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VAuf der Suche nach der nächsten Revision

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Einführungen in das Werk einer Autorin oder, wie in unserem Fall, eines Autors laufen nicht selten Gefahr, die betreffende Forschungsbiografie konsistenter und geradliniger zu beschreiben, als sie es tatsächlich ist. Das haben wir zu Beginn bereits angedeutet. Abbott selbst hätte für ein solches Vorgehen sicher kaum Verständnis. Im Hinblick auf sich selbst schiebt er entsprechenden Avancen konsequent den Riegel vor, indem er immer darauf hinweist, dass die Texte, die er veröffentlicht, in der Regel keine simplen Fortsetzungen bisheriger Arbeiten sind. Was er, wie gesehen, mithilfe des Konzepts des Encoding ganz generell über das Problem der Fortführung vergangener sozialer Strukturen in die Gegenwart sagt, gilt selbstverständlich auch für sein eigenes Werk.

Im Kern legt es Abbott, um es provokant zu formulieren, permanent darauf an, seine eigenen Thesen zu revidieren. Was dadurch für manche unsystematisch wirken mag, lässt sich durchaus auch als besondere Qualität des Werks würdigen. Abbotts Schaffen ist durch eine produktive Unruhe gekennzeichnet, die sich nicht nur darin erschöpft, gesellschaftliche Mythen zu dekonstruieren. In einer Rede vor jungen Chicagoer Studierenden spricht er z.B. der Erziehung jegliche Zielrichtung ab, außer derjenigen, in der jeweiligen Gegenwart genossen zu werden.106 Diese Unruhe erschöpft sich auch nicht darin, den eigenen Job als denjenigen eines rigorosen und strengen Kritikers seiner Kolleginnen zu begreifen: »Of course it is my job to question the whole thing«, leitet er einen Kommentar zu einem Vortrag seines Freundes Pierre-Michel Menger ein – ein Job, den er nicht zuletzt jahrelang als Herausgeber des American Journal of Sociology gemacht hat.107 Vielmehr arbeitet Abbott vor allem fortwährend daran, seine eigenen Positionen infrage zu stellen. Begreift er beispielsweise zur Jahrtausendwende sein Argument über die Selbstähnlichkeit des sozialen Lebens noch entlang von »Dichotomien«, entlang derer sich beispielsweise die sozialwissenschaftlichen Disziplinen kontinuierlich entfalteten und wandelten,108 würde er anderthalb Jahrzehnte später eher von »Binaritäten« sprechen. Der Ausdruck »Dichotomie«, so Abbott neuerdings, rieche mittlerweile zu sehr nach Szientismus, wie er mit Blick auf seine starke Prominenz in US-amerikanischen Arbeiten zum Feminismus und zu »race« einräumt.109 Neben begrifflichen Anpassungen zählt dazu ebenfalls die Revision mindestens eines Texts, an dem Abbott schon seit Jahren schreibt. Schon seit Ende der 1990er Jahre arbeitet er an einer sozialtheoretischen Monografie mit dem Arbeitstitel The Social Process – und nachdem er das Manuskript bereits 2003, 2008 und 2010 grundlegend überarbeitet hatte, saß er 2016 an einer weiteren Revision dieses Buches, von dem er selbst meint, dass er hier die wesentlichen Argumente einer prozessualen Soziologie konsistent zusammenführen wird.110

Beides, begriffliche und textliche Revisionen, sind gleichwohl nur Epiphänomene eines grundlegenden Modus der Überarbeitung, der Abbotts soziologisches Denken auszeichnet, obwohl er sicherlich auch als eine Erklärung der holprigen Rezeptionsgeschichte des Autors herangezogen werden muss, auf die wir oben hingewiesen haben. Er ist offen dafür, sich einzugestehen, dass bisherige Positionen zwar nicht fundamental falsch, so doch unzureichend sind – selbst wenn ihn das in intellektuelle Krisen führt. Bezeichnend ist, dass er Anfang der 1990er entdeckte, dass er sozialstrukturelle Fragen zu sehr vernachlässigt hatte, um eine überzeugende soziologische Theorie der Temporalität des sozialen Lebens, des »social process«, zu formulieren111 – was ihn u.a. dazu führte, das Konzept des Wendepunkts im Hinblick auf Fragen sozialer Ordnungsbildung zu diskutieren112 oder das bereits mehrfach angesprochene Konzept des Encoding zu einem fortwährenden Bezugspunkt seines Theoretisierens zu machen.

