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Die Wohnung der Familie Young

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Ein Donnerstag


Olivia stand vor ihrer Wohnungstür und rieb über das Touch-Display ihres neuen Smartphones. Eigentlich hatte sie kein neues gewollt, aber Randy hatte zig von den Teilen bei sich herumliegen, weil er ständig irgendwelche Apps schrieb und das aktuelle Modell vom Hersteller erhielt. Randy war der Meinung gewesen, dass Olivia ganz dringend ein Modell brauchte, das bessere Fotos schießen konnte. Es war zwar toll, eine Full-HD-Kamera im Kleinformat zu besitzen, aber Olivia hatte ständig den Drang, das Display sauber zu wischen. Ihr altes Nokia-Teil war bei weitem nicht so anfällig gewesen. Sie zog den zusammengeknüllten Zettel mit den Daten des Wettbewerbs aus der Hosentasche und wählte die angegebene Kontaktnummer. Nach dreimaligem Klingeln hob jemand ab.

»… spreche demnächst eine automatische Ansage drauf«, hörte Olivia jemanden sagen. Nicht Jemanden. Chris. Sie erkannte die Stimme sofort.

»Hi, wer auch immer da ist, der Wettbewerb ist abgesagt.«

»Das habe ich schon gehört. Heute Morgen live vor Ort. Zusammen mit dem Kaffee, der sich über deinem Hemd verteilt hat.«

Eine Pause.

»Hallo?«, hakte Olivia nach, weil sie nicht sicher war, ob er aufgelegt hatte. »Hier ist Olivia Young. Wir haben heute Morgen …«

»Ich erinnere mich. Der Fleck ist rausgegangen, du kannst dir die Reinigung sparen.«

»Deshalb rufe ich nicht an.«

»Sondern?«

»Ich … ähm …« Wie sollte sie das jetzt erklären, ohne dabei aufdringlich zu wirken? »Wir … meine Freunde und ich. Wir wollen dir gerne helfen, den Einbrecher zu finden.«

Chris lachte auf.

»Das ist mein Ernst.«

»Du bist ja niedlich.«

Niedlich? Hatte der Kerl eine Vollmeise? Niedlich waren Tierbabys oder Marias gepunktete Schlafanzughosen mit den Marienkäfern, die sie seit drei Jahren trug. Olivia schluckte den Zorn und den Drang hinunter, sofort wieder aufzulegen und redete weiter. »Ich könnte dich bei der Galerie treffen und wir …«

»Nein, danke. Die Polizei sagte bereits, dass wir uns keine großen Hoffnungen machen sollen. Wenn du mich also entschuldigst? Hier rufen ständig Leute wegen des Wettbewerbs an. Ich muss eine Pressemitteilung …«

»Musst du nicht«, unterbrach sie ihn diesmal.

»Bitte?«

»Der Wettbewerb wird stattfinden.«

Wieder eine Pause. »Ich leg jetzt auf.«

»Oh Mann, hör schon auf den Macker zu spielen und gib dir einen Ruck.« Olivia atmete aus. Zügle dein Temperament. »Mein Kumpel Randy und ich können dich morgen nach der Schule an der Galerie treffen. Du zeigst uns den Tatort und wir sehen, was wir herausfinden können.«

»Und du glaubst, ihr seid besser als die Polizei?«

»Dir ist genauso klar wie mir, dass dieser Fall bereits auf dem Weg in den Keller zur Archivierung ist. Wenn dir etwas an dem Wettbewerb liegt, dann sei morgen um zwei bei der Galerie.« Bevor Chris etwas erwidern konnte, legte sie auf. Jetzt hatte er erst einmal Stoff zum Nachdenken.

Sie grub nach ihren Wohnungsschlüsseln in ihrer Tasche und öffnete die Tür. Selbst wenn sie den Einbruch aufklärten, musste Olivia noch das Problem mit der Kamera lösen. Klar kam es beim Fotografieren nicht nur darauf an, die dickste Cam mit dem längsten Objektiv zu besitzen, aber für gewisse Situationen brauchte man nun mal High-Tech. Und das kostete.

Olivia trat ein. Carlos huschte an ihren Füßen vorbei ins Freie. »Bring bloß nicht noch mal eine Maus nach Hause«, rief Olivia dem Kater hinterher. Letzte Woche hatte er morgens ganz stolz mit einer dicken, fetten Maus im Maul auf dem Fußabtreter gesessen und gemaunzt, bis ihm jemand geöffnet hatte.

»Ja gut. Ich bin sofort da«, hörte sie ihre Mum auf Englisch sagen. Sie kam mit dem Telefon aus der Küche gelaufen und trug noch ihre Schürze, mit der sie immer kochte. »Mum ist die Beste«, stand in großen roten Lettern drauf.

