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Terrorismus wichtiger als Klimawandel?

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Die Fragen, welche Probleme als »globale Herausforderungen oder Bedrohungen« einzustufen sind und wer ihnen – alleine oder mit Verbündeten – mit welchen Mitteln begegnen soll oder darf, sind allerdings nicht nur von gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen abhängig, sondern auch von Interessen, Machtverhältnissen und von zur Verfügung stehenden Mitteln und Ressourcen. Es ist eine hochpolitische Frage. Zumindest in den ersten zwanzig Jahren nach Ende des Kalten Krieges 1989/90 herrschte in dieser Frage nicht immer internationaler Konsens.

Nach dem Gipfel von Rio über Umwelt und Entwicklung 1992 berieten die Regierungen der UNO-Mitgliedstaaten in den neunziger Jahren auf sechs weiteren Weltgipfeln über Menschenrechte (Wien 1993), Bevölkerungsfragen (Kairo 1994), soziale Entwicklung (Kopenhagen 1995), die Rolle von Frauen (Peking 1995), Wohn-und Siedlungsfragen (Istanbul 1996) und Ernährungsprobleme (Rom 1996). Auch Hunderte von Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt nahmen an diesen Gipfeln teil. Die Ergebnisse dieser sechs thematischen Gipfel flossen in die »Millenniumsziele zur Halbierung der weltweiten Armut« ein, die die Generalversammlung im September 2000 verabschiedete.

Ein weiterer Weltgipfel der UNO im südafrikanischen Durban Anfang September 2001 unter Leitung der damaligen UN-Hochkommmissarin für Menschenrechte Mary Robinson befasste sich mit »Rassismus, rassistischer Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängende Intoleranz«. Der Konferenzort Durban wurde ausgewählt, um den Kampf gegen die Apartheid symbolisch zu würdigen. Der Gipfel verabschiedete ein Aktionsprogramm, in dem alle Regierungen zur Verabschiedung eigener nationaler Aktionspläne aufgefordert werden.

Doch mit den Anschlägen vom 11. September 2001, vier Tage nach Abschluss der Konferenz von Durban, war es zunächst einmal mit der seit Ende des Kalten Krieges entstandenen Übereinstimmung unter den UNO-Mitgliedstaaten über globale Problemlagen und die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns vorbei.

Die Bush-Administration in Washington nahm in Reaktion auf die Anschläge vom 11. September nur noch »islamistischen Terrorismus« und den »Besitz von Massenvernichtungswaffen« in von den USA als »Schurkenstaaten« eingestuften Ländern als »globale Herausforderungen oder Bedrohungen« wahr. Washington drängte die UN-Organisation und die anderen 192 Mitgliedstaaten dazu, sich ebenfalls auf die Bewältigung und Bekämpfung dieser beiden Bedrohungen zu konzentrieren. Viele Regierungen gaben dem Druck nach. Für sich selbst nahm die Bush-Administration das Recht in Anspruch, auch mit Krieg, Folter und anderen völker- und menschenrechtswidrigen Mitteln zu re- beziehungsweise zu agieren, selbst dann, wenn – wie 2003 im Irak – überhaupt keine Bedrohung vorlag. Und die USA nötigten andere Staaten dazu, diese völkerrechtswidrigen Handlungen zu tolerieren, zu unterstützen oder sich sogar aktiv daran zu beteiligen.

In Reaktion auf die Verengung der Wahrnehmungen und Handlungen auf »islamistischen Terrorismus« und den »Besitz von Massenvernichtungswaffen» beschwor UNO-Generalsekretär Kofi Annan zur Eröffnung der Vollversammlung im September 2003 die Mitgliedstaaten – vor allem die im Norden –, sozioökonomische und ökologische Probleme wie Armut, Hunger, Unterentwicklung, Aids oder Umweltzerstörung als Herausforderung und Bedrohung der globalen Sicherheit ebenso ernst zu nehmen wie den Terrorismus und die Verbreitung von Massenvernichtungsmitteln.

Welche Maßnahmen erforderlich seien, um die Handlungsfähigkeit der UNO zur Bewältigung all dieser Herausforderungen und Bedrohungen zu stärken, beschrieb Annan dann konkret und detailliert in eben dem Reformprogramm »In größerer Freiheit. Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle«, das er der Generalversammlung März 2005 vorlegte und mit Dringlichkeit zur zügigen Umsetzung empfahl.

Unter der ab 2009 regierenden Obama-Administration ließen sich die USA zumindest zum Teil wieder auf das von Annan skizzierte Gesamtspektrum globaler Herausforderungen und Bedrohungen ein. Zugleich entwickelte sich international der Konsens, dass der Klimawandel die drängendste globale Herausforderung oder Bedrohung ist und daher entschlossenes gemeinsames Handeln möglichst aller Staaten erfordert. Ende 2015 wurde das Pariser Klimaabkommen vereinbart, mit dem sich sämtliche inzwischen 189 Vertragsstaaten zur Reduktion ihrer klimaschädlichen Emissionen verpflichten. Ziel des Abkommens ist es, die Erderwärmung bis Ende des Jahrhunderts auf »deutlich unter 2 Grad Celsius, besser noch auf 1,5 Grad zu begrenzen«. Auch die USA hatten das Abkommen zunächst unterschrieben. Die Trump-Administration vollzog 2019 allerdings den Austritt.

Der neue Präsident Biden hat für den Tag seiner Amtsführung die Rückkehr der USA in das Abkommen zugesagt. Bereits im Präsidentschaftswahlkampf legte Biden ein detailliertes Klimaschutzprogramm vor, das im Vergleich zur Politik aller seiner fünf Amtsvorgänger (Trump, Obama, Bush, Clinton, Bush sen.) seit Beginn der internationalen Klimaverhandlungen Ende der achtziger Jahre sehr ambitioniert ist. Sollte die Umsetzung von Bidens Programm gelingen, besteht eine reelle Chance, dass die USA bis 2050 den Rückstand auf andere hochentwickelte Industriestaaten in Europa und Asien bei der Reduzierung klimaschädlicher Emissionen, der Nutzung erneuerbarer Energien sowie dem Einsatz umweltfreundlicher und energieeffizienter Technologien aufholen werden.

Dabei sind auch die Maßnahmen, die etwa die EU-Staaten und Japan in den letzten drei Jahrzehnten seit der Gründung des IPCC und der Gipfelkonferenz von Rio unternommen haben und zu denen sie sich auf Basis des Pariser Abkommens für die nächsten dreißig Jahre verpflichtet haben, keineswegs ausreichend, um das erklärte Ziel bis Ende des Jahrhunderts zu erreichen, selbst wenn die bislang angekündigten Maßnahmen auch tatsächlich termingerecht erreicht werden sollten. Und das wird nur gelingen, wenn der Klimawandel auch weiterhin als prioritäre globale Herausforderung oder Bedrohung begriffen wird. Das sah allerdings Ende 2020 nicht so aus; lediglich ein Viertel der Vertragsstaaten des Pariser Abkommens hatten ihre Verpflichtungen erfüllt.

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