Sein Arbeiten ist dabei geleitet von einer Ahnung, einer ersten groben Idee – »you are just feeling around for stuff before you find out what you are actually looking for«113. Das schließt nicht aus, dass sich diese Form des Entdeckens, ja soziologisches Entdecken ganz allgemein, nicht systematisch betreiben ließe. Abbott legt dazu 2004 mit Methods of Discovery ein grundlegendes Werk vor.114 Dafür baut er auf eigene Forschungen zur sozialwissenschaftlichen Generierung von Wissen. Seine These ist, dass sich der Kenntnisstand dieser Disziplin über ihre Gegenstände repetitiv entwickelt – und nicht kumulativ, wie es üblicherweise die Hoffnung vor allem derjenigen Kolleginnen ist, die Sozialwissenschaften als enge Verwandte der Naturwissenschaften (Sciences) begreifen wollen, weniger der Geisteswissenschaften (Humanities). Mit dieser These markiert Abbott eine grundlegende Ambivalenz der Sozialforschung. Denn die Sozialwissenschaften entdeckten ihm zufolge das Rad einerseits immer wieder aufs Neue, wie er vergleichsweise scharf formuliert. Die jüngere Generation übertrumpfe stets die ältere, »then calmly resurrects their ideas, pretending all the while to advance the cause of knowledge. Revolutionaries defeat reactionaries; each generation plays first the one role, then the other.«115 Andererseits sind die Sozialwissenschaften dadurch auch außerordentlich kreativ – was Abbott mit Methods of Discovery explizit positiv herausstreichen möchte.116

Diese Kreativität der Sozialwissenschaften resultiere dabei maßgeblich aus ihrer fraktalen Organisation und der daraus erwachsenden, gerade bereits kurz angesprochenen Selbstähnlichkeit ihrer symbolischen Strukturen. Allgemein formuliert sind Fraktale geometrische Strukturen, die unabhängig davon, ob man sie als ganze, ausschnitthaft oder mit Blick auf ihre Letztelemente betrachtet, dieselbe Gestalt aufweisen.117 Das meint Selbstähnlichkeit. Abbott überträgt diesen Gedanken auf die Sozialwissenschaften: Sie sind anhand mehrerer Binaritäten selbstähnlich aufgestellt, entlang derer Forschende auf verschiedenen Ebenen und in diversen Feldern, vom kleinen Forschungsteam bis hin zur Disziplin im Ganzen, immer die gleichen gegensätzlichen Zugangsweisen zum Sozialen wählen, weil bestimmte Grundsatzprobleme offensichtlich nicht aus der Welt zu schaffen sind und diese Probleme aus eben sehr unterschiedlichen Perspektiven auf immer gleiche Weise angegangen werden.118 Im Kern handelt es sich bei diesen Binaritäten um die »großen Debatten« der Sozialwissenschaften, darunter Positivismus vs. interpretatives Paradigma oder Realismus vs. Konstruktivismus119, die – und das ist das Entscheidende – im jeweiligen theoretischen Lager wiederum zu binären Konstellationen führen. Auch innerhalb des interpretativen Paradigmas beispielsweise kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen denen, die einen stärker positivistischen Wissenschaftsanspruch erheben möchten, und solchen, die völlig darauf verzichten wollen. Innerhalb des realistischen Lagers gibt es diejenigen, die auf konstruktivistische Argumente zugehen, im Unterschied zu denjenigen, die dies vollständig ablehnen, etc. Die soziale Organisation der Sozialwissenschaften weist also keine vollständige Kongruenz mit den zentralen symbolischen Unterscheidungen auf: In einem Lager finden sich immer auch solche Studien, die den Prämissen der jeweils gegnerischen Position folgen, wodurch letztlich erst die alle Ebenen umgreifende Selbstähnlichkeit entsteht und sich reproduziert. Das heißt, die Sozialwissenschaften spalten sich immer wieder an Gabelungen theoretischer Debatten auf, nur um dann zu »alten« Gabelungen zurückzukehren und die Debatten im jeweiligen neuen Subfeld zu wiederholen. Selbstähnlichkeit ist ein Prozess: Sie schreibt sich weiter fort, indem Forschende die jeweiligen Binaritäten immer wieder aufs Neue rekombinieren und auflösen. Darin besteht gerade die Kreativität der Sozial- und Geisteswissenschaften.120 Abbott selbst spricht mit Blick auf die eigene Position, wie gesehen, von einem »narrativen Positivismus«, eine Formulierung, die paradox klingen mag, aber letztlich genau jene (Re-)Kombinatorik charakterisiert, die er für das zentrale Erkenntnisprinzip der Sozialwissenschaften hält. Methods of Discovery ist daher nicht nur ein Buch über konventionelle Heuristiken121, geschweige denn über normalwissenschaftliche Gemeinplätze.122 Es stellt die zentrale Bedeutung fraktaler Heuristiken heraus, Erkenntnisgewinn dadurch zu realisieren, (scheinbare) Oppositionen sozialwissenschaftlichen Denkens miteinander zu verbinden.

