Читать книгу Das geheimnisvolle Kleekreuz - Andreas Max Allemann-Fitzi - Страница 7
Beispiel 2
ОглавлениеPaul Klee übertitelte sehr viele Eintragungen mit allgemein verständlichen, sinngebenden Wortbedeutungen.
Wir erkannten vorher die Novelle und das Epigon. Im 286 verwendet er das Epigramm, abgeleitet vom lateinisch-griechischen „darauf schreiben.“
Der zweifache Sinn ist mit, erstens Inschriften auf Monumenten oder Grabmälern und zweitens, als eigenständige Dichtform von kurzen, prägnanten Versen oder Gedanken von grosser Ernsthaftigkeit, teils spöttischer Natur, zu definieren. (Mit spitzer Feder)
Rom, November 1901
286 „Epigramme mit Reimen:
Dahin / fürs Malen kein Sinn
verscherzt die geliebte Musik mein Sohn / Hohn
Die Liebe als Sonne, ich als Sumpf:
Sonnenverpester als Dank
weil es bei mir von Sümpfen stank.
Bewahren / an Jahren / verstanden / vorhanden.
Welt / dann kosteten andere mein Geld
das selber ich meinen Vater kostete.
Geboren / geschoben / Herde, Erde
Angst des Weibes / Wunden und Schwären,
am Berge gebären / der Schande
Befreier / Dohlen und Geier
wurde ich los das Gewächs meines Leibes.
Freier / Leiber / Geleier / Weiber.“
Das eben gelesene Epigramm beschreibt Klees psychische situative Verfassung im Erinnern eines früheren, ihn sehr tief treffenden Ereignisses. Ich vermeide das Wort Traumatisierung bewusst, weil ich das Ereignis in allen Einzelheiten später beschreiben werde.
Fassen wir die Inhalte des Epigramms zusammen: Unlust am Malen und an der Musik. Die Zweideutigkeit der Liebe, sowohl als Licht, wie als Sumpf. Die Liebe als Sumpf kostete viel Geld. Das Hoffen, Bangen und die Angst vor der Geburt. Die Schande, die Befreiung des „Gewächs meines Leibes.“ Die Befreiung, durch „Dohlen und Geier“, beides Raubvögel.
Was soll das heissen?
Diese Frage wird sich auflösen.
Vorerst eine Anmerkung.
Paul Klee schuf 18 Jahre nach dem Eintrag 286 („Epigramm“) ein Werk namens „Sumpflegende“
[...] „die Liebe als Sonne, ich als Sumpf,; Sonnenverpester als Dank weil es bei mir von Sümpfen stank.“ [...]
Der Sumpf ist ein ständig feuchtes Gelände. Umgangssprachlich bildeten sich verschiedenste Redensarten oder Sprichwörter wie, sich aus dem Sumpf von Lügen, von Korruption, von schlechter Gesellschaft retten, sich aus einer fast ausweglosen Lage befreien.
Die Legende ist eine bildhaft spezielle Erzählung, die im Kern eine historische oder religiöse Wahrheit enthält, um die Tatsache eines Geschehens vermitteln zu versuchen. Die Legende ist mit der Form eines Märchens, der einer Sage verwandt.
Das nähere Betrachten des Bildes, datiert mit 1919 unter Zuhilfenahme des Titels einerseits und der schriftlich formulierten Inhalte des Epigramms von 1901, lassen uns Formen der Graphik erkennen:
In der Ecke links unten sehen wir eine kleine Sumpflandschaft, links und rechts umsäumt mit Tannen. Eine kleine Figur mit Kopfbedeckung trägt auf seinen Schultern eine Stange mit einem grossen Netz und hat etwas aus dem Sumpf befreit. Das Etwas entpuppt sich als winzige menschliche Gestalt, weiss gekleidet und vom Sumpf bedeckt. Die Kopfbedeckung der grösseren, rettenden Figur markiert der Künstler mit einer 1.
Die Figur ist rockartig bekleidet. Auf dem unteren Rockteil sieht man ein Kreuz, perspektivisch von rechts unten nach links oben. Merkwürdigerweise steht diese Figur auf zwei Beinchenpaaren, d.h. auf vier Beinen. Links über dem Sumpf eine dunkle Sonne. Die winzige und die grössere Figur mit den beiden Beinpaaren zeigen, es handelt sich um eine Dreiheit. Die Dämpfe des Sumpfes steigen, mit einer angezeigten Spitze nach oben, gegen die Sonne. Diese kleine Szene ist quasi als Bildchen im Bild eingegrenzt. Im Werk als Gesamtes erkennen wir dann viele Formen, wie Kreuze, seien es Grabkreuze, Fensterkreuze oder kreuzförmig angedeutete Dachziegel, Tännchen sowie eine strahlende Sonne im Zentrum der oberen Bildhälfte, im Sinne von Nach- und Umformungen in einer neuen Gesamtordnung.
Ich bin mir bewusst, mit dem Bildchen im Bild keine umfassende Bildbeschreibung über die „Sumpflegende“ gemacht zu haben. Wir begnügen uns mit dem Bildchen, weil darin der „oberste Kreis“, das heisst das Geheimnis, das dem Gemälde die eigentliche Aussage gibt, zu finden ist. Die übrigen Inhalte sind Umformungen und Neugliederungen.