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Impfnationalismus statt globaler Solidarität

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Auch mit Blick auf die Verteilung und den Einsatz von Impfstoffen gegen das Corona-Virus demonstrierten die Industriestaaten zunächst nationalen Egoismus statt globaler Verantwortung. Bei der Jahresversammlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Mitte Mai 2020 klang das noch anders. Damals stimmten mit Ausnahme der USA alle anderen 192 WHO-Mitgliedstaaten einer Resolution zu, wonach alle Menschen auf der Erde in gleicher Weise Zugang zu Impfstoffen erhalten sollten, sobald diese entwickelt und verfügbar seien. Die Resolution wies der WHO und der UNO eine führende Rolle bei der Koordination der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie zu.

Und die Resolution verwies ausdrücklich auf die Ausnahmeregeln in dem Abkommen zum Schutz handelsbezogenen geistigen Eigentums (TRIPS), das in den neunziger Jahren im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) vereinbart wurde. Dass auch Patente auf Medikamente, Impfstoffe und andere medizinische Güter unter diese Schutzbestimmungen fallen, hatte damals der US-Pharmakonzern Pfizer durchgesetzt. Nach den Ausnahmeregeln des TRIPS-Abkommens können die Patentrechte von Pharmakonzernen in Gesundheitskrisen wie einer Pandemie ausgesetzt werden. Damit soll ermöglicht werden, dass andere Unternehmen Lizenzen erhalten, damit sie preiswerte Generika herstellen und in solche Länder exportieren können, in denen großer Bedarf an Medikamenten oder Impstoffen besteht. Generika sind Arzneimittel, die bei gleicher Zusammensetzung und Wirkung nicht den Markennamen tragen und deshalb um einiges preisgünstiger sind. Vereinbart wurden die TRIPS-Ausnahmeregeln auf den Ministerkonferenzen der WTO in den Jahren 2001 und 2003 unter dem Druck der AIDS-Pandemie. Seitdem konnten viele Millionen HIV-Infizierte vor allem in afrikanischen Ländern, die sich die überteuerten AIDS-Präparate der großen Pharmakonzerne aus den USA, der EU, Japan und der Schweiz nicht leisten können, mit preislich erschwinglichen Generika versorgt werden. Diese werden in Indien, Südafrika und Brasilien produziert.

Doch als Indien und Südafrika Anfang Oktober 2020 bei der WTO den Antrag stellten, die Ausnahmeregeln des TRIPS-Abkommens jetzt auch für Corona-Impfstoffe anzuwenden, stimmten nicht nur die USA, sondern auch die EU und weitere Industriestaaten dagegen. Und dies, obwohl schon damals offenkundig war, dass die Patentrechte der großen westlichen Pharmakonzerne bereits in der Anfangsphase der Corona-Pandemie die Versorgung ärmerer Länder mit Schutzkleidung und -masken, Atemgeräten und anderen dringend benötigten medizinischen Gütern stark behindert hatten. Die große Mehrheit von über 140 der 164 WTO-Mitgliedstaaten unterstützte den indisch-südafrikanischen Antrag. Doch WTO-Beschlüsse sind nur mit Konsens aller Mitgliedstaaten möglich, und die Industriestaaten blieben auch in zwei weiteren Beratungsrunden im November und Dezember 2020 bei ihrer Ablehnung.

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