entspannte sich am Bahnsteig, denn wir hatten es nicht vermasselt. Auch der Regen ließ endlich nach. Traurig war ich trotzdem.

„Entschuldige bitte“, sagte Mama irgendwann. „Du schreibst schön. Ich war nur wütend, weil...“

„Ist schon gut, Mama!“, seufzte ich. Ihre Hand strich mir durchs Haar und ich schluckte meinen Ärger herunter.

Ob der Zug heute noch ankam? Wir warteten fast allein hier. Eine alte Dame redete mit ihrem Dackel und um die Fahrplantafel schlich ein Mann mit hochgestelltem Jackenkragen. Ich schaute auf das Gleis unter mir. Dort wuchs ein Löwenzahn mit dicken Tropfen auf der Blüte. Viele Züge kamen hier nicht vorbei, aber jetzt war es soweit. An der Hauptstraße fing es an zu bimmeln, die Schranken schlossen sich. Na, also! Eine rote Lokomotive erschien in der Ferne und wurde schnell größer.

„Geh ein Stück zurück!“, bat Mama. Sie kann das Aufpassen nicht lassen. Dann fuhr der Zug schon ein. Nur drei Leute stiegen aus: Ein Herr mit Hut, der die alte Dame begrüßte, und meine Urgroßeltern. Der Mann am Fahrplan hatte wohl umsonst gewartet, denn mitfahren wollte er nicht.

„Oma! Opa! Da seid ihr ja!“ Ich umarmte sie fest. Omas Filzmantel roch süß nach Parfüm und Opas Bartstoppeln kratzen.

„Ist Leo auch da?“, schaute er sich um.

„Sie rechnet noch eine Physikaufgabe fertig“, erklärte Mama und führte uns zum Auto. Als wir zu Hause eintrafen, jonglierte Leo aber schon mit dem Fußball hinterm Haus. Opa schaute einfach zu, und sie ließ sich nicht ablenken. Über fünfzehn Mal tippte sie den Ball mit dem Kopf nach oben, erst danach fiel er runter.

„Bravo!“, klatschte Opa. „Hoffentlich hast du auch noch Zeit für etwas anderes als Fußball.“

„Nicht viel“, sagte Leo beim Händeschütteln. „Ich muss dir was zeigen, komm mit!“ Entschlossen schob sie Opa durch den Hintereingang ins Haus. Gut, dass Oma gerade in den Flur trat. Sonst hätte Leo glatt vergessen, ihr Hallo zu sagen.

„Ich hab‘ vom Landesverband eine Einladung bekommen. Schaut mal! Ich bin für die Auswahl nominiert!“

„Oh!“, staunte Opa. „Wolltest du nicht aufhören mit Spielen?“

Leo schaute ihn entrüstet an.

„Das ist doch ewig her! Ich will auf die Sportschule gehen! Wenn ich es schaffe, schneide ich mir die Haare kurz.“

„Bitte nicht!“, rief Mama von der Tür. Opa klopfte Leo auf die Schulter und lächelte nur. Ein paar Minuten später stürzten wir uns wie gierige Raupen auf den Nudeltopf. Selbst Oma und Opa verdrückten eine Menge und brauchten dann dringend ein Nickerchen. Wir anderen bereiteten das Haus für die Party vor. Die Sonne trocknete noch schnell die Terrasse, wie praktisch! Jetzt durften meine Freunde kommen.

Duncan klingelte als erster, mit einem dicken Strauß Blumen in der Hand. Er wohnt gleich gegenüber, was ein Glück für ihn ist. Mit seinem Teddy-Gang ist er kein guter Läufer. Aber Duncan ist das egal, denn beim Filmen stören große Füße nicht. Wie immer hatte er seine Videokamera dabei. Damit nahm er gleich Mattu auf, der ausnahmsweise ohne Computer erschien, dafür mit seiner Schwester Mara. Sie radelten gemeinsam auf unseren Hof.

„Mein Gott, Mattu!“, sagte Mama an der Tür. „Deine Mähne wird ja immer länger!“

„Ach, das scheint nur so. Gucken Sie sich mal Rapunzel an!“ Er zeigte auf Mara, die stolz den Kopf hob.

Mein Fußballkumpel Klem kam allein vorbei. Ich hörte ihn schon von weitem, weil er sich selbst etwas erzählte. Drinnen schwatzte er einfach weiter, irgendjemand würde schon zuhören. Lara zum Beispiel. Sie kann das am besten und tratscht auch nichts weiter. Sie würde mir bestimmt ein Gedicht zum Geburtstag schenken.

„Auspacken!“, riefen die Jungs, als alle beisammen waren.

