Читать книгу Das geheimnisvolle Kleekreuz - Andreas Max Allemann-Fitzi - Страница 12

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Zum (Titel)bild: Eine synthetische Betrachtung

Paul Klee war als Gymnasiast in Bern Lateinschüler und hatte einen Bezug zum Humanismus, der damals allgemein als zeitübergreifende Bildung zur Vorbildlichkeit – gemessen an antiken Mustern – verstanden wurde.

Er schrieb als Zusammenfassung seiner Kindheit und Jugend:

63 „Rückblick. Zuerst war ich ein Kind. Dann schrieb ich nette Aufsätze und konnte auch rechnen (bis zum elften bis zwölften Jahr). Dann bekam ich die Leidenschaft für Mädchen. Dann kam eine Zeit, wo ich die Schulmütze hinten am Kopf trug und den Rock nur mit dem untersten Knopf zuknöpfte (bis fünfzehn). Dann fing ich an, mich als Landschafter zu fühlen, und beschimpfte den 26 Humanismus. Vor der Sekunda wäre ich gerne durchgebrannt, was aber der Eltern Wille verhinderte. Ich fühlte nun ein Martyrium. Nur das Verbotene freute mich. Zeichnungen und Schriftstellerei. Als ich ein schlechtes Examen bestanden hatte, fing ich in München das Malen an.“

Der im 63 eingefügte 26 beschreibt eine Szene, als er als 9-jähriger eine Petrollampe zerschlug, dies sehr hartnäckig leugnete. Danach fühlte er sich als unentdeckter Sieger. Ein Sieg der Lüge über die Moral.

Paul Klee berichtete in diesem Rückblick nichts Besonderes, nichts Bewegendes, was aus pädagogischer und psychologischer Sicht nicht der damaligen und heutigen Norm entsprechen würde. Wie in den Notaten vor diesem Rückblick, handelt es sich um Schilderungen einer Kindheit, Jugend, Schulzeit bis zur Adoleszenz, ohne geringste Auffälligkeiten. Ein aufgeweckter Bube vor und während der Pubertät. Von hoher und vielseitiger Begabung, von ausserordentlichem Wissensdurst und Neugier, von Schulmüdigkeit und -überdruss, vom Drang nach Erlebnissen und von einer eher bescheiden wirkenden Rebellion gegen vermeintlich zu starker Autorität und Autoritäten. Von Lausbubengeschichten, von ersten Neigungen zu Erlebnissen mit Mädchen. Letztere mit Vorstellungen über ein entsprechendes weibliches Idealbild.

Am nächsten Beispiel können wir das vorerwähnte methodische Vorgehen wiedererkennen. Es geht um die gesteigerte Sehnsucht, Beziehungen zum andern Geschlecht aufzubauen, um die Sexualität zu erleben. Dass das „Geniessen“ dieses Mysteriums tiefgehend belastende Folgen haben kann, wird er in Bälde erleben. Vergessen wir den Zeitgeist nicht. Das Erleben der Sexualität war grundsätzlich der Ehe zugedacht und diese sollte -standesgemäss- vollzogen sein.

60 „Ich schrieb einige Novellen, vernichtete sie aber insgesamt. Anno 24 1898.

Doch nahm ich mich auch wieder in die Hände. Dass die Produkte nichts Rechtes sind, ist noch kein Beweis ungöttlicher Abstammung. In einem solchen Latein – Milieu muss man ja jede Realität als Halt entbehren. Was gibt einem ursprünglichen Trieb der verhasste Humanismus für Nahrung? Man ist ganz auf die Wolke angewiesen. Reiner Drang ohne Stoff. Überhohe Berge ohne Fuss.“

24 „Lange blieb ich mit etlichen Unterbrechungen der kleinen Camille treu. Diese Dame war schön, dafür kann ich heute noch einstehen. Die Liebe war bestimmt, aber geheim. Bei unvermuteten Begegnungen zuckte mein Herz zusammen. Allein grüssten wir uns kurz und scheu, vor Zeugen taten wir, als ob wir uns fremd wären. Als wir uns einmal grüssten, trug sie ein blass indisch rotes Kleid und einen grossen roten Hut (in der Hotelgasse). Ein anderes Mal ging sie auf der Kirchenfeldbrücke rückwärts, und ich konnte kaum einen Zusammenprall vermeiden, da trug sie ein kurzes dunkelblaues Sametkleid und eine kleine Mütze. Ihr Zopf war üppig und locker geflochten. Ihr Vater war Deutschschweizer, die Mutter aus Genf. Die fünf Schwestern waren eine schöner als die andere (sieben bis zwölf Jahre).“

61 „Die erotische Energie in mir als polygam erkannt. Mit der Opernsoubrette wechselte der Schwarm.

