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3.1.2 Können
ОглавлениеUnter Können verstehen wir das mehr oder weniger geplante Handeln in der Praxis. Das Sprichwort «Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen» sagt nichts anderes aus, als dass wir unser professionelles Können nur über den vielfach beschwerlichen Weg des Übens erlangen. Es wird heute davon ausgegangen, dass wir vom Anfänger bis zum Experten verschiedene Stufen durchlaufen.
Dreyfus und Dreyfus (1986) haben ein Stufenmodell des Kompetenzerwerbs bis zum Expertentum entwickelt, das für die Didaktik der Lehr-Lern-Prozesse fruchtbar genutzt werden kann.
•Die Lernenden durchlaufen im Lernprozess Stufe um Stufe, diese können nicht übersprungen werden.
•Die Stufen können nicht von allen Lernenden in jeder Domäne erreicht werden.
•Pro Stufe bestehen qualitative Unterschiede zwischen den Individuen mit unterschiedlichen Begabungen.
•Auf einer Stufe angelangt, können Lernende entweder bereits die nächsthöhere Stufe imitieren oder auf die nächstniedrigere zurückfallen.
•Die besten Leistungen erreichen Lernende auf der jeweils aktuell angemessenen Stufe.
Die unten stehende Grafik fasst die fünf Kompetenzstufen nach Dreyfus und Dreyfus (1986) zusammen: Novizenstadium – Stadium des fortgeschrittenen Anfängers – Kompetenzstadium – Stadium des gewandten Könners – Expertenstadium.
Abbildung 5 Kompetenzstufen nach Dreyfus & Dreyfus (1986)
Folgende Differenzen zwischen Novizen und Experten sind bekannt:
•Experten können mehr und Anfänger weniger als sie explizit wissen. Experten haben meist Schwierigkeiten zu erklären, was sie tun und warum sie es tun.
•Experten nehmen Situationen ganzheitlich wahr und interpretieren, wogegen Novizen lediglich beschreiben.
•Experten sehen in der Situation bereits die Lösung, respektive die Handlungsalternative. Sie verfügen über lösungsrelevantes Wissen, das die Relation zwischen Problemstellung und Lösungsvariante als Inhalt hat.
•Experten verfolgen situationsangemessene konkrete Ziele. Das heisst, sie verfolgen konkrete Handlungsziele und passen diese der speziellen Situation an.
•Experten verfolgen mehrere unterschiedliche Ziele gleichzeitig.
•Experten nehmen die relevanten Daten zur Problemlösung selektiv wahr.
•Experten wissen, wo sie sich im Problemlösungsprozess aktuell befinden.
•Experten verfügen über mehr bereichsspezifisches Wissen, das sich u. a. in der Qualität ihrer Wahrnehmung von Problemsituationen und relevanten Daten zeigt.
Der Weg vom Novizen zum Experten ist weit und mit grosser Anstrengung verbunden. Es ist wahrscheinlich eine Illusion, dass wir mit ein- bis dreijährigen schulischen Ausbildungen das Expertentum erreichen. Aber wir können den Prozess anbahnen, indem wir Lernumgebungen anbieten, die ein zielgerichtetes Üben, praktische Anwendungen, soziale Unterstützung und Kontrolle, Lernarrangements mit Experten sowie Reflexionen ermöglichen.
Es stellt sich grundsätzlich die Frage, ob schulische Bildung in der Lage ist, Experten heranzubilden. Vielmehr gehen wir davon aus, dass dies eher im Praxisfeld geschieht. Schulische Bildung bereitet diese Entwicklung vor, indem sie die Lernenden mit ihren Ressourcen abholt, neues Wissen aufbaut und den Transfer in die Praxis anbahnt. Lernortkonzepte der beruflichen Bildung und der höheren Berufsbildung begünstigen die Entwicklung zur Expertin oder zum Experten, indem sie die Verzahnung von Praxis, Theorie und Reflexion curricular unterstützen.
