Читать книгу Ein MORDs-Team - Der komplette Fall Marietta King - Andreas Suchanek - Страница 18

Barrington Cove, Gegenwart

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Ein Montag


»Mum, ich bin zu Hause.« Olivia schob mit dem Hintern die Tür zu und balancierte ihre Einkäufe auf den Armen. Der faule Esel trägt sich auf einmal tot, dachte sie, während sie versuchte, die beiden Tüten, die Schultasche, die Post und den Kaffeebecher so zu halten, dass sie nichts vom Kaffee auf die Post verschüttete. Es wäre zwar nicht schade um die tausend Mahnungen gewesen, doch wenn nur ein Klecks auf den halbnackten Kerl tropfen sollte, der das Cover des neuesten Hollister-Katalogs zierte, würde Maria den ganzen Tag schmollen. Und schmollende kleine Schwestern waren nun mal ätzend. Zumal Olivia ihr heute den Küchendienst aufschwatzen wollte, um fotografieren zu gehen. Für den Abend war ein Gewitter gemeldet und die Lichtstimmung kurz vor oder nach einem Unwetter war einfach großartig. Zudem würde es über den Ozean hereinziehen. Doppelt gut, das Meer würde diesen herrlichen dunkel-türkisen Farbton annehmen. Mit ein wenig Glück würden die Wolken schwer und unheilvoll über dem Meer hängen, während die Sonne unterging. Selbst mit ihrer alten Nikon-analog-Scherbe könnte sie das nicht verhunzen. Da es ihre letzten Strandbilder im Caribic-Island-Wettbewerb immerhin unter die besten drei geschafft hatten, war Olivia umso mehr motiviert. Zwar hatte es kein Geld dafür gegeben, aber Olivia hatte gleich drei neue Anfragen von Magazinen erhalten, für die sie probeknipsen sollte. Sie brauchte einfach mehr Wettbewerbe, um ins Gespräch zu kommen.

»Mum?«

Keine Antwort. Vermutlich hing sie mal wieder mit Tante Filipa an der Strippe und diskutierte den neuesten Klatsch aus Lucainena de las Torres.

Der Kaffeebecher schwankte gefährlich, aber Olivia hatte den Küchentresen fast erreicht. Auf einmal stieß sie gegen einen Widerstand und konnte im letzten Moment verhindern zu stolpern. Sie blickte nach unten. »Carlos, geh weg!«

Der Kater war ihr vor die Füße gelaufen und schmiegte sich nun laut schnurrend gegen ihre Beine. Er hatte einfach ein unschlagbares Talent, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Olivia zischte noch einmal und versuchte ihn sachte wegzuschieben, was ihn nur dazu animierte, sich ans andere Bein zu werfen. Der Becher kam gefährlich ins Schwanken. Olivia biss auf ihre Unterlippe, fixierte den Kaffee, als könne sie ihn mit bloßer Willenskraft daran hindern überzuschwappen, und schaffte es schließlich mit der Post, den Einkäufen und dem Katalog zum Küchentresen. Sie hievte die beiden Tüten auf den Tresen, schmiss ihre Tasche auf den Barhocker und bückte sich, um Carlos auf den Arm zu nehmen.

»Du frecher kleiner Kater.« Sofort fing er an zu schnurren. »Hat dich heute noch niemand gefüttert? Oder tust du nur so als ob und spekulierst darauf, dass du noch etwas von mir bekommst?« Er stieß seine Nase gegen ihre. Sie lachte, setzte ihn auf einem der freien Hocker ab und öffnete den Unterschrank mit dem Katzenfutter.

Ihre Mutter kam durch das Wohnzimmer gelaufen. Den Telefonhörer ans Ohr geklemmt, redete sie wie ein Wasserfall. »Estás segura de que la has visto junto con Jorge? Y se hanbesado?«

Oha, Jorge ist mal wieder fremdgegangen. Olivia streckte die Hand hoch, um ihrer Mutter zu signalisieren, dass sie hinter dem Tresen kniete.

»Hallo, Liebes«, rief sie und setzte ihr Telefonat fort. »Esa mujerzuela. Ni hace casí un año desde la muerte de Manuel. Que dios le tenga en su gloria. … Sí, sí, ya sé … Lucia ya sabe algo? … Que? No lo dirás en serio…«

Olivia griff eine Dose mit extra viel Thunfisch, schloss die Schranktür und blickte in dem Moment auf, als Carlos auf den Tresen sprang und den Kaffeebecher umwarf. Der Inhalt floss mitten über Mister Nackter-Oberkörper-Hollister. »Carlos! Du gottverdammter …«

»In diesem Haus wird der Name des Herrn nicht missbraucht, junge Frau!«, rief ihre Mutter dazwischen.

