Читать книгу Die fünfte Jahreszeit - Anette Hinrichs - Страница 15
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ОглавлениеDas Institut für Rechtsmedizin befand sich in einem zweistöckigen Gebäude aus den Sechzigern am Rande des Universitätsklinikums Eppendorf.
Malin stellte den Mini auf dem gesonderten Parkplatz für Einsatzfahrzeuge ab und betrat mit gemischten Gefühlen die Empfangshalle. Es war ihre erste Obduktion.
Sie war erleichtert, als sie die vertraute Gestalt von Fricke entdeckte, der sich gerade mit einem kräftigen jungen Mann unterhielt. »Brodersen, das ist Mike Hansen. Er ist Sektionsgehilfe in diesem Schuppen. Stellen Sie sich gut mit ihm, er ist immer bestens informiert.«
Fricke klopfte Hansen kurz freundschaftlich auf die Schulter.
Hansen musterte sie kurz, dann erschien ein Lächeln auf seinem runden Gesicht. »Was für ein Glanz in unserem tristen Haus.« Seine himmelblauen Augen blickten sie ergeben an.
»Wunderbar, dann haben Sie sich ja bekannt gemacht«, stellte Fricke auffordernd fest.
Hansens Blick löste sich von Malin. »Folgen Sie mir. Dr. Steinhofer wartet auf Sie. Nicht dass sie nichts anderes zu tun hätte – wir haben letzte Nacht zwei Verkehrsunfälle reinbekommen. Tja, der Herbst hat begonnen.« Er strahlte Malin an.
Im Untergeschoss, wo sich der Autopsietrakt befand, legten sie Schutzkleidung an und folgten dem Sektionsgehilfen in den Obduktionssaal. Ein schwerer, süßlicher Geruch drang ihnen mit einem Hauch von Desinfektionsmittel gepaart entgegen. Grelles Neonlicht strahlte von der Decke auf mehrere Obduktionstische aus rostfreiem Edelstahl.
Dr. Steinhofer war in einen grünen Sezierkittel gekleidet und sprach in ein Diktiergerät. Fricke räusperte sich. Die Rechtsmedizinerin gab Hansen ein Zeichen und der Sektionsgehilfe schlug das Laken zurück, das die Leiche verhüllte. Umgehend rebellierte Malins Magen.
»Ihre Erste?« Dr. Steinhofers Frage klang wie eine Feststellung und war frei von jeglichem Mitgefühl.
Malin nickte und zwang sich zu lächeln.
»Ich möchte, dass Sie sich das ansehen.« Dr. Steinhofer wies auf verschiedene Körperstellen der Toten. »Das sind Brandblasen in verschiedenen Stadien. Sie müssen sich das so vorstellen: Erst rötet sich die oberste Hautschicht, anschließend entstehen Blasen, die mit Wundflüssigkeit gefüllt sind. Irgendwann platzen sie auf und die sogenannte Lederhaut wird sichtbar. Wird diese dann weiterhin einer Strahlung ausgesetzt, platzt die Unterhaut und es kommt zu diesen fleischigen Wunden. Zeitgleich wird dem Körper Flüssigkeit entzogen. Er trocknet langsam aus, ja er verdurstet regelrecht.«
»Also war das die Todesursache?« Fricke beugte sich über den Obduktionstisch und begutachtete die Wunden.
»Nicht direkt. Der Tod trat durch einen sogenannten hyperthermischen Schock ein. Die Folge der Austrocknung.«
Fricke trat vom Obduktionstisch zurück. »Hat sie während der Folterung noch gelebt?«
»Leider ja. Man kann nur hoffen, dass sie schnell die Bewusstlosigkeit erreicht hat.«
Malin schloss die Augen und kämpfte mit einer weiteren Welle der Übelkeit.
Fricke brach das Schweigen. »Wie lange hat es gedauert, bis der Tod eingetreten ist?«
»Lange. Unter Berücksichtigung aller Faktoren würde ich sagen, mindestens zehn bis zwölf Stunden.«
»Und wie hat sie sich diese Brandverletzungen zugezogen? Ich meine, die Leiche sieht ja nun nicht gerade aus, als hätte sie im Ofen gelegen.«
»Leider kann ich in diesem Punkt nur Vermutungen anstellen. Die Haut weist unterschiedliche Verbrennungsgrade auf. Ich würde auf Strahlung tippen.«
»Es waren Sonnenstrahlgeräte, solche, wie sie in den Sonnenstudios benutzt werden«, platzte es aus Malin heraus.
»Brodersen, der Mörder hat doch keine Sonnenbank in die Fabrik geschafft und sie dann darin gebraten«, erwiderte Fricke schmunzelnd.
»Lassen Sie Frau Brodersen ausreden«, mischte sich Dr. Steinhofer ein und nickte Malin aufmunternd zu.
»Natürlich hat der Mörder keine komplette Sonnenbank in die Fabrik geschafft. Die Geräte gibt es auch in kleinen Formaten, sozusagen für den Hausgebrauch. Meistens werden sie fürs Gesicht und den Oberkörper genutzt. Der Mörder hat die Strahler mit Stahlseilen an den Haken der Decke befestigt. Deshalb auch die Farbabplatzungen. Dann hat er sie immer weiter von der Decke abgesenkt, bis sie irgendwann nur noch wenige Zentimeter vom Körper entfernt waren. Er hat sich Zeit gelassen, um sein Opfer möglichst lange am Leben zu erhalten. Und um es länger zu quälen.« Malins Stimme war nur noch ein Flüstern.
»Brodersen, was in Teufels Namen hat Sie zu dieser verrückten Theorie veranlasst?«
Malin sagte es ihm.