Novizenstadium
In diesem Stadium findet einfaches, kontextunabhängiges Regellernen statt, das den Novizen Orientierungshilfe gibt. Das Wissen ist meist beschreibend oder erklärend, und wird nach und nach in konkreten Situationen in Prozesswissen übergeführt. Novizen sind noch nicht fähig, Expertenhandeln zu imitieren, weil die Problemsituation zu komplex ist. Deshalb sind Regelwerke, Checklisten, Anleitungen und Rezepte geeignete komplexitätsreduzierende und strukturierende Hilfsmittel. Novizen soll dabei bewusst gemacht werden, dass damit das Ausbildungsziel noch nicht erreicht ist, sondern lediglich eine Vorstufe. Für die Ausbildenden, meist Experten, ist es äusserst schwierig, solches Rezeptvorgehen didaktisch zu gestalten. Sie sind sich ihres Handelns nicht mehr bewusst oder sind nicht bereit, solch simplifizierende Anleitungen zu produzieren, die aus ihrer Sicht weder der Theorie noch der Praxis entsprechen. Für Novizen sind vorstrukturierende Hilfen jedoch eine wichtige Stütze und Hilfestellung.
Stadium des fortgeschrittenen Anfängers
In diesem Stadium kommen ausgedehnte Erfahrungen durch Übung im Handlungsfeld dazu. Fortgeschrittene Anfänger lernen, verschiedene Aspekte einer Situation wahrzunehmen und zu unterscheiden. Sie verbinden das in Regelwerken Gelernte mit ihrer Praxis und entwickeln offenere und flexiblere Richtlinien, die der Variation der Praxis entsprechen. Das rein beschreibende Wissen wird allmählich durch kontextgebundenes Wissen ergänzt und ersetzt. Die Wahrnehmung der Gesamtsituation erfolgt jedoch analytisch, das heisst, fortgeschrittene Anfänger verlieren sich noch gerne im Detail und haben keinen Blick für das Wesentliche. Die Lernumgebung muss in dieser Phase eine hohe Dichte an wiederholten Übungen mit praktischen Beispielen und reflexiven Lerngefässen enthalten. Von Vorteil ist, wenn Ausbildungen ab diesem Stadium mit der Praxis verbunden werden. Es ist nicht verwunderlich, wenn mehrjährige Ausbildungen ohne Praxisbezug nicht über das Novizenstadium hinauskommen. Sie sind meist analytisch angelegt und bezüglich beschreibendem Wissen auf hohem Niveau. Studienabgänger können aber Praxisprobleme weder erkennen noch Lösungen generieren. Auch gut gemeinte, einmalige oder hochkomplexe Fallstudien sind in diesem Stadium überfordernd. Das Herausschälen typischer Aspekte bestimmter Situationen wird vor allem durch wiederholtes und variierendes Üben erreicht.
Kompetenzstadium
Im Kompetenzstadium erreichen Lernende den Sinn für das Wesentliche und verlassen langsam das Stadium des Anfängers, der pflichtgetreu nach Rezepten arbeitet. In diesem Stadium sind Lernende in der Lage, die Situation einzuschätzen, einen Plan zu erstellen und eine analytische, regelgeleitete Handlungsentscheidung zu fällen. Die Lernenden sind emotional beteiligt, da sie persönliche Entscheidungen fällen und deren Wirkungen evaluieren. Für dieses Stadium schlagen Dreyfus und Dreyfus (1986) den Einsatz von Fallstudien vor. Sie stellen des Weiteren fest, dass dies das letzte Stadium ist, das noch in der Schule resp. im Unterricht erreicht werden kann.
Auf den folgenden zwei Stufen muss zwingend Praxiserfahrung hinzukommen.
