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3.1.3 Wollen
ОглавлениеDas Wollen, die dritte Dimension von Kompetenzentwicklung, wird häufig unterschätzt. Der Faktor Wollen hat aber auf dem Weg vom Wissen zum kompetenten Handeln eine wichtige Funktion. Für diesen Weg hat Gollwitzer (1996, S. 533) nach Storch und Krause (2007) das «Rubikonmodell» entwickelt:
Abbildung 8 Rubikonmodell
Der Begriff Rubikon weist auf den Übergang vom Motiv zur Intention hin, dem Auslöser einer Zielsetzung und Handlung. Er geht zurück auf Julius Caesar, der den gleichnamigen Fluss überquerte und damit den römischen Bürgerkrieg entfachte.
Bedürfnisse, Haltungen, Werte, Überzeugungen
Menschen streben nach Sicherheit, Status, Autonomie, Verbundenheit und Anerkennung. Diese Bedürfnisse liegen ihrem Handeln zugrunde, sind aber meist nicht bewusst. Abweichungen vom Soll werden durch entsprechendes Handeln wieder ins Gleichgewicht gebracht. Durch die Gestaltung von Lernumgebungen können Lehrende diese Grundbedürfnisse für das Lernen nutzbar machen (schrittweises Vorgehen bei Anfängern mit unmittelbaren Erfolgserlebnissen, Lernen in kleinen symmetrischen Sozialformen, Erfolgserlebnisse gebührend mit Wertschätzung belohnen, die Lernenden eigene Wege gehen lassen und eine Fehlerkultur aufbauen).
Durch Erfahrungen mit Mitmenschen in der Familie, im Freundeskreis und in der Berufswelt bilden sich Haltungen, Werte und persönliche Überzeugungen wie zum Beispiel:
•Als Lehrperson muss ich alles wissen und immer einen Schritt voraus sein.
•Ich muss fehlerlos sein.
•Ich bleibe lieber passiv, dann mache ich keine Fehler.
•…
In Veränderungsprozessen soll daher in einer ersten Phase des «Bearbeitbarmachens», wie das zum Beispiel Wahl (2005, S. 41 ff.) vorschlägt, den mehr oder weniger bewussten Gefühlen, Erwartungen, Einstellungen und Wünschen besondere Beachtung geschenkt werden. Darunter fallen beispielsweise:
•Angst vor dem Scheitern
•Gefühl, dass die bisherige Arbeit nicht in Ordnung war
•Respekt vor Mehraufwand
•Antipathie gegenüber Lehrenden
•Angst vor Gesichtsverlust
•Angst, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein
•…
Motive
Bedürfnisse sind meist wenig bewusst, während sich Motive durch ihre bewusste Verfügbarkeit auszeichnen. Die Vielfalt der Bedürfnisse bringt eine Vielfalt von Motiven hervor, die sich teilweise widersprechen. Motive sind Antreiber von Handlungsabsichten und Handlungen. Sie werden reflektiert und gegeneinander abgewogen. Vor einer bewussten Zielbildung muss daher zwischen solchen sich widersprechenden Motiven abgewogen und der Entscheid für die situationsadäquate und vermutlich erfolgreichste Lösung gefällt werden. Dann setzt sich im günstigen Fall ein Motiv durch und es entsteht eine Absicht (Intention).
Motive sind zum Beispiel das Interesse an einer Sache, Funktionslust oder Neugierde, aber auch Ängstlichkeit. Motive wie Machtstreben, persönliche Bereicherung, Misserfolgsvermeidung oder Erfolgsstreben haben aber genauso ihre Wirkung.
Mit der Gestaltung der Lernumgebung wird die Motivwahl der Lernenden unterstützt. Damit können aus den Motiven situationsabhängige Motivationen entstehen, die zielgerichtetes Handeln erzeugen.
Bedürfnisse und Motive sind das Ressourcenpotenzial links des Rubikons. Lehrende können dieses Potenzial mit dem Einsatz gezielter Methoden nutzbar machen und den Lernprozess entsprechend konstruktiv gestalten wie beispielsweise durch
•das Sichtbarmachen des Vorwissens und der Erfahrung (Selbstwirksamkeitsgefühl)
•das Formulieren eigener Ziele (Autonomie)
•wertschätzende Rückmeldungen (Belohnung der Leistung)
•die Ermöglichung des Einbringens von eigenen Problemstellungen (Autonomie)
•das Anbieten von Problemstellungen aus dem Alltag der Lernenden (Sinnhaftigkeit)
•die Akzeptanz von Störungen und deren Bearbeitung (Wertschätzung)
•die Ermöglichung von Experimenten (Funktionslust und Neugierde)
•die Möglichkeit der kollegialen Zusammenarbeit (soziale Einbindung)
•das Schaffen von kleinen Lernerfolgen (Selbstwirksamkeitserleben).