»Verdammt«, schrie Olivia und scheuchte Carlos vom Küchentresen, der gerade den Milchschaum auflecken wollte. »Großartig. Einfach großartig.« Maria würde ausflippen. Das war’s mit der Fototour heute Abend. Adieu Gewitterstimmung, hallo Küchendienst. Olivia riss einige Küchentücher von der Rolle und versuchte, den Schaden einzudämmen. Vielleicht, wenn sie den Katalog zum Trocknen an die Wäscheleine … ach, egal. Olivia seufzte und warf ihn in die Papiertonne unter dem Tresen. Sie ließ sich in den Hocker plumpsen und nahm die Barrington Cove Gazette von heute.

Mal sehen, was für Fotos sie von Billys Haus genommen haben. Die Story hatte es immerhin auf Seite drei geschafft. Olivia blätterte die Stelle auf und stieß einen Pfiff aus. Sehr gut. Die Gazette hatte ein halbseitiges Bild sowie ein kleineres verwendet. Super, das macht dann fünfundzwanzig Dollar für die beiden Fotos. Wenn sie in dem Tempo ihr Geld weiter zusammensparte, hätte sie in gefühlten fünfzig Jahren genug zusammen, um sich die bis dahin neue Nikon-Spiegelreflex-Vollformat zu kaufen. »Dann bin ich steinalt und kann die Kamera nicht mehr ruhig halten«, sagte sie zu sich selbst und blätterte lustlos die Zeitung weiter durch.

»Olà, Oliv«, sagte Maria, als sie zur Küchentür hereinkam und sich auf die andere Seite des Tresens lehnte. Ihre kleine Schwester trug mal wieder eines ihrer hunderttausend Blümchenkleider, die mehr von ihrem Ausschnitt zeigten als verdeckten. Olivia schimpfte jedes Mal mit ihr. Das war einfach keine Kleidung für eine Vierzehnjährige. Die Haare hatte Maria diesmal zu einem kunstvollen Flechtgebilde hochgesteckt.

»Ist der Hollister-Katalog gekommen?«, fragte Maria. »Brenda sagte, das neue Covermodel sähe aus wie Chris Hemsworth, nur in jung.« Maria kaute wie immer Kaugummi und machte eine Blase, die sie sofort wieder platzen ließ.

Der Duft nach künstlichen Erdbeeren stieg Olivia in die Nase. »Ich hab dir schon tausend Mal gesagt, dass dein Kaugummigekaue nervt. Außerdem ist der Zucker schlecht für die Zähne.«

Wie zur Bestätigung machte Maria die nächste Blase, die sie extra groß werden ließ, bevor sie sie zum Platzen brachte. Kaugummireste blieben auf ihren Lippen und im Nasenloch kleben, die Maria mit dem Finger herunterpulte, um sie wieder mit dem Rest im Mund zu vereinen.

»Hast du eine Ahnung, wie viele Bazillen da jetzt dran pappen?«, sagte Olivia und blätterte weiter in ihrer Zeitung. »Vermutlich sind auch Haare von Carlos dabei. Mh, lecker. Katzenkaugummi.«

Maria verzog das Gesicht, beugte sich über den Tresen und kaute ungerührt weiter. »Und, hast du eine Ahnung, wo mein Katalog ist?«

»Nope«, sagte Olivia und studierte die Zeitung, als wäre es die spannendste Lektüre, die sie je gelesen hatte. An einer Anzeige blieb sie schließlich hängen. »Is’ nich’ wahr!«

»Was?«, fragte Maria.

Olivia studierte mit offenem Mund das Foto, das die komplette Seite einnahm. Darauf zu sehen war Rebecca Reach, Inhaberin der Galerie reachAble, die Rebecca vor fünf Jahren gegründet hatte. Neben ihr stand Lucian McAllister, einer der derzeit bekanntesten Modefotografen. Erst letzte Woche war er zu Gast bei Project Catwalk mit Heidi Klum gewesen und hatte dort die Models für den Contest des Tages fotografiert. Dieser Typ verdiente an einem Tag mehr als Olivia es in zehn Jahren je würde. Er reiste von London nach Paris nach New York nach Dubai. Er bekam alles vor die Linse, was Rang und Namen hatte, und er war für seinen letzten Bildband »Hello, Mister President«, bei dem er den Präsidenten ein halbes Jahr lang fotografisch begleiten durfte, mit dem ALLSTAR-Award ausgezeichnet worden. Und genau dieser Lucian McAllister führte nun zusammen mit Rebecca Reach in zwei Wochen einen Wettbewerb in ihrer Galerie durch. Als Preis winkten zehntausend Dollar – zehntausend! – und ein vierwöchiges Praktikum bei Lucian. »Heilige Scheiße.«

»Du sollst nicht fluchen, Oliv.«

»Mir egal.«

»Wer ist der Kerl?«, fragte Maria und verdrehte den Nacken, weil sie Olivia gegenüber saß und die Zeitung auf dem Kopf sah.