Verachtung der Keuschheit:

Keusch sind die vier Wände.

Dass ich’s ja erwähne!

Rein sind diese zwei Hände

Und wie ich ehrlich gähne ! 2. 1898.“

Randbemerkung 1:

Die Soubrette unterscheidet sich in der Oper von der Primadonna nicht nur stimmlich. Die Primadonna nimmt gesellschaftlich einen höheren Rang ein als die Soubretten, welche meist Dienstmädchen darstellen.

Randbemerkung 2:

„Die erotische Energie in mir als polygam erkannt“ [...] wird sich später als verhängnisvolle Fehlbeurteilung erweisen.

Paul Klees Prägungen durch familiäre Inhalte stammen aus der Welt der schönen Künste, seien es, und vor allem die Musik, die bildnerische Darstellung aber auch ausgeprägt durch die Sprache. Dies bezeugen seine schriftlichen Äusserungen, seien es Briefe oder Tagebucheintragungen. Er befleissigte sich, bereits in jungen Jahren, einer ausgesprochen reifen und überdurchschnittlich kultivierten sprachlichen Ausdrucksweise.

Vor allem die Ausdrucksstärke ist ein überzeugendes Indiz dafür, wie Paul Klee die prägenden Inhalte aus der Welt eines soliden Bildungsbürgertums bezog. Dazu gehörte das humanistische Gedankengut, ungeachtet welcher exakten Ausrichtung.

Zusammenfassend vernehmen wir von einer Lebensphase in einer sorgenfreien Familie des gutbürgerlichen Mittelstandes. Die Familie lebte, pflegte, förderte und liebte die Musik. Das elterliche Rollenverständnis war, wie damals üblich, standesgemäss. Für den „Broterwerb“ sorgte der Vater, für das häusliche Wohl, die Behütung und Erziehung der Kinder, die Mutter. Die freie Zeit genoss man mit Musik, sei es durch aktives Musizieren oder als Geniessende von Aufführungen. Man liebte das Lesen schöner literarischer Werke oder erlebte Theateraufführungen. Durch Wanderungen oder Aufenthalte an Seen und auf Bergen, erkannte und schätzte man die Schönheiten der Natur. Wir bekommen Einblick in eine Epoche des damaligen Bürgertums, humanistischer Prägung.

Die humanistischen Beeinflussungen aus dem Elternhaus und der Bildung bedürfen einiger Erläuterungen. Viele Gymnasien dieser Zeit zeigten ihre pädagogischen Inhalte schon in der Namensgebung. (Humanistisches Gymnasium etc.), pflegten die alten Sprachen wie Griechisch und Latein sowie die Kultivierung der (deutschen) Muttersprache und schöpften ihre Moralität aus mittelalterlichen Quellen. Dadurch hoben sich die Schüler und Studenten dieser Gymnasien und Universitäten von anderen ab und zeigten dies gerne in mittelschulischen und universitären Studentenverbindungen. Bei besonderen Anlässen trugen die Mitglieder ihre unifomhaften alten Bekleidungen und schmückten das Füllhorn. Sie übten und konkurrenzierten sich unter anderem in der Emblematik. Die Emblematik ist eine Form, gefördert im Humanismus, einer sinnbildlichen Darstellung. Sie ist formal dreiteilig und besteht aus einer Formulierung als Hinweis auf den gedanklichen Kern, einem bildlich darstellenden Teil und eventuellen kleinen Hilfeleistungen, um die rätselhaft anmutende Kombination von Formulierung und Bild auflösen zu helfen. Teilweise forderte man dabei gar, die vollständige menschliche Figur dürfe nicht abgebildet werden, höchstens einzelne Körperteile (Fragmente). Später stand der starke Rätselcharakter der Embleme, verbreitet als Zeichen humanistischer Bildung und hatte meist lehrhaft-moralische Inhalte.