Der Rubikon
Mit dem Überschreiten des Rubikons wird die eindeutige Entscheidung für ein Motiv gefasst und die Handlung realisiert. Aus dem Abwägen und Wählen wird ein Wollen (Motivation). Die Absicht bleibt auch erhalten, wenn Handlungen unterbrochen werden. Je grösser die Selbstverpflichtung, desto ausgeprägter scheint die Wiederaufnahmebereitschaft nach einer Unterbrechung zu sein.
Zielabsicht
Gollwitzer und Malzacher (1996, S. 432) gehen davon aus, dass die Absicht (Zielformulierung) eine funktionale Bedeutung für das Erreichen erwünschten Handelns und Verhaltens hat. Für die Formulierung solcher Zielabsichten hat sich die SMART-Regel bewährt. Sie besagt, dass konkrete Ziele folgende Eigenschaften besitzen:
•spezifisch (konkret)
•messbar (beobachtbar)
•attraktiv (von Bedeutung) und aktiv beeinflussbar
•realisierbar (erreichbar)
•terminierbar (zeitlich begrenzt)
Eine Zielabsicht allein garantiert noch lange nicht erwünschtes Handeln. Erfahrungen zeigen, dass die aktive und bewusste Bildung eines Vorsatzes ein wesentlicher Schritt in Richtung Realisierung einer Handlung ist.
Vorsatz
Vorsätze haben die Aufgabe, die Realisierung einer Handlung – auch bei inneren und äusseren Störungen – voranzutreiben. Sie unterstützen in diesem Sinne das Erreichen des Zieles. Zielabsichten beinhalten im Wesentlichen das «Was will ich erreichen». Vorsätze beantworten das «Wie will ich es erreichen». Ein Vorsatz definiert die Gelegenheiten und Mittel zur Zielerreichung, um mögliche Handlungskonflikte zu vermeiden. Brandstätter (1992, zit. in Gollwitzer & Malzacher, 1996, S. 453 ff.) konnte experimentell zeigen, dass eine Vorsatzbildung beabsichtigtes Handeln deutlich fördert. Das Erstaunliche an ihren Ergebnissen ist, dass dieses Handeln mit automatisiertem Handeln, das üblicherweise nur durch mehrmaliges Üben erreicht wird, vergleichbar ist. Die Wirkung blieb auch bei Doppelbelastung erhalten. Das heisst, dass mit einer einmaligen geistigen Aktion in Form eines Vorsatzes ein wirkungsvolles automatisiertes Handeln in der gewünschten Situation erreicht werden kann. Auf ähnliche Ergebnisse kommt Bamberger (1999, zit. in Storch & Krause, 2007, S. 77), wonach Vorsatzbildungen zu einer dreimal so hohen Handlungsumsetzung führen wie bei reinen Zielabsichten. Erklärbar ist diese Handlungswirksamkeit dadurch, dass bereits im Voraus mental eine Verknüpfung zwischen einer möglichen zukünftigen Situation und einer Handlungsreaktion gemacht wird. Durch diese mentale Verknüpfung wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass wir in der tatsächlichen Situation in gewünschter Form handeln. Die wahrgenommene Situation kann dann als Auslöser der Handlungssteuerung verstanden werden (Storch & Krause, 2007, S. 77). Übertragen auf Veränderungsprozesse und Lernprozesse sollten in Lernveranstaltungen nicht nur Selbstverpflichtungen im Sinne von Absichten, sondern auch konkrete Vorsätze gebildet werden. Statt zum Beispiel nur das Ziel «Ich werde zukünftig zielorientiert planen und unterrichten» formulieren zu lassen, könnte der Vorsatz «Das nächste Mal, wenn ich ein neues Fach unterrichten muss, werde ich mich zuerst um die im Rahmenlehrplan formulierten Kompetenzen kümmern und diese in eine sinnvolle Reihenfolge von Lektionen bringen» eine ergänzende handlungsunterstützende Funktion übernehmen. Solche Vorsätze können in einem Seminar unter Anleitung oder in kollegialen Beratungssettings als Abschluss einer Sequenz formuliert werden. Vorsatzbildungen sind bereits planende kognitive Vorwegnahmen der eigentlichen Handlungen.