„Erst den Kuchen essen!“, rief Mama noch lauter, als ich eigentlich mein Fahrrad vorführen wollte. Na schön! Ich trug die frischen Muffins zur Terrasse, wo mein roter Renner glänzte. Die anderen Sachen wollte ich eigentlich später auswickeln, auch die glänzende Kugel von Oma und Opa. Meine Gäste drängelten jedoch, also musste ich wohl. Mit Maras bunter Schachtel fing ich an: ein großes Pferde-Puzzle. Ich musste an meine Einhorn-Geschichte denken. Dann kam Lara dran. Sie hatte wirklich etwas aufgeschrieben. Ich durfte es nur niemandem zeigen, damit keiner lachte. Mattu und Klem kicherten trotzdem. Sie hatten sich abgesprochen und schenkten mir jeder eine Drei-???-Geschichte. Als ich schon anfing, mich zu bedanken, zog Duncan noch eine kleine Schachtel aus der Hosentasche.

„Der Blumenstrauß ist von meinen Eltern“, sagte er. „Ich schenke dir ein Kino!“

„Gutscheine sind immer gut“, meinte Leo. Sie hoffte bestimmt, etwas abzustauben, aber aus der Schachtel zog ich etwas anderes. Duncan hatte mir ein Daumenkino gebastelt, mit selbst geknipsten Fotos. In seiner Medien-AG filmte er gerade Bohnen beim Wachsen. Für mich hatte er eine dicke Tulpe fotografiert und die Bilder zu einem kleinen Büchlein geheftet. Wenn ich die Blätter schnell durch die Finger gleiten ließ, schien die Knospe zu wachsen. Nach ein paar Sekunden platzte die gelbrote Blüte heraus. Ein tolles Geschenk!

„Ihr seid echt spitze, Leute! Dankeschön!“ Ich umarmte meine Freunde alle nacheinander. Auch die Jungs!

Die Glitzerkugel kam als letzte an die Reihe. Sicher wieder ein Fußball, dachte ich, davon bekomme ich alle Nasen lang neue. Ein großer Briefumschlag hing daran mit einem Fan-Schal vom 1.FC Lok Leipzig, tausend Küssen von Uroma und Uropa und einem Zehner für Süßigkeiten. Ich setzte mich zu ihnen aufs Sofa, damit sie beim Auspacken zusehen konnten.

„Lok-Fan bin ich eigentlich nicht“, sagte ich leise. Über Geburtstagsgeschenke meckert man nicht. Vielleicht würde ich in meinem Zimmer einen Platz finden. Als ich das Papier abgezogen hatte, dachte ich, Oma und Opa wollten mich reinlegen. Das Ding war steinalt, das Leder hart und brüchig. Spielen konnte man damit nicht mehr. Immerhin glänzte der Ball golden, aber das war nur Farbe, und die fiel auch schon ab. Irgendwo hatte ich den schon mal gesehen.

„Der ist doch aus deiner Vitrine, Opa!“

„Ja. Das stimmt, meine Kleine.“

Nenn mich nicht Kleine und schenk’ mir nicht so altes Zeug, dachte ich. Mit Sicherheit zog ich ein finsteres Gesicht. Opa lächelte hartnäckig und sagte: „Bei den vielen Fußballsachen, die du schon hast, lässt sich kaum noch etwas Besonderes finden. Wir haben uns für ein Andenken entschieden. Dass ist die schönste Erinnerung an meine Fußballzeit.“

„Deine schönste Erinnerung?“ Das klang spannend. Meine Freunde spitzten die Ohren. Ich sah mir den Ball genauer an. Jemand hatte ein Autogramm darauf gekritzelt, aber ich konnte es kaum lesen.

„Ich erkenne ein ’E’ und ein ’o’. Wer hat hier unterschrieben?“

In diesem Moment stürzte Papa in die Runde. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass er weg gewesen war. „Alles auf zur Schnitzeljagd!“

Mattu und Klem sahen sich an. Ihre Mienen sagten mir alles: Papa verwechselte uns mit Kleinkindern! Dann sah ich das Navigationsgerät in seiner Hand. Alles klar! Er hatte nur das Wort verwechselt.

„Geocaching, super!“, sprang Leo auf. Da begriff es auch der Rest der Bande.

„Kommt ihr mit?“, fragte ich Oma und Opa, aber sie wollten lieber auf dem Sofa bleiben.

„Geht ihr mal auf eure Schnitzeljagd!“, sagte Oma. „Wir setzen uns ein bisschen in die Sonne.“

Alle anderen liefen aus dem Haus, um den ersten Hinweis zu suchen. In den Rosen am Hintereingang entdeckten wir ihn: Eine eingerissene Folie mit ein paar Sätzen. Leo griff in die Dornen, zuckte aber zurück.

„Musste das sein?“, knuffte Mama Papa in die Seite.

„Glaubst du, Geheimnisse werden einfach so gelüftet?“, fragte er.

Ich schnappte mir aus der Gartenhütte seine Lederhandschuhe, einen Augenblick später las ich vor: „Schwerer Raub auf dem Gelatineplaneten! Diebe auf der Flucht! Beute verschollen! Hohe Belohnung ausgesetzt!“ Darunter stand ein Koordinatensatz, der uns auf die Suche schickte. Wir verwandelten uns augenblicklich in Detektive.


Der Schlüsseldieb

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