»Kennst du nicht«, sagte Olivia, kaute auf ihrer Unterlippe, während sie weiter las. An dem Wettbewerb durften alle Schüler der Barrington Cove zwischen fünfzehn und achtzehn Jahren teilnehmen. Einzureichen waren fünf Fotos zu dem Thema: Catch the Night. Die Bilder mussten selbst geschossen sein und durften nicht am Computer nachbearbeitet werden. Als Beweis war die Raw-Datei oder das Negativ beizulegen. Ebenfalls ausgeschlossen waren Langzeitbelichtungen.

Catch the Night … was könnte Olivia fotografieren? Das Naheliegende bei dem Thema wären nun mal Nachtaufnahmen und die gingen eigentlich nur mit einer Langzeitbelichtung. Sie hätte sich an die Autobahn gestellt, die Kamera fixiert und auf eine Minute Belichtung eingestellt. Die Lichter der Autos wären dann als Streifen abgebildet worden oder sie hätte mit ihrer Taschenlampe mit Licht malen können. Doch das konnte sie vergessen und mit ihrem Asbach uralt 5.6er-Objektiv würde sie keine Nachtaufnahmen schießen können. Die Linse war nicht mal lichtstark genug, um Bilder bei Flutlicht zu machen. »Mist.«

»Der Typ sieht genauso aus wie ich mir Christian Grey vorstelle«, sagte Maria, die mittlerweile um den Tresen herumgelaufen war und jetzt über Olivias Schulter auf die Zeitung blickte.

»Woher weißt du, wer Christian Grey ist? Du bist erst vierzehn.«

Maria schnaubte und verdrehte die Augen. »Klar doch, und ich glaube immer noch, dass die Babys von Störchen gebracht werden. Hallo? Shades of Grey ist doch Ringelpilz mit Anfassen. Du solltest mal Hundred Shadows of Night lesen. Da geht es richtig zur Sache, dagegen kann Christian mit dem läppischen Popoversohlen einpacken.«

»Maria!«, zischte Olivia. »Du wirst aufhören, diesen Quatsch zu lesen.«

»Sonst was? Verpetzt du mich an Mum? Dann sage ich ihr, was du letztes Jahr mit Rob von nebenan getan hast.«

»Das wirst du nicht …«

Maria formte einen Kussmund, umschlang sich selbst mit den Armen und verstellte ihre Stimme. »Oh Rob, das ist so schön. Ja, fass mich hier an, nein dort nicht, oh … ah …

»So war das überhaupt nicht …«

Maria ließ eine weitere Blase platzen, bückte sich, um den Hollister-Katalog wieder aus der Papiertonne zu fischen und warf dabei den Müll der letzten Tage auf den Boden. »Ups«, sagte sie, sah allerdings kein bisschen reumütig aus. Olivia wollte nach ihr greifen, doch die kleine Ratte stob davon und ihre Hand griff ins Leere.

»Mistkröte«, rief sie ihr nach. »Hoffentlich erstickst du an deinem Kaugummi.«

»Werde ich nicht«, rief ihre Schwester zurück.

Olivia ließ sich zurück auf den Barhocker sinken und betrachtete noch einmal die Ausschreibung. Zehntausend Dollar. Und keine Chance sie zu gewinnen. Denn dazu bräuchte sie wenigstens ein 1.4er-Objektiv oder ein 1.8er. Dazu die Kamera aus der Redaktion … das könnte sogar funktionieren. Sie würde das Rauschen als Kunstmittel einsetzen. Dank der Offenblende könnte sie die Zeit kürzer stellen und müsste eben nicht auf eine Langzeitbelichtung zurückgreifen. Die Frage war, woher sie mal eben dreihundert Dollar bekommen sollte, denn das kostete das 1.8er. Sie hatte es erst letzte Woche im Schaufenster bei Ed bewundert. Und das 1.4er kostet über das Doppelte …

Mit einem Seufzen knüllte sie die Zeitung zusammen und glitt vom Hocker. Sie stopfte alles, was Maria rausgeworfen hatte, wieder in den Papiermüll – den würde sie dann auch heute Abend leeren, während sie kein Gewitter fotografierte – und fluchte vor sich hin. Zehntausend Dollar. Davon könnte sie sich die neue Nikon kaufen, die große, die nächsten Monat rauskommen würde, und dazu eine richtig gute Festbrennweite. Das 4.0, 200 Millimeter vielleicht. Das Bokeh der Linse war ein Traum. Ed hatte sie mal damit ein paar Fotos schießen lassen. »Nur anfassen, nicht mitnehmen«, hatte er gewitzelt.

Olivia tippte mit den Fingern auf dem Tresen herum, bückte sich, um die Zeitung noch mal aus dem Müll zu holen. Sie blätterte die Seite mit der Anzeige für den Wettbewerb ein weiteres Mal auf und riss sie heraus. Sie musste einfach eine Möglichkeit finden, um daran teilzunehmen. Koste es, was es wolle.


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Ein MORDs-Team - Der komplette Fall Marietta King

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