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Mangelndes Interesse an der Verhinderung des Völkermords in Ruanda

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Bereits im Frühjahr 1994 waren in Ruanda über 800’000 Menschen einem Völkermord zum Opfer gefallen. Auch dieser Völkermord hätte bei entsprechendem Willen der UNO-Mitglieder, insbesondere der fünfzehn Staaten im Sicherheitsrat, verhindert werden können. Der Kommandeur der kleinen UNO-Blauhelmtruppe, die bis kurz vor Beginn des Völkermords in Ruanda mit einem reinen Beobachtungsauftrag stationiert war, hatte dem damaligen UNO-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali und der von seinem späteren Nachfolger Kofi Annan geleiteten Abteilung für Peacekeeping-Operationen (DPKO) umfangreiche und stichhaltige Beweise für die Planung und Vorbereitung des Völkermords der Hutu an den Tutsi übermittelt.

Boutros-Ghali und Annan legten diese Beweise dem Sicherheitsrat vor und plädierten nachdrücklich für die Stationierung einer robusten Blauhelmtruppe zwischen den verfeindeten Volksgruppen der Hutu und der Tutsi, um den drohenden Völkermord zu verhindern. Doch im Sicherheitsrat erhob sich keine einzige Hand zur Unterstützung dieser Forderung. Denn kein Mitglied des Sicherheitsrats war bereit, für eine solche Truppe eigene Soldaten, Waffen, Transportmittel oder sonstige Ausrüstung zur Verfügung zu stellen. Es gab kein ausreichendes nationales Eigeninteresse, sich für die Verhinderung des drohenden Völkermords in Ruanda zu engagieren.

Der damalige US-Außenminister Warren Christopher hatte seinen für Afrika zuständigen Beamten sogar ausdrücklich untersagt, mit Blick auf Ruanda von einem drohenden »Völkermord« zu sprechen. Das, so Christophers Befürchtung, hätte die USA unter politisch-moralischen Handlungsdruck gesetzt. Denn die UNO-Konvention zur Verhinderung von Genozid (Völkermord) von 1948 verpflichtete die Vertragsstaaten zum Eingreifen.

Ruanda ist bis heute der klarste Beleg dafür, dass die UNO eine ständige Truppe benötigt. Damit sie auch dann zur Verhinderung oder Beendigung von Völkermord und von Verbrechen gegen die Menschlichkeit militärisch handlungsfähig ist, wenn es unter den Mitgliedstaaten kein ausreichendes Interesse und keine Bereitschaft gibt, UNO-Soldaten und militärische Ausrüstung zur Verfügung zu stellen. Seit dem Völkermord in Ruanda gibt es eine Reihe weiterer Gewaltkonflikte insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent, bei der die UNO trotz eines entsprechenden Beschlusses des Sicherheitsrats nicht oder nur sehr unzureichend handlungsfähig war, weil die Mitgliedstaaten sich weigerten, das benötigte militärische Personal und die Ausrüstung zur Verfügung zu stellen.

Bereits vor den Völkermorden von Srebrenica und Ruanda hatte UNO-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali in seiner im Mai 1992 vorgelegten »Agenda für den Frieden« betont, dass die UNO in erster Linie verstärkte und bessere zivile Instrumente zur Bearbeitung von Konflikten benötige. Boutros-Ghali hielt allerdings auch eine ständige UNO-Truppe unter gemeinsamem Kommando des Sicherheitrats und des Generalsekretärs für unverzichtbar.

Doch da die drei westlichen Vetomächte des Sicherheitsrats, USA, Frankreich und Großbritannien, Boutros-Ghalis Vorschlag rundweg ablehnten, musste sich die Abteilung für Peacekeeping-Operationen in der New Yorker UNO-Zentrale um die »zweitbeste Lösung« bemühen. In den Jahren 1993/94 wurden sämtliche UNO-Mitgliedsregierungen ersucht, nationale »Stand-by-Kontingente« an Soldaten, Waffen, Transportmitteln oder logistischer Ausrüstung zu definieren, die der UNO im Bedarfsfall schnell zur Verfügung stehen sollten. Auf diese Weise sollte wenigstens die Planungssicherheit für Peacekeeping-Operationen erhöht werden.

Doch auch dieser Ansatz scheiterte. Bis Ende 1993 erklärten sich zunächst lediglich 23 Staaten »im Prinzip« bereit, der UNO insgesamt rund 35’000 Soldaten nebst Ausrüstung anzubieten. Doch keiner dieser Staaten machte diese prinzipielle Bereitschaftserklärung auch in Form einer formalen Vereinbarung mit der UNO verbindlich. Und auf das dringende Ersuchen des DPKO, sich an einer Blauhelmtruppe für Ruanda zu beteiligen, reagierten alle 23 Staaten negativ. Für den DPKO-Chef und späteren UNO-Generalsekretär Kofi Annan war das eine »bittere Enttäuschung«.

In den Jahren nach dem Völkermord von Ruanda erklärten zwar weitere 64 Mitgliedstaaten in Vereinbarungen mit dem DPKO in New York über sogenannte Stand-by-Kontingente ihre »prinzipielle Bereitschaft«, der UNO bei Bedarf Soldaten oder militärische Ausrüstung auszuleihen. Doch ausnahmslos alle Staaten behielten sich in den Vereinbarungen mit dem DPKO ausdrücklich das Recht vor, in jedem konkreten Fall einer UNO-Anfrage zu entscheiden, ob sie in diesem Fall tatsächlich Soldaten und Ausrüstung zur Verfügung stellten. Das grundsätzliche Problem, so DPKO-Chef Annan, sei denn auch weniger die Finanzierung von Operationen als »der fehlende politische Wille der Mitgliedstaaten«, im militärischen Bereich auch nur einen kleinen Teil nationaler Souveränität aufzugeben. Das ist bis heute unverändert das Problem, an dem die Aufstellung einer dringend erforderlichen ständigen UNO-Truppe scheitert.

1»In größerer Freiheit …«, www.un.org/Depts/german/gs_sonst/a-59-2005-ger.pdf; Zusammenfassung, www.un.org/Depts/german/gs_sonst/a-59-2005-exesumm.pdf (sämtliche Websites in diesem Buch wurden im März 2021 zuletzt geprüft).

2Text der Agenda 2030: www.un.org/Depts/german/gv-70/band1/ar70001.pdf

3www.tdh.de/was-wir-tun/arbeitsfelder/kinderrechte/meldungen/gut-leben-global

4www.globalpolicy.org/component/content/article/265-policy-papers-archives/53260-agenda-2030-wo-steht-die-welt.html

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