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Inzwischen setzte sich die Unterhaltung fort

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Inzwischen setzten Nikolai Apollonowitsch und der Unbekannte die Unterhaltung fort.

»Ich habe den Auftrag,« sagte der Unbekannte, die Aschenschale von Nikolai Apollonowitsch nehmend, —»ja: ich habe den Auftrag, Ihnen dieses Paketchen zur Aufbewahrung zu übergeben.«

»Nur das?« rief Apollonowitsch Nikolai. Er wagte noch kaum zu glauben, daß das beängstigende Erscheinen des Unbekannten nicht jenes schreckliche Versprechen betraf, daß es sich nur um ein harmloses Paketchen handelte; rasch erhob er sich und näherte sich dem Paket; doch seltsamerweise erhob sich auch der Unbekannte und trat zwischen Nikolai Apollonowitsch und das Paket; und als die Hand des Senatorsohnes nach diesem griff, erfaßte der Unbekannte derb seine Finger:

»Vorsichtig, um Gottes willen . . .«

Da ertönte plötzlich ein metallischer Laut, ein Knall; man hörte das Quieken einer gefangenen Maus; im Nu flog das Taburett zu Boden, und mit eiligen Schritten lief der Unbekannte in die Ecke:

»Nikolai Apollonowitsch! Nikolai Apollonowitsch,« rief seine ängstliche Stimme, »eine Maus, eine Maus . . . Sagen Sie geschwind Ihrem Diener . . . daß, das . . . das kann ich nicht ertragen . . .«

Nikolai Apollonowitsch wunderte sich.

»Sie fürchten sich vor Mäusen? . . .«

»Rasch, rasch . . . schaffen Sie sie fort . . .«

Nikolai Apollonowitsch beeilte sich, den Knopf der elektrischen Klingel zu drücken und sah ordentlich komisch aus, in der Hand die gefangene Maus haltend, die allerdings in der Falle saß, und Nikolai Apollonowitsch neigte sein Gesicht fast bis an den Draht, um das Tierchen genauer zu betrachten.

»Ein Mäuschen«, sprach er, die Augen zum hereintretenden Diener gewandt; höflich wiederholte seinerseits dieser:

»Ein Mäuschen.«

Nikolai Apollonowitsch trug endlich das Paket in sein Arbeitszimmer; es fiel ihm flüchtig nur auf, daß das Paketchen so schwer war; doch dachte er darüber nicht weiter nach; nur als er auf dem weichen Teppich leicht stolperte, ertönte aus dem Paket ein metallischer Klang; der Unbekannte fuhr bei diesem Laut leicht in die Höhe, und dabei beschrieben seine Arme jene Zickzacklinie in der Luft, die den Senator vor kurzem so erschreckt hatte.

Doch es geschah nichts: der Unbekannte erblickte nur zu seiner nicht geringen Verwunderung auf dem Lehnstuhl im Nebenzimmer einen faltenreichen roten Domino und eine schwarze Maske; während Nikolai Apollonowitsch einen Platz in seiner Schreibtischlade freimachte und, vorsichtig, das Paketchen hineintat, betrachtete der Unbekannte den Domino; zugleich sprach er lebhaft Gedanken aus, die in ihm gründlich gereift zu sein schienen:

»Wissen Sie . . . Die Einsamkeit richtet mich zugrunde. Ich habe in diesen Monaten verlernt zu reden. Merken Sie nicht, daß meine Worte verworren sind?«

Nikolai Apollonowitsch, den bucharischen Rücken dem Gaste zugewandt, sagte hierauf durch die Zähne:

»Na, das geschieht zuweilen mit jedem.«

Der Unbekannte sprach hinter seinem Rücken weiter:

»Ich finde mich nicht mehr in den Sätzen zurecht. Ich will irgendein Wort sagen, sage aber etwas ganz anderes: drehe mich immer im Kreis um die Sache herum . . . Ich vergesse zuweilen die Namen der gewöhnlichsten Gegenstände, und wenn ich auf sie komme, dann zweifle ich, ob sie richtig sind. Ich wiederhole mir: Lampe, Lampe, Lampe; plötzlich aber scheint es mir, daß ein solches Wort gar nicht existiere. Ich habe meist niemand, den ich fragen könnte; und den ersten besten zu fragen, davon hält mich Scham zurück; man würde mich am Ende für einen Wahnsinnigen halten.«