Stadium des gewandten Könners
Gewandte Könner erfassen die Problemsituation unmittelbar und ohne bewusste Anstrengung. Sie haben gewissermassen den Könner- und Kennerblick. Die Handlungsplanung erfolgt allerdings noch bewusst. Durch ihre breite Erfahrung in verschiedensten Situationen lernen sie allmählich, die Situationen ganzheitlich zu erfassen. Diese werden unmittelbar und ohne bewusste analytische Leistung erkannt. Gewandte Könner wählen bewusst Lösungsstrategien aus, die sich in der Vergangenheit in ähnlichen Situationen bewährt haben. Dreyfus und Dreyfus schlagen für diese Phase möglichst Realsituationen oder realitätsnahe Fallbearbeitungen vor. Kontraproduktiv wären jetzt Lehrstrategien aus den ersten zwei Stadien.
Expertenstadium
Im Gegensatz zum gewandten Könner erkennen Experten nicht nur die Situation intuitiv, sondern handeln auch entsprechend. Das heisst, der Experte sieht in der Situationsauffassung gleichzeitig auch die Handlungsalternative.
Das Stufenmodell suggeriert, dass der Lernprozess mit diesem fünften Stadium abgeschlossen ist. Weil sich aber Umweltbedingungen verändern, müssen auch Experten stetig weiterlernen. Über die Reflexion ihres Expertenhandelns können sie sich den verändernden Bedingungen anpassen.
Bei der Unterrichtsplanung müssen die jeweiligen Kompetenzstufen der Lernenden unbedingt berücksichtigt werden, damit sie nicht unter- resp. überfordert werden.
Im Europäischen Qualifikationsrahmen spiegeln sich diese Kompetenzstufen in einem Acht-Stufen-Modell wider, das zur Niveauklassifizierung von Kompetenzen herangezogen werden kann. Für die Dimension des Könnens ergeben sich folgende acht Stufen:
Stufe 1 | Unter direkter Anleitung in vorstrukturiertem Kontext |
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Stufe 2 | Unter Anleitung mit einem gewissen Mass an Selbstständigkeit |
Stufe 3 | Verantwortung für Arbeits- und Lernaufgaben übernehmen. Verhaltensanpassung auf die jeweiligen Umstände |
Stufe 4 | Selbstständige Tätigkeit, wobei sich die Umstände ändern können. Beaufsichtigung der Routinearbeit anderer |
Stufe 5 | Leiten und Beaufsichtigen bei unvorhersehbaren Veränderungen |
Stufe 6 | Leitung komplexer fachlicher und beruflicher Tätigkeiten oder Projekte mit Entscheidungsübernahme in unvorhersehbaren Kontexten ; Übernahme von Verantwortung |
Stufe 7 | Zusätzlich strategische Verantwortungsübernahme |
Stufe 8 | Fachliche Autorität ; Einleitung von Innovationen; Entwicklungsverantwortung |
Abbildung 6 Kompetenzstufen nach Europäischem Qualifikationsrahmen
In der Zwischenzeit sind auch die nationalen Qualifikationsrahmen von Deutschland und der Schweiz in Anwendung, die beide ebenfalls acht Kompetenzniveaustufen vorsehen.
Für die schulische Kompetenzniveaubestimmung und Selbsteinschätzung lässt sich auch folgendes Stufenmodell gut einsetzen. Lernende können mit Hilfe dieser Einstufung ihren Kompetenzgrad selbstständig einschätzen.
Stufe 1 | Ich kann es unter Anleitung durch eine andere Person oder mit Hilfe einer Checkliste tun. |
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Stufe 2 | Ich kann es selbstständig unter ähnlichen Bedingungen tun. |
Stufe 3 | Ich kann es selbstständig in einem anderen Kontext tun. |
Stufe 4 | Ich kann es selbstständig in einem anderen Kontext tun, kann es erläutern und vormachen und bei Bedarf weiterentwickeln. |
Abbildung 7 Schulische Kompetenzniveaustufen