Abbotts Suche nach der nächsten Revision ist somit fundamental mit einer Arbeit an gleichsam sozialtheoretischen und dem Gegenstand angemessenen Heuristiken verknüpft. Kaum verwunderlich arbeitet er daher auch selbst rekombinatorisch an nächsten Revisionen. So scheut er nicht davor zurück, sein Publikum damit zu konfrontieren, sich, wie im Fall seines Vorschlags, Soziologie »lyrisch« zu betreiben, methodisch völlig neu zu positionieren.123 Diese lyrische Soziologie ist im Grunde eine fraktale Revision entlang der Binarität Positivismus/Interpretativismus.124 Abbott argumentiert hier gegen seinen eigenen »narrativen Positivismus«125, für den er zuvor geworben hatte und für den er bekannt war und bei dem es sich um eine syntaktische Form narrativen Erklärens handelt, eine positivistische Version interpretativen Forschens. Lyrische Soziologie – »against narrative«, heißt es programmatisch in der Überschrift des englischen Originals – bricht mit dieser positivistischen Variante von Hermeneutik. Er lässt damit letztlich narrative Erklärungen hinter sich, da lyrische Soziologie darauf abzielt, bei ihren Lesern »die Erfahrung einer sozialen Entdeckung wiederherzustellen«, wie Athanasios Karafillidis treffend formuliert.126

Forschende mit einer lyrischen Grundhaltung setzen bei den Orten und Zeiten an, wie sie die beteiligten Personen erleben, und konstruieren auf Basis all dieser kontextspezifischen Informationen ein »bestmöglich ›objektives‹ Modell« dieser Situationen.127 Das tun sie insbesondere dadurch, dass sie sich aufgrund der unüberwindbaren Kluft zwischen der betrachteten »Situation und ihren Menschen«128 einerseits und ihrem eigenen Beobachtungsstandpunkt andererseits in die von ihnen (re-)konstruierten Momente einfühlen.129 Abbott radikalisiert damit aufs Neue seine konsequent empirisch orientierte Theoriebildung130, und zwar gegen eine von ihm selbst oft auch verfochtene Betrachtungsweise, die mittels erzählerischer Mittel die Ereignisse im Hinblick auf ihre (möglicherweise sogar zu verallgemeinernden) Verkettungen analysiert. Nun will er eben auch eine soziologische Betrachtungsweise zu ihrem Recht kommen lassen, die sich damit begnügen will, das Momenthafte des Sozialen festzuhalten und intensiv zu beschreiben, wie man es vielleicht auch von einem romantischen Gedicht sagen würde. Daher rührt sein Verweis auf das »Lyrische«.

In Abbotts Arbeitsweise und seinem Drang zur Revision drückt sich eine zentrale ontologische Prämisse aus, die ihn einmal mehr als gelehrigen Schüler Whiteheads ausweist. »By a processual approach, I mean an approach that presumes that everything in the social world is continuously in the process of making, remaking, and unmaking itself (and other things), instant by instant.«131 Zu diesen Dingen gehören wie gesehen soziale Entitäten, kulturelle Strukturen, Konfliktmuster und Individuen, darunter Abbott selbst – warum sollte er sich ausnehmen. »Perhaps my own writing illustrates the processual approach all too well«132, spekuliert er. Allerdings – das sei an dieser Stelle angemerkt – könnte man hier natürlich Abbott gegen Abbott lesen und davor warnen, die (Selbst-)Narration seiner Biografie als einer Serie von Ereignissen, die sich seinem eigenen Theorieverständnis »erstaunlicherweise« fügt, mit den tatsächlichen Okkurrenzen zu verwechseln, die diese Biografie von Chicago in die Hamburger Edition geführt hat.