»Was ist denn passiert?«, fragte Olivia. Ihre Mutter sah schrecklich aus. Die sonst so lebhaften Augen lagen blass und dunkel in den Höhlen, ihre graumelierten Haare standen in alle Richtungen ab und ihre Hände zitterten. Olivia hatte sofort einen Verdacht. »Ist etwas mit Dad?«

Mum nickte. »Er ist schon wieder auf der Arbeit zusammengebrochen und im Krankenhaus. Ich muss zu ihm.«

»Oh nein …« Das war schon das dritte Mal in den letzten zwei Wochen. »Wieder sein Magen?«

»Vermutlich«, sagte ihre Mum und holte ihre Handtasche aus dem Wandschrank neben der Haustür. Ihre Finger zitterten so stark, dass sie kaum den Reißverschluss öffnen konnte.

»Lass mich das machen«, sagte Olivia und half ihr.

Ihre Mum wischte sich eine Träne weg. »Gracias, cariño.« Sie fischte einen Umschlag aus ihrer Handtasche. »Tu mir einen Gefallen und bring den Umschlag zu Mister Cohen. Ich würde es selbst machen, aber ich …«

»Schon gut, ich übernehme das natürlich.«

»Gib ihm das persönlich, nicht seiner Assistentin, hörst du?«

Sie reichte Olivia den Umschlag.

»Die Miete?«

»Sí. Er soll dir den Erhalt diesmal quittieren. Ich lasse mich kein zweites Mal als Lügnerin hinstellen.«

»Geht klar, Mum.« Im letzten Monat hatte sie die Miete in den Briefkasten von Mister Cohen eingeworfen, er hatte daraufhin behauptet, sie nie erhalten zu haben.

»Ach ja, Maria ist oben in ihrem Zimmer. Sie weiß bereits, was los ist, aber sie wollte nicht runterkommen. Vielleicht kannst du später mal nach ihr sehen?«

»Mach ich.«

»Ich hab dich lieb.« Ihre Mum drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. In dem Moment hupte ein Auto draußen. »Das ist mein Taxi.«

»Du hättest mein Auto nehmen können.« Die Fahrt ins Krankenhaus kostete vierzig Dollar. Geld, das sie eigentlich nicht hatten.

»Nicht doch, Liebes. Ich nehme dir doch nicht deinen mobilen Untersatz weg.«

Olivia seufzte. Wieso konnten sie nicht mehr Geld haben? Sie wollte ja gar nicht so reich sein wie Danielle, aber ein klein wenig mehr, damit sie nicht jeden Cent zweimal umdrehen mussten, würde schon genügen. »Ich hab dich auch lieb, Mum. Und bitte sag Bescheid, wenn du weißt, was mit Dad ist.«

»Natürlich. Bis bald.«

Olivia blickte ihrer Mutter nach und strich über den Umschlag. Die Miete für diese Bruchbude betrug achthundert Dollar. Ihre Mum ging dafür im Stadtarchiv putzen, ihr Dad schob eine extra Schicht nach der nächsten und trotzdem reichte das Geld kaum. Sie drückte den Umschlag an ihre Brust. Wenn sie den Wettbewerb gewinnen würde, könnte sie vorübergehend einen Teil der Miete übernehmen. Dad müsste nicht so viele Überstunden machen und könnte mal zur Ruhe kommen. Oder sich einen richtigen Arzt leisten und sich nicht nur in der Notaufnahme versorgen lassen. Außerdem war da ja noch die Praktikantenstelle bei Lucian. Die würde Olivia definitiv die nötigen Kontakte und Chancen bringen, in der Fotobranche Fuß zu fassen. Sie könnte auch etwas zum Lebensunterhalt beitragen.

Doch all das führte zurück zu ihren beiden Problemen. Erstens: Der Wettbewerb musste stattfinden. Zweitens: Sie brauchte das perfekte Bild dafür. Und das war nur möglich, wenn sie das richtige Equipment besaß. Auf einmal fühlte sich der Umschlag in ihren Händen wärmer an. Alles was sie dazu brauchte, war das Geld darin zu Ed zu tragen, das 1.4er zu kaufen, Fotos zu schießen und das Objektiv morgen wieder zurückzugeben. Sie könnte ihm sagen, dass sie nicht damit klargekommen war, dass sie es sich anders überlegt hatte. Ed würde nie merken, wie viele Fotos sie damit geschossen hatte. In Kombination mit der Kamera aus der Redaktion konnten richtig gute Bilder dabei herauskommen.

Sie steckte den Umschlag mit dem Geld in ihre Handtasche. »Ich bin gleich wieder da, Maria.«

Alles was sie als Antwort erhielt, war ein aufgedrehter Bass irgendeines neuen Liedes, das Maria zurzeit rauf und runter hörte. Das war Marias Art, mit Dads schlechter Verfassung klar zu kommen. Sich einsperren und Musik hören. Olivia würde später nach ihr sehen. Jetzt musste sie erst einmal zu Mister Cohen und sich eine gute Ausrede zurechtlegen, warum er die Miete erst ein paar Tage später erhalten würde.


*

Ein MORDs-Team - Der komplette Fall Marietta King

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