Die Emblematik als rätselhafte Kombination von Bild und Text, in geheimnisvoller Darstellung, stellte hohe Anforderungen an die Lösbarkeit und war in humanistischen Bildungskreisen eine sehr beliebte Übungs- und Unterhaltungsform. Da Lehrer wie Studierende die Darstellung des Rätsels mehr und mehr abstrahierten und die Auflösungshilfen immer stärker verwässerten, befürchtete man zeitweise gar den didaktischen Gehalt der Inhalte zu verlieren. Ich erwähne die Emblematik etwas breiter, weil sich Paul Klee ihrer äusserst gerne bediente. Dies nicht nur bildnerisch sondern auch textlich. Das (Titel)bild ist eine vorbildliche Anschauung.

Zusammenfassend darf von einem wohlbehüteten Aufwachsen Klees in einem beschützten familiären Umfeld gesprochen werden. Man bemühte sich ehrgeizig, den Kindern eine ethische, moralische und intellektuelle Basis des Verstehens zu schaffen. Der absolute Wohlstand liess es zu, dem Sohn eine weiterführende Bildung zu bieten. Zur Wahl standen infolge überdurchschnittlicher Begabungen die Musik, die Literatur und die Malerei.

Den am Anfang zitierten 63 kann man als leicht resignierend und etwas trotzig interpretieren.

Die schulischen und literarischen Leistungen, gemessen an seinem hohen Können, beurteilt er eher als unterdurchschnittlich. Im zwischenmenschlichen Zugang, vor allem zum weiblichen Geschlecht, gar als völlig unerfahren. Die Musik erwähnt er da nicht, qualifiziert jedoch andernorts, die eigene Virtuosität stosse an Grenzen. Für seine persönlichen Ansprüche an den Beruf eines produzierenden Musikkünstlers würde sie (die Virtuosität) nicht genügen. Und ausschliesslich reproduzieren wollte er nicht: So fing er mal „in München“ das Malen an. Man würde dann ja sehen was diese Schulung bringt. Das Gleiche erwartete er von der Münchner Zeit in der Lebensschulung.

Was Klee einfach so hinschreibt, überlegen wir etwas näher. Der knapp 20-jährige kam aus dem geordneten und behüteten familiären Umfeld einer beschaulichen Vorortsgegend des schweizerischen Landesverwaltungszentrums Bern, abrupt in die Weltstadt München und das in grosser Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Die Mutter versuchte zwar einen Bezug zu fernen Verwandten herzustellen, was nicht fruchtete, weil Paul Klee nicht nur das Malen sondern ebenso das Leben erlernen wollte. Wie wir zeitzeugend wissen, herrschte in München eine Stimmung des Umbruchs und Umschwungs einer Neuorientierung. Wir können uns leicht vorstellen, wie ungenügend er darauf vorbereitet sein konnte. Was bisher als verboten, nicht angebracht, als nicht standesgemäss als zu vermeiden galt, stand nun plötzlich in freier Entscheidung.

Die sexuelle Aufklärung war damals ein Tabu oder Gegenstand errötender Ausflüchte und Umschreibungen.

Es schien mir wichtig, diese Mängel an Vorbereitung des jungen Klees seinem Hunger nach zwischenmenschlich vertieften Erlebnissen gegenüber zu stellen.

Im Frühsommer 1901, knapp zwei Jahre später, vertraute er dem Tagebuch als Ergänzung zum 63 den 152 an.

152 „(Fortsetzung von 63) Bald bildete ich mir ein, ich könne zeichnen, bald sah ich, dass ich nichts konnte. Im dritten Winter sah ich sogar ein dass ich wohl nie würde malen lernen. Ich dachte an die Plastik und begann mit Radieren. Nur Musik habe ich stets gut gestanden.“

Dieses resignierende und negative Urteil über die letzten zwei Jahre muss -es sei nochmals erwähnt- bei all seinen Begabungen Gründe haben, die sein Selbstverständnis zutiefst erschütterten und nach Veränderungen riefen.

Psychologische Sachverständige die eine mögliche Traumatisierung, hervorgehend aus der Kindheit und Jugend Klees entdecken wollten, finden keine sachlichen Grundlagen. Wenn von Traumatisierung gesprochen werden kann, dann erst später.

Das geheimnisvolle Kleekreuz

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