Zusammenfassung
Bedürfnisse | •Orientierungen, deren Befriedigung angestrebt wird •Beispiel: Bedürfnis nach Status und Anerkennung |
---|---|
Motive | •Latente Persönlichkeitsvariablen, die über weite Teile des Lebens konstant sind. Sie werden wirksam, wenn bestimmte Umweltbedingungen vorhanden sind. •Beispiel: Motiv Erfolgsstreben |
Absicht | •Konkrete motivationale Entscheidungen, die ein entsprechendes Handeln steuern und aufrechterhalten •Beispiel: Ziel einer beruflichen Zusatzqualifikation in Form einer höheren Ausbildung |
Vorsatz | •Konkrete Vorwegnahme des zukünftigen Handelns •Beispiel: Wenn ich das nötige Kleingeld auf der Seite habe und ich die Voraussetzungen (Berufspraxis) erfülle, melde ich mich für die höhere Ausbildung an. |
Handlungsplanung
Die Phase nach der Vorsatzbildung besteht hauptsächlich aus Planungshandeln. Vielfach können Absichten und Vorsätze nicht unmittelbar in Handlungen umgesetzt werden oder begonnene Handlungen müssen unterbrochen werden. In dieser Phase werden Überlegungen gemacht, wie das gesetzte Ziel am besten erreicht werden kann. In dieser Phase werden das «Wann», «Wo», «Wie» und «Wie lange» eines Handlungsablaufs thematisiert (Gollwitzer, 1996).
Handlungsausführung
Abhängig von einer günstigen bzw. planbaren Situation und der individuellen Willensstärke kommt es zur Handlungsausführung.
Aus den obigen handlungspsychologischen Überlegungen leiten wir folgende didaktische Konsequenzen ab:
•Bedürfnisse und sich widersprechende Motive werden zu Beginn des Veränderungsprozesses ernst genommen und bewusst gemacht.
•Der Zielbildung wird im didaktischen Design Rechnung getragen.
•Die Lernenden werden in der Vorsatzbildung unterstützt und angeleitet.
•Die Lernenden werden in ihrer Vorsatzbildung und Selbstverpflichtung in kollegialen Tandems und Gruppen unterstützt. Dabei wird einerseits die Vorsatzbildung aufrechterhalten und andererseits gegen konkurrierende Absichten und Handlungen verteidigt.
Folgende Bedingungen begünstigen das Wollen der Lernenden:
•Ängste und Wünsche werden ernst genommen.
•Erfahrungen und Vorwissen werden gewürdigt, aufgenommen und anschlussfähig gemacht.
•Durch aktuelle Problemstellungen, die einen Bezug zur Alltagswelt resp. Praxis haben, werden Interesse und Anschlussfähigkeit erzeugt.
•Lernende werden an den Vorhaben des gemeinsamen Lernens beteiligt und haben ein Mitspracherecht.
•Die Lernziele sind für die Lernenden realistisch und realisierbar.
•Die Lernenden wissen, was sie zu tun haben, und sie erhalten viele sinnvolle und abwechslungsreiche Übungsmöglichkeiten.
•Die Aufgabenstellungen sind dem aktuellen Können angepasst, sie über- und unterfordern nicht.
•Die Lernenden erhalten durch kleine kontinuierliche Erfolge das Gefühl, es zu schaffen (Selbstwirksamkeit).
•Die Lernenden werden in der Arbeitswelt in der Umsetzung neuer Kompetenzen unterstützt.
Abbildung 9 Rubikonmodell und unterstützende Faktoren einer Lernumgebung
Diesen weiten Weg vom Wissen zum Handeln können wir durch verschiedene didaktische Arrangements unterstützen, aber nicht garantieren. Vielmehr müssen wir auch damit rechnen, dass Störungen wie «Giftpfeile» diesen Weg behindern. Solche Störungen sind u. a. Ablenkungen, andere Prioritäten, Frustrationen oder Veränderungen der Umweltbedingungen.