Читать книгу Der Schlüsseldieb - Andreas Burkhardt - Страница 8
Duell auf der Wiese
Оглавление„Opa, kommst du heute mit zum Spiel?“, fragte Leo beim Frühstück.
„Auf euren selbstgebauten Platz am Gutshaus?“
„Genau den!“
„Das würde mich interessieren. Dort soll ja viel passiert sein, seit ihr in Kückritz wohnt.“
„Das kannst du laut sagen!“
Ich horchte auf, ob Leo die Gruselei mit den Enkelstein-Gespenstern ansprechen würde. So etwas glaubte kein Erwachsener, darum ließ sie es zum Glück. Außerdem war dieses Erlebnis nur der Anfang gewesen. Mittlerweile hatten wir auf dem alten Bolzplatz ein richtiges Spielfeld gebaut. Darüber erzählte Leo Opa recht lange, wofür ich ihr dankbar war, denn so dachten die Erwachsenen nicht an falsche Haare und kaputte Wände.
Leo erwähnte auch, dass wir eines weiter schmerzlich vermissten: die Umkleidekabinen. Weil das Gutshaus immer noch restauriert wurde, mussten wir uns weiter im Kindergarten umziehen. Jedes Mal lachten uns die Gegner deswegen aus. Und immer begannen wir mit Wut im Bauch das Spiel. Vielleicht gewannen wir deshalb so oft. Ob das auch heute klappen würde? Das erste Mal in unserem Leben waren wir um ein Törchen besser als die anderen. Und ausgerechnet jetzt trat der entthronte Spitzenreiter bei uns an: die TSG Lübben.
„Das ist ja ein richtiger Park geworden“, staunte Opa, als wir den Gutshof erreichten. Oma und Mama waren leider zuhause geblieben.
„Wenn du einen Sportpark meinst, passt es gut“, sagte Papa. „Die zwei Apfelbäume dort sind vom Bolzplatz noch übrig. Die waren früher eins der Tore, das andere mussten wir abreißen… Sag mal Tina, machst du aus dem Holz noch was?“
„Jaaa…“, sagte ich schwach. An die Stämme hatte ich ewig nicht gedacht. „Da baue ich noch was draus.“
Papa nickte beiläufig. Er war zu sehr mit Erzählen beschäftigt, um sich an meine Pläne für das Enkelstein-Denkmal zu erinnern.
„Komm mit!“, sagte er zu Opa. „Ich zeige dir, was die Stadt noch bauen will. Du ahnst nicht, was Leo und Tina alles angestoßen haben.“ Papa übertrieb, aber er war stolz auf uns.
Ich fühlte mich etwas besser. Opa nickte eifrig zu seinen Erklärungen und wir verabschiedeten uns zum Umziehen. Der größte Fußballexperte der Familie wollte uns beobachten. So ein wichtiges Spiel durften wir nicht vermasseln.
Nico erwartete uns mit den anderen im Kindergarten. Er ist noch immer unser Kapitän, denn Leo macht ihm den Posten nicht streitig. Lieber lädt sie Nico nach Hause ein, oder fährt stundenlang mit ihm Fahrrad. Zum Glück schaut er sie beim Fußball nie länger als zwei Sekunden an, sonst würde sie ständig mit weichen Knien herumlaufen. Jetzt hob er seinen Wuschelkopf und nickte uns zu.
„Habt ihr Frau Schnett gesehen?“
„Ist grad zum Schiri rein“, antwortete Leo.
„Okay. Wir gehen schon raus, falls sie fragt.“
Unsere Trainerin, Frau Schnett, ist eigentlich zu dick zum Fußballspielen. Dafür ist sie ein Fuchs bei der Taktik. Als wir uns zur letzten Besprechung am Spielfeldrand versammelten, machte sie allen klar: „Wir müssen hinten dicht halten! Ich will vollen Einsatz sehen, aber keine Fouls! Lübben schießt aus allen Rohren. Da dürfen wir ihnen nicht auch noch Freistöße schenken.“
Wir hielten uns gut daran. Leos Torriecher war diesmal nutzlos, denn sie wurde genauso in die Abwehr gedrängt wie alle anderen Kückritzer. Ich selbst erlebte einen Flugtag zwischen den Pfosten und hatte richtig Spaß. Den ersten Schuss lenkte ich über die Latte – alles normal. Den zweiten kratzte ich so eben noch von der Torlinie. Das war schon aufregender. Der dritte Schuss fand gar nicht erst statt, denn ich warf mich vor den Lübbener Kapitän und begrub den Ball unter mir. So hatte ich alle Hände voll zu tun. Es war ein richtiges Fest für mich, aber meine Freunde dachten sicher anders darüber.
„Klasse macht ihr das!“, rief Frau Schnett zur Pause im Spielerkreis. „Lübben muss sich jetzt was einfallen lassen. Vielleicht nutzen wir das für ein, zwei Konter. Wir packen das!“
Alle keuchten und rissen sich um die Wasserflaschen. Opa streckte zum Wiederanpfiff beide Daumen hoch. Und Lübben spielte jetzt wirklich anders: Sie ließen uns kommen. Plötzlich war Platz auf dem Feld und wir schafften unseren ersten Torschuss. Tatsächlich gelangen uns sogar zwei, denn Nicos Fernschuss konnte der Lübbener Torwart nicht fangen. Leo semmelte den Abpraller über die Latte.
Lübben nutzte unsere aufgerückte Abwehr nun für schnelle Gegenstöße. Zweimal musste ich allein retten, bis wir uns am Strafraum wieder einmauerten. Das wurde eine knappe Kiste, soviel war sicher. Lübben stürmte bis zur letzten Minute gegen unseren Kasten. Selbst mir wurden am Ende die Beine schwer. Und die Jungs schlugen die Bälle nur noch ziellos aus dem Strafraum.
Zu kurz, Nico! Der nächste Fernschuss senkte sich auf mein Tor. Ich sprang, die Arme hoch. Wie hoch denn noch? Ich kam nicht mehr ran – zu Hilfe! Die Latte rettete uns ein letztes Mal. Der Abpfiff war die reinste Erlösung.
„Ich hätte so gern für dich gewonnen“, sagte Leo traurig zu Opa. Doch er nahm uns begeistert in die Arme.
„Ihr seid ja unglaublich!“, strahlte er. „So ein Spiel muss man erst einmal über die Zeit bringen. Was denkt ihr, wie es uns früher ging! Gegen Barcelona zum Beispiel! Zuhause haben sie uns komplett überrannt. Erst im Rückspiel haben wir uns besser verteidigen können. Dort haben wir sie knapp geschlagen.“
Leo vergaß vor Schreck weiterzulaufen.
„Ihr habt Barcelona geschlagen? Das ist nicht dein Ernst!“
„Doch, das haben wir getan!“, fasste uns Opa fest an den Händen. „Im Nou Camp Stadion, in ihrem eigenen Wohnzimmer! Darüber freue ich mich heute noch. Ihr seid genau solche Kämpfer!“
Opas Worte fühlten sich wie ein Zaubertrank an. Ich bekam vor Stolz eine Gänsehaut und meine müden Beine wurden heiß vor lauter Kraft. Leo ballte die Fäuste, als könnte es sofort wieder los gehen. Wirklich schade, dass unser Spiel gerade zu Ende war. Jetzt hätten wir Lübben platt gemacht!