»Aber was fällt Ihnen ein . . .«

Übrigens, was das Paket betrifft: hätte Nikolai Apollonowitsch aufmerksam auf die Mahnungen zur Vorsicht seitens seines Gastes geachtet, er würde begriffen haben, daß das vermeintlich harmlose Paketchen keinesfalls so harmlos war; aber er beachtete es nicht und verstand auch kaum die jetzt aufgefangenen Worte. Indessen fuhr die prasselnde Fistelstimme fort, ihn auf den Rücken zu trommeln:

»Das Leben ist schwer für einen, der, wie ich, in der Torricelli-Luftleere . . .«

»Torricelli?« fragte verwundert Nikolai Apollonowitsch, ohne auf die Rede zu achten.

»Ja, eben — Torricelli-Luftleere, und das alles im Namen der Allgemeinheit, der Sache für die Allgemeinheit; diese Sache für die Allgemeinheit hat aber mich aus der Liste der Lebenden gestrichen. Meine Gesellschaft sind Wanzen und Mauerkäfer. Ich bin nur — ich. Hören Sie mir zu?«

»Gewiß doch.«

Nikolai Apollonowitsch hörte jetzt tatsächlich zu.

Hier aber schwieg plötzlich der Unbekannte. Denn Nikolai Apollonowitsch hatte den Schreibtisch abgesperrt und wandte sich um.

»Wissen Sie: ich wollte Sie schon längst einmal sehen, um mich einmal vor Ihnen auszusprechen: ich sehe so wenige. Ich wollte Ihnen von mir erzählen.«

»Von wem? . . . Aber warten Sie, warten Sie: ich habe einen Kognak im Schränkchen — mögen Sie . . .«

»Nicht abgeneigt . . .«

Bald erschien vor dem Gast eine kleine Karaffe und zwei geschliffene Weingläschen.

Während er dem Gast das Glas füllte, dachte Nikolai Apollonowitsch daran, daß jetzt die beste Gelegenheit sei, sich von dem damaligen Versprechen loszusagen; als er aber diesen Gedanken in Worte einkleiden wollte — wurde er verlegen; aus Feigheit vermochte er es nicht, sich vor einem Fremden feige zu zeigen.

»Ich lese jetzt Conan Doyle zur Erholung,« fuhr der Unbekannte zu prasseln fort, »Meine Lektüre würde Ihnen überhaupt sehr verrückt erscheinen: ich lese die Geschichte des Gnostizismus, Gr. Nissk., den Syrianer, den Apokalypsis. Das ist, wissen Sie, mein Privileg. Die Originalität meiner geistigen Nahrung kommt von denselben Sonderstellungen. Ich bin ein revolutionärer Snob, wie es militärische Snobs gibt, die sich den Georgsorden verdient haben: einem alten Kriegsmann mit Verdiensten verzeiht man manches.«

Der Unbekannte wurde nachdenklich, dann füllte er sein Gläschen, trank es aus, um es von neuem zu füllen.

»Und warum sollte ich auch nicht nach meinem Eigenen, Persönlichen suchen: Ich privatisiere auch so zwischen vier gelben Wänden.«

»Sie waren ja deportiert gewesen?«

»Ja, nach Jakutsk.«

Hier entstand ein verlegenes Schweigen. Der Unbekannte mit dem schwarzen Schnurrbärtchen sah aus dem Fenster auf die Fläche der Newa. Schwänze von Rauch hingen über dem dunkelfarbigen Gewässer. Der Unbekannte nippte aus dem Gläschen, dann sah er die gelbe Flüssigkeit an: seine Hände zitterten.