Abbotts Arbeitsweise bringt diese Prämisse allerdings nur zum Ausdruck. Sie erklärt sich nicht aus ihr, zumindest nicht vollständig. Ontologisch ist Abbott, verkürzt formuliert, Whiteheadianer. »Given pieces of work are redefined by later work.«133 Epistemologisch ist er Pragmatist. So erklärt sich seine Arbeitsweise in erster Linie daraus, dass Abbott – wie erläutert – in der Tradition des Amerikanischen Pragmatismus und der Chicagoer Schule der Soziologie steht, die er innovativ fortsetzt. Das zeigt sich vor allem daran, dass Abbott die Genese von Wissen ebenso wie John Dewey oder George Herbert Mead als kontinuierliches Problemlösen begreift – induziert aus nicht antizipierten Ereignissen, deren Deutung an bisherigen Gewissheiten zweifeln lässt, routiniertes oder auch spontanes Handeln deshalb hemmt, was heißt, dass die Rückgewinnung von Handlungsfähigkeit notwendig auf der kreativen Kompetenz der Beteiligten basieren muss, die eine zunächst unbestimmte Situation für sich in ihrer Gestalt neu bestimmen.134

Indem er autobiografische Erfahrungen teilt,135 legt er seine eigene Historizität offen: »One doesn’t live intellectually in an abstract world disconnected from the daily round of teaching and grading and getting roasted by referees«136 – weswegen er sich pragmatisch mit bestimmten Problemen (und ihrer Lösung) befasst.137 Dabei verhehlt er nicht seine emotionale Affiziertheit mit Vorgängen, die er erlebt, »das Gefühl der Erkenntnis«138, und weist sie, wenngleich eher implizit, als zentralen Aspekt seiner prozessual-reflexiven Form des soziologischen Arbeitens aus.139

Die genuin pragmatistische Epistemologie Abbotts ist jedoch nur die eine Seite der Erklärung, warum er ständig an Revisionen arbeitet. Die andere Seite ist, dass seine Stärke darin liegt, mit etwas anzufangen, anstatt Dinge abzuschließen. »I am a person who starts things easily but does not finish them easily«, gibt er freimütig zu Protokoll.140 »Wir fangen immer erst an zu denken«, schreibt er an anderer Stelle.141 Prozessual gesehen handelt es sich bei diesen Anfängen genau genommen um Unterbrechungen des bisherigen Denkens, die dann wieder zu neuen Argumenten führen – wobei Abbott selbst das Problem sieht, dass es ihm nicht gelingt, sein Denken lang genug »einzufrieren«, um längere Stücke wie die avisierte Monografie The Social Process tatsächlich zum Abschluss zu bringen.142 Stattdessen arbeitet er sequenziell, »ständig auf Anfang«, und ist in ständiger Bewegung143 – wobei ihm nicht zuletzt eine spezifische Form der Ignoranz hilft, die er gegenüber der Soziologie kultiviert. Seit den frühen 1980er Jahren verzichtet er immer mal wieder für längere Zeit darauf, soziologische Theorien zu lesen – mit dem Argument, dass diejenigen, die in der Soziologie als Klassiker gelten (Karl Marx, Émile Durkheim, Max Weber, aber auch die Chicago School und Clifford Geertz), bereits die wesentlichen sozialtheoretischen Denkfiguren formuliert hätten.144 Wie er freimütig einräumt, schützt ihn diese Ignoranz davor, allzu viel Zeit darauf zu verwenden, das Altbekannte in seine eigene soziologische Sprache zu übersetzen, anstatt sich unter dem Eindruck dichter Gegenwarten selbst auf die Suche nach neuen Ideen zu machen.145