Nikolai Apollonowitsch sagte beinahe mit . . . Haß:

»Den Massen aber sagen Sie wohl nichts davon?«

»Natürlich schweig’ ich noch so lange.«

»Nun, und nach der Rückkehr aus Jakutsk?«

»Die Flucht aus Jakutsk war mir gut gelungen; ich wurde in einem Sauerkrautfaß herübertransportiert, und jetzt bin ich das, was ich bin: ein Arbeiter im Dunkeln. Glauben Sie ja nicht, ich arbeite im Namen sozialer Utopien oder im Namen eurer Eisenbahn — Gedankengänge. Eure Kategorien erscheinen mir wie Schienen und euer Leben wie ein rollender Eisenbahnwagen; ich war früher auch ein vollendeter Nietzscheaner. Wir alle sind ja Nietzscheaner: auch Sie, Herr Ingenieur Ihrer Eisenbahnlinie, sind es, nur werden Sie es nie zugeben. Nun also: für uns, Nietzscheaner, ist die agitatorisch und revolutionär gestimmte Masse die Klaviatur, über die die Finger des Pianisten frei laufen, eine Schwierigkeit nach der anderen überwindend; und während irgendein Gaffer im Parkett sich an den göttlichen Beethoventönen labt, liegt für den Spieler und für Beethoven die Sache nicht in den Tönen, sondern im Septakkord. Sie wissen ja, was Septakkord ist? So sind wir alle!«

»Also Sportsmänner der Revolution!«

»Was ist dabei? Ist denn der Sportsmann nicht Artist? Ich bin Sportsmann aus reiner Liebe zur Sache, und deshalb bin ich Artist.«

Wieder entstand verlegenes Schweigen. Nikolai Apollonowitsch zupfte geärgert am Knopf seines Ruhebetts.

»Alles ist aufgebaut auf Kontrasten! Und meine Tätigkeit für die Gesellschaft brachte mich in die traurigen Regionen des Eises. Hier gedachte man wohl meiner, man vergaß aber, daß ich dort allein war, in einer Leere; und während ich in dieser Leere versank, verlor ich alle Parteivorurteile, alle Kategorien, wie Sie sagen würden: seit Jakutsk habe ich nur eine einzige Kategorie. Und wissen Sie, welche?«

»Welche denn?«

»Die Kategorie des Eises . . .«

»Wie meinen Sie dies?«

Wohl vom Nachdenken oder vom Alkohol nahm hierbei das Gesicht Alexander Iwanowitschs einen seltsamen Ausdruck an. Seine Farbe, ja selbst sein Umfang veränderte sich kraß (es gibt Gesichter, die sich jäh verändern): er schien jetzt ganz berauscht.

»Die Kategorie des Eises — das Eis der jakutischen Gegend; ich trage es immer im Herzen; das ist es, was mich von den anderen scheidet; ja, ja, ja; das Eis scheidet mich: erstens als Menschen, der unter fremdem Namen lebt, und dann hat mir dieses Eis jene besondere Eigenschaft verliehen, durch die ich mich, auch wenn ich unter Menschen bin, in die Un—ermeßlichkeiten versetzt fühle . . .«

Nikolai Apollonowitsch empfand eine seltsame Kälte: sein an die Partei gegebenes Versprechen war ja noch nicht zurückgenommen; von den Worten des Unbekannten wehten so durchdringlich eisige Ebenen; wie sein Vater liebte Nikolai Apollonowitsch nicht die Weite.

Inzwischen stand Alexander Iwanowitsch beim Fenster und lächelte:

»Ein Programm für die Revolution hat unsereiner nicht nötig: das ist etwas für Theoretiker, Publizisten, Philosophen . . .«

Plötzlich brach er ab und schwieg: aus dem schlackigen Nebel rollte ein Wagen heran, die Wagentür flog auf, und Apollon Apollonowitsch sprang rasch hervor und warf einen flüchtigen, ängstlichen Blick auf die Spiegelscheiben der Fenster. Auch Alexander Iwanowitsch empfand eine jähe Angst und führte die Hand vor die Augen.

»Er . . .«

»Was ist los?«

»Nichts Besonderes: Ihr Vater ist mit dem Wagen gekommen.«

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