Heuristische Beweglichkeit – wir denken, man sollte auch offen von Unentschlossenheit sprechen – und theoretische Ignoranz haben jedoch ihren Preis. Zeitlich gesehen arbeitet er zwar kontinuierlich an seinem Ziel, The Social Process zu schreiben, kommt ihm aber nur zögerlich näher. Er steuert im Grunde immer wieder auf eine systematische Theorie zu, ist aber zu sehr mit Revisionen befasst, als dass diese Theorie zumindest annäherungsweise eine präsentable und diskutierbare Gestalt annehmen könnte. Es klingt einleuchtend, wenn Richard Swedberg zu bedenken gibt, dass Abbotts Methode seiner eigenen Theorie im Weg steht, seine Suche nach der nächsten Revision letztlich eine systematische Theorie verunmöglicht.146 Gleichzeitig – und das möchten wir betonen – müsste man wohl auf zahlreiche fruchtbare Argumente verzichten, schriebe Abbott »einfach nur« an einer prozessualen Theorie, ohne dass seine Arbeitsweise dabei reflexiv mit den ontologischen Prämissen dieses Theoretisierens verknüpft wäre. Wie auch immer, sachlich hat Abbott ohne Zweifel den Preis einer eigentümlichen theoretischen Genügsamkeit zu zahlen. Er kann mit seinem Konvolut an Texten bis heute letztlich nur eine »Perspektive«147 prozessualer Soziologie anbieten, keine Theorie. Da hilft auch keine Schönfärberei der Art, dass er geltend macht, pointierte Essays seien »in einer Welt kürzer werdender Aufmerksamkeitsspannen« manchmal wirkungsvoller als systematische Gesamtdarstellungen.148 Schließlich brauchen wissenschaftliche Studien theoretisches Rüstzeug, das zumindest »fest« genug für Vergleiche und Reproduktion von Forschungsergebnissen ist – was eine schulbildende Rezeption Abbotts wohl erschwert, wenn nicht gar verhindert hat. Damit eng verbunden sticht ins Auge, wie wenig Abbott sich zudem darum kümmert, seine Suche nach einer genuin prozessualen Soziologie mit anderen Ansätzen ins Gespräch zu bringen, die sich ebenfalls mit der Prozessualität des Sozialen befassen.149 Es geht hier ja nicht um »ein singuläres Abbott-Problem«, wie Athanasios Karafillidis schreibt,150 sondern um Problemstellungen von erheblicher sozialtheoretischer und methodologischer Tragweite.151 Sozial betrachtet zahlt Abbott – aus guten Gründen! – den Preis disziplinärer Randständigkeit, zumindest dann, wenn man – wie Abbott – behauptet, dass Disziplinen »Klubs der einsamen Herzen« sind. Er bezeichnet damit Zirkel von Wissenschaftlerinnen, die sich zusammenfinden, um in einer Welt, die einen Überfluss an Dingen kennt, die man wissen müsste, die erforderliche Lektüre auf ein zu bewältigendes Maß zu reduzieren.152 Abbott entzieht sich dieser Kanonisierung eben immer wieder aufs Neue, kann aber gerade dadurch Einsichten vermitteln, die fast immer innovativ und höchst überraschend sind.

Ist Abbott durch seine Arbeitsweise ein Soziologe, der »nicht klassifizierbar« ist, wie Didier Demazière und Morgan Jouvenet vermuten?153 »Ja«, lautet die Antwort, wenn es darum geht, Abbott mit den üblichen Etiketten zu versehen, mit denen soziologische Klubzugehörigkeiten angezeigt werden – sei es »Symbolischer Interaktionismus«, »Kultursoziologie« oder »Systemtheorie«. »Nein«, ließe sich einwenden, wenn man seine ontologischen und epistemologischen Prämissen und seine Arbeitsweise betrachtet. Dann könnte man ihn als konzeptuellen Agent Provocateur bezeichnen, dessen Agency sich kontinuierlich wandelt – um es etwas positiver zu formulieren als Alan Sica, der Abbott als einen »red-cheeked New England boarding school youth propelled by a ravenous brain, charming shyness« vorstellt, der einen fast schon als Geheimsprache anmuteten Zungenschlag pflegt und damit seine Leserinnen aus ihrer theoretischen und methodischen Komfortzone locken möchte.154 Wie auch immer, was an dieser Stelle zählt, ist, dass Abbotts Suche nach einer prozessualen Soziologie längst noch nicht zu Ende ist. Seinen Weg in die Soziologie hat er jedoch gefunden.

Zeit zählt

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